Kniefall und Treueschwur

Askwin

Der Schleier der Nacht verflüchtigte sich langsam und machte einem grauen, nebelverhangenen Morgen Platz. Jener untermalte die Stimmung nur zu gut, die unter den Überlebenden herrschte. Sie betrauerten ihre toten Kameraden und Freunde, womöglich auch ihre Brüder.

Askwin stand neben Hrodywn vor dem Zelt und wartete auf das Eintreffen Melkers und Cajas.
Wie eine wahre Königin reckte die junge Frau ihr Kinn nach oben und faltete die Hände vor dem Körper. Ihre aufrechte Haltung vermittelte ihre Erhabenheit. „Was werden wir tun, wenn wir uns nicht einig werden?", fragte sie den Mann, der nicht mehr länger Heerführer und Lord war.

Er legte Sicherheit in seine Stimme, als er ihr antwortete: „Wir werden uns einig werden."

Nur wenig später tauchten die Silhouetten der erwarteten Personen in dem tristen Grau auf. Melker humpelte leicht und versuchte es zu überspielen. Askwins geschultes Auge erkannte  es dennoch.
Caja hingegen wirkte wie das Leben selbst. Ihre blaugrauen Iriden funkelten ihn herausfordernd an, sobald sie vor ihm und Hrodywn zum Stehen kam. „Wollen wir?" Sie verzichtete auf jegliche Formen der Begrüßung und deutete direkt auf das Zelt in ihrem Rücken.

Askwin überließ es der Königin zu reden. Diese nickte nur und führte ihre Gäste ins Innere, das von drei Öllampen erhellt wurde.
Dort ließ sie sich an dem Tisch nieder, an dem ihr Vater einen Tag zuvor noch versucht hatte Verhandlungen mit den Nordstämmigen zu führen.
Jetzt würde sie an seine Stelle treten und Askwin war sich sicher, sie würde es besser machen.

Melker setzte sich nicht. Lieber blieb er auf den Beinen und spielte so die Karte seiner doch recht einschüchternden Größe aus. Sein gesundes Auge wanderte zwischen Askwin und Hrodywn hin und her, legte sich dann aber schließlich auf Caja, als diese gegenüber der Königin Platz nahm.

Sie lehnte sich in ihrem Stuhl nach vorne und legte die Hände auf der Platte ab.
Askwin positionierte sich neben Hrodwyn, bereit sie zu unterstützen.

„Sagt mir, was ihr wollt, damit das Töten endlich aufhört", erhob die Königin die Stimme. Fest und unerschütterlich wie ein unzerbrechlicher Fels in der Brandung.

„Mein Vater fordert einen Teil des fruchtbaren Landes. Wir wollen uns hier niederlassen, eine Kolonie gründen, Ackerbau betreiben und das alles in Frieden." Cajas Tonfall war so eisig, dass es Askwin kalt über den Rücken lief. Wo war die Frau hin, die er vor Monaten festgesetzt hatte? Die, die sich trotz all des Ernstes albernd auf seinem Schoß geworfen hatte und ihm auf der Nase herumgetanzt war?
Zähneknirschend musste er sich eingestehen, dass sie sich im Laufe des Jahres alle verändert hatten. Auch er war nicht mehr der selbe.

Hrodwyn verschränkte die Arme vor der Brust, so wie es ihr Vater so häufig getan hatte, wenn es etwas abzuwägen gegolten hatte.
„Im Gegenzug dafür schwört ihr mir die Treue und beugt das Knie vor mir. Nur so kann ich darauf vertrauen, dass ihr die Wahrheit sprecht."

Askwin konnte ein kaum hörbares, zufriednes Brummen nicht unterdrücken. Seine stolz funkelnden Augen legten sich auf den Rücken seiner neuen Königin.
Sein Bauchgefühl hatte ihn nicht hintergangen. Sie war klug genug auf die Forderung einzugehen und das ohne einen Widerspruch zu leisten und die Gemüter dadurch erneut anzuheizen.

