Vor dem Blitzeinschlag

Askwin

„Dass Ihr überhaupt ihre Sprache gelernt habt ...", raunte Myrna ihm zu, sobald sie wieder auf den Pferden saßen und den weiteren Weg aufnahmen.

So sehr wie er ihr schönes Gesicht begehrte, so sehr verfluchte er gerade ihre giftige Art.
Die Eifersucht rief hässliche Eigenschaften in einem Menschen wach und im Fall seiner neuen Mätresse war es ihm Vorwürfe zu machen, wo ihn keine Schuld traf.

„Sie ist unser Gast. Mein Gast. Das vereinfacht das Zusammenleben", antwortete er möglichst ruhig.
Es geziemte sich nicht gegenüber einer Frau die Stimme zu erheben. Vor allem nicht ihr gegenüber, die sie ihm schon oft geholfen hatte, indem sie ihn Dinge vergessen ließ.

Sie lachte kurz, funkelte ihn von der Seite an. Er mied ihren Blick, um ihren schönen Augen zu entgehen, die ihm häufiger als es ihm lieb war den Verstand raubten.
„Dass Ihr so jemanden als Euren Gast—"

„Myrna, Ihr mögt nun meine Mätresse sein, aber Ihr seid nicht meine Ehefrau. Also maßt Euch nicht an mir zu sagen, wie ich zu handeln habe", fiel er ihr ins Wort, schnaubte gereizt und knirsche mit den Zähnen.

Sie hatte nicht das Recht sich in seine Angelegenheiten einzumischen. Die Sache mit Caja betraf nur ihn ganz allein.
Myrnas einzige Aufgabe war es mit ihm das Bett zu teilen, ihn glücklich zu machen und ihn aus der Realität abzuholen, wann immer es ihm beliebte.
Sie hatte sich diese Position selbst ausgesucht, auch wenn sie sich vermutlich mehr davon versprach.

„Verzeiht mir." Ihre zarte Stimme war nicht mehr als ein Flüstern. Sie wandte den Blick von ihm ab, richtete ihn geradeaus auf den Pfad, der sie weiter durch den Forst führte.
„Ich habe Euch nie danach gefragt, doch ich glaube, nun bleibt uns genügend Zeit für ein einfaches Gespräch, nicht?"

Hatte er überhaupt schon einmal ein solches mit ihr geführt?
Beinahe schon fühlte er sich schlecht, als ihm bewusst wurde, dass dies nicht der Fall war.
Immer wenn er sie gesehen hatte war es nur um das eine gegangen, oder darum, dass er sein Versprechen nicht vergessen sollte, sie mit sich zu nehmen.
„Ich schätze die bleibt uns", antwortete er ihr leise.

„Wie ist es in Eurer Heimat? Wie ist Eure Burg? Wie die Städte und die Bewohner?"
Er konnte sie lächeln hören.

„Voll von Flüssen und Seen. Dementsprechend betreiben wir viel Fischfang. Wälder gibt es nicht viele und wenn doch, dann gilt es achtzugeben, dass es sich nicht um Moorgebiete handelt. Die Städte und Dörfer sind klein, aber lebhaft und die Menschen wortkarg, aber stets höflich und zufrieden. Meine Burg ist auch nicht wirklich von Größe, aber Ihr werdet Euer eigenes Gemach bekommen, keine Sorge."

Amüsiert schnaufte sie. Er konnte aus dem Augenwinkel sehen, wie sie nach seinem Arm griff, auf halbem Weg feststellte, dass der Abstand zwischen ihnen zu groß war und ihn dann doch wieder sinken ließ.
„Wieso teilen wir uns nicht ein Zimmer?", fragte sie dann leise.

„Aus dem gleichen Grund, aus dem Ihr Euch nicht in meine Angelegenheit einmischen sollt - Ihr und ich haben uns nicht vor Gott das Eheversprechen gegeben." Er knurrte die Worte schon fast, bereute die gewählte Tonlage augenblicklich und seufzte. „Verzeiht mir meine harsch Art, aber so ist es nun einmal. Ihr habt mich darum gebeten, Euch zu meiner Mätresse zu nehmen und ich habe Euch gesagt, dass ich es tun werde. Mehr wird es aber niemals werden, auch wenn Euch das womöglich schmerzt."

Er wandte ihr sein Gesicht zu, beobachtete wie sie sich betroffen auf die Unterlippe biss und den Blick auf die Mähne ihres Pferdes senkte.

Es war ihm kein Geheimnis, war sie für ihn empfand und es wurde Zeit ihr so deutlich wie nur möglich aufzuzeigen, dass sie ihn niemals auf die Weise besitzen würde, wie sie es sich wünschte.
„Ich liebe Euch nicht", setzte er leise, aber bestimmt nach.

Ihre Augen wurden glasig. Sie kämpfte mit den Tränen und noch bevor die erste die Schlacht gewinnen konnte, machte sie kehrt und führte ihr Tier von Askwin fort.

Er bereute es nicht ihr gesagt zu haben, wie die Dinge standen, denn es war nichts als die Wahrheit gewesen.
Wenn er eines war, dann ehrlich.

