Ein Abschied auf Zeit
Askwin
Er mied es Caja allzu oft anzusehen, was sich als gar nicht so einfach gestaltete, denn er erkannte sie in dem weißen Kleid, das sich an ihren Körper schmiegte, beinahe nicht wieder.
Wieder und wieder hatte er sie unauffällig mustern müssen, um sicherzugehen, dass sie sie nicht gegen eine andere Frau eingetauscht hatten.
Doch als sie sich neben ihm niederließ, trotzig wie er sie kannte das Kinn nach vorne streckte, wusste er, dass es immer noch seine Gefangene war.
Der König klatschte in die Hände, signalisierte damit den Bediensteten, die in den Schatten des Saals gestanden und gewartet hatten, dass das Mahl beginnen konnte.
Sie setzten sich in Bewegung, servierten einem jeden der am Tische saß den ersten Gang - Zwiebelsuppe mit frisch gebackenem Brot, das noch dampfte und dessen Geruch den ganzen Raum einzunehmen begann.
Aus dem Augenwinkel bemerkte Askwin Cajas unsichere Blicke, die all das verschiedene Besteck musterten.
Weitestgehend unauffällig half er ihr, indem er mit einer Kopfbewegung auf den richtigen Löffel deutete.
Sie wollte bereits danach greifen, als die Stimme Harolds durch den Saal hallte und sie innehalten ließ: „Auf unsere Gäste!"
Dabei hob er seinen Kelch, der mit blutrotem Wein gefüllt war in die Höhe.
Seine Frau, Königin Imogen, folgte seinem Beispiel ohne zu zögern, wie auch Hrodwyn, Adalar und Askwin.
Nur Caja brauchte länger um zu verstehen, eiferte dem Verhalten der anderen dann aber ebenfalls nach.
Zufrieden setzte der König seinen Kelch dann an seinen Lippen an, genehmigte sich einen Schluck und begann anschließend zu essen.
Seine Familie tat es ihm gleich.
Caja verzichtete darauf den Wein zu kosten, stellte ihn wortlos wieder auf dem Tisch ab und machte sich über die köstlich riechende Suppe her, verzog dann aber das Gesicht, sobald der erste Löffel in ihrem Mund verschwunden war.
Askwin legte ihr unter dem Tisch seine Hand auf ihr Knie, flüsterte ihr zu: „Tu so, als würde es dir schmecken."
Sie warf ihm einen fragenden Blick zu, den er mit einem ernsten quittierte.
Langsam, aber ohne eine Miene zu verziehen, aß sie weiter und so begann auch er seine Portion zu vertilgen.
Die Suppe war würzig, doch das störte ihn nicht. Sie wärmte ihn von innen. Das frisch gebackene Brot zerging ihm hingegen auf der Zunge und schien auch Caja zu munden, denn sie hatte es schneller verschlungen, als er hätte bis zehn zählen können.
„Ich hoffe doch die Heimreise war nicht allzu unbequem", eröffnete der König dann das Gespräch, faltete die Hände über seinem bereits geleerten Teller.
Askwin unterbrach sein Essen, um ihm eine Antwort zu schenken: „Aber nein. Wir kamen recht zügig voran und wie Ihr bereits erfahren habt, sind die wichtigsten Männer wohlauf. Gregory Lyeson ist mit ein paar von ihnen in die Schenken aufgebrochen, sobald wir die Tore Wessex' passiert hatten."
„Das freut mich zutiefst. Ich hatte gewichtigere Einbußen befürchtet. Aber die Soldaten, die auf dem Feld gefallen sind - möge Gott ihren Seelen gnädig sein - ..." Er stoppte sich selbst, als der zweite Gang serviert wurde. Perfekt gebratenes Hirschfleisch mit goldgelb gekochtem Wurzelgemüse, auf welchem soeben noch die Butter zerging.
Der Heerführer gab es nicht offen zu erkennen, aber er war froh, dass der König den Satz nicht zu Ende gesprochen hatte.
Jeder Mann, der im Kampf gestorben war, war von Bedeutung gewesen und dass der Herrscher Angellands dies nicht so sah grämte ihn.
Still schob er den Rest der Suppe beiseite und widmete sich lieber dem Hauptgang.
Caja neben ihm tat es ihm gleich. Er hörte sie leise schmatzen, musste deshalb ein Schmunzeln unterdrücken.
Trotz der Spannung in der Luft schien sie einfach wie immer zu sein und das erheiterte ihn.
