Wie ein alter Gaul
Askwin
Weiße Atemwolken schwebten gen Himmel, während er versuchte sein Schwert in der richtigen Position zu halten, um mit ihm ordentlich Schläge parieren und Hiebe setzen zu können.
Entrüstet knurrte er, als Adalar ihn dennoch mit der Scheide aus Holz an der Flanke erwischte. Wie lächerlich das doch war. Ein Mönch, der einen Heerführer besiegte. Wieder und wieder.
„Mehr von diesem Teufelszeug!", forderte er eine weitere Ration des Laudanum ein.
Sein Trainingspartner schüttelte mit dem Kopf. „Es mag Eure Schmerzen vertreiben, verkürzt aber nicht die Zeit der Genesung und verbessert erst recht nicht Euer Können im Kampf."
Askwin mahlte mit den Zähnen, fuhr sich über den Bart. „Das war keine Bitte." Ruhiger, dennoch bestimmend. Er streckte Adalar die Hand entgegen.
Nur widerwillig überreichte dieser ihm das kleine Fläschchen. Der Lord nahm einen solch kräftigen Zug davon, als beinhaltete es Wein und keine Medizin. Mittlerweile hatte er sich an den Geschmack gewöhnt und verzog nicht einmal mehr das Gesicht.
Der Schnee knirschte unter seinen schweren Stiefeln, während er wieder Abstand zum Mönchen nahm. „Weiter." Er hob sein Schwert an, ignorierte dabei das Pochen seiner Wunde, das sich auch durch literweise Laudanum nicht beenden lassen hätte. Auch spürte er, wie die Fäden spannten, die Caja verwendet hatte, um ihm das Leben zu retten.
Adalar sah unschlüssig drein, zögerte, doch warf seine Attrappe schließlich in das Weiß. „Genug für heute." Seine Gesichtszüge spiegelten seine Entschlossenheit wider.
„Wie oft muss ich es Euch noch sagen, Pater?! Mit bleibt keine Zeit!" Askwin war nicht gewillt der Entscheidung des Mönchen nachzugeben. Er hatte sich zwei Tage der Ruhe gegönnt. Das musste reichen.
„Ich werde nicht mit Euch diskutieren, Sir." Adalar faltete die Hände vor seinem Körper. Seine vogelartigen Augen funkelten sein Gegenüber an.
„Ist es, weil ich Euch nach wie vor meine Beweggründe nicht preisgegebe?" Der Lord lief auf das hölzerne Schwert zu, hob es auf und schüttelte den Schnee von ihm ab, bevor er es Adalar entgegenhielt. „Nun nehmt es schon und dann trainieren wir weiter. Ich ..."
„Ihr werdet sterben, wenn Ihr in Eurer Verfassung an die Ostküste reitet. Seht Euch doch an", fiel dieser ihm ins Wort. Bevor Askwin etwas darauf erwidern konnte, schlug er ihm mit einer überraschenden Bewegung beide Waffen aus den Händen. „Ihr wisst wie die Nordmänner kämpfen. Wenn ich es schon schaffe Euch zu überrumpeln, dann wird dies den Barbaren erst recht gelingen. Bitte, Sir, seid ehrlich zu Euch selbst."
Askwin schnaubte, bückte sich nach seinem Eisen. „Meintet Ihr nicht, Ihr seid davon überzeugt, dass Caja die Angelegenheit regeln wird?"
„Und doch teile ich Eure Sorge bezüglich ihres Begleiters."
Die Stirn des Lords legte sich in Falten. „Ihr ..."
„Das ist nicht der richtige Ort, um sich ausgiebig darüber zu unterhalten."
Askwins Blick schweifte zu den anderen Trainierenden auf dem Platz. Trotz der kalten Temperaturen ließen es sich einige der Soldaten nicht nehmen an ihren Taktiken zu feilen. Sie und ...
Er entdeckte Hrodwyn. In einen übergroßen ledernen Wams gehüllt hieb sie mit einem Schwert, das ihr eindeutig zu schwer war, auf eine der Strohfiguren ein. Sie schaffte es kaum es bis auf die Höhe ihrer Brust zu heben.
Der Lord wusste nicht recht, ob ihn dieser Anblick amüsieren oder erschrecken sollte. Sie nutzte das Fehlen ihres Vaters zur Gänze aus. Es war kein Geheimnis, dass sie Harold zu gerne auf der Nase herumtanzte, doch es so offen vor allen seinen Männern zu tun grenzte schon an Übermut.
