Kapitel 16

Deamon starrte sie einen Moment an, um zu verstehen, was sie meinte. War sie es nicht, die Novizin der weißen Raben war? Dann müsste sie doch genug darüber wissen, wieso sie hier war.

»Du bist das diesjährige Opfer«, sagte er, obwohl er die Formulierung hasste. Opfer. Nein, das waren sie eigentlich nicht wirklich.

Die Vampire hatten dieses System eingeführt, damit die Blutlinie der Menschen auf ihrer Seite aufgefrischt wurde. Durch die Zeit und dadurch, dass die Anzahl der Menschen schon immer recht klein gewesen war, war es zu Inzest und Missbildungen gekommen.

Deamon schielte zu Selena, die leider ein gutes Beispiel dafür war, wie schlecht sein Vater auf diese Dinge geachtet hatte.

Während Vladinal die Schuld den Werwölfe gab, wusste Dramon es besser.

Rina schüttelte vehement den Kopf. »Nein. Das offizielle Opfer war schon vor ein paar Monaten«, sagte sie entschieden, was Deamon ein ganz schlechtes Gefühl beschwerte.

»Was meinst du damit?«, fragte er nach, wobei er sich Mühe gab, die aufkommende Wut in ihm zurückzuhalten. Dennoch lag ein Teil davon in seiner Stimme. Er erkannte es, als Rina erzitterte.

Aber erneut steckte sie nicht zurück. Stattdessen war da die Wut in ihren Augen. Sie ballte sogar ihre kleine Hand zur Faust. Dabei war sie so niedlich, dass Deamon sie einfach nicht richtig ernst nehmen konnte. Dieses kleine Ding würde ihn niemals angreifen. Vielleicht verbal, aber sicher nicht körperlich. »Ich hatte die Aufgabe Opfergaben zum Tempel zu bringen und wurde an den Grenzen einfach entführt«, sagte sie verärgert.

Deamon hob eine Augenbraue und blickte zu Asatra und Selena. »Lasst uns allein«, bat er, wobei seine Stimme einen kalten, befehlenden Ton annahm, der jedoch nicht an die beiden Frauen gerichtet war. Er war der Situation geschuldet, denn seine Gedanken rasten.

Wenn Rina wirklich nicht das offizielle Opfer war, warum war sie dann hier?

Die beiden Frauen verließen den Raum und sobald die Tür geschlossen war, wandte sich Deamon an Rina. »Da du über meinen Vater hierhergekommen bist, weiß ich nichts davon. Erzähl es mir«, sagte er auffordernd.

Stimmte es, was sie erzählte? Aber wenn ja, warum war sie dann bei ihm gelandet?

Rina holte tief Luft, bevor sie begann zu erzählen. Darunter auch, was die Vampire und ihr Vater gesagt hatten.

Deamon hatte keine Ahnung, was sein Vater tat. Er mischte sich nicht in seine Politik ein. Nicht im Moment. Noch war er ihm nicht gewachsen und seine Leute wollte er nicht in Gefahr bringen. Daher konnte er such nur schwer einschätzen, was dort lief.

Dass Rina jetzt jedoch hier war ...

Hatte sein Vater vor, ihm Menschenraub anzuhängen? Damit die Werwölfe seine Insel angriffen?

Das war schon einmal Vladinals Plan gewesen, um einen Konkurrenten aus dem Weg zu räumen.

Aber seinen eigenen Sohn?

Deamon war nicht sonderlich beliebt bei seinem Vater, aber dass dieser Deamon als Gefahr sah, hatte er auch nicht erwartet.

»Warum also bin ich hier?«, fragte Rina erneut mit Nachdruck. Ihr Blick fest auf Deamon gerichtet, der so aus seinen Gedanken gerissen wurde. Er musste dieser Sache nachgehen und würde Lilithoria schicken, sobald sie zurückkehrte. Vielleicht kam sie aber auch mit den gewünschten Informationen. Dieses Mal war sie sehr lang bei Vladinal.

