Manches ändert sich nicht
Askwin
Mit jedem vergehenden Tag kehrte seine Kraft zunehmend zu ihm zurück. Und mit jeder weiteren Trainingseinheit, die er Hrodwyn widmete, wurde die Prinzessin besser und besser darin sich zu verteidigen.
Mittlerweile war sie so flink, dass sie beinahe jedem seiner Hiebe ausweichen konnte, weshalb er darin übergegangen war, ihr zu zeigen, wie sie selbst am besten zuschlug.
Eiskristalle hafteten in seinem Bart, der schon wieder viel zu lang gewachsen war, als er die heutige Stunde für beendet erklärte.
Hrodwyn nickte ihm mit hochrot glühenden Wangen zu. Schweißperlen liefen ihre Stirn hinab und verklebten ihren dunkelbraunen Haaransatz.
Bevor er sich zurückzog, um Adalar zum täglichen Verbandswechsel aufzusuchen, packte sie ihn am Arm. Ein ehrliches Lächeln zierte ihre trotz der Kälte rosigen Lippen. „Danke."
Er erwiderte nur ein leises Brummen, ehe er über den schneebedeckten Platz schlenderte und das Innere der Feste betrat. Sein Schwert in die Scheide gleiten lassend, durchwanderte er die langen Flure, bis er sein Gemach erreichte.
Sobald er die Tür öffnete und sein Blick auf das viel zu große Bett fiel, dachte er an Myrnas warmen Schoß, in den er seinen Kopf nun zu gerne gebettet hätte.
Er fühlte sich einsam hinter den hohen Mauern Wessex', doch er bereute es nicht, die Mätresse in seiner Heimat gelassen zu haben. So hatte er ihr den grässlichen Anblick seiner Bauchwunde ersparen können.
„Da seid Ihr ja", drang die Stimme des Mönchs an sein Ohr.
Wie an jedem der letzten Tage, hatte er auch heute auf ihn gewartet.
Askwin nahm seinen Fellmantel und die lederne Rüstung ab, legte alles auf dem Tisch nieder, an dem Adalar mit übereinander geschlagenen Beinen saß, die Hände auf den Oberschenkeln gefaltet, als würde er gerade beten.
Der Lord nahm ihm gegenüber Platz und schob sein Leinenhemd nach oben, das durch den Schweiß ebenso fleckig war, wie der Verband den er darunter trug. Ansonsten war das Weiß sauber. Keine Anzeichen von blutigen Spuren mehr.
Adalar stand auf und machte sich daran, seine Verletzung freizulegen, die mittlerweile drei Wochen alt war.
Zufrieden musterte er die schwulstige Narbe, die sich gebildet hatte und ließ seinen Finger darüber wandern, um nochmals sicherzugehen, dass er keine Fadenreste übersehen hatte. „Sehr schön", murmelte er unterdessen. „Ein neuer Verband ist nicht mehr nötig."
„Ich fühle mich auch besser", antwortete Askwin ihm und ließ sein Oberteil zurück an seinen Platz gleiten. „Lasst Ihr mich nun endlich reisen?"
Vor zwei Wochen waren Harold und Caja aufgebrochen, hatten die Ostküste demnach vor wenigen Tagen erreichen müssen. Bisher war keine Botschaft über einen nahenden und bereits begonnenen Krieg bei ihnen eingetroffen, weshalb er Hoffnung hegte. Doch das änderte nichts an seinem Bedürfnis, sich wieder in Cajas Nähe zu wissen, um auf sie achtgeben zu können. Nach wie vor traute er dem König nicht.
„Das halte ich nach wie vor für keine gute Idee", entgegnete Adalar ihm.
Seine kleinen Augen legten sich auf das Gesicht des Lords, welcher ungehalten wie ein Büffel zu schnauben begann. „Weshalb?" Er bemühte sich darum ruhig zu bleiben, aber so langsam ging ihm die Geduld aus.
Er hatte nach Adalars Regeln gespielt, hatte sich zurückgenommen, artig sein Laudanum eingenommen und sich jeden Tag den Verband wechseln und die Naht reinigen lassen. Und nun, da die Narbe an seinem Bauch endlich gut aussah, sollte er immer noch in Wessex verbleiben? Das konnte nicht sein Ernst sein.
„Sir Seymour, seid Ihr der Arzt, oder ich? Ich verstehe Euren Unmut und auch Eure Ängste und Sorgen, aber nur eine falsche Bewegung und die scheinbar zusammengewachsene Haut platzt wieder auf. Man spricht bei derartigen Verletzungen von einer Genesungsdauer von rund einem halben Jahr."
„Nein!", entfuhr es Askwin lauter als beabsichtigt. Er erhob sich auf die Beine und fuhr sich durch das schulterlange Haar. „Es reicht! Ich habe lange genug hinter diesen Mauern ausgeharrt und meinem Körper Zeit gegeben." Sich vom Mönchen abwendend, legte er sich die lederne Rüstung wieder an und warf sich den Mantel um die Schultern. „Ich werde los reiten. Heute noch."