„Entschuldigt mich. Wir sehen uns zur späteren Stunde wieder", verabschiedete er sich von Adalar, bevor er auf die Prinzessin zusteuerte.
Sie schien ihn nicht zu bemerken, als er sich ihr näherte. Er hielt Abstand zu ihr, beobachtete sie zunächst einige Minuten, bevor er seine raue Stimme erklingen ließ: „Ihr habt das falsche Schwert gewählt, MyLady. Noch dazu wird das Leder Euch die Kälte nicht vom Leib halten. Eure Finger werden schneller blau und starr als es Euch genehm sein wird und Eure Bewegungen werden dadurch nur noch plumper und ungezielter ausfallen."
Schwer atmend hieb sie weiter auf ihren reglosen Gegner ein. Ihr geflochtener Zopf schwang dabei von einer auf die andere Seite. „Habe ich Euch um Euren Rat gebeten?"
Er schmunzelte. „Wollt Ihr lernen zu kämpfen, oder nicht?"
Sie wirbelte zu ihm herum, funkelte ihn angriffslustig an. „Sagt bloß Ihr wollt es mir beibringen?" Das Gesagte triefte nur so vor Sarkasmus. Ein Lächeln, welches diesen ebenfalls widerspiegelte, zierte ihre von der Kälte spröden Lippen.
Er zögerte, nickte dann aber.
Wenn Adalar nicht mit ihm trainieren wollte, dann brauchte er einen neuen Partner. Wohlwissend, dass Harold hiervon erfahren würde, deutete er Hrodwyn ihm zu folgen.
Überraschung zeichnete sich auf ihren feinen Zügen ab, doch sie trat hinter ihm in seine Fußabdrücke. „Weshalb willigt Ihr ein? Fürchtet Ihr nicht, dass mein Vater Euch dafür einen Kopf kürzer machen lässt?"
Er konnte ihr Misstrauen hören.
„Aus eigenen Zwecken", antwortete er. Er kannte die Prinzessin und er wusste, dass man mit Ehrlichkeit am ehesten etwas bei ihr erreichte. Sie war jung, aber nicht dumm.
Gemeinsam betraten sie die Waffenkammer.
Seine goldbraunen Augen huschten über die vielen Schwerter in verschiedenen Größen.
Wissend griff er nach dem, das er am geeignetsten fand und überreichte es Hrodwyn.
Sie wog das Eisen in ihrer Hand, drehte es hin und her.
„Was denkt Ihr?" Askwin lehnte sich an eines der Regale, steckte sein eigenes Schwert in die Scheide und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Besser", murmelte sie schon fast. Nur ungern sprach sie anderen Recht zu.
Er deutete ihr mit einer Handbewegung näher zu treten. Sie zögerte, legte den Kopf leicht schief, woraufhin er kaum merklich mit den Augen rollte. „Was glaubt Ihr, dass ich vorhabe? Euch die Kleidung vom Leibe reißen? Ich bitte Euch. Ich bin ein ehrenhafter Mann. Zudem seid Ihr mir viel zu jung."
„Verzeiht mir meine Vorsicht, Sir Seymour, aber Euer Wandel erscheint mir doch übereilt. Stets habt Ihr mich hinter den Gärten zurechtgewiesen und Henry dafür gerügt, dass er mit mir den Schwertkampf beibringen wollte und nun wollt ihr an seine Stelle treten? Was sind das für eigene Zwecke, von denen Ihr spracht?" Indes kam sie seiner Aufforderung nach und stellte sich neben ihn.
„Ein gesundes Misstrauen ist wohl nicht verkehrt", raunte er, während er die Schnürriemen ihres ledernen Wams enger zog. Mit einer beiläufigen Bewegung griff er nach einem der Felle an der Wand, welche eigentlich der Dekoration dienten und legte es Hrodwyn um die Schultern. „Sicher habt Ihr davon gehört, dass ich auf der Jagd verwundet worden bin. Und wie Ihr wisst, ist es eigentlich meine Aufgabe mich um Dinge zu kümmern, die sich um Schlachten und drohende Kriege drehen."
Die rehbraunen Augen der Prinzessin hefteten sich an den leicht muffig riechenden Pelz des Wildschweins, der sie nun wärmte. „Ich habe gesehen, wie Ihr mit dem Pater trainiert habt. Ich nehme an, Ihr wollt wieder auf die Beine kommen, um meinem Vater zu folgen."