»Weil man dich als Schachfigur erwählt hat«, antwortete Deamon, der nichts mehr schön reden wollte. So wie er das sah, hatte ihr geliebter Orden sie einfach geopfert, weil man sie nicht mehr brauchte oder gar loswerden wollte. »Weil du ersetzbar bist.«

Er sah die Blässe in ihr Gesicht steigen und hasste das Gefühl, das ihm ihre aufgerissenen, ungläubigen Augen vermittelten.

»Nein!«, rief sie aufgebracht und sprang sogar auf, wobei sie den Stihl umstieg. »Das kann nicht sein! Das würde Kiran mir nie antun«, behauptete sie, doch die Angst in ihrer Stimme zeigte Deamon, dass das Vertrauen gar nicht so groß war. Sie konnte sich durchaus vorstellen, dass Kiran ihr das antat.

Was Deamon aber mehr verwunderte war dass leichte Knistern in der Luft. Es fühlte sich an, als würde sie Magie wirken. Ganz leicht, fast nicht spürbar.

Sein Mund wurde trocken. Menschen konnten keine Magie benutzen. Nur Vampire und Werwölfe.

War sie vielleicht sogar ein Werwolf und hier, um sie anzugreifen, sobald sie bei Kräften war?

Deamon musterte sie eingängig.

Nein. Das war unwahrscheinlich. Sie war so schmächtig und schwach, dass er sich nicht vorstellen konnte, dass sie ein Angreifer war. Seines Ermessens nach war es sogar ein Wunder, dass sie lebend hier angekommen war.

Asatra hatte ihn von den blauen Flecken auf ihren Körper erzählt. Sie zeugten eindeutig von Misshandlung. Das würde ein Werwolf niemals mit sich machen lassen.

»So wie ich das sehe, ist es nicht das einzige, was er dir angetan hat und die glaubst immer noch, dass du ihm etwas bedeutet?«

Deamon provozierte sie mit Absicht. Er wollte sie wütend machen, um noch mehr von ihr zu erfahren. Dabei kam er nicht umhin festzustellen, dass der Ruf ihres Blutes immer stärker wurde. In seinem Mund lief bereits das Gift zusammen. Er musste sich mehr zurückhalten, als er angenommen hatte, dabei hatte er extra viel getrunken.

Rina blickte ihn wütend an, schwieg aber zuerst. »Sein Vater hat mich aufgenommen, als ich als Baby an die Insel gespült wurde. Ich verdanke ihm mein Leben«, brachte sie schließlich leise und durch zusammengebissene Zähne hervor.

Das war wirklich interessant. Hieß das, dass sie nicht von hier stammte oder war ein Schifferboot verunglückt. Aber warum sollte ein Baby mit dabei sein?

»Das erklärt deine außergewöhnliche Haarfarbe«, murmelte Deamon mehr zu sich selbst. »Iss weiter«, forderte er sie dann, denn noch war der Teller voll.

Rina blickte ihn wütend an, weil er einfach so tat, als wäre nichts. Dabei war sie wirklich wütend und auch etwas verwirrt. Sie verstand einfach nicht, was hier los war. Er stellte es fast so hin als wäre Kiran und die Werwölfe die Bösen. Dabei beschützten sie doch die Menschen!

Rina blickte auf das Essen. War das vielleicht seine Art, ihr zu zeigen, was für Unterschiede es gab? Wollte er sie damit bestechen?

Rina stieß den Atem aus und griff erneut zur Gabel. Dabei war sie sich Deamons Blick durchaus bewusst.

Lag es daran, dass sie neu war? War sie damit interessanter? Vielleicht.

Rina aß zwar, fühlte sich aber zunehmend unwohler. Schuld daran war die einsetzende Stille, welche sich drückend anfühlte. Wenn Deamon sprach, war es zumindest nicht ganz so unangenehm. Seine Stimme hatte sogar etwas überraschend Beruhigendes.

