Rosmarin und Weißdorn

Askwin

Er konnte es in ihren Augen erkennen - sie hatte begriffen. Ruhig beobachtete er sie dabei, wie sie den Bären in ihrer Handfläche musterte, dann aufsah und ihre Iriden zu funkeln begannen.

Von dem was er zu ihr gesagt hatte, hatte er keine Ahnung. Er wusste nicht einmal, ob er die fremdartigen Wörter richtig im Kopf behalten und wiedergegeben hatte. Doch egal ob ihm dies gelungen war, oder nicht, sie verstand.

Als fühlte sie sich ertappt, senkte sie den Blick wieder auf das aus Holz geschnitzte Tier, dem sie zuvor den Namen Mina zugeflüstert hatte. Es schien ihr wichtig zu sein, so fest wie sie es nur wenig später umklammerte. Vielleicht war es aber auch das einzige, das ihr noch Hoffnung gab, das sie an ihre Heimat und ihr Volk erinnerte.

Er wollte aufstehen, als sie mit einem Mal nach hinten kippte. Wie ein Fisch begann sie auf dem Boden zu zappeln, trat und schlug um sich. Schäumender Speichel bildete sich vor ihrem Mund, ihre Finger verkrampften sich und nahmen eine unnatürliche Haltung ein.

Sofort begann sein Herz heftig gegen seine Brust zu hämmern, unwissend was er nun tun sollte. War dies einer dieser Anfälle, von denen Pater Bernard ihm erzählt hatte?
Er erinnerte sich daran, dass der Mönch ihm gesagt hatte, er hätte ihren Kopf gehalten, damit sie sich nicht verletzte und ohne großartig weiter darüber nachzudenken, tat Askwin nun das gleiche.

Er kniete sich neben ihr Haupt und hielt es fest mit den Fingern umschlossen, nachdem er es auf seinem Schoß abgelegt hatte.
„Adalar!", brüllte er nach dem jüngsten Geistlichen.
Verflucht, wo blieb er nur?! Er hatte ihn doch nur geschickt, um frisches Trinkwasser zu besorgen!

Mit vor Schweiß feuchter Stirn und zitternden Händen blickte er auf die zuckende Wilde hinab. Auf Caja. Es war wahrlich kein schönes Bild, das sich ihm dort bot. Eher zählte es zu jenen, die grausam waren und einem die Farbe aus dem Gesicht vertrieben.

„Oh bitte, beruhige dich doch!", zischte er, bleich vor Angst. Sollte er sie verlieren, dann war jedweder Handel mit dem Nordvolk dahin. Dann würden sie von diesem niedergemetzelt werden.

Als hätte sie seine Worte vernommen, hörte sie mit einem Mal auf zu zucken und zu krampfen. Sie sackte einfach auf ihm zusammen, ihre Arme glitten kraftlos zur Seite und der Speichel hörte auf aus ihrem Mund zu rinnen.

Im gleichen Moment trat Adalar wieder ins Zelt. „Verzeiht Sir, dass es so lange gedauert hat, aber ..." Als er die bewusstlose Caja erblickte verstummte er, beeilte sich den Wasserkrug abzustellen und eilte an die Seite des Lords.
„Was ist geschehen?", fragte er, sofort in seiner Rolle des Arztes. Er wischte der jungen Frau die aufgeschäumte Spucke aus dem Gesicht und legte den Zeigefinger an ihren Hals.
„Sie ist am Leben. Aber ihr Puls ist sehr schwach. Los, helft mir sie in die Decken einzuhüllen! Ihr darf nicht kalt werden!"

Askwin hätte über die Art und Weise wie der Mönch mit ihm sprach erzürnt sein sollen, doch ihm blieb keine Gelegenheit weiter darüber nachzudenken.
Es galt nun dafür zu sorgen, dass Caja weiter atmete.
So half er Adalar ohne Widerworte die Bewusstlose auf seine Pritsche zu legen und sie mit seinen Laken zuzudecken.

„Lasst sie nicht aus den Augen, Sir! Ich gehe und hole Rosmarin und Weißdorn. Das sollte ihr helfen, schnell wieder Herrin über ihren eigenen Körper zu werden." Schnell wie der Wind verließ er das Zelt, um die genannten Kräuter zu besorgen.