Caja wandte sich ihrem Vater zu und übersetzte ihm, was Hrodywn im Gegenzug verlangte.
Melker schnaubte wie ein Büffel, bevor sein Blick auf seine Handelspartnerin fiel.
„Ég legg mig ekki fram við neinn." Ich unterwerfe mich niemandem.

Hrodywn schien die Antwort auch so zu verstehen. Ihre Gesichtszüge verhärteten sich, ihr Mund bildete eine gerade Linie. „Ohne Schwur kein Land. So einfach ist das."

Askwin spannte sich an. Sollte diese Geschichte nun doch kein gutes Ende finden?
Er verfluchte die Starrköpfigkeit der Wikinger. Wollten sie lieber einen weiteren Krieg, weitere Tote?

„Reicht es denn nicht, wenn ich Euch die Treue schwöre, Euer Gnaden?", fragte Caja in monotonem Tonfall.
Askwin hatte stets ihre Gedanken und Gefühle in ihrer Mimik ablesen können, doch jetzt wahrte sie eine undurchschaubare Maske, die ihm das unmöglich machte. Was ging in ihrem schönen Köpfchen vor?

„Ist Euer Vater der Anführer, oder Ihr?" Die beiden Frauen nahmen sich in ihrem machtvollen Auftreten nichts.

„Melker wird nicht in Angelland bleiben, sondern ich. Ich werde das Oberhaupt der neuen Kolonie sein und selbst wenn mein Vater zurückkehrt, werden meine Leute nicht mehr seinem Wort unterstehen, sondern ganz und gar mir folgen."

Askwins goldbraune Augen weiteten sich in Überraschung. Mit diesem Ausgang hatte er wahrlich nicht gerechnet. Stets hatte er angenommen, dass sie wieder zurücksegeln würde, sobald sie die Gelegenheit dazu bekam.

Sein Herz schlug mit einem Mal schneller und er wusste auch, wieso.
Er hatte ihr gemeinsames Kapitel bereits abgeschlossen und sich weitere Träume verboten, in denen er sie küsste. Allerdings nicht mehr länger, weil er sich dadurch wie ein Verräter am eigenen Land fühlte, sondern weil er Angst davor hatte sich ganz an sie zu verlieren, nur um sie doch wieder loslassen zu müssen.

Sie bemerkte sein Starren, sah für die Dauer eines Wimpernschlags zu ihm auf, bevor sie ihren Fokus wieder auf Hrodwyn richtete.
Er schüttelte den Kopf, versuchte die Vorstellungen, die sich ihm eröffneten, in die hintersten Ecken seine Bewusstseins zu drängen und sich wieder auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren.
Doch es gelang ihm nicht. Nicht so lange er Caja weiterhin musterte, weshalb er seinen Blick weiter zu Melker wandern ließ.

Der Hüne war breit gebaut wie ein Bär und obwohl sein Haar bereits ergraut war, hätte Askwin ihm nicht auf dem Schlachtfeld begegnen wollen.
Noch immer fragte er sich, wie es einem Mann wie Harold gelungen war, diesen menschlichen Berg auf die Knie zu zwingen. Vermutlich hatte sein einziger Vorteil in seiner Rüstung gelegen, die für die meisten Waffen den ultimativen Gegner darstellten.
Askwin hatte gewusst, an welchen Stellen die Glieder schwächer waren, Melker nicht.

„Nun", erhob Hrodwyn wieder die Stimme, nachdem sie sich eine Minute Zeit gelassen hatte, um über Cajas Worte nachzudenken. „Wenn dem so ist ..." Sie sah zu Askwin auf, der noch immer in ihrem Rücken stand. Er erkannte ein unsicheres Funkeln in ihren rehbraunen Iriden.
Bekräftigend nickte er ihr zu und signalisierte ihr damit, dass sie die richtige Entscheidung treffen würde.
Er konnte an ihren sich hebenden und wieder senkenden Schultern sehen, dass sie tief durchatmete, bevor sie sich wieder der Tochter des Jarl zuwandte.

