König Harold

Askwin

Er spürte ihre Hände, wie sie seinen Bauch umklammert hielten.
Sie bewegte sich mit ihm im Rhythmus des Pferdes, das sie durch den Wald trug und ihrem Ziel unaufhaltsam näher brachte.

Ihr warmer Atem streifte seinen freien Nacken, küsste ihn gleich dem frischen Wind, der ihnen um die Nase tanzte.
Die letzte Nacht hatte ein Unwetter mit sich gebracht, wie es die Schwüle der Luft bereits angekündigt hatte.
Die Nässe haftete noch immer an all den Pflanzen um sie herum. Regentropfen fielen vom Blätterdach über ihren Köpfen hinab und bedeckten ihre Häupter wie flüssige, glitzernde Perlen.

Askwin liebte Gewitter, da sie etwas Unkontrollierbares an sich hatten. Etwas Unberechenbares.
Und die Blitze, wie sie über den Himmel zuckten und ihn erhellten, als wäre es Tag, boten jedes Mal einen Anblick, den nichts in seiner Schönheit übertrumpfen konnte.
Ein Sturm war das mächtigste Zeichen der Natur.
Es zeigte jedem Mann, mochte er sich noch so stark fühlen, dass er in den Händen der Umwelt doch nicht kräftiger war als ein einzelnes Staubkorn.
Spielend leicht konnte ein Orkan einen ausgewachsenen Menschen fortwehen, wenn er es darauf anlegte und ihn verschwinden lassen, als hätte es ihn nie gegeben.

Nach einer weiteren Stunde lichtete sich der Forst um sie herum und gab den Blick auf Wessex frei.
Die Hauptstadt malte sich vor ihnen ab. Die Wolken hingen noch immer so tief, dass es von hier aussah, als würden sie vom höchsten Turm des Palastes berührt werden.

In Ehrfurcht verharrend betrachtete Askwin die hohen Gemäuer einen Moment, ehe er sein Tier weiter antrieb und es auf die hölzernen Tore zuführte.

Ihm wurde wie bei jedem seiner Besuche ohne Nachfrage Einlass gewährt.
So führte er seine Truppe in das Zentrum Angellands.
Sie teilte sich wie selbstverständlich als hätten die Männer nie zusammengehört, jeder ging seines Weges.
Die noch immer Verletzten suchten die Nonnen im Lazarett auf, um sich weiter versorgen zu lassen, die Gesunden und Genesenen brachten ihre Pferde in die Stallungen, suchten danach die Tavernen der Stadt auf, um ihren Sieg und ihre Rückkehr gebührend zu feiern.
Auch Askwin führte sein Reittier in seine altbekannte Box, wies seinen Knappen an es zu versorgen und flüsterte ihm nochmal warnend ins Ohr, er sollte sich von der Prinzessin fernhalten.

Dann wandte sich der Heerführer Caja zu, die derweil die anderen Pferde gestreichelt hatte.
Er beobachtete sie dabei, wie sie einer weißen Stute die Nüstern tätschelte.
„Wir werden bereits erwartet", meinte er sich räuspernd.

Ohne etwas darauf zu erwidern folgte sie ihm in Richtung des Palastes, ebenfalls in ihrer Begleitung Adalar, sollte es doch zu Problemen der Verständigung kommen.
Doch der Mönch folgte ihnen eher wie ein Schatten als wäre er gar nicht wirklich da.

Anders als die meisten, die die Hallen des Königs betraten, die weiten Flure durchliefen, zeichnete sich auf Cajas Gesicht nicht die geringste Spur von Ehrfurcht ab.
Sie wirkte vielmehr gelangweilt, ihre Blicke huschten nicht neugierig umher und sie stellte auch keine Fragen zu den Gemälden an den Wänden.
Eines wollte sie dann aber doch wissen: „Wozu braucht ein einzelner Mann so viele Zimmer?"

„Er lebt nicht alleine hier", erklärte Askwin ihr, während sie durch die langen Gänge wanderten.
Die Hände hatte er dabei gleich einem Gelehrten an den Rücken gelegt.
Hinter sich hörte er Adalars beständige Schritte, die von den steinernen Fassaden widerhallten.
„Seine Tochter, sowie seine Gemahlin bewohnen dieses Gemäuer ebenfalls, sowie all die Angestellten und von Zeit zu Zeit auch Gäste."

Caja schüttelte den Kopf. „Dennoch, so viel Platz erscheint mir nicht gerechtfertigt. Es kommt mir so vor, als wolle der König damit lediglich seine Macht in ein symbolisches Bild umwandeln und dem Volk damit zeigen, dass er dazu fähig ist, solch hohe Mauern entstehen zu lassen. In meiner Heimat lebt die Familie des Jarl auch in einer größeren Hütte, aber diese ist nicht einmal ansatzweise so weiträumig. Man verirrt sich doch in diesen vielen Gängen."