Zähneknirschend betrachtete der Heerführer Cajas blasses Gesicht und fuhr sich dabei mit der flachen Hand durch den Bart. Noch immer hatte er es nicht geschafft ihn sich zu trimmen. Es war ständig etwas anderes zu tun, sodass selbst für solch Kleinigkeiten keine Zeit blieb. Aber heute Abend. Ja, heute Abend, da würde er ihn wieder kürzen, damit er nicht mehr kratzte und juckte.
Zu viel Dreck hatte sich in ihm verfangen. Schmutz von der Schlacht um Haversbrook, Schweiß und sicherlich klebten auch noch irgendwo verborgen Reste von Blut.

Cajas Brust hob und senkte sich gleichmäßig. Sie schien das Schlimmste überwunden zu haben. Hatte sie ihm nicht versichert, sie wäre nicht krank?
Mit einem Ziehen im Magen musterte er ihr blondes Haar, die geschlossenen Augen, ihre feine Nase und das Mal unter ihrem einen Lid. Ihre Wangenknochen waren markant, ihre Lippen voll und von einem rosigen Ton.
Wäre sie keine der Barbaren gewesen, hätte er sie wohl durchaus als attraktiv bezeichnet.
Aber sie war der Feind und es galt als Todsünde diesem zu verfallen.

Außerdem hatte er doch noch Myrna.
Zwar liebte er die schwarzhaarige Dirne nicht, doch sie hätte es ihm vermutlich dennoch niemals vergeben, hätte er sich einer anderen Frau hingegeben.
Kurz sehnte er sich nach ihrem warmen Schoß.

„Sir, atmet sie noch?"
Askwin schreckte zusammen, als Adalars Stimme in seinem Rücken erklang. Er hatte gar nicht bemerkt, dass der Mönch zurückkehrt war.

„Aber ja", antwortete der Lord, ehe er zur Seite trat, damit der Geistliche seine Arbeit verrichten konnte.

Adalar hatte den Rosmarin und den Weißdorn in einen Becher gegeben, gemeinsam mit erhitztem Wasser. Der Geruch der frischen Kräutertinktur bahnte sich seinen Weg in Askwins Nase. Trotzdessen, dass der Duft angenehmer war als der, der in den vergangenen Tagen durch das Lager geschwebt war, hielt er sich die Hand vor.

Ein paar mal pustete der Mönch in das Trinkgefäß, prüfte die Temperatur dann, indem er es kurz an seine eigenen Lippen führte, ehe er den Tee zufrieden am Mund der Bewusstlosen ansetzte und vorsichtig versuchte ihn ihr einzuflößen.

Caja schluckte unterbewusst, hustete und Adalar verringerte die Geschwindigkeit.
Erst als der Inhalt ganz geleert war, nahm er den Becher wieder zurück, wandte sich dann Askwin zu. „Pater Bernard sieht später nach ihr. Er ... er hat mehr Erfahrungen was solche ... solche Anfälle anbelangt."

Askwins Augenbrauen hoben sich, als der junge Mönch so zu stottern begann. Weshalb wurde er mit einem Mal so unruhig? Verschwieg er ihm etwas? „Was habt Ihr, Pater Adalar?"

Er konnte sehen, wie der Geistliche sich kurz auf die Unterlippe biss, ehe er den Blick senkte. „Als Ihr fort wart um mit Sir Lyeson eine Unterredung zu führen, unterhielt ich mich mit der Gefangenen", setzte er nach leichtem Zögern an. „Es ist sicherlich ein reines Hirngespinst, aber sie versuchte mir zu versichern, dass sie mit ihren Göttern spricht, wenn sie diese Anfälle hat." Ein knappes, heiseres Lachen drang aus seiner Kehle und er winkte ab, als ob er Cajas Geschichte für völlig verrückt hielt und doch konnte Askwin in seinen Augen erkennen, dass er daran zweifelte, dass es nur ein Märchen war, das sie versucht hatte ihm aufzutischen.

„Ihr denkt, sie könnte die Wahrheit sprechen", stellte der Lord fest, der mehr als nur geübt darin war, Menschen zu lesen.