Zumindest, wenn er nicht laut wurde.

Sollte sie ihn vielleicht etwas fragen? Würde er antworten?

Bisher waren ihre Konversationen immer darin geendet, dass sie sich angeschrien hatten. Das wollte Rina eigentlich vermeiden. Aber sie musste auch mehr von dieser Welt erfahren, in der sie nun lebte.

Obwohl in ihr noch immer die Hoffnung bestand, dass Kiran sie retten kam, war ihr doch auch bewusst, dass sie sich für den Ernstfall wappnen musste.

»Was ... wird hier von mir erwartet?«, fragte sie leise.

Deamon musterte sie. »Die Menschen, die hier leben, geben ihr Blut einem Vampir und im Austausch kümmert er sich um alle Belange des Menschens«, erklärte er ruhig. Dabei beobachtete er, wie Rina vorsichtig wieder mit dem Essen begann. »Du bist direkt in mein Schloss gekommen. Eigentlich wollte ich dich in meinem Harem aufnehmen, aber körperlich Nähe ist nichts, was hier erzwungen wird.« Anders als bei seinem Vater. Daher hatte er auch so viele Kinder, die nicht immer vampirischer Natur waren. Nur er war ein Vampir, weil seine Mutter ebenfalls ein Vampir gewesen war. Wenn such gewandelt.

Rina runzelte die Stirn. »Das verstehe ich nicht ganz«, gab sie zu. »Warum sollte ein Vampir mir einem Menschen ...« Sie beendete den Satz nicht, denn die Röte stieg ihr ins Gesicht und sie wandte verlegen den Blick ab.

»Fortpflanzung«, erwiderte Deamon ruhig. »Vampire können Kinder Zeugen, aber nur bedingt. Mit einem Menschen ist die Chance viel höher. Vor Allem wenn der Mensch weiblich ist«, erklärte er mit ruhiger Stimme. Es schien sie zu interessieren, darum wollte er ihr auch die Antworten geben, die sie verlangte.

Das hatte Rina nicht gewusst, weshalb sie die Dinge ein wenig anders sah. Waren Asatra und vielleicht sogar Selena Mütter von Vampirkindern? Hatten sie mit Deamon ...

Rina wurde erneut rot. Solche Themen waren im Kloster Tabu gewesen. Auch, wenn einige Kräuterfrauen als Hebammen für die Dorfbewohner gearbeitet hatten. Kinder waren immerhin wichtig, um den Fortbestand zu sichern. Daher verstand Rina diese Ansicht durchaus. Nur die Vorstellung selbst Teil davon zu sein ...

Aber Deamon hatte gesagt Körperkontakt war nicht zwingend.

»Heißt das, Ihr verlang nur mein Blut?«, fragte sie vorsichtig. Wenn das der Preis für das gute Essen und die Unterkunft war .. konnte sie ihn bezahlen? »Warum?«

»Warum wir Blut von euch trinken?«, fragte Deamon über die Frage sichtlich verwirrt. Er verstand nicht ganz, was sie mit dem Warum meinte. Aber dann nickte sie schüchtern.

Deamon zog eine Augenbraue nach oben und blickte skeptisch auf sie nieder. Wusste sie das wirklich nicht. »Aus demselben Grund, warum ihr Wasser und Nahrung zu euch nehmt«, erwiderte er, wobei seine Stimme kalt klang. Er vermutete eine Finte, warum sonst sollte sie sowas fragen?

»Das heißt, ihr braucht es zum Überleben?«, fragte sie, wobei sie skeptisch klang. Das war nie Thema gewesen. Kiran und die anderen Priester hatten die Vampire immer als blutrünstige Monster dargestellt, die aus Freude töteten. Dass sie aber das Blut der Menschen zum Leben brauchen ...