Wie es wohl sein mochte in seinem Geiste so frei zu sein?
„Sir Seymour, wenn Ihr mir erlaubt zu fragen", erhob die Königin nun das Wort, den Blick dabei auf seine Sitznachbarin gerichtet. „Versteht sie, was wir von uns geben?"
Askwin schüttelte den Kopf, hätte aber beinahe preisgegeben, dass er sich Teile ihres Vokabulars angeeignet hatte.
Doch wofür hätten Imogen und ihr Gemahl ihn dann gehalten? Für einen Verbündeten der Barbaren womöglich.
Er verkniff es sich zudem zu erwidern, dass es manches Mal wohl auch besser war, dass Caja nicht begriff wovon sie sprachen, so unhöflich wie viele über sie in ihrer Anwesenheit redeten.
Stattdessen meinte er: „Englisch ist ganz anders als Nordisch."
Zufrieden mit dieser Antwort nickte Harolds Frau, musterte Caja weiter mit diesem neugierigen Funkeln in den Augen.
Askwin gefiel es nicht, wie sie sie ansah. So als wäre Caja ein wildes Tier, das sie noch nie zuvor zu Gesicht bekommen hatte. Dabei war sie doch auch nur ein Mensch.
Er beendete den Hauptgang, wartete geduldig auf das Dessert, das nur wenig später vor ihre Nasen gestellt wurde: Joghurt mit einer feinen Schicht aus Honig.
Das süße Gericht war das beste am heutigen Abend und er genoss jeden Löffel davon, wohlwissend, dass es nun gleich unangenehm werden würde.
Eine Bitte schwebte noch unausgesprochen durch diesen Saal, prickelte ihm auf der Zunge.
Doch er wog sich noch etwas in Geduld, um den passenden Moment zu erwischen, sie laut auszusprechen.
Der König nahm seinen Kelch in die Hand, ehe er aufstand.
Was sollte das werden? Ein erneuter Toast?
Aber er erhob die Stimme nicht sofort, wanderte stattdessen um den Tisch und blieb direkt in Askwins und Cajas Rücken stehen.
Unangenehm spürte Askwin den heißen Atem des mächtigsten Mannes Angellands in seinem Nacken, wagte es nicht, sich zu ihm umzudrehen.
Aus dem Augenwinkel bemerkte er, dass die Situation auch alles andere als Wohlbefinden in Caja wachrüttelte.
Mit ihrer Hand umklammerte sie den Bären, der um ihren Hals baumelte.
„Wie gedenkt sie, dass es weitergeht?", hörte er die tiefe Stimme Harolds, der die Frage an Adalar richtete, der ihnen gegenüber saß.
Der Mönch verschluckte sich beinahe an dem Joghurt, den er noch immer nicht zu Ende gelöffelt hatte, räusperte sich und klopfte sich dreimal mit der Faust auf die Brust, ehe er antwortete: „Ich glaube, sie hat sich darüber noch keine Gedanken gemacht."
Ein kurzer Seitenblick in Richtung Askwin signalisierte diesem, dass der richtige Zeitpunkt nun gekommen war.
„Mit Verlaub Eure Majestät, sie mag sich darüber nicht den Kopf zerbrochen haben, aber ich habe es", warf er also unaufgefordert ein, spürte indes wie sich die kräftigen Finger des Königs in seine Schulter gruben.
Er spielte mit ihm und seinen Ängsten, das war ihm bewusst, von dem Moment an, in dem er ihm im Thronsaal mit dem Leben gedroht hatte.
Und Askwin hasste es. Er hasste es sich so wehrlos vorzukommen wie eine Maus in den Fängen einer Katze.
Doch es galt sich nun nicht zu wehren und Harold die Oberhand auskosten zu lassen, wenn er wollte, dass sein Plan aufging.
„Sprecht."
Eisig. Emotionslos. Schneidend.
Askwin fuhr es kalt den Rücken hinunter, doch er riss sich zusammen.
Er musste Caja in Sicherheit wissen und das würde nur der Fall sein, wenn er sie mit sich in die Wasserlande nahm.
„Ich will Euch darum bitten, Eure Majestät, sie in meine Heimat bringen zu dürfen. Ich gab ihrem Vater immerhin das Wort dafür Sorge zu tragen, dass ihr kein Haar gekrümmt wird und dem kann ich am besten nachgehen, wenn ich sie um mich habe."
