2. Die Puppe

Vielleicht war es der harte Steinboden, die Kälte oder aber das Röcheln und Husten. Weiße Flecken zogen an meinem Auge vorüber, leises Flüstern wechselte sich mit der Stille ab. Wieder husten. Ich schlug meine Augen auf. Meine Eltern mit Petroleumlampen, standen inmitten des Zimmers. Ihre Gesichter wurden von dem gelblichen Schein erhellt und so konnte ich die Angst sehen, welche beiden ins Gesicht geschrieben stand. Und da war noch jemand, dessen Gesicht vom Schein erhellt wurde. Charlie. Er war blass. Eigentlich ganz normal, er war ja immer ziemlich blass, deshalb hatte man auch immer die vielen kleinen Sommersprossen auf seinem Gesicht zählen können. Seine roten Haare waren ein Pferdeschwanz, den ich manchmal Fuchsschwanz nannte. Doch jetzt lag da nicht mein geliebter Bruder und bester Freund, nein jetzt lag da etwas das ich nicht als ihn erkennen wollte oder besser konnte. Auf dem großen und meiner Meinung nach ein ziemlich hässlichen Sofa, lag eine Puppe.
Sie war klein, nicht einmal so groß wie mein kleiner Finger. Ich hatte so etwas bereits irgendwo einmal gesehen. Doch das war es nicht was mich irritierte, es war etwas anderes. Die Ähnlichkeit. Es bestand eine so genaue Ähnlichkeit, das es mir einen Schauer den Rücken hinunter jagte. Ich sprach aus was meine Eltern dachten jedoch nicht über Lippen brachten. „Die...die Puppe... sieht aus wie... wie... Charlie!", meine Zunge lag wie eine dicke Kröte in meinem Mund. Die Hellgrünen Augen, das feuerrote Haar, der Pulli, und die Jeans mit dem Flicken über dem Knie, das alles war Charlie. Sogar die Stupsnase und das weich Kinn! Alles stimmte. Alles! Ohne das es mir aufgefallen war, flossen mir die Tränen über das Gesicht. Den Rest der Nacht starrte ich ins Feuer. Die Wärme umgab mich. Doch in meinem Inneren ganz tief, war es kalt, so kalt. Hinter mir liefen die Dinge weiter, doch in mir, war die Zeit stehen geblieben. Meine innere Uhr hatte aufgehört zu ticken. Die Polizisten kamen und gingen. Meine Eltern weinten. Ich konnte nicht.
Ich hatte meine Finger in den Teppich gekrallt. Warum? Wie hatte das passieren können? Ich hatte doch daneben gelegen. Die Flammen bewegten sich im Takt zu einer Melodie. Eine Stimme sang. Leise. Die Flammen wiegten sich dazu. Ich schloss die Augen. Die Stimme sang weiter. Meine Welt, meine heile Welt stand in Flammen, doch das Feuer wärmte mich.
Ich ging zur Schule. Hätte ich es nicht getan wäre ich vermutlich in einen tiefen Schlaf der Verzweiflung gefallen und nie wieder aufgewacht. Tagsüber musste man keine Angst haben und doch war niemand auf den Straßen unterwegs.Der Himmel war tiefblau und die Sonne schien warm auf mich hinunter. Ich befand mich jedoch nicht in dieser Kleinstadt. Nicht in diesem Land oder in dieser Galaxie. Mein lebloser Körper lief über den Marktplatz während mein Geist in einem Paralleluniversum versank.
Das Backsteingebäude war wunderschön, doch das merkte ich nicht. Im Klassenzimmer angekommen saß ich wie ein Schluck Wasser auf meinem Stuhl. Meine Augen ruhten auf der Tafel doch alles was gerade war, erschien mir schief. Unser Lehrer kam hinein und sah mit erschöpften und Sorgen verzertem Gesicht in das Grüppchen ausgemergelter Jugendlicher mit trüben und leeren Gesichtern. Sie alle wussten was vorgefallen war, es sprach sich schnell herum. Mit dieser Tat hatte der Täter es geschafft, unserer Klasse auch das letzte Lächeln zu entziehen. An Unterricht, war nicht zu denken. Und so verließen die fünf Schüler nach und nach den Klassenraum. Auch ich. Ich hatte es nicht eilig, ich war gleichgültig. Ich legte mich auf eine Wiese und sah einer einzelnen schneeweißen Wolke hinterher. So einsam wie sie fühlte ich mich auch.
Charlie und ich rennen durch die Felder, wir schreien vor Freude. Meine Mutter die mir erklärt das Charlie mein Bruder wird. Charlie trägt mich auf den Schultern, wir beide glücklich. Dann die Meldung im Radio. „Kleines Mädchen verschwunden.", auf diese Nachricht waren weitere gefolgt und alle klangen so ähnlich. Zeitungsartikel in denen Bilder von niedlich Kindern zu sehen waren. Irgendwann kamen auch Bilder älterer Jugendlicher .Die Gemeinsamkeiten waren das es immer zwischen sieben Uhr abends und sieben Uhr Morgens geschehen war und das an jedem Tatort eine kleine Sorgenpuppe hinterlassen wurde. Von dem Tag an als mehrere Kinder am Tag geraubt wurden, führte man Regeln ein. Schule war keine Pflicht Veranstaltung mehr, Ausgangssperre führ Kinder unter 18 von sechs Uhr abends bis um acht Uhr morgens. Anfangs freuten wir uns, da wir keine Hausaufgaben hatten und den ganzen Tag tun und lassen durften, was wir wollten. Doch der Ernst der Lage wurde uns schneller bewusst als gedacht.Durch diese Trostlosigkeit und Verzweiflung wurden wir blass und eigenwillig still. Charlie hatte trotzdem immer gelächelt und mir das Leben so einfach gemacht. Doch ohne ihn, war ich leer. Wie ausgehüllt. Ich musste ihn finden, egal was es kostete. Das klang irgendwie Heldenhaft doch ich fühlte mich verloren. Ich sah auf das Schulgebäude. Die Fenster waren schwarz. Irgendetwas störte mich. Und zwar gewaltig. Hätte ich damals begriffen, hätte ich einiges verhindert das weiß ich jetzt doch damals hatte ich die kleinen Puppen in einem der oberen Fenster nicht entdeckt. Die Linke hätte mir gefallen, klein mit Sommersprossen und rotem Pferdeschwanz.

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