„Ich bitte Euch!", stieß Adalar sofort aus, schien in Panik zu geraten. „Das wäre Blasphemie! Es gibt nur den einen Gott!"

Askwin schritt auf ihn zu, fasste ihm an die Schulter und versuchte ihm die Angst zu nehmen: „Es ist keine Schande an andere Dinge zu glauben. An solche, die die Kirche nicht vorschreibt." Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, auch wenn sie die zwei einzigen Angelsachsen in diesem Zelt waren.

Adalars Augen weiteten sich, als er begriff, was der Heerführer gerade eben von sich gegeben hatte.
„Ihr ... Ihr glaubt nicht an den Schöpfer, Sir?", wisperte er fragend.

„Ich glaube an eine höhere Macht, nicht aber an den einzig wahren Gott, der allein über die Welt und all die Menschen herrscht und über sie richtet. Wieso also sollte es nicht so sein?"
Er wandte sich von seinem Gegenüber ab, nahm den Wasserkrug in die Hand und trank aus ihm. „Wieso sollte es nicht stimmen, dass es mehr als nur einen gibt? Vielleicht spricht sie die Wahrheit. Und wenn dem so ist ..." Sein Blick glitt hinüber zu der Gefangenen, die im Moment mehr wie eine Seinesgleichen aussah, eingehüllt in seinen Decken, auf seiner Pritsche liegend. „... dann ist sie sicherlich noch wertvoller für die Barbaren, als wir es zunächst angenommen hatten."

„Sir, das ist ...", setzte Adalar an, unterbrach sich aber selbst, als fühlte er sich in seinen Gedanken ertappt. „Keiner darf davon erfahren, dass ich es überhaupt in Betracht ziehe, ihre Erzählungen könnten wahr sein. Und Ihr .... Nun ... Ihr solltet acht darauf geben, wem ihr von Euren Vorstellungen berichtet. Wenn Partner Bernard davon hören würde, er würde mich aus dem Kloster verbannen und anklagen lassen und er würde sicherlich dafür Sorge tragen, dass ihr aus dem Dienst des Königs entlassen werdet."

„Keines dieser Worte wird dieses Zelt verlassen", schwor Askwin dem Mönch, wandte sich dann wieder Caja zu, die keinerlei Andeutungen machte, bald wieder aufzuwachen.
„Ich will ihre Sprache erlernen."

„Das wird nicht leicht, Sir und es wird viel Zeit in Anspruch nehmen. Ich fürchte, dass Ihr diese nicht habt." Adalar klang unsicher, wollte dem Lord nicht widersprechen und tat es trotzdem.

Askwin wusste selbst, dass es viele Dinge zu erledigen gab und dass Caja nicht ewig bei ihnen bleiben würde. Doch er wollte sich mit ihr verständigen können. Mehr als nur durch Gesten und Mimik. „Ich lerne schnell und die Nacht ist noch jung."
Er leerte den Krug mit Wasser, knirschte mit den Zähnen, da er wieder einmal an Henrys Abwesenheit erinnert wurde, als ihm nun nach Wein gelüstete.
Mehr schlecht als recht öffnete er selbst das mitgebrachte Fass, verschüttete dabei etwas von dem für ihn kostbaren Alkohol und schenkte sich ein.
Dann setzte er sich auf die Teppiche und deutete dem Geistlichen ihm gegenüber Platz zu nehmen.

Dieser seufzte, kam der Aufforderung aber nach und ließ sich vor Askwin nieder.
Er setzte sich in den Schneidersitz und bettete die Hände auf seinem Schoß.
„Beginnen wir mit den einfachen Floskeln ..."

Stundenlang saßen sie beieinander. Die Öllampen ließen die Schatten ihrer beider Gestalten auf den Wänden aus Stoff tanzen, während der Mönch beherzt versuchte dem Heerführer die Sprache der Nordmänner näher zu bringen.
Und wie Askwin es ihm versichert hatte, sog er die fremdartigen Wörter und ihre Bedeutungen nur so in sich auf, gab manche besser und manche schlechter verständlich wieder.

