Kapitel 15
Rina versteifte sich und konnte den Blick nicht von dem Vampir abwenden. Es war ihr ein Rätsel wieso dieser ausgerechnet hier war. In dem Bereich, der aussah, als wäre seit Jahren niemand mehr hier gewesen.
»I-Ich«, stammelte sie und suchte Worte, um sich zu verteidigen, aber sie fand keine. Vermutlich wäre es sowieso egal, was sie sagte.
Also senkte sie den Kopf. »Es tut mir leid«, murmelte sie schließlich.
Deamon fuhr sich durch die Haare. »Ich habe dich gefragt, was du hier machst. Warum entschuldigst du dich?«, fragte er und schritt an ihr vorbei.
Rina sah auf und bemerkte erst jetzt die einzelne Blume in seiner Hand. Das verwirrte sie so, dass sie ihn erneut anstarrte, statt ihm zu antworten.
Irritiert sah sie zu, wie er die Blume vor einem großen, teilweise zugewachsenen Stein legte.
Für einen Moment glaubte Rina einen Schemen bei diesem Stein zu sehen, doch ihr Kopf schmerzte so sehr, dass sie die Augen zukneifen und sich von der Sonne abwenden musste. Sie stieß ein leises Stöhnen aus, was Deamon dazu veranlasste, zu ihr zu sehen.
Er musterte sie eingängig. »Hast du dich verlaufen? Hier kommt normalweise niemand her.«
Rina nickte lediglich, während sie darauf wartete, dass sie Ärger bekam.
Deamon trat vor sie und blickte auf sie hinab, was Rina erneut in ihrer Bewegung erstarren ließ. Ihr Herz klopfte aufgeregt und die Panik rann ihr wie heißes Öl durch die Adern. Was würde er jetzt tun?
»Du siehst etwas besser aus«, bemerkte er und musterte ihre Haare. Waren sie in den wenigen Tagen gewachsen oder bildete er sich das nur ein?
Rina presste die Lippen zusammen, um ihren Gefühlen irgendwie Ausdruck zu verleihen.
Interessierte er sich wirklich für sie und was sollte heißen besser? War sie vorher hässlich, oder sowas? Sie verstand ihn einfach nicht.
»W-Warum seid Ihr so ...«, setzte sie an, konnte den Satz aber nicht zu Ende bringen. Fürsorglich im Zusammenhang mit einem Vampir passte nicht in ihr Weltbild.
Deamon musterte sie abwartend, darauf, dass sie ihren Satz zu Ende brachte. Als sie das nicht tat, versuchte er zu erraten, was sie wollte. Was ihm nicht gerade leicht fiel. Woran sie dachte, wenn sie ihn sah? Ihr Herz klopfte so laut, dass ihr Blut nur noch anziehenden pulsierte. »Furchteinflößend?«, fragte er, denn die Angst konnte er definitiv nicht leugnen.
Rina schüttelte leicht den Kopf. »Das ... Meine ich nicht«, sagte sie, auch wenn es stimmte. Sie fand ihm durchaus furchteinflößen, aber das war nicht, worauf sie hinauswollte.
Deamon musterte sie weiter. »Aufdringlich?«, fragte er weiter, denn er wollte nicht aufgeben und herausfinden, was sie dachte.
Es fiel ihm noch immer schwer in ihrer Nähe zu sein, denn ihr Duft war zu verlockend. Allerdings wollte er sie kennenlernen, damit er sie nicht mehr als anziehenden Duft betrachtete und sich vielleicht besser zurückhalten konnte.
Erneut schüttelte Rina den Kopf, bevor sie Mut fasste. Es schien ihm wichtig zu wissen, was sie dachte, warum sonst fragte er nach? »Ich meine ... warum ist es Euch wichtig, dass ich ... gut versorgt werde?«, fragte sie leise. So ähnlich hatte es Asatra klingen lassen, auch wenn sie sich unsicher war, ob das stimmte. Vielleicht war ihre Wortwahl falsch oder sie bildete sich nur etwas ein.
