Eine Antwort, für eine Antwort
Caja
Sie hätte Angst haben sollen, doch die hatte sie nicht. Dennoch versuchte sie sich aus den engen Stricken, die ihre Handgelenke miteinander verbanden, zu befreien. Ohne Erfolg. Der Faltige mit den graublauen Augen verstand es richtig und ordentlich zu Knoten, das musste sie ihm lassen, auch wenn er wie der Rest seiner Horde ein eher erbärmliches Bild auf dem Schlachtfeld abgegeben hatten.
Sie schmunzelte bei dem Gedanken daran, dass selbst die Bauern bemühtere Kämpfer gewesen waren, als die Männer in silberner Rüstung.
Ihre Beine kribbelten unangenehm. Da sie auf dem Boden hockte und aufgrund von Fesseln auch die unteren Gliedmaßen eher schlecht als recht bewegen konnten, waren sie schon nach kurzer Zeit eingeschlafen.
Wartend auf das, was als Nächstes geschehen würde, verweilte sie auf dem mit Teppichen ausgelegten Untergrund.
Schließlich raschelte der Eingang des Zeltes und ihr Entführer kehrte zurück. Er hatte es trotz seiner spärlichen Schwertkünste geschafft sie von Munin zu trennen. Niedergeschlagen hatte er ihn und blutend zwischen all den anderen zurückgelassen.
Cajas Herz zog sich bei der Erinnerung an ihren bewusstlosen Freund zusammen, auch wenn sie sich sicher war, dass er noch lebte. Mit einem solchen Hieb brachte man niemanden um.
Sie hatte versucht sich zu wehren, doch geschwächt durch ihre Verletzung hatte ihr das nicht viel genutzt. Viel zu leicht war es dem Silberhaarigen gefallen sie zu knebeln und anschließend über seine doch recht kräftige Schulter zu werfen. Dabei hatte er nicht einmal vor Anstrengung gestöhnt. Caja war sich vorgekommen, als wöge sie nicht mehr als ein mit Gänsefedern ausgestopftes Kissen.
Der bittere Geschmack des Leinentuchs in ihrem Mund ließ sie sich ihrer Situation wieder bewusst werden. Das und der Blick, mit dem sie der Mann, dem die Spuren des Alters ins Gesicht geschrieben standen, musterte.
Dieses Mal war er aber nicht alleine. Er hatte jemanden mitgebracht. Und dieser Jemand betrachtete sie mit Verwunderung in den Augen.
Sie wandte sich zu keiner Sekunde von ihm ab, wollte ihm nicht das Gefühl geben, als fühlte sie sich unsicher, oder gar ängstlich, denn sie war beides nicht.
Es war nur eine Frage der Zeit, bis ihr Vater sie von diesem Ort befreien würde.
Schließlich war es der Neuankömmling, der ihr zuerst den Rücken zukehrte und dann begann mit dem anderen Worte zu wechseln, die Caja nicht verstand. Angestrengt versuchte sie die seltsame Sprache zu entziffern, doch gab es alsbald wieder auf, als ihr bewusst wurde, dass sie der ihren nicht einmal ansatzweise ähnelte.
Irgendwann verschwand der ältere von beiden. Derjenige, der mit ihr zurückblieb, schwieg und ging vor ihr in die Hocke.
Er begaffte sie, als wäre sie ein Schatz, an dessen Existenz er noch immer nicht ganz glaubte, obwohl er ihn klar und deutlich vor sich erkennen konnte.
Die Art, wie er sie musterte, jagte ihr einen Schauder über den Rücken, doch sie zeigte ihm nicht, wie er sie fühlen ließ.
Unerwartet streckte er die Hand nach ihr aus, was dafür sorgte, dass sie im ersten Moment zurückzuckte. Kurz verharrte er in seiner Bewegung, versuchte es dann erneut und dieses Mal ließ sie ihn gewähren. Er zog ihr den Knebel aus dem Mund und sie spuckte neben seine Füße, um den bitteren Geschmack loszuwerden.
Als hätte sie durch diese Geste die Ehre des Mannes verletzt, begann sich Wut auf dessen Gesichtszügen abzuzeichnen und schneller als sie sich versehen konnte, hatte sie das Tuch wieder zwischen den Zähnen.