Askwin nickte. „So ist es. Aber der Pater will das verhindern. Er denkt, ich würde in meinen eigenen Tod reiten."
Hrodwyn sah ihm ins Gesicht. Neugierde blitzte in ihren Iriden auf. „Zeigt mir Eure Wunde."
Verirrt kräuselte sich seine Stirn.
„Ihr habt schon verstanden, Sir. Ich möchte Eure Verletzung sehen", wiederholte sie, da er sich nicht rührte.
„Aber wozu?", wollte er wissen, schob indes aber bereits sein Hemd nach oben. Nur ein Stück weit, da es relativ eng anlag. Dennoch erkannte man die sauber gestochene Naht, ebenso wie die geröteten Ränder.
Hrodwyn beugte sich ein wenig nach vorne. Ihr Zeigefinger fuhr vorsichtig über die sich bildende Narbe. Unter der sanften Berührung zuckte er zusammen, ließ das Leinen wieder zurück an seinen Platz gleiten.
Als sich die Prinzessin aufrichtete, lag etwas Undefinierbares in ihrem Blick. „Tut es weh?"
Askwin schnaubte. „Natürlich tut es das."
Sie biss sich auf die Unterlippe. „Wie fühlt sich das an, wenn ... wenn ..."
Trotz ihres Stockens wusste er, worauf sie hinauswollte. „Wenn etwas durch Haut und Fleisch schneidet? Grässlich. Glaubt mir, MyLady, den Kampf zu erlernen ist die eine Sache. Tatsächlich in einen verwickelt zu werden eine völlig andere."
Die Haltung seines Gegenübers änderte sich wieder. Gleich einem bockigen Kind verschränkte sie, wenn auch etwas schwerfällig, da sie noch immer das Schwert in den Händen hielt, die Arme vor der Brust. „Ihr wollt es mir doch ausreden! Wusste ich es doch!"
Askwin schüttelte den Kopf. „Nein. Ich erzähle Euch lediglich die Wahrheit. Nun kommt, bevor unsere Beine in dieser Kammer noch festfrieren und ich zu kalt werde, um weiter zu trainieren."
Er stapfte an ihr vorbei, das Ziehen seiner Verletzung ignorierend.
Gemeinsam kehrten sie auf den schneebedeckten Platz zurück.
Sogleich richteten sich einige Augenpaare der dort Übenden auf sie.
Askwin konnte bereits jetzt die donnernde Stimme Harolds hören, wie sie ihn anbrüllte, was er sich dabei eigentlich dachte.
Auch er war sich nicht sicher, was genau ihn zu dieser Handlung trieb. War es wirklich nur der reine Zweck eine Trainingspartnerin in Hrodwyn zu finden? Oder war es vielleicht doch mehr? Eine Art kleiner Rache, dass der König ihm Caja genommen hatte?
Auch wenn er davon überzeugt war, dass sie noch am Leben war, fühlte es sich danach an, als hätte er sie bereits verloren.
Er fürchtete, dass er die blonde Frau niemals
wiedersehen würde und das nicht, weil sie in ihre Heimat zurückkehren, sondern weil Harold ihr den Kopf von den Schultern schlagen würde.
Hrodwyn stellte sich ihm gegenüber, hob ihr Schwert an, was Askwin ins Hier und Jetzt zurückholte.
Er deutete mit der Spitze seiner Klinge auf ihre Füße. „Stellt Euch breitbeinig hin. So habt Ihr einen sichereren Stand und Euer Gegner kann Euch schwerer aus dem Gleichgewicht bringen. Das ist wichtig, wenn man bedenkt, dass ein jeder von diesen kräftiger und größer als Ihr sein wird."
Hatte Henry ihr das denn nicht erklärt?
Kurz schweiften seine Gedanken zu seinem Knappen ab, der Caja und den König begleitet hatte. Adalar hatte Askwin gesagt, er hätte dies getan, um auf die Wilde aufzupassen, solange er es nicht konnte. Er war allerdings davon überzeugt, dass es andersherum sein würde.
„Ich habe gehört, dass es unter dem Nordvolk auch Frauen gibt, die Schlachten bestreiten", warf die Prinzessin ein, kam seinem Hinweis aber nach.
