Atem so heiß wie Feuer
Caja
Stillschweigend hatten sie ihre Reise angetreten, hatten Wälder, Felder und Äcker überquert, bis die Sonne sich zum Schlafen herabgesenkt hatte. Der Himmel über ihren Köpfen leuchtete in einem kräftigen Orangerot, wurde hier und dort von feinen Wolkenfäden durchzogen.
Zu Cajas Verwunderung hatte keiner auch nur ein Wort gesprochen, seit sie das Gehöft verlassen hatten. Askwin hatte nichts über Gregorys Tod wissen wollen, oder von dem, was danach geschehen war und sie hatte nicht einfach so davon erzählt.
Sie spürte Alvas Wärme unter ihren Schenkeln, während sie dem Lord folgte.
Henry bildete das Schlusslicht.
Die ganze Zeit über bohrten sich ihre Augen in den Rücken ihres Vordermanns, sich fragend, weshalb er sich in diese Ruhe hüllte und sie nicht ein einziges Mal ansah. Mied er sie? Und das nach ihrem emotionalen Wiedersehen?
Seine Erleichterung hatte sie ihm deutlich angesehen. Dann hatte er sie in seine Arme gezogen, sie an seine Brust gepresst, als wäre sie seine längst verloren geglaubte Tochter. Sie hatte seinen Herzschlag gespürt, seinen Atem an ihrer Stirn, die kitzelnden Bartstoppeln im Gesicht und sie hatte seinen wohltuenden Geruch nach Rosmarin und Meersalz eingeatmet.
Schon lange hatte sie sich nicht mehr so sicher und gewollt gefühlt, wie in diesem Moment.
Aber nun war da wieder diese Kälte in ihn zurückkehrt. Diese reine Ernsthaftigkeit. Emotionslosigkeit. Als wäre diese Situation in Ziegenstall ihrer Fantasie entsprungen und nicht wirklich passiert. Doch das war sie.
Askwin war ein Rätsel für sie. Eines, das noch schwerer zu knacken war als die der Götter.
Dennoch nahm sie sich vor es zu lüften. Sie würde hinter seine Mauer blicken und wenn es das letzte war, das sie tat.
Die Dämmerung legte sich über den Wald, den sie durchritten und signalisierte ihnen, dass es Zeit wurde ein Nachtlager aufzuschlagen.
Sie stießen auf eine Felswand, die mehr als nur geeignet dafür war. Mit dem Stein im Rücken konnte sie niemand unbemerkt überfallen. Auch kein Tier.
Sie banden die Pferde in unmittelbarer Nähe an tiefhängenden Ästen fest, bevor sie einander durch visuelle Kommunikation zu verstehen gaben, Feuerholz zu sammeln.
Ein jeder lud so viel trockenes Brennmaterial wie nur möglich auf seine Arme, bevor sie alles zusammentrugen und Askwin die Wärmequelle entfachte.
Henrys Magen knurrte noch bedrohlicher als ein Wolf, weshalb Caja ihm etwas von dem Proviant reichte, den Charleen ihr mitgegeben hatte.
Dankbar nahm er die beiden Scheiben Brot entgegen, die mit Honig und Butter bestrichen waren. Schmatzend vertilgte er das gute Essen, durchbrach dann nach einem zufriedenen Rülpser die Stille ganz: „So süßen Honig habe ich noch nie gekostet!"
Die Spannung, die die ganze Zeit über die Luft zwischen ihnen elektrisiert hatte, schien gebrochen, als Caja zu lachen begann.
Der Knappe schenkte ihr ein verschmitztes Grinsen. „Dann ist es also wahr und du kannst uns nun verstehen. Das Mädchen scheint ganze Arbeit geleistet zu haben."
Magna. Die Erinnerung an das rothaarige Mädchen versetzte ihr einen kurzen Stich ins Herz, aber sie schluckte den Schmerz über ihren Abschied hinunter. Vielleicht würden sie sich ja eines Tages tatsächlich wiedersehen.
„Ich verstehe nicht alles, aber ich kann mir die meisten Dinge zusammenreimen", gab sie mit einem deutlich hörbaren Akzent und mit teilweise falscher Betonung auf den Silben zur Antwort. Ihr Angelsächsisch war noch lange nicht perfekt, aber es genügte und sie würde Magna auf ewig dankbar dafür sein, dass sie die Geduld hatte, es ihr zu lehren.
Askwin brummte: „Das erleichtert uns zukünftige Dinge auf jeden Fall." Mit einem Ast stocherte er in der Glut herum, dass wieder und wieder Funken aufstoben.
Mit zusammengezogenen Augenbrauen beobachtete Caja ihn dabei. „Ist alles in Ordnung? Du wirkst ..."
„Alles bestens", fuhr er ihr dazwischen, pfefferte den Stecken in das Feuer und stand auf. Ohne ein weiteres Wort von sich zu geben, verschwand er in den Schatten, die die Felswände warfen.
