Montag, 09.06.1879
Es war Montag und merkte langsam, wie ich mich vom Blutverlust erholte. Es war frustrierend im Spiegel in mein eigenes Gesicht mit der fahlen Haut und den dunklen Augenringen zu blicken, die ich als Ausdruck der Mangelerscheinung sah, aber solang ich noch eine Besserung wahrnehmen konnte, war die Hoffnung noch nicht ganz verloren. Allerdings sagte Theodore mir auch an diesem Tag, wie blass ich doch sei und ich gab ihm dieselbe Bemerkung, denn auch seine Haut hätte keinen helleren Ton aufweisen können.
„Es gibt einen Unterschied, ob man blass ist, weil man sich nicht der Sonne aussetzt, die dieses Jahr eh kaum scheint oder ob zu wenig Blut durch deine Adern fließt"
„Das Problem ist doch, dass ich darauf keinen Einfluss nehmen kann, Theodore, und es rein gar nichts bewirkt, wenn du mich immer und immer wieder darauf hinweist", erwiderte ich trocken. Er machte es einem erstaunlich leicht, sich ihm gegenüber grantig und biestig zu verhalten.
„Tut mir leid", sagte er leise, auch wenn ich ahnte, dass er das nur so dahinsagte.
Wir mussten beide Kompromisse eingehen, wenn wir zueinander finden sollten und da wir noch am Anfang dieser Reise standen, fiel es uns beiden noch nicht sonderlich leicht. Dennoch hatten wir uns in den letzten Tagen bemüht und da es uns ohnehin an anderen Wegen uns zu beschäftigen mangelte, hatten wir häufig miteinander geredet, teils auch beim Schachspielen, für das Theodore gegen Ende einer Partie genauso wenig Konzentration aufbringen konnte wie ich.
„Ich kann keine Höflichkeit von dir erwarten, wenn ich selbst unfreundlich bin", gab ich auf seine Entschuldigung hin zurück. „Deswegen erwarte ich auch keine Rechtfertigung deinerseits."
„Und du lädst wieder einmal alles auf deine Schultern und versuchst meine Fehler in deinem Verhalten zu suchen, anstatt zu akzeptieren, dass ich eigentlich verdorben bin und es nicht mal leugne. Das hat Elizabeth zu mir gesagt und ich finde, sie hat Recht." Theo saß mir wieder im Bücherzimmer gegenüber, entspannt zurückgelehnt, während ich meine Haltung wahrte und immer wieder zur Tür sah, in der Angst, jemand könne hereinplatzen und unsere Zusammenkunft für ein konspiratives Treffen halten.
„Aber was wären wir, wenn wir uns nicht an gewisse Grundsätze halten?", versuchte ich meine Ansicht zu verteidigen, obwohl ich wusste, dass es zwecklos sein musste.
„So nobel es auch ist, sich so zu verhalten, wie die Gesellschaft, in der du gelebt hast, es von dir verlangt, es wird dir in dieser Gesellschaft nicht das Geringste bringen. Wenn es zum Kampf ums Überleben kommt, werden wir alle zu Tieren."
Ungläubig runzelte ich die Stirn. „Aber wir sind keine Tiere. Gott hat uns nach seinem Ebenbild geschaffen, um an seiner statt über die Schöpfung zu wachen."
Ein abfälliges Prusten drang aus Theodores Mund. „Gottes Ebenbild? Daran kann ich einfach nicht glauben und jeder, der einen Blick hinaus in die Welt geworfen hat, wird schnell bemerken, dass das alles nur leere Worte sind, damit die Menschen sich besser fühlen, überlegener, und auch ihr Ego befriedigen können."
„Ich habe nicht erwartet, dass du religiös bist, aber du könntest dem Glauben wenigstens mehr Respekt erweisen. Denn selbst, wenn das, was du sagst, stimmen sollte, kann der Glaube uns doch genau auf diese Weise helfen, besser und zivilisierter miteinander zu leben. Wenn du daran glaubst, dass wir wie Tiere unseren niederen Trieben zum Opfer fallen, wird das eher geschehen, als wenn du diese Verhaltensweisen ablehnst", versuchte ich ihm begreiflich zu machen, wie ich dachte.
Theodore schüttelte hingegen nur den Kopf. „Nein, das ist nur der Gedanke, den du fasst, weil du nur einen so winzigen Teil der Welt kennst. Glaubst du es geht überall, wo es Christen gibt so zu, wie in deinem Zuhause?"