Die ganze Zeit über war er bemüht, so schnell zu lernen, wie nur möglich.
Die Stunden flogen an ihnen vorüber, bis schließlich das schwache Licht der Sonne ins Innere des Zeltes fiel und sich beide Männer bewusst werden ließ, dass sie die ganze Nacht beisammen gesessen hatten.

Caja war währenddessen still geblieben, hatte sich kein bisschen geregt.
„Wie lange wird sie noch schlafen?", wollte Askwin wissen, dem dunkle Ringe unter den Augen klebten. Er war müde, aber er bereute es nicht, nicht geschlafen zu haben.
Zwar beherrschte er die Sprache der Barbaren nun noch lange nicht perfekt, aber es würde reichen, um sich auf niederem Niveau mit seiner Gefangenen zu unterhalten.

Adalars Blick flog hinüber zu der schlafenden Frau, die langsam aber sicher übel zu riechen begann. Sie brauchte wirklich dringend ein Bad.
„Ich weiß es nicht", gestand er. „Pater Bernard sagte beim letzten Mal waren es nur wenige Stunden. Wenn diese Anfälle einem Muster folgen, dann sollte sie schon bald wieder das Bewusstsein erlangen."

Pater Bernard.
Askwin dachte an den ältesten der Mönche. Hatte Adalar nicht gesagt, er wollte kommen, um sich Caja anzusehen?

Im gleichen Moment raschelte der Eingang des Zeltes und der Geistliche trat ein. „Verzeiht, Sir Seymour, aber die eigenen Verletzten beanspruchten in der letzten Nacht meine Dienste", erhob er die leicht kratzige Stimme. Er legte die Betonung seiner Worte so, dass es deutlich wurde, dass er das Wohlergehen der Angelsachen über das der Wilden stellte.
Etwas, das keinesfalls verwerflich war und doch grämte es Askwin, da der Pater die Wichtigkeit dessen nicht verstand, dass Caja am Leben blieb.

„Wir haben Gideon, Frederik und Lywin verloren", verkündete der Ältere, ehe er ganz eintrat und sich der Bewusstlosen näherte.

Askwin kannte die drei, die er genannt hatte. Ein guter Heerführer wusste welche Namen seine Männer trugen. Sie alle waren noch jung gewesen. Zu jung, um auf dem Schlachtfeld zu sterben.
Sofort dachte er wieder an seinen Knappen. „Und Henry?", fragte er, überspielte dabei seine Unsicherheit und seine Angst.

„Er ist wach, Sir und er hat bereits nach Euch gefragt." Bernard beugte sich über Caja und tastete nach ihrem Puls. „Du hast deine Aufgabe gut gemacht, mein Junge. Der Rosmarin und der Weißdorn helfen. Sie atmet kräftig und der Farbe ihres Gesichts nach zu urteilen geht es ihr gut", stellte er dann an Adalar gewandt fest.

Der Heerführer ballte die Hände zu Fäusten. Reizte ihn der ältere Mönch mit Absicht? „Wieso habt Ihr mir nicht sofort Bescheid gegeben?", verlangte er zu wissen, bemüht darum die Beherrschung nicht zu verlieren.
Er hätte bei Henry sein müssen, als er aufgewacht war.

„Wie ich es bereits gesagt habe, Sir Seymour, ich hatte damit zu tun, unsere eigenen Männer am Leben zu halten." Seine Antwort war monoton, beinahe schon kalt.
Er rümpfte die Nase. „Sie ist nicht nur eine Wilde, sie riecht auch noch so. Ihr solltet sie waschen lassen."

„Ihr seid nur dafür zuständig dafür zu sorgen, dass es ihr gut geht", knurrte der Lord bedrohlich. Bernard spielte mit seiner Geduld. „Alles andere obliegt mir. Geht nun und kümmert Euch weiter um die Verletzten."

Als hätte er Askwins Tonfall nicht vernommen, verneigte sich der Angesprochene nur und entschwand. Aber nicht ohne Adalar mit sich zu nehmen und ihm zu erklären, dass er draußen gebraucht wurde. Bei seinen Männern. Bei seinem Volk.

Der Zurückgebliebene verharrte noch einen Moment an Ort und Stelle, um sich zu sammeln, ehe auch er das Zelt verließ, drei unversehrte Soldaten vor dessen Eingang positionierte und dann nach Henry sah.

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