Sie würde wiederkommen, da war er sich sicher. In der nächsten Nacht würde sie sich zu ihm ins Zelt gesellen und kein Wort über ihr Gespräch verlieren. Sie würde bei ihm liegen, ihn lieben und so tun, als wäre nie etwas gewesen. So lief es immer ab, wenn sie aneinander gerieten. Und ihm war es recht.

Den restlichen Weg bis es Zeit wurde ein Nachtlager aufzuschlagen ritt er allein am Kopf der Truppe.

Sobald alle Zelte aufgestellt waren, das Feuer in der Mitte brannte und so langsam Ruhe einkehrte, suchte er nach Henry.

Er fand den Knappen bei Gregory, beobachtete eine Weile, wie sie miteinander scherzten, ehe er sich zu ihnen gesellte. „Wir gehen auf die Jagd."

Die beiden Männer musterten ihn, nickten bereit und machten sich auf, um die nötige Ausrüstung dafür zu holen.
Am Ende trafen sie sich bei den Pferden wieder.

Askwin legte seinen Bogen über den Rücken seines Rappen, als sich ihm eine Erinnerung aufdrängte.
Hatte er Caja nicht versprochen, dass sie ihn begleiten durfte?
Er knirschte mit den Zähnen, während sein Blick zu Gregory wanderte, der den Sattel seines Reittiers nochmals fester zog.

Das wird nicht gutgehen.
Die Anspannung, die zwischen seinem eigentlichen Freund und der Barbarin herrschte war nicht zu übersehen gewesen.

Doch Askwin hatte es Caja zugesichert. Er hätte behaupten können es vergessen zu haben, aber dann hätte ihn in der Nacht vermutlich nur sein schlechtes Gewissen heimgesucht und ihn in all den dunklen Stunden wachgehalten.

„Wartet hier. Ich komme gleich wieder", meinte er also an die anderen gewandt, die ihm ohne eine Ahnung davon zu haben, was er vorhatte, nachsahen.

Askwin lief zwischen den Zelten hindurch, bis er sie schließlich vor einem von diesen hockend vorfand. Als sie ihn bemerkte, erhob sie sich sofort.
Ihr Blick verriet ihm, dass sie wusste, weshalb er sie aufsuchte.
Bevor sie etwas sagen konnte, erhob er die Stimme: „ Gregory wird mich ebenfalls begleiten. Falls du also lieber hier ..."

„Was? Denkst du mich stört der alte Kúrkar*?", fiel sie ihm erheitert klingend ins Wort.

Seine letzte Hoffnung die beiden nicht auf einen gemeinsamen Ausflug mitnehmen zu müssen, starb in diesem Moment.
Hatte er sich womöglich sein eigenes Grab geschaufelt?

Er ließ sich nichts von der aufkeimenden Unruhe anmerken, nickte nur und führte sie zurück zu den anderen.

Gregorys graue Augen blitzten gefährlich, als er Askwins Begleitung erkannte. „Was willst du denn mit der?", zischte er. „Sie jagt eher uns einen Pfeil in den Rücken als einem Tier."

Auch wenn Caja ihn nicht verstand, begegnete sie seinem Blick selbstbewusst. Zeitgleich verhielt sie sich ruhig, verharrte einfach neben Askwin und ließ ihn die Angelegenheit klären.
„Es ist meine Entscheidung, wen ich mitnehme. Wenn es dir nicht passt, dann bleib eben hier."

„Und lasse sie mit dir und einem Jungen, der noch völlig grün hinter den Ohren ist, alleine in den Wald spazieren? Damit sie euch beiden den Garaus macht, wenn ihr es am wenigsten erwartet? Sicher nicht!"
Ein heisereres Lachen drang aus seiner Kehle, ehe er sich auf sein Pferd schwang. „Du vertraust ihr, aber das macht dich schwach, lieber Freund. Und ich werde da sein, um dich in deiner Schwäche aufzufangen."

Auch wenn es Askwin auf der Zunge brannte beschloss er Gregorys Gerede unbeantwortet zu lassen.

„Ich habe schon in einer Schlacht gekämpft, falls Ihr das vergessen habt, Sir Lyeson!", sorgte Henry dafür, dass sich keine Stille zwischen ihnen ausbreiten konnte.

„Und du bist fast gestorben", knurrte Gregory, lenkte sein Pferd in Richtung Wald.

Die anderen folgten ihm, bis Askwin die Führung übernahm. Caja ritt an seiner rechten Seite, die anderen beiden hinter ihnen.
Ständig konnte er den zornigen, misstrauischen Blick des ehemaligen Heerführers in seinem Rücken spüren.
Unangenehm prickelte Askwin die ganze Haut.

„Weshalb so angespannt?", drang schließlich Cajas Stimme an sein Ohr und vertrieb damit für einen Moment die finsteren Befürchtungen.

„Das fragst du noch?", entgegnete er leise, auch wenn Henry und Gregory sie nicht verstanden.

Sie lachte etwas. „Ich habe nicht vor einen Streit zu beginnen. Dafür bin ich zu dankbar für diese Gelegenheit."

