Frischer Wind (Epilog)
Caja
Eine warme Sommerbrise spielte mit ihrem offenem, goldenem Haar, während sie auf Alvas Rücken saß und ihr Werk von einem Hügel aus betrachtete.
Zufrieden seufzte sie bei dem Bild, das sich ihr bot. Arbeitende Männer und Frauen, die Furchen in die Acker rissen, um die neu entstandene Kolonie zu versorgen, Häuser aus Lehm und strohbedeckten Dächern, die den Nordstämmigen Obdach gewährten,
kleine Kinder, die auf diesem Land geboren worden waren und es als ihre Heimat ansahen.
Ein halbes Jahr war vergangen, seit Königin Hrodwyn ihnen das Gebiet nahe der Ostküste überlassen hatte.
Sechs Monate, die hart gewesen waren. Nur wenige waren zu Beginn an Cajas Seite geblieben und hatten ihr dabei geholfen, die ersten Hütten zu errichten.
Erst drei Monate später waren weitere Männer und Frauen aus Nordland nachgekommen, die sich freiwillig für einen Neuanfang in Angelland entschieden hatten. Von da an hatte sich ihre kleine Siedlung stetig weiterentwickelt und jetzt glich sie schon beinahe ihrem Heimatdorf.
Ihr Herz war erfüllt mit Freude.
Tief atmete sie durch, bevor sie sich zu dem Geräusch von Hufgetrappel umwandte, das sich ihr näherte.
Lächelnd begegnete sie Askwins Blick, der Zufriedenheit ausstrahlte.
Nachdem Hrodwyn ihm seine Titel abgesprochen und Ländereien abgenommen hatte, hatte er beschlossen, Caja in ihrem Vorhaben zu unterstützen.
Anfangs hatte er sich schwer getan, sich in seiner Rolle als einfacher Mann einzufinden, doch er war mit jeder vergangenen Woche mehr und mehr in sie hineingewachsen. Mittlerweile hatte er seinen inneren Frieden gefunden und Caja meinte ihn in dem Jahr, das sie ihn nun kannte, niemals glücklicher gesehen zu haben.
Aber er war nicht der einzige, der bei ihr geblieben war.
Neben Askwin tauchte Adalar auf. Der Mönch hatte es sich nicht entgehen lassen wollen, den Neuanfang mit eigenen Augen zu verfolgen.
Zwar stieß seine Anwesenheit nicht bei jedem ihres Volkes auf Begeisterung und Akzeptanz, doch Caja war froh darum, ihn in ihrer Nähe zu wissen, so war er doch trotz ihrer Verschiedenheit der erste Freund und Verbündete, den sie in Angelland gefunden hatte.
So lange sie ihm gewährte, in ihrer Siedlung zu leben, wagte es auch niemand, sich öffentlich gegen ihn auszusprechen und Caja war sich sicher, dass sie alle ihn irgendwann genauso zu schätzen lernen würden, wie sie es tat.
Über dem Rücken von Askwins Rappen lag der Kadaver eines toten Rehs.
Gemeinsam waren sie auf der Jagd gewesen.
Caja nickte ihren beiden Begleitern zu, bevor sie den restlichen Weg bis ins Dorf überbrückten.
Sie entließen ihre Pferde auf die Weide, bevor sie das erlegte Tier zu dritt nach oben hievten und es zu Gunnar brachten, der es verarbeiten würde.
„Während du fort warst, kam ein Brief der Königin an", meinte der Metzger, ehe er sich an die Arbeit machte. Er befestigte Seile um die hinteren Hufen, schwang jene über einen Balken auf seiner Kopfhöhe und zog das Reh ihm Alleingang nach oben. „Hedda hat ihn vorsorglich aufbewahrt."
Caja bemerkte aus dem Augenwinkel, wie Adalar sich abwandte, sobald Gunnar den Bauch des toten Tieres aufschlitzte und das Blut sich über den Boden ergoss.
„Ich denke, ich werde nun gehen und den Kindern ..." Nur mit Mühe und Not unterdrückte er einen Würgelaut.
Caja winkte schmunzelnd ab, da sie wusste, was er hatte sagen wollen.