„Ja, das glaube ich. Ich habe hier in den letzten Monaten so viel Schreckliches gesehen und es war grausam wie gottlos. Oder sieh dir die Wilden in anderen Teilen der Welt an... Wenn sie Missionierung erfahren, dann erfahren sie auch eine bessere Weise zu leben." Es war beinahe lächerlich, wie sehr ich auf einmal für meinen Glauben eintrat, dessen Existenz ich erst vor wenigen Wochen angezweifelt hatte, doch wie ich gerade selbst angeführt hatte: Man musste Vertrauen in Gott haben und die Gewissheit in sich tragen, dass der Glauben die besseren Menschen erschuf.
„Wir könnten ewig weiter darüber streiten und uns nie auch nur ansatzweise einigen."
Gab ich ihm jetzt nach, wenn ich seiner Andeutung folgte, dass es besser sei, uns nicht weiter damit aufzuhalten? Oder war es genau das Richtige? Es war störend, dass ich Theo nicht einschätzen konnte. Womöglich war es aufgrund dessen das Beste, wenn ich so entschied, wie ich es von mir aus für korrekt hielt, ohne ihn mit einzubeziehen.
„Dann sind wir uns wohl darüber einig, dass wir uns nicht einigen können", sagte ich schließlich, was ein kurzes Schmunzeln über sein Gesicht huschen ließ.
„Wir sollten es wohl dabei belassen."
Es herrschte ein Moment der Stille, indem wir beide unsere Sitzposition veränderten, weniger, um es uns bequemer zu machen, als um überhaupt etwas zu tun und zu überspielen, dass es nichts gab, worüber wir uns austauschen konnten, ohne sofort in eine lautstarke Diskussion auszubrechen. Es gab Menschen, die einfach nicht dazu geschaffen waren, dass man sie mochte und Theodore gehörte für mich dazu und umgekehrt galt wohl das gleiche.
„Wird sich zwischen uns jemals etwas ändern?", sagte ich irgendwann nachdenklich in den Raum hinein und sah, wie er erst einmal aus seinen Gedanken hochschreckte.
Dann dachte Theodore weiter nach, aber diesmal, um die Frage zu beantworten, die ich ihm gestellt hatte und überraschte mich mit seiner Antwort sehr. „Es ändert sich ständig etwas zwischen uns. Kann sein, dass es länger dauert, bis wir was davon merken, aber irgendwann wird es soweit sein."
„Du scheinst dir dessen ziemlich sicher zu sein...", warf ich aus Gewohnheit zweifelnd ein.
„Als ich zu den Hamiltons kam konnte mich niemand leiden außer Anna. Ich war nur hier, weil es ihr Wunsch war und das hat man mich auch spüren lassen. Ich brauchte Zeit, bis ich in James einen Freund fand, der mir mittlerweile wie ein Bruder ist, auch wenn ich nie einen leiblichen Bruder hatte und somit auch keinen passenden Vergleich, aber ich denke, dass es sich so anfühlen muss. Es hat gedauert und ich habe gewartet und wurde dafür belohnt."
„Das klingt ganz so, als wäre das hier das, was du dir schon immer gewünscht hast."
Theodore fuhr sich mit der Hand durch die Haare. „Es ist besser als alles, was ich vorher jemals erlebt habe, auch wenn du es dir nicht vorstellen kannst und es auch nie können wirst, so sehr du dich auch bemühst. Es könnte so viel schlimmer sein."
„Aber wieso hast du mich dann kurz nach meiner Ankunft hier so sehr angefeindet?"
„Für mich war es eine Verbesserung, für dich wird es ein Untergang sein. Du warst doch glücklich mit dem, was du hattest, deine Perspektiven waren gut und hier bleibt für dich nichts weiter als Unglück, denn selbst wenn du James liebst und er dich – wenn er es zumindest denkt –, wird das nicht genügen."
„Und für dich reicht es aus?", fragte ich, meine Stimme im Zaum haltend, um nicht zu laut zu werden, denn es erzürnte mich immer noch, dass er es einfach nicht lassen konnte, sich über mich zu stellen.
„Wenn du jemanden einfach liebst, ist es etwas anderes, als wenn du ohne diese Person nicht überleben kannst", erwiderte er nur, stand auf und verließ ohne ein weiteres Wort den Raum.
Ich wusste nicht, wie viel Zeit er uns gab, bis wir uns näherkamen, aber wenn es so voranging, würden wir beide alt, grau oder sogar schon tot sein, ehe es soweit war.
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