„Das mag sein. Aber selbst diese Frauen besitzen mehr Muskelmasse als Ihr." Er hob seine Waffe. „Wir werden damit beginnen, dass Ihr Euch nur verteidigt. Erst wenn Euch das gelingt, werdet Ihr versuchen mich anzugreifen. Habt Ihr das verstanden?"
Ihre Mundwinkel zuckten. Ein Zeichen dafür, dass sie mit seiner Vorgehensweise unzufrieden war. Dennoch wagte sie es nicht, ihm zu widersprechen. Vermutlich aus der Sorge heraus, er könnte er sich in diesem Fall doch anders überlegen und ihr nicht mehr helfen.
So nickte sie und er holte zum ersten Schlag aus. Mit Absicht legte er nicht sonderlich viel Kraft in diesen hinein. Wie erwartet traf er die Prinzessin, die durch seine Schnelligkeit überrumpelt worden war. Nur leicht berührte seine Klinge ihre Hüfte.
„Nochmal!", knurrte sie sofort. In ihren rehbraunen Augen entfachte das Feuer des Eifers.
Askwin kam ihrer Aufforderung nach. Sie schaffte es den Hieb zu parieren, war aber nicht vorbereitet, dass er ihr keine Zeit ließ, um sich auf den nächsten vorzubereiten.
„Was hat Euch mein Knappe überhaupt beigebracht?", witzelte Askwin. Wenn er ehrlich zu sich war, dann hatte er weitaus mehr von Hrodwyn erwartet.
Er sah sie zurücktaumeln, da drängte sich ihm ein Gedanke auf. Was, wenn es niemals Henrys Ziel gewesen war, ihr den Kampf tatsächlich näherzubringen? Was, wenn er nur so getan hatte, um ihr das Gefühl zu geben, dass er sie ernst nahm?
Askwin wusste nicht, was er von dieser Vermutung halten sollte. Wenn dies stimmte, dann bedeutete das, Henry hatte Hrodwyn niemals auf dem Schlachtfeld sehen und sie davor beschützen wollen, sie aber dennoch in ihrem Glauben bestärkt, sie wäre gut in dem was sie tat und könnte sich im Kampf auch wirklich behaupten.
Wäre sie jemals in die Situation geraten sich wehren zu müssen, dann hätte es ihrem jetzigen Stand nach ihr Ende bedeutet.
Er mahlte mit den Zähnen, bevor er ernst wurde. „Ihr müsst flinker sein. Lasst Eure Bewegungen flüssiger werden und vertraut Eurem Körper, dass er sich instinktiv in die richtige Richtung bewegt. Denkt nicht zu viel nach und folgt einfach Eurem Gefühl. Und noch etwas - es kommt nicht darauf an jeden einzelnen Schlag zu parieren. Manchmal reicht es auch nur eine Pirouette zu drehen und so auszuweichen. Ihr werdet Eurem Gegner unterlegen sein was die Kraft anbelangt und vermutlich auch in Sachen Erfahrung. Also müsst ihr Eure eigenen Vorteile nutzen."
„Die da wären?", hakte sie nach, hob ihr Schwert erneut an und hielt es schützend wie einen Schild vor ihre Brust.
„Eure Statur macht Euch wendiger und Euer geringes Gewicht schneller. Wenn Ihr meinen Rat wirklich wollt, dann nehmt Euch folgende Worte zu Herzen. Solltet ihr jemals in einen Kampf geraten, dann sucht nicht aktiv nach einem Duell mit dem Schwert. Macht Euren Gegner müde und erst wenn er erschöpft ist schlagt Ihr zu."
Hrodwyn nickte verstehend, stellte sich breitbeinig hin. „Dann los."
Askwin ließ sich nicht zweimal darum bitten. Zuerst hatte die Prinzessin noch mehr Ähnlichkeit mit einem schwerfälligen alten Gaul, wenn sie ihm auswich. Doch mit jedem weiteren Angriff erfolgten ihre Bewegungen graziler und gekonnter.
Eine gute halbe Stunde verstrich, in der er ihr sagte und zeigte, was sie noch verbessern konnte.
Am Ende schien sie völlig ausgelaugt und er konnte sich wegen des Schmerzes seiner Verletzung kaum noch aufrechthalten.
Schweiß floss beiden die Stirn hinab. Hrodwyn sah so verschwitzt gar nicht mehr wie die Tochter eines Königs aus. Doch sie wirkte glücklich und stolz. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen, als Askwin das Training für beendet erklärte.
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