Samstag, 23.11.1878

Der Klang des Schreis fuhr durch meinen ganzen Körper und ließ mir die Haare zu Berge stehen. Ich traute mich nicht zu atmen und wollte aufwachen, was mir dann irgendwie auch gelang.

Ich öffnete die Augen und sah nichts als Dunkelheit. Das beruhigte mich einerseits, aber andererseits beunruhigte es mich auch.

Ich zwang mich, ruhig zu atmen und die Augen wieder zu schließen. Ich drehte mich langsam auf die Seite und zog mir die Decke bis über die Ohren.

Kurz bevor ich wieder wegdämmerte hörte ich wieder einen Schrei. Er hörte sich genau wie der an, den ich eben im Traum gehört hatte. Könnte es sein, dass ich den eben auch wirklich gehört hatte? Und warum schrie hier jemand so? Es war keine Stimme, die ich kannte.

Es war gut möglich, dass ich verrückt war.

Wieder kam ein Schrei, noch lauter als die anderen und er ging mir noch mehr durch Mark und Bein. Ich musste einschlafen. Irgendwie einschlafen und nicht aufwachen, bevor der Morgen graute.

Ich wollte auch Schreien, aber ich traute mich nicht. Ich hatte solche Angst, wie ich noch nie welche in meinem Leben gehabt hatte.

Ich wusste nicht genau, was ich noch alles fühlte. Unter der dicken Bettdecke war es gemütlich warm aber mir war dennoch kalt und ich fühlte mich wie versteinert. Ich traute mich immer noch nicht auch nur ein Glied meines Körpers zu bewegen.

So schlief ich irgendwann ein, aber ich schreckte immer wieder hoch, aber ich hörte danach keinen Schrei mehr. Vielleicht waren die Schreie zu einem Wimmern geworden und das konnte ich unmöglich bis in mein Zimmer hören.

Ich war müde. Ich konnte kaum die Augen aufhalten, als ich morgens am Frühstückstisch saß. Alle anderen sahen ausgeschlafen aus, aber trotzdem angespannt. Ich wollte ihnen am liebsten von den Schreien erzählen, aber ich wusste, dass das keine gute Idee war.

Annabeth war immerhin noch die Entspannteste, sie lächelte sogar zeitweise.

Ich aß nur kleine Bissen und schluckte kaum merklich. Ich konnte meine surrealen Erlebnisse von gestern Nacht nicht aus meinem Kopf verbannen. Es hatte echt gewirkt, aber je länger ich darüber nachdachte, desto öfter ich die Szene in meinem Kopf wiederholte, desto weiter rückte es in die Ferne als sei es nur ein Traum gewesen.

Ich war froh, als ich wieder auf dem Weg in mein Zimmer war, weil ich dort wieder Gelegenheit haben würde, mit Florence zu reden.

Ich wünschte mir absurderweise nicht, wieder nach Hause zu können, ich wünschte mir einfach nur die Dinge hier besser zu verstehen. Ich war von Anfang an für einen vollkommenen Wechsel meines Lebens gewesen. Vielleicht lag etwas in der Luft, das mir nicht gefiel und meinem Unterbewusstsein etwas meldete, aber müsste ich dann nicht etwas merken?

Ich war so in Gedanken versunken, dass ich gar nicht bemerkte, wie James hinter mir herlief. Ich vermutete zumindest, dass er es getan hatte, denn plötzlich hörte ich seine Stimme hinter mir.

„Evelyn, du siehst nicht gut aus", sagte er einfach so.

Ich drehte mich um und sah ihm direkt in die Augen. Warme Augen. Vertrauenswürdige Augen. Sich sorgende Augen.

„Ich hatte eine unruhige Nacht. Das ist alles." Ich erwähnte nicht, dass hier alles nicht so zuging wie andernorts. Das brauchte ich gar nicht. „Ich hätte jetzt gerne einfach etwas Zeit für mich."

 „Du musst stark bleiben", sagte James leise bevor er sich umdrehte und zu seinem Zimmer ging.

Sollte einer aus ihm schlau werden. Ich überlegte für eine Sekunde lang, ob ich noch weiter mit ihm reden sollte, aber ich beschloss doch, es zu lassen.  Jetzt war nicht der richtige Moment dafür.

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