„Zu jagen?" Dass etwas so banales ihr Herz mit Freude füllen konnte, berührte ihn auf gewisse Weise tief in seinem Inneren.
Wie gut es sich anfühlen musste, schon mit den kleinen Dingen im Leben zufrieden zu sein.
Er als Adliger hatte schon früh gesagt bekommen, dass nur Geld und Macht einen Menschen erfüllen konnten, doch mit jedem verstrichenen Jahr stellte er fest, dass diese zwei Aspekte weitaus nicht alles waren.
Etwas fehlte ihm, ließ ein Loch in seinem Brustkorb zurück.
Vielleicht war es diese Art von Genügsamkeit, die Caja besaß.

„Aber ja", meinte sie lächelnd, sah ihn an.
Er erwiderte ihren Blick, der vor Gelassenheit strotze.
Wäre Gregory nur auch so ruhig, dann gäbe es gar nichts zu befürchten.
Womöglich sollten sie sich alle eine Scheibe von Cajas Verhalten abschneiden.

Als etwas in ihrer Nähe raschelte, bremste er sein Pferd, stieg ab und nahm den Bogen zur Hand.
Die anderen rutschten ebenfalls von den Rücken ihrer Reittiere, blieben dicht hinter Askwin, der vorsichtig durch das Dickicht pirschte.

Er hörte das Schnauben mehrerer Tiere, sanftes Hufgetrappel auf weichem Erdboden und schließlich erblickte er die kleine Herde an Rehen.
Drei dieser Waldbewohner suchten den Untergrund nach Leckereien ab. Dabei drehten sich ihre Ohren ständig, aber dennoch schienen sie die drohende Gefahr nicht zu bemerken.
Nur eins von ihnen würde genügen, um die ganze Gruppe Reisender satt zu machen.

Langsam und darauf bedacht kein Geräusch von sich zu geben, legte er einen Pfeil in die Sehne, spannte diese bis das mit Federn bestückte Ende seine Wange berührte.
Kaum atmend visierte er das größte Reh an, konzentrierte sich und als er sich sicher war, dass er sein Ziel auch treffen würde, ließ er los.

In der gleichen Sekunde stieß ihm jemand hart in die Seite, sodass der Pfeil die geplante Bahn verließ. Anstelle im Kopf des Waldbewohners landete die Spitze im Stamm einer Eiche.

„Was zum ...?!", knurrte er und wandte den Kopf Caja zu, die aber nur mit dem Finger nach vorne deutete.

Und da begriff er. Die Rehe rannten los, aufgeschreckt von dem gescheiterten Versuch eines von ihnen zu legen.
An die Hufen des Tiers, das Askwin anvisiert hatte, heftete sich ein Kitz, das sich in einem der Büsche versteckt gehalten hatte.
Hätte er die Kuh getötet, hätte er dem Kleinen die Mutter genommen und somit zwei Tode besiegelt, von welchen einer sinnlos gewesen wäre.

„Barn þarf móður sína", flüsterte Caja.
Ein Baby braucht seine Mutter.

Askwin hatte verstanden, war sogar dankbar, dass sie es verhindert hatte und senkte den Bogen wortlos.
Sie würden schon etwas anderes finden.

Doch in Gregory entfachte ein neues Feuer des Zorns. „Was hab ich gesagt?!", bellte er. „Sie wird uns nur Schwierigkeiten machen! Dieses Reh hätte einen jeden Magen gefüllt und nun ist es fort! Eine einmalige Gelegenheit!"

Askwin wollte etwas erwidern, aber Henry kam ihm zuvor: „Verzeiht meine Worte, Sir Lyeson, aber Caja rettete einer Mutter das Leben! Sie hat nichts falsch gemacht."

Mit vor Wut verzogenem Gesicht packte Gregory den Jungen am Kragen, zog ihn nach oben, sodass er auf den Zehenspitzen stehen musste. „Vorhin habe ich dir deine respektlose Art durchgehen lassen, Bürschchen, aber das genügt! Vergiss nicht, wen du hier vor dir hast und wer du bist! Einmal noch, dass du die Stimme mir gegenüber erhebst und du verlierst ..."

„Genug!", ging Askwin zwischen die Fronten, um seinen Knappen zu schützen, wenngleich die Maßreglung nicht ganz unangebracht war.
Henry vergaß zu oft seinen Stand, so auch diesmal.
Aber deshalb besaß Gregory noch lange nicht das Recht, ihn physisch zu züchtigen.

„Lasst uns weiterziehen und uns nicht streiten wie Kinder." Askwin funkelte den Älteren an, der daraufhin von Henry abließ.
Die Augen des Jungen zeigten seine Angst.

Zu viert zogen sie weiter, ohne dass einer von ihnen ein weiteres Wort verlor.
Anspannung lag schwer in der Luft zwischen ihnen, lud sie elektrisch auf und machte Askwin noch wacher als zuvor.

Etwas würde geschehen. Früher oder später würde Gregory sich über jemandem entladen und Askwin hoffte, er würde zur Stelle sein, sobald es dazu kam.

—-
*Kúrkar: isländisch für Griesgram

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