So wie ihr, brachte er den Jungen und Mädchen in dieser Siedlung das Lesen und Schreiben bei. Dankbar darum dem Anblick der Arbeit des Fleischers zu entgehen, wandte der Mönch sich augenblicklich ab und verschwand zwischen den anderen Häusern.
Askwin blieb an Cajas Seite. Stumm folgte er ihr in das Hinterzimmer, in dem Hedda summend auf einem der drei Stühle saß und einen Wandteppich webte. Sobald sie die Eintretenden bemerkte, legte sie den Zeigefinger an die Lippen und zeigte dann in Richtung die Krippe, die unter dem Fenster stand.
Mit liebevollem Ausdruck auf dem Gesicht folgte Caja ihrer Deutung und betrachtete das schlafende Bündel, das nicht mehr als vier Wochen zählte. Hedda hatte es als ein Geschenk der Götter bezeichnet, als sie bemerkt hatte, dass sie Halvars Kind unter dem Herzen trug.
Der kleine Mats war das einzige, das ihr von ihrem verstorbenen Geliebten geblieben war und bedeutete ihr mehr, als es alles Gold der Welt jemals hätte tun können.
Gunnar hatte Hedda nach dem Tod seines Bruders und ihres Mannes unter seine Fittiche genommen und sich um sie gekümmert.
Auf leisen Sohlen trat die frisch gebackene Mutter zu einem niedrigen Schrank, auf dem sie den Brief abgelegt hatte und reichte ihn Caja.
Vorsichtig ließ jene ihren Daumen über das rote Siegel wandern. Dankbar dafür, dass Hedda ihn aufbewahrt hatte, nickte sie ihr zu, bevor sie Askwin still deutete, ihr zu folgen.
Gemeinsam nahmen sie den Weg zu Cajas Hütte auf, die das Zentrum der Siedlung markierte. „Was denkst du, was sie von dir will?", brach Askwin das Schweigen, sobald sie ganz unter sich waren.
Caja zuckte leicht mit den Schultern. „Ich nehme an, sie will über den Stand der Kolonie in Kenntnis gesetzt werden. So wie alle zwei Monate." Noch während sie antwortete, brach sie den Adler entzwei und entfaltete das Pergament.
Sie las nur das erste Wort, bevor sie das Schreiben an Askwin weiterreichte.
Verwundert hoben sich dessen Augenbrauen, doch er nahm es entgegen und überflog die Niederschrift.
Caja beobachtete ihn dabei, bemerkte, wie sich seine Gesichtszüge verfinsterten. „Scheint keine gute Botschaft zu sein", stellte sie alarmiert fest. „Hat es etwas mit der Siedlung zu tun?" Seit sie die Verantwortung trug, galt ihre erste Sorge stets ihrem Volk.
Askwin schüttelte den Kopf, was Caja eine Last von den Schultern abfallen ließ. Nur einen Herzschlag später erwachte die Neugierde in ihr. „Was ist es dann?" Es war das erste Mal, dass Hrodwyn ihre Worte an Askwin und nicht an Caja richtete.
„Ich ...", er zögerte ihr zu antworten, faltete den Brief wieder zusammen, bevor er sich dem Kamin zuwandte.
Er beugte sich hinab und machte sich daran, ein Feuer zu entfachen.
Cajas Herz begann schneller zu schlagen, als er das Schreiben in den Flammen vernichtete, sobald diese den Stein nach oben züngelten. „Askwin, was hat sie geschrieben? Ich verlange es von dir zu erfahren!", herrschte sie ihn an, trat auf ihn zu. „Wenn es doch etwas ist, das das Dorf betrifft ..."
„Ist es nicht", fuhr er ihr dazwischen. Sie sah ihm in die Augen, erkannte in dem funkelnden goldbraun seiner Iriden, dass er die Wahrheit sagte.
Vorsichtig griff sie mit ihrer Hand nach der seinen und umschloss sie. Zärtlich drückte sie sie, vermittelte ihm damit, dass er ihr vertrauen konnte.
Er atmete geräuschvoll aus, schloss die Augen, bevor er sein Haupt zu ihr hinabbeugte und seine Stirn an ihre legte.
Ihr Herz schlug in Anbetracht dieser sanften Berührungen so heftig gegen ihren Brustkorb, dass sie meinte, er müsste es auch hören.