Askwin konnte sich nicht erwehren ihr zumindest zu einem Teil Zustimmung zuzugestehen. Aber das hätte er niemals laut ausgesprochen, behielt seine Gedanken dazu lieber für sich.
Was würde sie wohl sagen, wenn sie sein Anwesen in den Wasserlanden sehen würde?
Es besaß zwar nicht so viele Gemächer wie der königliche Palast, aber klein war es auch nicht.
Und er hatte weder Frau noch Kinder vorzuweisen, die sein Zuhause mit ihm teilten. Nur ein paar Bedienstete lebten dort mit ihm - Köche, Mägde, Stallburschen und noch ein paar andere.
Und bald schon Myrna als seine Mätresse und Caja als sein Gast.

Myrna.
Sobald er an die schöne Frau mit ihrem langen schwarzen Haar und den eisblauen Augen dachte, kribbelte ihm die Haut.
Er würde nach ihr rufen lassen, sobald die wichtigeren Angelegenheiten geklärt waren.

Sie kamen vor den hohen Türen des Thronsaals zum Stehen. Bevor er um Einlass bat, wandte er sich Caja nochmals ganz zu. „Bitte schweig im Angesicht des Königs und lasse mich das Reden übernehmen."

Sie schmunzelte etwas und rollte mit den Augen. „Was sollte ich auf Worte erwidern, deren Bedeutung ich ohnehin nicht verstehe?"

Damit hatte sie wohl recht. Er mochte sich einen Teil ihrer Sprache angeeignet haben, aber sie verstand die der Angelsachen nicht. Noch nicht.

Nebeneinander, als wären sie sich ebenbürtig, betraten sie den riesigen Raum mit dem schön gefliesten Boden, den dicken roten, mit Gold verzierten Vorhängen, den hohen, teilweise bunt bemalten Fenstern und den beiden dunklen, mit weichem Samt überzogenen Thronen, von denen einer besetzt war.
Adalar stiefelte hinter ihnen her, folgte ihnen weiterhin wie ein Schatten und verhielt sich möglichst unauffällig.

Der König erhob sich sogleich als er den Lord der Wasserlande und seine Begleiterin erkannte, stieg von seinem Sockel hinab und kam auf sie zu.
Mit einem guten Abstand zu ihnen blieb er stehen, ignorierte Askwin und den Mönch,  musterte stattdessen lieber Caja, die sich von seiner Autorität nicht einschüchtern ließ.

In gerader Haltung stand sie vor ihm, reckte das Kinn nach oben und erinnerte dabei an ein trotziges Kind, dass nicht offen zugeben wollte, das es nicht das Sagen hatte.
Sie wich dem Blick des Königs zu keiner Sekunde aus und so fochten sie ein stilles Duell aus, bis Harold schließlich nachgab, Askwin an die Schulter fasste und ihn mit einem „Willkommen zurück in Wessex" begrüßte.

Als Zeichen der Ehrerbietung senkte der Heerführer das Haupt vor Harold, der seine ungeteilte Aufmerksamkeit erneut Caja zukommen ließ. „Und Ihr müsst die Wilde aus den Nordlanden sein."

Froh darüber, dass sie nicht verstand, was ihr Gegenüber von sich gegeben hatte, atmete er, für die anderen unhörbar, erleichtert aus.
Hätte sie begriffen, wie der König sie genannt hätte, hätte sie ihm sicherlich giftige Worte entgegnet, die seinen ganzen Plan zunichte gemacht hätten.
Dann hätte er es vergessen können ihn darum zu bitten, sie mit sich in seine Heimat nehmen zu dürfen und sie wäre doch noch im Kerker an Ketten gelandet.

Harold machte einen weiteren Schritt auf seine Gäste zu, wollte mit seinen breiten Fingern den Stoff ihrer Tunika berühren, aber sie zuckte zurück, bevor er das konnte.
Auch wenn ihre Lippen kein Wort überkam, spuckten ihre Augen dem König ein Fass mich nicht an entgegen.

Der Gekrönte schmunzelte nur über ihre nicht vorhandenen Manieren, meinte dann: „Eine wahre Wilde. Seht nur wie sie aussieht. Hätte sie nicht dieses lange blonde Haar, dann könnte man sie mit einem Burschen verwechseln. Da sie nun mein Gast ist ..."
Er wandte sich von beiden Anwesenden ab, erklomm seinen Sockel und ließ sich wieder auf seinem Thron nieder. „... sollten wir sie anders einkleiden."

Er klatschte in die Hände und als hätte sie nur auf dieses Zeichen gewartet, kam eine Zofe mit kastanienbraunem Haar herbeigestürzt.
Ehrfürchtig verneigte sie sich vor dem König.