Deamon stieß die Luft aus. »Hast du eine Borstellung davon, wie du aussiehst?«, fragte er aufgebracht und ließ Rina Aufsehen.
Er hatte sich sogar abgewandt und stapfte verärgert umher.
»Tut mir leid, dass ich hässlich bin«, rutschte es aus ihr heraus und sie konnte den missbilligenden Tonfall in ihrer Stimme nicht kontrollieren. Sofort bereute sie es. Normalerweise hatte sie sich besser unter Kontrolle. Immerhin hatte sie im Kloster gelernt dankbar und unterwürfig zu sein.
Deamon hielt inne und wandte ihr den Kopf zu. Nur kurz erhaschen er einen Blick auf ihren Ausdruck. War das Verärgerung und meinte sie diesen Kommentar ernst? Dachte sie wirklich, dass sie hässlich war? Wie konnte sie das nur denken?
»Du bist nichts weiter als Haut und Knochen. Als hätte man dich absichtlich tagelang hungern lassen, dass du sofort wegstirbst, sobald du hier bist«, knurrte er, weil die Wut auf Leute die anderen so etwas antaten, wuchs. Er konnte nicht verstehen, wie ein Mensch einem anderen dadurch antun konnte. An Vampire dachte er dabei nicht, denn diese verstand er sowieso nicht.
Rina blickte blinzelnd auf. »Man hat mich nicht hungern lassen«, dementierte sie sofort und klang sogar ein wenig verärgert.
Deamon hob eine Augenbraue. Das konnte er ihr nicht glauben. »Dann hat man dich anderweitig vernachlässigt. Du siehst aus wie einer der befreiten Sklaven«, sagte er entschieden und beobachtete, wie sie ihre Hand zur Faust ballte.
»Ich bin meine Sklaven!«, rief sie aufgebracht. »Ich bin eine Novizin der weißen Raben.« Zumindest wäre sie das, wenn man sie nicht weggeschnappt hätte.
Ohr Kommentar machte Deamon allerdings nur noch wütender. »Wenn diese Vereinigung ihre Novizen so behandelt, gehört sie niedergebrannt«, fuhr er sie an.
Seine verärgerte Stimme ließ Rina erschaudern. Wieso war er so wütend? Gerade eben hatte er doch noch so ruhig gewirkt?
Allerdings stachelte das nur ihre eigenen Emotionen an. »Ihr seid ein Vampir! Ihr wisst doch überhaupt nichts über uns Menschen«, fauchte sie in einem Anflug von Frustration.
»Ihr seid schwach. Man sollte sich um euch kümmern. Das ist dir Aufgabe dieser verwahrlosten Flohtölen oder haben sie das über sie Jahrhunderte vergessen?«, brüllte er zurück, wobei er seinen Ärger so viel Lift machte, dass die Magie in der Luft knisterte.
Er bereute es sofort, denn selbst die Menschen, die lange bei ihm lebten, fürchteten sich davor und dabei wollte er Rina nicht ängstigen. Er hatte nicht so aus der Haut fahren wollen, doch das alles machte ihn wirklich aggressiv und sie bekam es jetzt ab.
Allerdings reagierte Rina nicht ansatzweise so, wie er erwartet hatte. Im Gegenteil. Sie sprang auf und blickte ihn wütend an. »Nenn sie nicht so! Die Werwölfe sind unsere Beschützer. Sie kümmern sich sehr gut um uns und sie beschützen uns«, schrie sie zurück.
Eine Reaktion, die Deamon so verwirrte, dass er für einen Moment ruhig wurde und schwieg.
Stille breitete sich zwischen ihnen aus, was Rina ihre Reaktion bereuen ließ.
Jetzt hatte sie ihn vermutlich richtig verärgert. Warum hatte sie sich auch so wenig im Griff?