Wie sehr sie sich doch danach verzerrte, dem Drang endlich nachzugeben und ihm einfach nur noch nahe zu sein.
Ihre Finger fuhren nach oben, streichelten ihm über die Bartstoppeln.
Sie biss sich auf die Unterlippe, als sich ihre Blicke begegneten und ihre Münder sich einander näherten.
Doch bevor sie sich küssen konnten, schob Askwin sie von sich. Sacht, aber doch bestimmend. Schmerz funkelte in seinen Augen. „Du weißt, ich kann nicht ..."
Ihre Stimme bebte gleichermaßen vor Bedauern und Verlangen. „Ich weiß."
Sie wollte ihn dafür hassen, dass er seine Mätresse zu seiner Frau gemacht hatte, doch die gleichzeitige Bewunderung für diese Tat ließ das nicht zu.
Er war so ein guter Mann. Einer, der sein Wort hielt und loyal war. Er hatte Myrna versprochen, sie aus dem Freudenhaus zu holen und ihr das Leben zu geben, das ihr gebührte. Und auch wenn er nun keinen Reichtum mehr besaß, setzte er doch alles daran, sie glücklich zu machen. Er schenkte ihr alles, was er nur konnte.
Und Myrna? Ja, sie liebte ihn und das trotz des Verlustes seines Standes, trotz dessen, dass sie nicht mehr mit ihm auf der Festung in den Wasserlande lebte.
Nur schwer schaffte Caja es den Blick von Askwins Gesicht zu lösen und ihn auf das Feuer zu richten. „Und du weißt, dass du mir alles sagen kannst. Haben wir uns nicht geschworen, immer ehrlich zueinander zu sein?"
„Das haben wir."
Der Klang seiner Stimme jagte Blitze über ihre Haut und ließ sich alle Härchen aufstellen. Sie rieb sich über die Arme, als könnte das die Gänsehaut vertreiben.
Es war nun keine Zeit, um dem Verlust der körperlichen Nähe zu ihm hinterher zu weinen. Die Lage schien ernst zu sein, sonst hätte er den Brief wohl kaum verbannt, sobald er ihn zu Ende gelesen hatte.
„Königin Hrodwyn beordert mich nach Wessex", gestand er schließlich, nach weiteren Minuten des Überlegens, ob er Caja die Botschaft wirklich anvertrauen sollte. „Sie ... sie bittet mich um Hilfe."
„Hilfe? Wobei? Nahm sie dir nicht alle deine Titel und verbannte dich ins Exil?" Verwirrung breitete sich auf Cajas Zügen aus.
„Und dennoch vertraut sie mir. Wir haben viel Zeit miteinander verbracht, kennen einander und die Geheimnisse des jeweils anderen."
Er mahlte in sichtlicher Unruhe mit den Zähnen. „Und ich kenne all die Adligen in Angelland. Die Lords, Herzöge, Fürsten, Grafen und Barone."
„Ich verstehe nicht ..." Sie schüttelte nicht begreifend den Kopf.
„Die Königin sucht nach einem Mann, der ihrer würdig ist und ich soll ihr dabei Rat stehen."
Cajas Gedanken begannen nur noch mehr zu kreisen, während sie versuchte den Befehl Hrodwyns nachzuvollziehen. „Weshalb hat sich ihre Meinung diesbezüglich nun doch geändert? Wollte sie nicht noch damit warten?"
„Das wollte sie." Askwin fuhr sich mit der flachen Hand durch sein Gesicht, ließ sich auf einem Stuhl nahe des Kamins sinken.
Caja konnte ihm ansehen, dass es ihm schwerfiel endlich mit der Sprache rauszurücken. Ganz egal, was in dem
Brief gestanden hatte, es verunsicherte Askwin zutiefst.
Sie lief auf ihn zu, ging vor ihm in die Hocke und legte ihre Hände auf seine Knie, um ihm stillen Beistand zu vermitteln.
Obwohl er doch wusste, dass sich außer ihnen niemand in diesem Haus befand, ließ er seinen Blick nochmals durch den Raum wandern, bevor er Caja schließlich auch den letzen Rest des Schreibens offenbarte. „Hrodwyn trägt ein Kind unter dem Herzen."
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