Caja zog die Beine eng an den Körper, legte ihr Kinn auf den Knien ab. Das konnte er erzählen, wem er wollte, aber vermutlich hätte selbst ein kleines Kind die Lüge hinter seinem Gesagten entdeckt.
Was war es, das ihn so sehr störte, seit sie den Rückweg angetreten hatten? War es sie? Ihre Anwesenheit? Oder plagte ihn etwas völlig anderes?
„Macht Euch nichts daraus." Henry schenkte ihr einen mitfühlenden Blick, ehe er dem Feuer neues Holz zum Verschlingen gab. „Manchmal ist er ... er kann nicht so recht mit seinen Gefühlen umgehen und versucht sie daher lieber zu begraben." Er lachte etwas. „Es hat ihn große Überwindung gekostet, als er mir zum ersten Mal gestanden hat, dass ich wie ein Sohn für ihn bin. Und mit Liebe und Zuneigung kann er schon dreimal nichts anfangen. Er war noch nie verliebt und hat keine Ahnung davon." Als hätte er etwas absolut Falsches gesagt, hielt er sich die Hand vor den Mund.
Aus dem Augenwinkel linste er zu Cajas restlichem Proviant hinüber. „In dem Honig war doch nicht etwa Wahrheitsserum? Ich ... das hätte ich Euch gar nicht erzählen sollen. Verzeiht."
Seine Zuhörerin reckte den Kopf aufmerksam nach oben und musterte ihn durch den Schein der Flammen hinweg. „Wie kommst du darauf von Liebe zu sprechen?"
„Davon sollte ich nun wirklich nichts erzählen", meinte er schnell und heftete den Blick auf den Wald vor ihnen.
„Befürchtest du, ich könnte es verraten?" Sie fasste sich an die Brust. „Ich schwöre es bei meinen Göttern, dass niemals ein Wort über dieses Gespräch meine Lippen verlassen wird."
Abwägend schweifte Henrys Augenmerk zwischen Caja und den Bäumen hin und her. „Ich bin in Prinzessin Hrodwyn verliebt und der Lord versteht das nicht. Er versucht es mir auszureden, aber verflucht, Liebe kann man nicht einfach so abstellen. Myrna, Ihr kennt sie bereits, er hat versucht sie mir schmackhaft zu machen. Und zugegeben, die Mätresse des Lords mag ansehnlich sein, aber sie ist nichts im Vergleich zu Hrodwyn. Ich meine, Ihr habt sie doch gesehen, als Ihr mit dem König gespeist habt, nicht?"
Caja erinnerte sich an die Brünette, die weniger angetan von ihrem gemeinsamen Abendessen nicht hätte gewesen sein können.
Ihre Aufmerksamkeit war zu diesem Zeitpunkt mehr dem König und den Köstlichkeiten auf dem Tisch gewidmet gewesen, aber sie konnte sich daran entsinnen, dass die Prinzessin durchaus nicht hässlich gewesen war.
„Wenn du mich fragst", meinte sie dann. „Solltest du immer auf dein Herz hören. Wenn du sie aufrichtig liebst, dann sag es ihr."
„So einfach ist das nicht." Seufzend fuhr er sich mit der flachen Hand durchs Gesicht, schmierte sich dabei eine dünnen Rußschicht über die Wangen. „In einer Hinsicht hat Sir Seymour durchaus recht - sie ist von weitaus höherem Stande als ich und eine Hochzeit kommt daher nicht in Frage."
„Schwachsinn", prustete Caja. „Wenn es richtige Liebe ist, dann findet sich immer ein Weg. Und wenn ich als Tochter des Jarl den Bauern heiraten würde, der den wenigstens Ertrag bringt, mein Vater wäre froh darum, solange ich glücklich bin."
„Das klingt ... wundervoll." Die Stimme des Knappen war nicht mehr als ein Flüstern. Er stand auf und holte sich aus dem Gepäck eine Decke, breitete sie nahe an den Felsen aus. „Aber in Angelland gelten andere Regeln. Eine Prinzessin kann nur einen Prinzen, König, Lord oder Baron zum Mann nehmen. Jemanden, der etwas zu bieten hat. Der Land besitzt." Gleich einem Häufchen Elend kauerte er sich auf dem Boden zusammen, drehte Caja und dem Feuer den Rücken zu.
Seine Traurigkeit und sein Herzschmerz waren von so hoher Intensität, dass selbst Caja sie spüren konnte. Sie schienen sie beinahe schon zu erdrücken.
Um dem zu entkommen, entfernte sie sich von ihrem Rastplatz und lief in die Richtung, in der Askwin verschwunden war.
Die Schatten verschluckten sie. Aber nur für einen Moment. Dann passten sich ihre Augen an die Dunkelheit an. Den Weg ließ sie sich vom Mond und den Sternen zeigen.
Schon nach Kürze entdeckte sie den Lord an einem schmalen Bachlauf kniend, wie er Wasser mit den Händen in seinen Mund schaufelte.
Absichtlich trat sie auf einen Ast, als sie näher kam, um sich bemerkbar zu machen.
Er ließ sich von ihrem Erscheinen nicht aus der Ruhe bringen, drehte sich nicht einmal zu ihr um.
