Montag, 23.06.1879
Ich fragte mich, wie ich es fertiggebracht hatte, ein ganzes Wochenende lang weder mit James noch mit Theodore zu reden, doch nach der unangenehmen, aber glücklicherweise kurzen Konversation zu dritt, hatte ich beide meiden wollen und das anscheinend mit Erfolg. Allerdings lag dieser eher darin begründet, dass die beiden in den vergangenen drei Tagen äußerst beschäftigt gewesen waren und ich so gar nicht erst in ihre Nähe gekommen war. Sogar die Mahlzeiten hatten sie separat eingenommen, wodurch ich einige steife Unterhaltungen mit Lady Elizabeth hatte führen müssen, doch diese waren so belanglos gewesen, dass ich es durchaus verkraften konnte.
Es war auch sie, die mir mitteilte, dass James die Woche über nach London reisen würde, da er unmöglich den gesamten Sommer hier verschwenden konnte und sein Vater ihn brauchte. Ich vermutete eher, dass er sich vor seinem Vater beweisen sollte und einer letzten Maßregelung bedurfte, doch über diese Überlegungen schwieg ich.
Als ich am Montagmorgen aufstand, war James schon längst abgereist und ich hatte mich darauf eingestellt, mit Elizabeth und den Angestellten alleine zu sein, doch es war Theodore, dem ich als erstes begegnete.
„Du bist noch hier?", überstürzte ich es mit einer ungenierten Frage, die beinah vorwurfsvoll klang.
„Es war nie vorgesehen, dass ich James begleite", erwiderte Theo betont gelassen. „Sie haben es immer noch nicht aufgegeben, Anna bestrafen zu wollen."
„Und so bestrafen sie eher dich, möchtest du damit ausdrücken?", hakte ich nach, einfach, weil ich es mir nicht verkneifen konnte.
Er zuckte mit den Schultern, immer noch herzlich unbeeindruckt davon, welche privaten Grenzen ich gerade überschritt. „Darüber denkt niemand nach und ich denke du verstehst, dass ich nicht einfach Anspruch auf sie erheben kann."
„Nun, ihre Verlobung hat sich in Luft aufgelöst...", versuchte ich mich an ein paar aufmunternden Worten.
„Und irgendwann wird die nächste kommen, dessen können wir uns sicher sein." Er seufzte. „Im Zweifelsfall macht Jonathan von seinem Geldbeutel Gebrauch, obwohl das wahrscheinlich nicht einmal nötig sein wird."
Wir standen hier mitten auf dem Flur und unsere Konversation begann, sich in Themengebiete zu begeben, die normalerweise nur hinter verschlossenen Türen und vorgehaltener Hand besprochen wurden. Das hier war ein Moment, in dem Theodore und ich nicht dem Einfluss der Hamiltons unterstanden wie wir es sonst taten, doch vielleicht machte es auch nur für mich einen Unterschied aus. Ich sollte es wirklich ausnutzen, um das zu erfahren, was mir sonst verborgen bliebe. Und da ich gerade niemand anderen in unserer Nähe wahrnehmen konnte, ließ ich mich auf das Gespräch ein.
„Das klingt so, als besäße er viel Macht, die ohne jedwede Bedingung daherkäme. Kommt das allein dadurch, dass er Teil dieses ominösen Rates ist, über den niemand hier zu sprechen wagt?"
„Seit wann bist du so neugierig?", zog Theodore mich daraufhin spottend auf, lenkte aber dennoch schnell wieder ein, indem er mir meine Frage beantwortete. „Ich denke unter anderem ja. Ich habe wirklich nie versucht, die Strukturen zu verstehen, nach denen diese Gesellschaft hier funktioniert, sondern habe immer nur versucht, mich zurechtzufinden und mir meinen eigenen Platz zu suchen und das habe ich geschafft. Nichtsdestotrotz erfahre ich nie alles und genau da liegt auch für viele andere das Problem. Uns werden Informationen vorenthalten und somit auch unser volles Mitspracherecht. Jonathan weiß alles, zumindest nehmen wir das an, und darin besteht seine Macht. Bloß weil seine Tochter über die Stränge geschlagen ist, wird seine Position nicht direkt angezweifelt. Es wird dauern, aber er wird eine neue Partie für Anna finden, ohne großartig verhandeln zu müssen und selbst wenn, hat er das nötige Talent es doch zu tun."
Theodore verfügte über das Wissen, das ich ebenfalls besitzen wollte. Ich hatte das schon geahnt und schließlich war es ein nicht gerade geringer Faktor bei meiner Entscheidung gewesen, ihm langsam näherzukommen, doch ich hatte nicht geahnt, dass es so weitreichend war, auch wenn er selbst sicherlich das Gegenteil behauptete. Auch mochte er spekulieren, aber allein, dass er in der Lage war, das zu tun, machte ihn zu einer wichtigen Informationsquelle für mich.
Allerdings war er wieder auf Annabeth zurückgekommen. Das war nur verständlich, doch es hinderte mich daran, ihn einfach so weiter auszufragen, denn ich wollte es mir nicht erlauben, seine Belange einfach so zu übergehen. Dann würde unsere Beziehung so zerrüttet enden wie die meine mit James. Außerdem konnte ich nicht sagen, wie oft genau meine Mutter mir eingebläut hatte, wie wichtig es war, sein Gegenüber zu Wort kommen zu lassen und sich nicht übergangen zu fühlen. Und es war falsch, das hier zwischen Tür und Angel zu tun.
„Ich verstehe", meinte ich deswegen nur.
Theodore verstand anscheinend ebenfalls. „Wir haben nachher und die nächsten Tage noch genug Zeit, um darüber zu reden. Ich verspreche, dir nichts vorzuenthalten, wenn du mir ebenfalls nichts vorenthältst. Anna hat das zwar geschafft, aber ich wusste die ganze Zeit über, dass sie es tut, so unauffällig sie sich auch verhalten hat."
Es musste sich wohl ein äußerst erstaunter Ausdruck auf meinem Gesicht abbilden, denn ein kleines, schelmisches Lächeln zog sich über Theos Gesicht. Er schien wirklich immer noch Gefallen daran zu finden, mich leiden zu sehen.
Da mir keine schlagfertige Antwort einfiel und ich mich nicht allein wegen ihm zu einer solchen hinreißen lassen wollte, ging ich einfach weiter und brach unsere Unterhaltung auf diese Art und Weise ab. Diese Taktik hatte am Freitag schließlich auch funktioniert. Bloß, dass ich mir dieses Mal wünschte, dass das Schweigen keine drei Tage andauern würde, denn ich wollte wirklich mehr über das Schaffen der Bluttrinker in Erfahrung bringen, wenn mir sonst schon nichts anderes blieb.
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