Es legte sich Stille über den Saal.
Askwin spürte weiterhin den heißen Atem des Königs in seinem Nacken und die Finger an der Schulter, die sich nur wenig später von ihm lösten.
Dann dröhnte ein heiseres Lachen durch den Raum. Harold schritt zurück zu seinem Platz, umfasste mit beiden Händen die Lehne seines Stuhls und funkelte Askwin an. „Ihr denkt, dass sie hier nicht sicher wäre?"
„Das habe ich nicht gesagt, mein König." Askwin übte sich in Demut, senkte ehrfürchtig den Blick, konnte dabei Cajas Augenpaar auf seiner Wange brennen spüren.
Wofür musste sie ihn nun halten? Sicher für einen Feigling. Er hörte ihre Stimme in seinem Kopf, wie sie sich über ihn lustig machte und ihm erklärte, dass Männer ihres Volkes niemals gleich einem Hund den Schwanz eingezogen hätten, ganz egal wen sie vor sich hatten.
Aber Askwin wusste auch wie wenig Cajas Landsleute den Tod fürchteten und er hing eben doch an seinem Leben und war nicht erpicht darauf seinem Schöpfer, insofern es denn wirklich einen gab, schon so bald gegenüberzutreten.
„Denkt doch nur darüber nach welche Arbeit Ihr euch ersparen würdet, wenn ich sie einfach mit mir nehme. Ihr braucht ihr keine Zofe zur Verfügung zu stellen, müsst Euch nicht darum kümmern, dass sie unsere Traditionen und unsere Sprache erlernt. All das würde mir obliegen."
Der Heerführer kratzte sich etwas an der frisch rasierten Wange. „Und .... Nun, ich gebe zu, mein Gewissen wäre dadurch auch etwas leichter. Denn wie ich bereits erwähnte, habe ich dem Anführer der Barbaren einen Schwur geleistet und auch wenn es Wilde sind, bin und bleibe ich ein Edelmann und ich halte mich an mein Wort. Das versteht Ihr doch sicherlich, nicht wahr Majestät?"
Askwin konnte Harold ansehen, dass er zu überlegen begann.
Ein Blick zu seiner Frau, die ihm aufmunternd zunickte und ein weiterer zu seiner Tochter, die weiterhin völlig desinteressiert mit ihrer Gabel auf dem nicht angerührten Teller auf dem Fleisch herumstocherte und er seufzte, griff nach seinem Wein.
In einem Zug leerte er ihn, setzte den Kelch geräuschvoll wieder auf dem Tisch ab. „Also schön, Sir Seymour, Lord der Wasserlande, ich gestatte Euch Eure Bitte unter einer Voraussetzung."
Wieder legten sich seine funkelnden Augen auf Askwin, die nur allzu deutlich zeigten, dass Harold wusste wie viel Macht er besaß.
Nur ein Fingerschnippen und der Heerführer würde seinen Kopf verlieren.
Aber nicht heute. Sein Tag war noch nicht gekommen.
„Ich will in regelmäßigen Abständen über ihre Fortschritte unterrichtet werden und wenn ich sie das nächste Mal sehe, dann will ich, dass sie sich wie eine Dame Angellands benimmt und ..." Er deutete mit einem Kopfnicken auf den Talisman, der Cajas Hals zierte. „Ich will nicht mehr sehen woher sie eigentlich stammt. Sie lebt nun unter uns, also hat sie sich uns ganz und gar anzupassen."
„Aber natürlich, Majestät." Askwin neigte sein Haupt vor dem König, wohlwissend dass dies womöglich das erste Mal sein konnte, dass er sein Wort nicht würde halten können.
Auch wenn sie erst seit etwa zehn Tagen an seiner Seite weilte, hatte er begriffen welchen Stolz und welchen Eigenwillen sie besaß.
„Dann ist die Angelegenheit wohl geklärt." Ein falsches Lächeln legte sich auf die Lippen des Königs.
Er ließ sich frischen Wein einschenken und stieß mit allen Anwesenden auf den gemeinsamen Beschluss an.
Selbst Caja hielt dieses Mal sofort ihren Kelch in die Höhe, als hätte sie begriffen, dass sie mit ihm in die Wasserlande reisen würde.
Sobald Askwin hinuntergeschluckt hatte, erhob er sich von seinem Platz, reichte Caja die Hand, die ihn zunächst verwirrt ansah, ihre Finger dann aber in seine legte und sich von ihm aufhelfen ließ.