Er gab unverständliche Worte von sich und auch wenn Caja ihre genaue Bedeutung nicht verstand, vermochte sie es doch zu sagen, dass er fluchte.
Sie beobachtete ihn dabei, wie er sich aufrichtete und nervös wie eine Raubkatze im Zelt auf und ab tigerte.
Schlussendlich kam der Silberhaarige wieder zurück, doch auch dieses Mal war er nicht allein. Dieses Mal befand sich ein junger Bursche in seiner Begleitung, der eines dieser seltsamen Gewänder trug, von denen Munin Caja erzählt hatte.
Es war keine Tunika, erinnerte eher an das Kleid einer Frau, das vor der Schlacht ganz weiß gewesen war. Nun wurde es von hellen und dunklen roten Flecken geziert.
Um die Hüften verengte es ein brauner Strick, der eng an der Seite verknotet worden war.
Auch die Frisur des Knaben erschien ihr äußerst seltsam und hätte ihr beinahe ein erheitertes Glucksen entlockt.
Sein Haar bildete um seinen Kopf herum einen blonden Kreis, das Haupt selbst war blank geschoren und reflektierte das Licht der Öllampen, die das Innere des Zeltes erhellten.
Wie spät war es? Dämmerte es bereits?
Ihr fröstelte nun doch kurz bei dem Gedanken daran, die Nacht in Gefangenschaft und nicht als freie Frau verbringen zu müssen.
Die drei Männer unterhielten sich für einige Momente miteinander, ehe der in Weiß Gewandete sich zu ihr hinabbeugte. Sie begegnete seinen grünlich schimmernden Augen, die sie ein Stück weit an Munins erinnerten.
Auch seinem Blick hielt sie stand, sich fragend, was er von ihr wollte. Was sie alle von ihr wollten.
Als er zu sprechen begann, traute sie ihren Ohren zunächst nicht, da sie seine Worte tatsächlich verstand. „Wie ist dein Name?"
Es klang holprig und war nicht akzentfrei, aber er war ihrer Sprache mächtig.
Caja hob ihre Augenbrauen ein wenig an, bemerkte wie die anderen beiden Männer sie neugierig musterten, in der Hoffnung, dass sie ihren Freund auch wirklich verstehen würde.
Kurz war sie sich unsicher, ob sie darauf eingehen, oder so tun sollte, als hätte sie keine Ahnung, was ihr Gegenüber da gerade von sich gegeben hatte.
Vielleicht war es besser sie in dem Glauben zu lassen, dass eine Kommunikation nicht möglich war.
Vorsichtig streckte der Jüngling die Hand nach ihr aus, nahm ihr das Tuch aus dem Mund und gab ihr somit die Möglichkeit, ihm zu antworten.
Sie zögerte. Ihr Blick wanderte unsicher zwischen all den Anwesenden hin und her, legte sich dann aber wieder auf den, der vor ihr hockte.
Wärme lag in dessen Augen, die ihr suggerieren wollte, dass sie ihm vertrauen konnte. Aber war dem so? Konnte sie wirklich auf seine Ehrlichkeit bauen?
Sie hatte gemeinsam mit ihren Volk das Seine angegriffen. Es gab keinen logischen Grund, aus welchem sie sich auf ihn einlassen sollte. Außer ...
Ihr wurde bewusst, dass er die einzige Möglichkeit war, um womöglich zu erfahren, was die Angelsachsen mit ihr vorhatten. Und es war definitiv besser zu wissen, was einen erwartete, als blind in der Unklarheit umher zu stolpern.
„Caja", schenkte sie ihm also schließlich die Antwort, auf die er noch immer wartete.
Ihre Stimme klang heiser und ihre Kehle fühlte sich so trocken an, als hätte sie Sand gegessen.
„Ich bin Adalar." Ihr Gegenüber schenkte ihr ein freundliches Lächeln, wandte sich dem Bärtigen zu und sagte etwas zu ihm, woraufhin dieser zunächst das Gesicht zu einer grimmigen Grimasse verzog. Dann aber griff er hinter sich und reichte Adalar einen Krug aus Ton.