„Bringt unseren Gast auf sein Gemach. Dann badet sie und gebt ihr Gewänder, die für diesen Ort angemessen sind." Er schnippte mit den Fingern, woraufhin sich zwei Wachmänner zu der Zofe gesellten. „Und ihr geht sicher, dass sie das Zimmer erst heute Abend wieder verlässt, wenn wir gemeinsam speisen." Seine dunklen Augen legten sich auf den Mönch, der stiller Beobachter der ganzen Szenerie gewesen war. „Ihr, Pater, werdet ihr Gesellschaft leisten. Wir wollen ja nicht, dass sie sich einsam fühlt. Immerhin spricht hier niemand ihre Sprache."

„Wie Ihr wünscht, Eure Hoheit." Adalar verbeugte sich vor ihm, vermutlich tiefer als nötig, deutete Caja dann, dass sie ihm nachgehen sollte.
Diese warf einen letzten Blick zu Askwin, der ihr zunickte, als Zeichen, dass es in Ordnung war.
Erst dann folgte sie dem Mönch und der Zofe. Die beiden Ritter trotteten ihnen nach, aufmerksam wie Wachhunde.

Als die schweren Türen des Saals mit einem Krachen in ihre Angeln fielen, fand Askwin sich alleine mit dem König wieder.
Offenbar wollte der mächtigste Mann Angellands unter vier Augen mit ihm reden.

Es klang wie das Fallen von Regentropfen, während die Finger Harolds unablässig auf die Lehnen seines Throns trommelten.
Sonst blieb alles ruhig und das Schweigen, das sich zwischen ihnen breitmachte, ließ die Luft um sie herum schwerer zu Atmen werden.

Der Heerführer wagte es nicht zuerst das Wort zu erheben. Daher zwang er sich geduldig zu warten und seine aufkeimende Nervosität zu verbergen.
Etwas schien nicht zu stimmen. Hatte er einen Fehler begangen, für den der König ihn nun strafen wollte?

Es erschien wie eine Ewigkeit, bis Harold schließlich wieder die Stimme erhob: „Wieso habt Ihr sie nicht getötet?" Der Tonfall klang dunkel. Bedrohlich.

„Ich verstehe nicht ...", antwortete Askwin, unsicher ob sein Gegenüber von Caja oder den restlichen Barbaren sprach.

„Die Wilden." Harold fixierte ihn, wie ein Wolf seine Beute. „Stattdessen sprecht Ihr irgendeinen Handel aus! Was versprecht Ihr Euch davon, Sir Seymour? Glaubt Ihr wirklich, damit wäre die Sache gegessen? Dass sie nicht wiederkehren werden? Vielleicht hätte ich doch Sir Lyeson wieder an Eure Stelle setzen lassen, sobald die Angelegenheiten mit seiner Frau geklärt gewesen waren!"

Askwin musste sich zurückhalten ihm an den Kopf zu werfen, dass er sich nicht auf dem Schlachtfeld befunden hatte.
Dass er nicht gesehen hatte, wie die Nordmänner gekämpft und einen nach dem anderen Soldaten getötet hatten.
Wie ihre Augen gefunkelt hatten. Keine Spur von Angst vor dem Tod hatten sie gezeigt.

Aber keinen dieser Gedanken sprach er laut aus, entgegnete stattdessen: „Habt Ihr meinen Brief nicht gelesen, Eure Hoheit? Caja, die Wilde, ist von unsagbarem Wert für die Barbaren. Sie nennt sich deren Seherin und ist zudem auch die Tochter des Anführers. Solange wir sie in unseren Händen haben und der Jarl der gleiche bleibt, haben wir kein Blutvergießen zu fürchten."

Der König ließ das unruhige Getrommel mit den Fingern verstummen. Ein Schatten huschte über sein Gesicht, ließ die Falten in seinem Gesicht wie endlose Gräben wirken.
„Und wenn der Anführer stirbt?"

„Dann überlegen wir uns einen neuen Plan." Es war die gleiche Antwort, die Askwin Gregory auf dessen Zweifel hin gegeben hatte. „Aber bis dahin herrscht der Frieden in Angelland. Besser ein paar Jahre, als niemals."

Harold schien noch immer nicht zufrieden und teilte die Ansichten seines Heerführer auch nicht unbedingt, dennoch meinte er: „Nun gut, ich verlasse mich auf Euer Wort, Sir Seymour. Und wenn Ihr Unrecht haben solltet, dann wisst Ihr ..."
Mit seinem Zeigefinger fuhr er seinen eigenen Hals entlang, vollführte dann eine fortscheuchende Bewegung mit der Hand. „Jetzt geht und bereitet Euch auf den heutigen Abend vor. Ich möchte mit Euch und unserem Gast speisen."
Das Wort Gast spuckte er ihm beinahe vor die Füße.

Askwin verbeugte sich, drehte dem König den Rücken zu und entschwand zähneknirschend dem Thronsaal.
Er wusste er hatte das Richtige getan, indem er die Abmachung mit den Nordmännern getroffen hatte, aber was wenn sie sich am Ende doch nicht daran hielten? Dann würde sein Kopf rollen ...

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top