3. Der Junge mit den leeren Augen
Die schwarze Gestalt kam immer näher. Nah. Sie hielt etwas in der Hand. Es war klein und zart. Eine Puppe. Das dunkelblonde Haar offen und man konnte einen dunklen Jeansrock und eine türkise Bluse mit kleinen Blümchen darauf, erkennen. Das Gesicht der Puppe war braungebrannt und man konnte trotz des kleinen Formats, die hellgrünen Augen erkennen. Diese Puppe war ein Ebenbild meiner selbst. Sollte das eine Warnung sein? Oder war es schon zu spät. Wie aus dem nichts hörte ich ein Lachen. Sein Lachen. Es war metallisch und irgendwie rau. Die Gestalt zog eine Hand aus dem mit der Umgebung verschmelzendem, schwarzen Umhang hervor. Sie wollte mich packen. Meine Gliedmaßen waren verkrampft und so konnte ich nicht wegrennen. Kurz bevor er mich berührte ertönte ein Geschrei. Wütend und gellend so das die Gestalt zurückschreckte und sich die Ohren zuhielt. Wie ein Geier flog der Junge auf die Gestalt zu. Ich atmete kurz und für einen Bruchteil einer Sekunde sah ich etwas, dass mich irritierte. Es waren die Augen des Jungen, welche, wie soll ich sagen keine Farbe hatten. Zumindest die Iris war irgendwie ein Nichts. So dass man nichts sehen konnte. Man fühlte sich blind und leer. Im nächsten Moment waren sie verschwunden. Und mit ihnen die zwei Gestalten.
Ich wachte auf. Doch irgendwie hatte sich dieser Traum nicht wirklich wie ein Traum angefühlt.Die Augen des Jungens, waren so leer und unheimlich gewesen, dass es mir jetzt noch, in der wunderschönen Morgensonne, kalt den Rücken hinunterlief. Mein Traum oder besser diese „Vision" hielt mich etwas zu lange im Bett, sodass ich mich beeilen musste. Meine Eltern waren nicht da, vermutlich auf der Polizei Wache unseres kleinen Dorfes. Das Frühstück ließ ich aus, im Flur stellte ich mich noch einmal vor den Spiegel. Ich trug meine Schuluniform, welche aus einem weißem Hemd, einer Strickjacke und einem grauen Faltenrock bestanden. Die Wollstrümpfe waren ein wenig dreckig, doch die schwarzen Lackschuhe glänzten wie eh und je. Alle Mädchen trugen diese Kleidung, das einzige was anders war, waren unsere Frisuren und Schultaschen. Früher hatte ich diese Uniform gemocht, doch jetzt hasste ich sie. Normalerweise stünde Charlie neben mir. „Du siehst gut aus, kleine Schwester!", würde er sagen, dabei sah er immer am besten aus, in der Hose und dem Hemd. Er hatte immer kleine Schwester zu mir gesagt, dabei war er nicht im geringsten mit mir verwandt. Mama und Papa haben Charlie adoptiert, weil sie dachten meine Mutter könnte keine Kinder bekommen. Sie hatte viel geweint damals, doch dann war mein Vater auf die Idee gekommen ein Kind zu adoptieren. Charlie wurde älter und als er drei Jahre alt war, passierte was niemand für möglich gehalten hatte. Meine Mutter war schwanger gewesen. Trotz dieses Glücks stand kein guter Stern über mir. Der Arzt meinte, ich würde vermutlich noch im Bauch sterben, da ich viel zu schwach war. Das war ein harter Schlag für alle. Jeder einzelne hatte mich insgeheim schon aufgegeben, jeder außer Charlie. Jeden Tag ging er zu meiner Mutter und, ja er redete mit mir. Vielleicht war das der Auslöser dafür, dass ich überlebte. Ich wurde geboren, ohne jegliche Komplikationen. Charlie liebte mich, er freute sich so sehr eine kleine Schwester zu haben, dass er, wie meine Mutter immer mit lautem Lachen erzählte, durch das ganze kleine Krankenhaus gelaufen war und alle Menschen die er traf, umarmte. Ich schluckte, der Gedanken an ihn löste ein Gefühl in mir aus welches jeden Engel weinen lassen würde. „Ahhhhhhhhhhhhh!", ich schrie. Ich war so wütend. So wütend.Ich rannte, die Stufen glitten unter meinen Füßen hinweg. Die Kleider wechselten sich wie von Zauberhand und die Schere landete in meinen Händen ohne das ich es durch meinen Tränenschleier hindurch gesehen hätte. Kleine Strähnen aus Regen und Wut segelten in Richtung Boden. Ein Teppich aus Verzweiflung und Trauer bedeckte den wahren Teppich und hinterließ ein Gefühl der Befreiung. Ich renne, immer weiter und schneller. Diesmal bleibe ich nicht vor dem Spiegel stehen, sondern renne aus dem Haus. Das alte Fahrrad ist rostig und der Lack ist nur noch schemenhaft zu erkennen. Normalerweis e saß ich auf dem Gepäckträger und Charlie radelte doch nun sprang ich auf und trat kräftig in die Pedale. Ja, jetzt war aus dem schwachen Baby ein großes starkes Mädchen geworden. Meine langen Beine waren verschmutzt und voller Beulen als ich endlich in der Schule ankam. Ich blieb kurz stehen um zu verschnaufen, als mich jemand von hinten ansprach: „ Guten Tag, wo finde ich den die Klassen?", er war groß und sah ziemlich stark aus und doch war er so unauffällig. Hinter ihm stand noch jemand, der mir irgendwie bekannt vorkam, die Schwarzen Haare zu einem Zopf gebunden. „Äh, also genauer gesagt gibt es hier nur eine Klasse.", antworte ich ein bisschen verwundert über die Unkenntnisse meines Gegenübers. Er nickte und die beiden gingen einfach an mir vorbei. Ich drehe mich um und gehe ebenfalls in das Gebäude. Die Fremden waren nirgends zu sehen. Ich betrat mein Klassenzimmer und dort stand der Junge. Er sah zu Boden. Alle anderen Augenpaare sahen jedoch auf mich. Wegen des Fremden hatte ich gar nicht mehr an mein Aussehen gedacht. Meinen Klassenkameraden war das Entsetzen und die Verblüffung, mehr als nur ins Gesicht geschrieben. Ich setzte mich breitbeinig hin, was bei den Mädchen einen quieken hervorrief. Charlies Hose war groß, sodass meine dünnen Beine sehr viel Freiraum hatten. Mit einer eleganten Handbewegung warf ich meine neue Bobfrisur hinter meine Ohren. Unser Lehrer trat ein und sah noch müder und erschöpfter aus als eh schon immer. Als sein Blick auf den neuen Jungen viel, gefror ihm das Blut in den Adern. Seine Hände zitterten und eine Ader an seiner Schläfe pochte. Kurz zögerte er noch, dann fasste er sich und flüsterte: „ Setz dich! Neben...am besten neben... Selma.", er zeigte auf mich. Der Junge drehte sich zu mir und setze sich auf den Platz. Ich sah in an. Er war so dunkel. „Hey, ich bin Selma und wie heißt du?", er drehte sich zu mir und sagte: „Tobias", dabei sah er mir direkt in die Augen. Jetzt sah ich sie, die Leere, dieses Nichts und diese Farblosigkeit. Die Augen ohne Farbe.
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