Diesen führte der Mann mit der halben Glatze dann an Cajas Lippen. Sie sträubte sich nicht, nahm das klare Wasser an und ließ es ihren Rachen hinabrinnen und diesen erneut befeuchten.
„Nun sollte dir das sprechen leichter fallen", meinte er, nachdem sie genug getrunken hatte und stellte das Gefäß wieder beiseite.
Glaubte er, sie würde ihm von ihrem Volk erzählen? Wenn er sich da mal nicht gewaltig irrte ...
Noch immer trug Adalar ein sanftmütiges Lächeln im Gesicht, als er fortfuhr: „Wie alt bist du?"
Sie konnte es nicht verhindern und begann zu lachen. Was wollte das hier werden? Wollte er sich durch ein Kennenlernen hinterhältig ihr Vertrauen erschleichen?
Dann schüttelte sie den Kopf. „Eine Antwort, für eine Antwort", entgegnete sie ihm und musterte ihn mit einem Grinsen. Es war nur gerecht, wenn er auch ihre Fragen beantwortete.
Für einen kurzen Moment zögerte er, nickte dann aber und positionierte sich im Schneidersitz vor ihr, um es sich gemütlicher zu machen. „Was willst du wissen?"
„Was wollt ihr von mir?" Sofort kamen ihre diese Worte über die Lippen. Ihr Blick wurde ernst, sie fixierte ihn mit ihren blaugrauen Augen, hielt ihn darin gefangen.
„Informationen."
Knapper hätte Adalars Antwort wohl nicht ausfallen können.
Sie entlockte Caja ein leises, ungeduldiges Knurren. Dieses Spiel beherrschte sie auch und sie hatte nichts dagegen, es auszufechten. Wenn er sich alles aus der Nase ziehen lassen würde, würde sie es ihm gleichtun.
„Achtzehn", erwiderte sie schließlich auf die Frage, die er einige Momente zuvor gestellt hatte, doch nun war er es, der den Kopf schüttelte. „Das war meine alte Erkundigung, nun habe ich eine neue."
Er hielt seine geöffnete Hand dem Bärtigen entgegen, der die gesamte Szenerie mit Argusaugen bedachte. Sofort schien er zu begreifen, was der andere von ihm wollte und überreichte ihm eine Münze aus Gold.
Auch der Silberhaarige war noch anwesend, doch er hatte sich weiter in die Schatten des Zeltes zurückgezogen und beobachtete lieber aus etwas Entfernung.
Adalar ließ das wertvolle Stück zwischen seinen Fingern hindurch gleiten, schnippte es dann in die Luft, nur um es dann sicher wieder aufzufangen.
„Ist es das, was ihr in Angelland sucht?"
Caja hörte die Frage, doch brauchte sie länger um zu antworten. Bei dem Anblick der Münze begann ihr Herz schneller zu schlagen und sie benötigte einen Moment, um es wieder zu beruhigen.
Das war er - der nächste Teil ihrer Vorsehung. Sie hatte das funkelnde Gold gesehen, das von ihrem Schicksal gezeugt hatte. Es nahm seinen Lauf.
„Wir kommen um zu plündern. Das ist kein Geheimnis."
Adalar nickte, warf dem Bärtigen seinen Besitz wieder zu, welcher ihn in einer eingenähten Tasche seines Wams verschwinden ließ.
Die Männer begannen Wörter auf ihrer Sprache zu wechseln, doch das war Caja egal. Ohne sich dabei schlecht zu fühlen, warf sie ihre nächste Frage einfach dazwischen: „Was geschieht mit mir, wenn ich euch nicht das verrate, was ihr wissen wollt?"
„Diese Antwort werde ich dir nicht geben müssen. Du kennst sie bereits." Ernst flackerte in den Augen ihres Gegenübers auf. Natürlich wusste sie es, aber sie hatte eine Bestätigung gewollt. Sie würden sie töten, sobald sie ihnen nichts mehr nützte.
„Ist dein Volk gewillt einen Handel einzugehen?"
Caja legte die Stirn in Falten, neigte den Kopf ein wenig zur Seite. „Einen Handel?"