„Wovor hast du solche Angst?", fragte sie in die Stille der Nacht hinein, die nur durch das sanfte Rauschen des Gewässers und das Zirpen von verschiedenen Insekten durchbrochen wurde.
„Angst?" Lachte er etwa? Nun richtete er sich auf, wandte ihr doch sein Gesicht zu. Seine goldbraunen Iriden schimmerten im Licht der silbernen Himmelskörper.
„Du verstellst dich, seit wir aufgebrochen sind. Versteckst dich hinter einer Mauer. Das tun nur die, die sich vor etwas fürchten." Sie hielt seinem herausfordernden Blick stand.
Trotz der Dunkelheit konnte sie erkennen, wie er die Stirn runzelte und sich den Bart kratzte. „Haben dir das deine Götter verraten?"
„Was?" Nun blitzten ihre Augen nichtverstehend auf.
„Nichts." Da war es wieder. Dieses Ausweichen. Dieses Versteckspiel.
Und sie hatte genug davon. Sie wollte ihn kennenlernen. Wirklich ihn. Nicht den Mann, der er mit aller Macht versuchte zu sein. Für sein Land. Für seinen König. Einen König, für den es sich ihrer Meinung nach nicht zu kämpfen lohnte.
Vorsichtig trat sie noch näher an ihn heran, bis sie direkt vor ihm stand. Sie war nicht viel kleiner als er. Ihre Stirn reichte ihm bis zu seiner Nasenspitze.
„Stimmt es, dass du die Dinge sehen kannst, die in der Zukunft liegen?", fragte er schließlich leise, bevor sie das Wort ergreifen konnte.
Seine goldbraunen Augen legten sich auf ihre, die im hellen Mondschein funkelten wie flüssiges Silber.
„Verworren und in Rästeln, aber ja. Ja, ich sehe, was die Zukunft bringt. Und wenn ich dich ansehe, dann zeigen mir die Götter Bilder von Blut, Dunkelheit und Tod." Vom Rest erwähnte sie nichts. Sprach nicht von dem weißen Vogel und nicht von den schlagenden Herzen.
„Hast du diese Symbole deuten können?" Er schluckte, wollte sich nicht anmerken lassen, als ein unangenehmes Gefühl an seinem Magen zu zupfen begann.
Doch Caja sah es ihm an. Das Unbehagen, das sich in sein Herz zu fressen begann. Die Fragen, die durch seinen Kopf kreisten wie Geier auf der Suche nach Aas. Würde er seinem Land den Tod bringen? War er das Problem?
Sie ließ sich Zeit, bis sie den Kopf schüttelte und ihre Hand an seinen Arm legte. Zögernd legte sich sein Blick auf ihre Finger. Sie konnte spüren, wie er schneller atmete. „Ich glaube nicht, dass diese Dunkelheit von dir ausgeht. Nicht von deiner Person. Aber vielleicht von deiner Vergangenheit. Du vertraust mir nicht, habe ich recht? Weil dir etwas sagt, dass das falsch wäre. Aber ist es das? Ist es falsch mir zu vertrauen? Dich mir zu öffnen?"
Schweigen. Seine Augen verharrten auf der Stelle, an der sie ihn berührte. Das leise Geräusch seiner mahlenden Zähne drang an ihre Ohren. Er dachte über ihre Worte nach.
„Habe ich dir jemals einen Anlass gegeben, mir zu misstrauen?", fuhr sie fort. Sie betrachtete seine Seelenfenster, suchte sie nach der kleinsten Regung ab. „War ich nicht immer ehrlich zu dir? Es wird Zeit, dass du deine Mauer zum Einstürzen bringst und auch mit offenen Karten mit mir spielst. Sei du selbst. Verstell dich nicht länger."
Je länger sie seinen Arm umklammert hielt, desto mehr manifestierte sich ein Gefühl in ihrer Brust, das sie so noch nie empfunden hatte. Sie fühlte sich zu ihm hingezogen.
Sein Blick wurde weich. Aber nur für den Bruchteil einer Sekunde. Dann schüttelte er ihre Hand ab. „Lass das!", knurrte er.
„Du kannst es nicht leugnen." Sie machte einen Schritt zurück, brachte Abstand zwischen sie beide, um ihm den nötigen Raum zu geben. „Ich spüre es und du spürst es auch. Da ist etwas zwischen uns. Ich fühle mich in deiner Gegenwart sicher und du dich wie du selbst."
„Schwachsinn!" Er reckte dem Kopf nach oben, sah auf sie hinab, als wäre sie nicht mehr als ein Mittel zum Zweck für ihn.
Lügner. Er machte sich selbst etwas vor.
Sie starrten sich gegenseitig an, lieferten sich ein Blickduell. Sekunden verstrichen. Minuten. Reglos standen sie da, schweigsam. Bis sich erneut etwas an der Art veränderte, wie er sie musterte.
Nun trat er auf sie zu, umfasste ihr Kinn.
Sein heißer Atem brannte auf ihrer Haut.
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