Was, wenn er sie jetzt dafür bestrafte?
»Es tut mir leid«, murmelte Rina kleinlaut, um Schadensbegrenzung zu betreiben.
Sie senkte den Kopf und wollte sich demütig verneigen, wie sie es zuhause gemacht hätte, als ein Schwindelanfall sie packte.
Sie gab sich Mühe nichts zu zeigen, denn dann würde sie es nur schlimmer machen. Sie hatte schon oft Ärger dafür bekommen vorzuspielen, dass sie krank war, um der Strafe zu entgehen.
Allerdings reagierte der Vampir nicht, wie sie erwartet hatte.
Er griff nach ihr und kurz darauf verschwamm ihre Sicht.
Rina quietschte erschrocken und fand sich dann in Deamons Armen wieder. »Du bricht ja gleich zusammen«, sagte er durch zusammengebissene Zähne. »Du hast aber auch eine ganz schöne Strecke zurückgelegt, wenn du von der Küche hierhergekommen bist.«
Rina fragte sich, woher er wusste, dass sie vorher in der gewesen war. Hatte er sie vielleicht gesucht?
Nein, wieso sollte er das tun?
Als Rina hochblickte, bemerkte sie erst, dass sie ihm sehr nah war. Sie hatte angenommen, er hätte sie auf die Bank gehoben, doch sie lag in seinen Armen.
Panik durchsuchte sie. Sie war seinen Zähnen so nah! Würde er jetzt von ihr trinken?
Angsterfüllt kniff sie die Augen zusammen, während sich ihr Atem beschleunigte.
»Jetzt hast du wieder Angst. Gerade hattest du doch noch so eine große Klappe«, bemerkte Deamon belustigt.
In Rinas Kehle stieg ein Wimmern auf, das sie jedoch unterdrückte. Dennoch war ihre Stimme brüchig. »Bitte bestraft mich nicht«, brachte sie irgendwie hervor.
Deamon hob lediglich eine Augenbraue, während er das Bündel in seinen Armen musterte. Allein, dass sie glaubte bestraft zu werden, sagte ihm viel mehr, als sie vermutlich glaubte.
»Wenn du brav bist, werde ich dich nicht bestrafen«, sagte er entschieden, bevor er sich in Bewegung setzte.
Rina versteifte sich. Was sollte denn heißen, wenn sie brav war? Wenn sie ihn von sich trinken ließ? Wenn sie sich nicht wehrte?
Sie wusste nicht, was er meinte und das machte ihr noch mehr Angst, als die Tatsache, dass er sie bestrafen würde.
Unwohl versuchte Rina zu ignorieren, dass er sie in seinen Armen durch das Schloss trug. Sie begegneten kaum jemanden, was Rina überraschte. Sie hatte angenommen hier war mehr los. Aber es wirkte die meiste Zeit einfach komplett ruhig und leer.
Daher fragte sie sich auch, ob es Zufall war, dass Deamon sie gefunden hatte. Angelica hatte sie in dem Garten geführt. Ohne ihre Hilfe hätte sie ihn gar nicht gefunden.
»Wo bringst du mich hin?«, fragte Rina leise, denn sie hatte schon wieder die Orientierung verloren. Nicht, dass sie generell wusste, wo sie gewesen waren.
»In die Küche«, erwiderte Deamon mit ruhiger Stimme.
Rina runzelte die Stirn. Warum sollte er sie dorthin bringen? Sie hatte eher damit gerechnet, dass er sie wieder in ihr Zimmer schleppte und vielleicht einsperrte. Ihr war es generell ein Rätsel, warum er sie trug. Sie wurde aus ihm einfach nicht schlau.
Schließlich trat er tatsächlich in die Küche. Diese erkannte Rina wieder, weil Asatra und Selina in ihr standen. Den Flur zu dieser hätte sie nie als diesen identifiziert. Dazu sah einfach alles zu gleich aus.