Erneut nickte Adalar. „Ihr bekommt so viel Gold wie ihr verlangt und dafür kehrt ihr niemals wieder nach Angelland zurück."
Sie schüttelte den Kopf, lachte dabei. „Oh nein, darauf würde mein Vat... Melker niemals eingehen." Sie stolperte über ihre eigenen Worte, hoffte es wäre nicht aufgefallen, was sie zuerst hatte sagen wollen. „Wieso beherrscht ihr meine Sprache?"
Ein Versuch, seine Aufmerksamkeit von ihrem Gesagten fortzulenken. Einer, der ihr nicht glückte. Er war gewitzt, hatte begriffen, was zuerst über ihre Lippen hatte kommen wollen.
Langsam beugte er sich etwas weiter in ihre Richtung und mit einem Mal wirkte er nicht mehr so freundlich und sanftmütig. Etwas an der Art, wie er sie nun betrachtete verriet ihr, dass ihre Antwort etwas an seiner Denkweise verändert hatte. „Dein Vater? Du bist die Tochter des Anführers?"
Oh, sie war mehr als das. Doch das würde sie ihm sicherlich nicht auch noch kundgeben. „Eine Antwort, für eine Antwort", erinnerte sie ihn an ihre Abmachung.
„Ich komme aus einem großen Haus, das Flüchtende aufnimmt. Unter ihnen war eine eurer ehemaligen Sklavinnen, die es schaffte, euch bei einer eurer Überfahrten zu entkommen. Sie brachte mir auf meine Bitte hin eure Sprache bei. Nun du."
Auffordernd sah er sie an.
„Ja, ich bin die Tochter des Jarl."
Sofort erhob er sich auf die Beine, wandte sich den anderen beiden Männern zu und schienen von dem zu erzählen, was sie ihm gerade verraten hatte.
Sie konnte in dem schwachen Licht der Öllampen erkennen, wie sich Überraschung auf dem Gesicht des Bärtigen abzuzeichnen begann.
Kurz darauf machte er eine Handbewegung, die Adalar dazu veranlasste, ihr das Leinentuch wieder in den Mund zu schieben.
Anschließend trat der Silberhaarige aus den Schatten hervor, packte sie grob unter den Armen und zerrte sie auf die Füße. Nicht ahnend, was nun geschehen würde, ließ sie sich von ihm nach draußen stoßen.
Der kühle Nachtwind wehte ihr entgegen, spielte ihrem vom Blut verklebten Haar, während sie hinter das Zelt gebracht wurde. Dort band der Mann sie mit unsanften Griffen an einem fest im Erdboden verankerten Stecken fest, ehe er sie sich selbst überließ.
Sie sah ihm nach, bis seine Silhouette mit all den anderen dunklen Schemen verschwamm. Tief atmete sie durch, versuchte sich das Tuch so lange durch Bewegungen mit dem Kopf auf ihrem Mund zu entfernen, bis es ihr schlussendlich gelang.
Viele fremde Stimmen drangen an ihre Ohren, vermischten sich mit dem Stöhnen der Verletzten und dem knackenden Geräusch von Feuer, das Holz verschlang.
Umso länger sie allein war, desto bewusster wurde sie sich wieder ihrer eignen Schmerzen. Ihr Blick wanderte hinab zu ihrer Seite, doch sie konnte bei dem wenigen Licht nichts erkennen. Wenn die Wunde nicht bald ordentlich versorgt werden würde, lief sie Gefahr, sich zu entzünden. Und dies bedeutete häufig den Tod.
Sie biss die Zähne zusammen, versuchte nicht weiter darüber nachzudenken und ließ ihre Augen durch das Dunkel um sie herum wandern, in der Hoffnung, irgendwo Munin, oder gar ihren Vater ausmachen zu können.
Doch da war niemand und in dieser Nacht würde vermutlich auch niemand mehr kommen, um sie zu retten.
Aber morgen. Ganz bestimmt.
Der kalte Boden war nicht gerade bequem, doch der Anblick der Silhouetten der Äste über ihrem Kopf machten es ein wenig angenehmer, als sie ihren schmerzenden Körper ablegte, um etwas Schlaf zu finden.
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