„Wenn dem so ist ...", wiederholte sie, dieses Mal mit mehr Überzeugungskraft. „ ... dann haben wir ein Abkommen." Sie erhob sich auf die Beine, nahm eine kerzengerade Position ein. „Steht auf, Caja von den Nordlanden und beugt das Knie vor Eurer Königin."

Angesprochene stand auf, doch bevor sie der Aufforderung zur Gänze nachkam, richtete sich ihre Aufmerksam nochmals an ihren Vater.
Askwin lauschte dem leisen Wortaustausch.

„Ég mun sverja trú mína við hana. Það er mín ákvörðun og ég veit hvað ég er að gera. Hið rétta." Ich werde ihr meine Treue schwören. Es ist meine Entscheidung und ich weiß, was ich tue. Das Richtige.

Melkers rümpfte die Nase, aber dann nickte er. „Ég treysti þér, barnið mitt. Þú ert ljósið sem guðirnir gefa okkur. Með hjálp þeirra muntu fara á rétta braut." Ich vertraue dir, mein Kind. Du bist das Licht, das uns von den Göttern geschenkt wurde. Mit ihrer Hilfe wirst du den richtigen Weg gehen.

Ein warmes Lächeln umspielte Cajas Lippen, das wieder verschwand, sobald sie sich der wartenden Königin zuwandte.
Sie umrandet den Tisch, dass sie direkt vor ihr zum Stehen kam.
Dann ließ sie sich auf ihr rechtes Knie sinken, legte die Arme auf diesem ab und neigte ihr Haupt nach unten. „Ich, Caja aus den Nordlanden, Tochter des Jarl Melker Bjørnson und seiner Gattin Solvey, schwöre Euch, Königin Hrodwyn von Angelland, die Erste ihres Namens, meine ewige Treue. Auf dass ich mein Schwert niemals mehr gegen Euch, sondern nur noch für Euch erhebe."

Dann geschah etwas, mit dem auch Askwin nicht gerechnet hatte. Auch Hrodwyn legte ein Gelübde ab: „Und ich, Königin Hrodywn von Angelland, die erste ihres Namens, schwöre Euch, Caja aus den Nordlanden, Euch und Euer Volk niemals mehr als niedere Menschen zu betrachten, sondern als Meinesgleichen. Auf dass Ihr zu einem von allen anerkannten Teil meines Landes werdet." Sie legte der Knienden beide Hände an die Schultern und gab ihr mittels eines leichten Drucks zu verstehen, dass sie sich wieder erheben konnte.

Caja kam dem nach. Beide Frauen nickten sich bedeutungsvoll zu.

„Ich werde einen Vertrag aufsetzen lassen, in welchem ich festhalten werde, welches Gebiet von nun an euch gehören soll und werde euch dann selbst dorthin geleiten, bevor ich meine Heimreise antreten werde, um meinen Vater in Wessex zu beerdigen. Bis dahin kehrt zurück zu euren Schiffen, klärt was es noch zu klären gibt."

„Ich danke Euch." Die Nordstämmige verneigte sich vor der Königin, bevor sie ihren Vater am Arm fasste und gemeinsam mit ihm das Zelt verließ.

Sobald ihre Schritte verhallt waren, wandte Hrodwyn sich Askwin zu. „Ich habe gemerkt, wie du sie angesehen hast." Erkenntnis lag in ihrem Blick. „Vielleicht war es doch keine Strafe, dir deine Titel zu entziehen, sondern ein Geschenk."
Es bedurfte keiner genaueren Erläuterung, er wusste auch so, was sie ihm damit sagen wollte.

„Geh nun und schicke Adalar zu mir. Der Mönch soll mir dabei helfen den Vertrag auf Pergament zu bringen."

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