»Lord Deamon«, wurde er sofort von der alten Dame begrüßt. Sie wirkte zwar nicht, als könnte sie ihn richtig sehen, doch erkannte sie ihn dennoch.
Deamon war sich da nicht so sicher, weshalb er beobachtete, wie Asatra Rina einen großen Teller mit gebratenem Schwein, einen kleinen Teller mit Gemüse und eine Schüssel mit Reis hinstellte.
Das alles waren Dinge, die hier auf der Insel gut zu finden waren. Wildschweine vermehrten sich überraschend schnell und das Gemüse zogen sie in ihrem eigenen Garten. Reis hatte seine Mutter damals hier angebaut, nachdem der Fisch nicht mehr so leicht zu fangen war.
Obwohl der Fisch mittlerweile zurückgekehrt war und Deamon stark davon ausging, dass sein Vater die Hände im Spiel hatte, wollte er doch nicht auf die anderen Nahrungsmittel verzichten. Sie waren unerlässlich drin, wenn es darum ging, den Menschen eine ausgewogene Ernährung zu bieten. Wie er nur zu genau wusste, konnte das nicht nur den Geschmack des Blutes beeinflussen, sondern auch die Gesundheit.
Deamon beobachtete, wie Rina das Essen betrachtete. Ihr Magen knurrte und doch griff sie nicht gleich nach der Gabel.
Ihre Gedanken kreisten, denn sie wusste nicht recht, was sie jetzt tun sollte. Deamon hatte gesagt, er würde sie nicht bestrafen, wenn sie brav war, doch er hatte auch nicht gesagt, was er damit meinte, und jetzt setzte er ihr das Essen vor.
Sollte sie es annehmen oder ablehnen? Was erwartete er von ihr?
Der Duft des Schweins drang ihr in die Nase und ließ ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen. Dabei war es noch gar nicht so lange her, dass sie das letzte Mal gegessen hatte. Nahm sie damit anderen die Mahlzeiten weg? Konnte sie ohne schlechtes Gewissen essen?
Rina machte sich etwas Sorge, dass etwas im Essen war, doch warum sollte Deamon das tun? Wenn er ihr Blut wollte, brauchte er diese Mittel nicht, oder?
Zögerlich griff sie nach der Gabel, während sie versuchte, Deamons Gegenwart auszublenden. Es störte sie sehr, dass er hinter ihr stand und sie anstarrte. Sie wusste nicht damit umzugehen. Konnte er sich nicht wenigstens hinsetzen?
Rina kämpfte gegen ihr Unwohlsein an, sodass sie beginnen konnte, zu essen.
Als Deamon das sah, lächelte er zufrieden, während er um sie herumging und sich ihr gegenüber niederließ. Dabei beobachtete er sie.
Rina war niedlich, das war ihm schon von Anfang an aufgefallen. Allerdings hieß das auch, dass sie vermutlich zu jung war. Dabei gab es die Regel, dass keine Kinder geopfert wurden. Der Mensch musste mindestens 18 Jahre alt sein. So war der Vertrag damals ausgehandelt wurden. Ob sie das wusste? Was wussten die Menschen generell über den Vertrag, oder hatten die Werwölfe ihnen nichts davon erzählt?
Deamon bemerkte, wie Rina die Gabel zurücklegte, obwohl der Teller noch immer gefüllt war.
Er wollte schon etwas sagen, als sie den Blick hob. Ihre wunderschönen, karamellfarbenen Augen bohrten sich in seine. Mut, aber auch ein wenig Angst flackerte in ihnen. »Wieso bin ich hier?«, fragte sie und klang dabei, als hätte sie all ihren Mut zusammengenommen.
Was auch so wahr, denn obwohl Rina sich äußerlich ruhig und gefangen gab, zitterte sie innerlich. Sie hatte nicht nur Angst vor der Antwort, sondern auch davor, was das mit ihrer Welt machen würde.
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