Gemälde an der Wand

Askwin

Fünf Tage waren vergangen, seit er die Rückreise angetreten hatte.
Fünf lange Tage und eisige Nächte, in denen er Northumbria und Mercia durchquert hatte, um schließlich Wessex zu erreichen.

Im frühen Morgennebel erhob sich der Palast des Königs vor ihm, wie ein unerschütterlicher Fels in der Brandung des Meeres.

Sobald Askwin nah genug war, stieg er von seiner Stute und führte sie den restlichen Weg am Halfter. Ihre Hufe gaben einen klappernden Laut von sich, während sie ihm artig über den steinigen Pfad und durch das große, hölzerne Eingangstor folgte.

Die Wachmänner ließen ihn einfach passieren, schenkten ihm lediglich ein Kopfnicken. Sie wussten wer er war und sahen daher keine Notwendigkeit, ihn zuerst zu überprüfen.

In aller Ruhe brachte der Heerführer sein treues Tier in die Stallungen und überreichte es einem der Burschen, der dort arbeitete.
Der junge Knabe mit weißblondem Haar, dessen Name Winfried war, nahm die Stute mit einem Lächeln entgegen.
„Ich werde gut auf sie achtgeben, Sir Seymour", versprach er Askwin, ehe er sie in ihre Box brachte und ihr sofort etwas zum Fressen überreichte.

„Wo ist Henry?", wollte der Ältere wissen und sah sich suchend nach seinem Knappen um, den er bei Winfried zurückgelassen hatte.

„Er hat mir nicht gesagt, wohin er geht, Sir."
Askwin musste das Gesicht des Stalljungen nicht sehen, um zu wissen, dass er log. Er hörte es an seiner zittrigen Stimme.

„Weißt du, es ist schlecht für die Gesundheit, wenn man einem Lord, der noch dazu das Heer des Königs bemächtigt, die Wahrheit verschweigt", meinte er ernst und betrachtete Winfried, der mit dem Rücken zu ihm stand und der weißen Stute auf der flachen Hand eine Möhre anbot.

Er vernahm ein Schlucken, dass aus der Kehle des Burschen drang.
„Wenn ich es mir recht überlege ...", gab dieser dann stotternd von sich. „Vielleicht ... ja, vielleicht, hat er da doch etwas erwähnt."

„Nun spuck es schon aus, Junge!" Ungeduldig knirschte Askwin mit den Zähnen. Er konnte sich bereits denken, wo sein Knappe steckte, für den er die Verantwortung trug, doch er wollte die Worte hören, die seinen Verdacht bestätigen würden.

„Er ..." Winfried wagte es nicht, sich zu dem harsch Klingenden umzudrehen. „Sagt ihm nicht, dass ich es Euch verraten habe, Sir, doch er ist in den Gärten, bei Prinzessin Hrodwyn."

Wütend stieß Askwin die Luft aus seinen Lungen, die sich vor ihm zu einem weißen Ball aus nebelähnlichem Rauch formte und sich nur kurz darauf wieder auflöste.
Ebenso schnell, wie sein warmer Atem sich verflüchtigt hatte, verließ auch er die Stallungen und stürmte auf das eiserne Tor zu, das in die Gärten des Schlosses führte.

Er wusste ganz genau, wo er nach Henry suchen musste, denn es war nicht das erste Mal, dass er sich zu dieser leichtsinnigen Sache hinreißen ließ.
Sollte der König jemals von dem erfahren, was er mit seiner Tochter trieb, würde er mit Sicherheit keine Sekunde zögern und ihn auf den Schafott führen lassen. Und Askwin würde er den Titel absprechen, ihm das Land wegnehmen und ins Exil verbannen.

Immerhin war der Knappe schlau genug, sich nicht auf einem gut überschaubaren Platz mit der Prinzessin zu treffen.
Askwin trat von den Hauptwegen hinunter, lief über das feuchte Gras, das unter seinen schweren Stiefeln quietschte, hin zu einem kleinen Loch, in einer der Gartenmauern.

Von dort konnte er bereits das Geräusch von aufeinanderschlagendem Holz hören, das ihn innerlich bereits zur Weißglut trieb.
Er hatte Schwierigkeiten sich durch die schmale Öffnung hindurchzuzwängen, doch wie die Male zuvor, gelang es ihm auch heute.

Nach einem weiteren, kleinen Stück Fußweg, fand er schließlich das vor, was er bereits befürchtet hatte.
Henry lieferte sich mit Hrodywn einen Kampf. Sie trugen beide lange Stecken in der Hand, hieben auf den jeweils anderen ein und wichen Gegenangriffen aus.
Dass Askwin sich ihnen näherte, bekamen sie gar nicht mit, so fokussiert waren sie auf ihr Duell.

Erst als seine donnernde Stimme über den kleinen Hügel schallte, der sich abseits der schützenden Mauern des Palastes befand, froren sie in ihren Bewegungen ein und starrten ihn an, wie zwei verängstigte Rehkitze.
„Wie oft habe ich es dir bereits gesagt, dass es dumm ist, was du hier tust?!", keifte Askwin seinen Knappen an, lief zielstrebig auf ihn zu und riss ihm seine Waffe aus der Hand, mit der er höchstens einer Amsel hätte Angst einjagen können.