Adalar tat es ihnen gleich.
„Wir werden uns nun zur Ruhe legen, denn ich plane morgen früh bereits in meine Heimat aufzubrechen. Ich werde unseren Gast noch auf sein Zimmer geleiten. Wir wünschen eine gute Nacht, Majestät."
Mit ihrer Hand in seiner verneigte er sich, zog sie dabei unauffällig in seiner Bewegung mit, sodass sie dieser ungewollt folgte.
„Königin, Prinzessin", fügte der Mönch an und folgte Askwin und Caja dann aus dem Saal.
Askwin hatte gehofft einen Moment alleine mit Caja sprechen zu können, aber sobald sie den langen Flur betraten, reihten sich die ihr zugeteilten Wachmänner wieder hinter ihr ein und machten keine Anstalten sie aus den Augen zu lassen.
„Ist alles gelaufen wie geplant?", flüsterte Caja ihm zu und ließ von seiner Hand ab. Sie hatte wohl genug von dem Spielchen, nun da sie nicht mehr vom König beobachtet wurden.
Was ihr nicht bewusst war, war, dass sie aber noch immer nicht frei sprechen konnten.
Er wollte nach wie vor nicht, dass jemand davon erfuhr, dass er sich ihre Sprache angeeignet hatte, weshalb er Adalar danach fragte, was sie gesagt hatte.
Der Mönch durchschaute seine Absichten sofort und übersetzte ihre Frage ins Englische, wobei er dies nicht Wort für Wort tat. „Sie verlangt zu wissen, ob der König zufrieden mit ihrem Auftreten war."
„Sagt ihr, dass alles in Ordnung ist und das wir morgen beim Sonnenaufgang in die Wasserlande aufbrechen werden."
Askwin mied es sie anzusehen, konnte sich aber vor seinem geistigen Auge ausmalen wie sie ihn verständnislos musterte.
Doch sie sagte nichts mehr, ließ sich den restlichen Weg in Stillschweigen zu ihrem Gemach führen.
Wie ein wahrer Edelmann küsste er ihr zum Abschied die Hand. Es galt die Etikette und das Bild seines Titels zu wahren.
Dann entließ er sie in die Hände der für sie zuständigen Zofe, die bereits auf ihre Rückkehr gewartet hatte.
Die beiden Wachmänner postierten sich sofort vor der geschlossenen Tür.
„Ich möchte, dass Ihr uns in meine Heimat begleitet, Pater", wandte Askwin sich dann an Adalar, der daraufhin den Kopf schüttelte.
„Das kann ich nicht, Sir. Ich werde im Kloster gebraucht. Aber ich verspreche Euch zu besuchen und wenn Ihr wollt, dann kann ich Euch das Mädchen schicken, das lange Zeit im Norden gelebt und mir die Sprache der Wilden beigebracht hat. Caja würde es sicherlich erfreuen jemanden um sich zu haben, der mit ihren Traditionen und Lebensart vertraut ist." Entschuldigend senkte der Mönch den Blick.
Askwin hatte die Gesellschaft des jungen Mannes liebgewonnen, doch er konnte seine Wahl nachvollziehen.
So wie der Lord in die Wasserlande gehörte, gehörte Adalar ins Kloster.
Es war dessen Zuhause.
So legte er ihm die Hand an die Schulter und meinte ehrlich: „Ich danke Euch für Eure Hilfe, Pater. Für alles. Und ich freue mich auf unser Wiedersehen."
Adalar lächelte ihn an, sah nochmal hin zu der Tür, hinter der Caja verschwunden war, bevor er in nordischer Sprache, damit nur Askwin es verstand, sagte: „Ich dachte nicht eine Art Freundin in ihr zu finden. Aber sie ist eine besondere Frau. Gebt auf sie Acht und sagt ihr, dass ich es bedauere, keine Gelegenheit gefunden zu haben, mich gebührend von ihr zu verabschieden. Doch anders als Ihr werde ich noch heute Nacht aufbrechen. Mein Weg bis an die Westküste ist weit, ich will keine Zeit verlieren. Und bevor Ihr etwas sagt, ich werde nicht alleine reisen. Pater Bernard und Pater Frederik werden bei mir sein und wer wagt es schon wehrlose Geistliche, die im Namen Angellands reisen anzugreifen?"
Mit diesen Worten wandte der Mönch sich von Askwin ab und verschwand im Dunkel des Flurs.
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