Montag, 21.04.1879
Die kursierenden Gerüchte schienen nun abgeflacht zu sein, denn das gesellschaftliche Leben der Hamiltons nahm nun wieder erkennbare Züge an. Auch wenn weder Lady Elizabeth noch Lord Jonathan je zugeben würden, dass sie ihr Verhalten in ihrem persönlichen Umfeld geändert hatten, war diese für mich im Nachhinein spürbar. Sie verbrachten beide mehr Zeit außer Hause und auch James und Annabeth traf man seltener zu Hause an. Sogar Theo begleitete den Lord das eine oder andere Mal, sodass meine teils freiwillig gewählte Isolation sich auch von allein ergab.
Ich vertrieb mir die Tage weiterhin mit Nichtstun und es war erschreckend, wie schnell ich mich daran gewöhnte. Es lag daran, dass mir ohnehin die Lust darauf fehlte, Freizeitaktivitäten nachzugehen. Wenn es jemanden gegeben hätte, mit dem ich eine anständige Konversation hätte führen kommen, wäre ich dem zwar wahrscheinlich nicht abgeneigt gewesen, aber es gab niemanden und selbst wenn ich mit Isabella hätte in Kontakt treten dürfen, hätte ich mich nach Arthur Carter-Heffleys Tod nicht mehr getraut, ihr unter die Augen zu treten.
So schnell man sich aber auch daran gewöhnte, soziale Interaktionen zu meiden und sich in sich selbst zurückzuziehen, genauso plötzlich musste man diese Angewohnheit wieder loswerden, wenn die Wirklichkeit einen rief. Dies geschah schneller als ich vermutet hatte.
Die Hamiltons waren Freunde großer Ankündigungen während der Mahlzeiten. Es war zwar am Abendtisch, als Lady Elizabeth uns ihre Neuigkeit mitteilte, jedoch geschah es mehr als beiläufig, dass sie erwähnte, dass eine gute Freundin von ihr uns am Wochenende beehren würde und auch ihre Nächte hier verbringen würde. Sie reiste aus Edinburgh an, da sie einen Schotten geheiratet hatte und brachte einen zwölfjährigen Sohn mit.
„All der Tratsch, der in den letzten Wochen über uns verbreitet wurde, ist nicht bis zu ihr vorgedrungen und es wäre in unser aller Vorteil, wenn es weiterhin so bleiben würde. Es gefällt mir nicht, es vor ihr zu verheimlichen, aber, wenn wir über die Stadtgrenzen in Verruf geraten, waren alle Unternehmungen umsonst."
Sie schien ihre Worte explizit an mich zu richten, auch wenn sie ihren Blick über den gesamten Tisch streifen ließ und das Verständnis jedes einzelnen prüfte. Dennoch war eindeutig ich es, die mit ihrem Verhalten in ihren Augen schon so viel ruiniert hatte, da sollte eine echte Freundschaft wohl nicht auch noch zerbrechen, wie der schöne Schein es schon getan hatte.
Und um alte Gewohnheiten jetzt schon wieder zurück in mein Gedächtnis zu rufen, sagte ich: „Ich freue mich jetzt schon darauf, Ihre Freundin und ihre Familie kennenzulernen."
Früher war es mir besser gelungen, Interesse zu heucheln, wenn mir etwas nicht gefiel oder schlichtweg nicht interessierte. Jetzt hatte ich mich so gekünstelt angehört wie noch nie in meinem Leben. Unterstrichen wurde das Ganze von einem aufgesetzten Lächeln, das nicht besser sein konnte. Es wäre ein Wunder, wenn Elizabeth es nicht als eine Beleidigung ihrer Person auffassen würde und mich eher wegsperren würde, als mich ihrem Besuch zu präsentieren. Auch wenn sie zweifelsohne nicht schuldlos daran war, wie mein Benehmen sich entwickelt hatte.
„Sie sind wirklich ausgesprochen freundliche Menschen", versuchte Annabeth die Situation aufzulockern. „Wir haben sie wirklich lange nicht mehr gesehen und Charlotte hat bestimmt jede Menge zu erzählen. Es wird dir gefallen, Evelyn." Ihr aufgesetztes Lächeln saß perfekt oder vielleicht war es sogar echt und sie versuchte wirklich, mich zu ermuntern.
„Anna hat Recht", pflichtete überraschenderweise Theodore ihr bei. „Ich habe sie auch schon einmal getroffen und man kann nicht anders als sie zu mögen."
Sollte ich diese Aussagen wirklich als ein gutes Zeichen nehmen? Oder fühlten sich die beiden lediglich verpflichtet, mich nicht hilflos ertrinken zu lassen in den Anforderungen, die nun plötzlich wieder an mich gestellt wurden?
Da das Schweigen sich bis jetzt immer als am wirksamsten herauskristallisiert hatte, bediente ich mich diesem auch jetzt und schenkte den beiden nur ein kurzes Lächeln, das hoffentlich weniger angestrengt aussah als das vorherige.
Egal, welches fröhliche Zusammentreffen sie mir hier versprachen, es war sicher, dass es nicht so enden würde, wie es ursprünglich beabsichtigt war. Das war das ungeschriebene Gesetz, das im Hause Hamilton herrschte.
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