Schuldbewusst richtete Henry den Blick sogleich auf den Boden, die Prinzessin war sich allerdings keines Fehlers bewusst. Stolz reckte sie ihr Kinn empor. „Ich habe dieses Handeln von ihm verlangt, Sir Seymour."

Askwins Kopf fuhr zu der schönen Brünetten herum, deren grüne Augen ihn selbstbewusst anfunkelten. Wohlwissend, dass sie ihrem Vater nicht davon erzählen würde, wenn er sie nun zusammenstauchte, richtete er seine gereizten Worte auch an sie: „Ihr seid genau so unklug, Prinzessin. Ich kann Euren Willen nachempfinden, dass Ihr es lernen wollt zu kämpfen, doch ich glaube Ihr versteht nicht, dass Ihr Euren Freund damit in Gefahr bringt."

Nun doch unsicher, wanderte ihr Fokus zu Henry hinüber, der kein Wort sagte. Dann seufzte sie und ließ den Stecken fallen.
„Ihr wisst genauso gut wie ich, dass Vater es mir nie gestatten würde, den Schwertkampf zu erlernen, Sir Seymour. Eine Frau hat den Zweck, für Allianzen zu sorgen, sagt er. Sie soll das Sticken und das Nähen lernen, das Harfespielen und das Singen. Aber eine Klinge, oh, die soll sie niemals in den Händen halten." Entrüstet schnaubte sie. „Wenn es nach meinem werten Herrn Vater ginge, hätte ich nicht einmal gelernt, zu lesen. Denn Lesen gehört zu den Dingen, die ein Mann aus politischen Gründen können muss, aber eine Frau hat in seinen Augen nichts mit der Politik zu tun. Zum Glück brachte es mir Maester Luwin dennoch bei."

Mitgefühl mischte sich in Askwins strengen Blick, als er sie so reden hörte. Ihr wurde ein Leben aufgezwungen, das sie so nicht wollte und das nur, weil sie im Körper des weiblichen Geschlechts geboren worden war.
Zwar hatte eine Frau auch seiner Empfindung nach nichts auf dem Schlachtfeld zu suchen, doch es war sicherlich nicht verkehrt, wenn sie sich zumindest zu verteidigen wusste.

„Ganz gleich, wie es ist", meinte er dann und legte Henry die Hand an die Schulter. „Ihr solltet eure kleinen Treffen unterlassen."
Mit diesen Worten schob er den Knappen vor sich her, weg von Hrodwyn und in Richtung des Lochs.
Die Prinzessin folgte langsamer, wartete einige Momente ab, nachdem die beiden Männer auf die andere Seite gestiegen waren, ehe sie ihnen folgte, im Garten dann aber nicht den gleichen Weg einschlug.

Als sie außer Hörweite war, zog Askwin den Burschen neben sich. „Ich kann dich verstehen. Sie ist wunderschön und hat das Herz einer Berglöwin", flüsterte er ihm zu. „Aber sie ist mindestens ebenso gefährlich, wie atemberaubend. Sei nicht so dumm und geh dieses Risiko nicht ein. Es kostet dich am Ende nur deinen Kopf und das ist es nicht wert, mein Junge."

„Aber ...", begann Henry zu widersprechen, handelte sich damit allerdings nur eine Schelle auf den Hinterkopf ein.

„Wag es nicht, es auszusprechen. Nicht hier", knurrte Askwin, der genau wusste, welche Worte die Zunge des anderen hatte formen wollen.
Noch glaubte der Junge fest daran, dass es Liebe war, die sich da zwischen ihm und der Prinzessin entwickelt hatte. Askwin war sich aber sicher, dass sie ihn lediglich ausnutzte und er zu geblendet war, um es zu begreifen.

Stillschweigend schritten sie den restlichen Weg durch den Garten nebeneinander her und betraten dann gemeinsam den Palast.
Sie durchwanderten die langen Flure, deren Böden mit Teppichen aus rotem Samt bedeckt waren und die von kleinen Kerzen, welche in Halterungen aus Gusseisen an den Wänden angebracht waren, erhellt wurden.
Hier und da hing das ein oder andere Gemälde zwischen den lichtspendenen Quellen. Manch eines zeigte das Gesicht einer längst verstorbenen Person, die einst hinter diesen Mauern gelebt hatte. Auf anderen waren Landschaften zu sehen, edle Pferde, oder Schlachten, die geschichtlich relevant gewesen und daher malerisch festgehalten worden waren.

Askwin besah sie sich nicht mehr, da sie für ihn nichts besonderes mehr waren. Henrys Blicke überflogen sie allerdings immer wieder.
Ab und an fragte er Askwin nach einem der Gemälde, wollte von dessen Geschichte erfahren und der Heerführer gab ihm mit Freuden die alten Erzählungen wieder.
Um etwas in der Zukunft ändern und verbessern zu können, war es unabdingbar, dass man um die Vergangenheit wusste. Sie war ein Teil der Gegenwart und auch von dem, was sie noch erwarten würde.