Ein Seufzen drang an sein Ohr, gefolgt von einem: „Damit habe ich bereits gerechnet. Ihr wart noch nie von etwas abzuhalten und von Eurem versteckten Temperament will ich gar nicht erst zu sprechen beginnen."
Askwin hörte, wie auch Adalar sich aufraffte. „Ich werde Euch begleiten, Sir. Als Euer persönlicher Medikus."
„Wie Ihr wollt, Pater", antwortete der Lord mit gleichgültigem Ton.
Keine Stunde später fanden sich beide Männer in den Stallungen ein und warteten darauf, dass die zwei jungen Kerle die Pferde zurechtmachten.
Sobald Askwin seinen Rappen entgegengenommen hatte, ritten sie vom Hof.
Schnell hatten sie die Hauptstadt hinter sich gelassen. Die Felder und Äcker machten weiten Grasebenen Platz, die sich nun weiß wie ein Meer aus Perlen vor ihnen erstreckten.
Am Horizont ragten die schneebedeckten Kronen der Wälder vor ihnen auf.
Es würde eine lange Reise werden.
Wenn man bei normalem Tempo ritt, womöglich neun oder zehn Tage.
Askwin gedachte allerdings nicht, sich so lange Zeit zu geben. „Ich hoffe Ihr kommt mit wenigem Schlaf zurecht, Pater", richtete er das Wort an seinen einzigen Begleiter, während die Reittiere sie in einem zügigen Trab über die unter den Hufen knirschende Winterlandschaft trugen.
„Zwei wache Nächte am Stück stellen für mich kein Problem dar."
Eine Antwort, die der Lord belächelte. „Vielleicht nicht, wenn ihr diese in der Wärme des Klosters in völliger Ruhe verbringt. Die Reise wird Euch Kraft kosten und ist anstrengender als ein Gebet, das über Stunden andauert. Danach werden Euch nicht nur die Knie Schmerzen, sondern Euer ganzer Körper."
„Das macht mir nichts", beharrte Adalar auf seiner Meinung. „Ich habe mich weiterentwickelt seit unserem letzten Treffen, Sir Seymour."
Das war Askwin nicht entgangen. Schon am Morgen seines Wiedererwachens hatte er die Veränderung im Verhalten des Mönchen feststellen können und sich unweigerlich zu fragen begonnen, was im vergangenen Jahr vorgefallen sein musste.
Bevor er nachhaken konnte, sprach Adalar weiter: „Die Ausbildung zum Priester ist nicht Ohne. Sie verlangt äußerste Eigendisziplin, erlaubt keine Momente der Schwäche. Ja, sie lehrt einem sogar körperlichen Schmerzen standzuhalten. Brennende, stechende Muskeln nach einem anstrengenden, langen Ritt sind nichts gegen einen offenen Rücken, Sir."
Askwin verzog das Gesicht. „Das habe ich noch nie verstanden. Wozu die Selbstgeißelung?"
„Buße. Sühne. Aber auch, um sich mit dem leidenden Herrn Jesu Christi zu vereinen. Seine Pein nachzuempfinden." Während er sprach, richtete er seinen Blick gen Himmel, als könnte er den Sohn Gottes zwischen den verdunkelten Wolken ausmachen, die bald neuen Schnee bringen würden.
„Die Peitsche im Rücken zu spüren ist mitnichten vergleichbar mit Nägeln in Händen und Füßen." Nicht verstehend schüttelte der Lord den Kopf. „Ihr verstümmelt Euch selbst, Pater. Schadet Eurem Körper nicht nur durch die Kasteiung, sondern auch durch das Fasten und das Wachen. Und Ihr entzieht Euch den Freuden des Lebens. Habt Ihr jemals daran gedacht, eine Frau zu berühren? Ich sage Euch, es ist ein unvergleichliches Erlebnis. So geborgen fühlt sich ein Mann als junger Bursche sonst nur im Schoße seiner Mutter."
„Meine Liebe gebührt einzig und allein dem Herrn. Ich fühle mich nicht zu Frauen hingezogen. Nur Gott erfüllt mich mit Freude."
Askwin wandte Adalar den Blick zu, in der Erwartung auf seinen Gesichtszügen ablesen zu können, dass er nur die Antwort von sich gab, die sein Glaube ihm abverlangte. Doch das sanfte Lächeln, das die schmalen Lippen des Geistlichen umspielte, zeugte von nichts anderem als der Wahrheit.
„Was ist mit dem, was Caja Euch erzählte? Dass es andere Götter gibt und dass jene zu ihr sprechen? Damals wirktet Ihr, als würdet Ihr ihrer Erzählung Glauben schenken."
Sie ließen das weite Feld hinter sich, tauchten in die Schatten der Nadelbäume ein.