»Heißt das, ihr müsst die Menschen überhaupt nicht dafür töten?«, fragte sie, denn diese Frage lag ihr schon lange auf der Seele. So hatte sie es gelernt, doch das ergab, in Verbindung mit dem Leben hier, gar keinen Sinn.

»Das wäre etwas schwierig«, bemerkte Deamon trocken. »Ein Mensch gibt genug Blut, um drei Vampire eine Woche zu versorgen, wenn man ihn leer trinkt. Aber wenn man nur wenig nimmt, kann es ein ganzes Leben reichen«, bemerkte er. Deamon verstand aber, woher diese Ansicht kam. Manche Vampire konnten sich einfach nicht beherrschen und töteten ohne es zu wollen.

Rina blickte nachdenklich auf ihr Essen. Sie aß gern und hatte schon im Kloster auf jede Mahlzeit hin gefiebert. Hier aber schmeckte es viel besser. Dabei hatte sie Essen bisher nur als etwas angesehen, das zum Überleben gut war. Etwas Unverzichtbares.

Sie schob eine einzelne Karotte hin und her. »Hat Blut unterschiedlichen Geschmack?«, wollte sie wissen, denn sie stellte es sich sehr eintönig vor.

Als Rina jedoch gewahr wurde, was sie da fragte, fühlte sie sich blöd. Warum sollte er ihr solche unnötigen Dinge erklären?

Sie stellte sich schon darauf ein, erneut Ärger zu bekommen. Die Lehrer im Kloster hatten derartige Fragen gehasst.

Allerdings reagierte Deamon nachdenklich. »Ja. Ich würde es schon als unterschiedlichen Geschmack beschreiben«, murmelte er dann gedankenverloren, wobei er sie eingängig musterte.

»Du sagtest, du wurdest als Kind aufgenommen. Wie alt bist du?«

Er stellte die Frage, weil sie eher klang wie ein kleines Mädchen. Ihre Art zu fragen und auch die Fragen selbst, zeigten Deamon, dass sie noch nicht viel von der Welt gesehen zu haben schien.

Rina blinzelte ihn an. »Ich bin 24«, antwortete sie, was Deamon gar nicht glauben konnte. Selbst ihr Körper wirkte viel jünger.

»Bist du dir da sicher?«, fragte er rau, denn er wollte noch nicht zulassen, dass er begann, sie anders zu sehen. Wenn sie wirklich schon so alt war, war sie eine Frau. Es gab für ihn also keinen Grund, sich zurückzuhalten. Aber nur, wenn sie nicht log.

»Ja. Warum sollte ich in diesem Bezug lügen?«, fragte sie, wobei dieses Alter etwas war, das sie auch nur durch die Nonnen im Kloster wusste.

»Vielleicht, um dich zu schützen?«, schlug er vor, während in ihm Wut mit Verlangen kämpfte.

Was hatte man ihr angetan, dass sie mit 24 Jahren aussah wie knapp 15? Hatte sie jemals das Essen bekommen, was sie brauchte?

»Als würde das irgendeinen Unterschied machen«, sagte sie Augenverdrehend.

Deamon hob die Hand und strich ihr vorsichtig eine Strähne aus dem Gesicht.

Rina zuckte bei dieser Berührung unweigerlich zurück und blickte ihn mit großen, ängstlichen Augen an. Hatte sie etwas falsch gemacht? Hatte er sie schlagen wollen?

Ruckartig erhob sich Deamon. »Ich werde jetzt gehen. Iss auf«, befahl er, während das Kribbeln an der Stelle, wo er Rina berührt hatte, seinen Körper heimsuchte und ihm wunderbare Schauer über den Rücken jagte.

Wenn er das zuließ, würde er über sie herfallen, weshalb es sicherer war, dass er ging. Zumindest, bis Rina nicht mehr so zerbrechlich war. Aber wie sollte er das schaffen?

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