Schließlich erreichten die beiden Männer das Gemach, das Askwin für seine Aufenthalte in Wessex zur Verfügung gestellt wurde.
„Hilf mir, mich umzukleiden", verlangte der Ältere von seinem Knappen, der sich daraufhin sofort daran machte, die Rüstung vom Körper seines Lords zu lösen.
Danach unterstütze er Askwin dabei, in das Leinenhemd mit Stickereien aus echtem Blattgold und die dazugehörige Hose zu schlüpfen.
Abschließend brachte er auf der Höhe seiner Brust die bronzene Stecknadel an, die die Form eines Adlers besaß und das Wappen des Königs verkörperte.

Zufrieden betrachtete sich der Heerführer im Spiegel, welcher neben seinem großen Bett platziert war. Er richtete sein Haar ein wenig, setzte sich dann auf einen Stuhl, der unterhalb eines,  der ihn überragenden Fenster, stand. 
„Trimme mir den Bart", wies er Henry an, der auch dieser Aufforderung ohne Widerworte nachkam.

„Wie war es in Northumbria, Sir?", fragte der Knappe nach ein paar stillen Momenten, ließ die Klinge des Rasiermessers dabei vorsichtig und gekonnt, immer wieder über die Wangen seines Herrn streichen. „In dem Dorf, meine ich."

„Es ist nicht mehr viel davon übrig gewesen", antwortete Askwin ihm in einem düsteren Tonfall. Auch sein Blick verfinsterte sich, bei dem Gedanken an die Trümmer und den Gestank von Tod.

Henry hatte tagelang darum gebettelt, ihn begleiten zu dürfen und Askwin konnte nicht froher über die Entscheidung sein, ihm diesen Wunsch nicht gewährt zu haben.
Es war zwar unabdingbar, dass der Junge irgendwann sehen würde, wie es auf dem Schlachtfeld und auch danach einherging, doch er musste ihm diesen Anblick wahrlich nicht aufzwingen. Es war nichts, das man gern betrachtete.

„Der König wird wissen, was zu tun ist. Ganz bestimmt", erwiderte Henry, klang dabei aber ganz und gar unsicher.

Askwin sagte nichts mehr darauf, wartete geduldig, bis sein Bart ebenfalls wieder ansehnlich aussah und erhob sich dann von seinem Platz.
„Ich werde sicherlich bereits erwartet", meinte er und atmete tief durch. Er lief auf die Tür zu, bevor er allerdings nach draußen trat, wandte er sich nochmals Henry zu. „Polier meine Rüstung und dann geh und sieh, ob Winfried mit Gaisha zurechtkommt." Er wollte verhindern, dass er sich erneut heimlich zu Hrodwyn stahl.

Anschließend machte er sich auf zum Thronsaal.
Dabei kreuzten einige Diener und Zofen seinen Weg. Die ein oder andere kicherte hinter der vorgehaltenen Hand, sobald sie ihn erblickte, oder lief rot an.
Es war kein Geheimnis, dass ihm die Frauen oftmals zu Füßen lagen, doch das interessierte ihn ebenso wenig, wie die Gemälde an den Wänden.
Er brauchte seinen klaren Verstand und Liebschaften benebelten diesen nur. Männer, die sich zu einer Dame hingezogen fühlten, machten sich schwach und angreifbar. Denn wenn man sein Herz erst einmal verschenkt hatte, dann tat man alles, um es zu beschützen.

Er erreichte das imposante Tor mit den feinen und detaillierten Schnitzereien, das in den wichtigsten Raum des ganzen Palastes führte.
Es stand offen und gab den Blick direkt auf den König frei, der auf seinem Thron saß und gerade mit dem Haushofmeister Luwin diskutierte.
Askwin hielt sich außer Hörweite, da ihn die Unterredung nichts anging und kam erst näher, als Harold ihn heran winkte und der Maester aus dem Saal verschwand.

So als wären sie gute Freunde, legte der gekrönte Mann Askwin sogleich die Hand an die Schulter. „Sir Seymour, Heerführer und Lord der Wasserlande", grüßte er ihn, indem er seinen Titel nannte. „Ich habe Eure Rückkehr bereits sehnlichst erwartet! Was gibt es von Northumbria zu berichten? Was erzählte Euch das Volk?"

Askwin senkte die Stimme, auch wenn außer ihnen und den zwei Wachen an der Tür niemand mehr anwesend war, ehe er das wiedergab, was er gesehen und von Godric Styrcea erfahren hatte.

Während er den König in die jüngsten Geschehnisse einweihte, verfinsterte sich dessen Blick und als der Heerführer endete erhob er die Stimme, knurrte bedrohlich, wie ein Wolf: „Das war das letzte Mal, dass wir diese Barbaren ungeschoren haben davonkommen lassen. Wir werden sie erwarten und wenn ihre Boote erneut an unseren Küsten anlegen, dann werden sie es sein, die brennen."

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