Adalar zögerte darauf einzugehen. Scheinbar hatte er nicht damit gerechnet, dass Askwin das Vergangene ansprechen würde. „Sie ... schien von ihrer Ansichtsweise so überzeugt, wie ich von der Existenz Gottes. Das brachte mich zum Zweifeln und das möchte ich auch gar nicht abstreiten." Er bekreuzigte sich. „Der Herr vergebe mir diese Sünde." Seine Augen hefteten sich an Askwins Gesicht. „Aber keine Sorge, Sir, ich habe nichts von Euren Gedanken, die ihr an jenem Abend mit mir teiltet, weitergegeben. Euer Geheimnis ist sicher bei mir verwahrt."
Ein altbekanntes Vertrauen flammte im Zuge dieser Worte in Askwins Innerem auf und er schenkte seinem Begleiter ein zaghaftes Lächeln. Vielleicht hatte sich an ihrer Freundschaft nichts geändert, auch wenn vieles um sie herum nicht mehr war, wie noch vor einem halben Jahr.
„Ich denke oft an das, was Caja von sich gab und auch an die Umstände von Sir Lyesons Tod", gestand er nach einer Minute des Schweigens. „Erinnert Ihr Euch an den Talisman, den sie bei sich trug? Den aus Holz geschnitzten Bären?"
„Ihr glaubt, dass es einer ihrer Götter war, der sie an diesem Tag vor dem Tod bewahrt hat?" Es schwang kein Vorwurf in Adalars Frage mit.
„Findet Ihr es denn nicht seltsam, dass Caja nicht einen Kratzer seiner Pranke davongetragen hat? Dass der Bär sie verschonte und Gregory beinahe bis zur Unkenntlichkeit verstümmelte? Ich weiß, es mag absurd klingen, aber ich glaube nicht daran, dass dies purer Zufall war. Und als wir aus den Wasserlanden aufbrachen ... ich sah keine Überraschung in ihrem Blick, machte keine stille Vorfreude in ihren Zügen oder ihren Gesten aus. So, als hätte sie schon lange davon gewusst, dass ihr Volk zurückkehren würde."
„Womöglich besitzt sie einfach nur ein ausgeprägtes Bauchgefühl. Oder auch sie hat sich in den vergangenen Monaten verändert. Vielleicht hat sie es gelernt, ihre Emotionen zu verbergen", versuchte Adalar die Dinge rational anzugehen.
„Das mag erklären, weshalb sie sich so gefasst gab als sie von der Wiederkehr ihres Vaters erfuhr, aber nicht wie sie es geschafft hat, dem Bären zu entkommen. Unversehrt."
„Ich glaube, dass es gleich ist, mit welcher Erklärung ich versuche Euch von dem Gedanken abzubringen, sie könnte die Wahrheit gesprochen haben, als sie sich als Seherin betitelte. Ihr habt Eure Meinung, Euren Glauben bereits gefestigt."
Askwin gab nur ein Brummen von sich, denn der Mönch hatte recht.
Stille hüllte sie ein, während sie weiter den Forst durchquerten.
Als sie dessen Rand erreichten, begann es zu dämmern, doch wie vorgenommen schlugen sie keine Rast ein, sondern ritten in die Dunkelheit der Nacht hinein.
Sie kamen an mehreren kleinen Dörfern vorbei. In manch einer Hütte brannte noch Licht. Die kleinen Orte wirkten in der sie einhüllenden Ruhe so friedlich wie nie. Und keiner der Bewohner bemerkte den Lord, der in Begleitung des Mönchen ihre Heimat durchzog.
Auf den Rücken ihrer Pferde erklommen sie einen Hügel und Askwin veranschlagte dort eine kurze Pause zu machen.
Er stieg von seinem Rappen, hielt dessen Zügel fest in der Hand, während er die Silhouetten der Häuser betrachtete.
Über ihren Köpfen verdichteten sich die Wolken immer mehr und schließlich begann es zu schneien.
Winzige Flocken rieselten vom Himmel herab und begannen die mit Fellmützen bedeckten Häupter der beiden Männer zu bedecken.
Auch das wärmende Material konnte die Kälte allerdings nicht fernhalten. Askwin fröstelte unter dem schweren Mantel und er war sich sicher, dass es Adalar ähnlich erging.
„Lass uns weiter, sonst frieren wir auf diesem Boden noch fest", brummte er, woraufhin sie den Weg wieder aufnahmen.
Weit kamen sie allerdings nicht, bis ein Geräusch an die Ohren des Lords drang, das ihn aufhorchen ließ. Es klang wie das Getrappel eines weiteren Hufpaars.
Suchend sah er sich in der sie umgebenden Finsternis um.
Sein Rappe begann unruhig zu schnauben und gab ihm damit Sicherheit über seine Vermutung. „Wir sind nicht länger allein."
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