Donnerstag, 20.03.1879
Liebe Florence,
lange habe ich mit mir gehadert, ob ich dir diesen Brief schreiben soll oder nicht und nach einem Monat in London kommt es mir fast schon herzlos vor, ihn jetzt noch zu verfassen, obwohl ich es eigentlich schon viel früher hätte tun sollen.
Du warst mir in den letzten Monaten eine gute Freundin, hast dir von mir mein Leid klagen lassen und nie zugelassen, dass ich in meinen schlechten Gefühlen versinke und an ihnen ertrinke. Vielleicht warst, nein bist, du sogar die beste Freundin, die ich je hatte, denn du warst da, als ich dich brauchte und ich hoffe du wirst es auch immer noch sein.
Deswegen hoffe ich auch, dass du mir verzeihst, dass dieser Brief ein wenig unstrukturiert ist, denn er wird einfach eine Sammlung meiner Gedanken sein, die ich dir gerne mitteilen möchte und die sich in den Wochen seit meiner Abreise in Hamilton Manor bei mir angesammelt haben. Es ist so viel geschehen in der kurzen Zeit, dass sie mir deutlich länger vorkommt.
Ich weiß nicht, wie viele Informationen bis zu dir durchdringen, aber ich beginne damit, dass sich Gerüchte in der Gesellschaft von London verbreiten, die in großen Teilen der Wahrheit entsprechen und die Hamiltons und damit auch uns in große Bedrängnis bringen. Ich weiß auch nicht, ob ich es überhaupt in diesem Brief erwähnen soll, aber was kann uns schon passieren, sollte er abgefangen werden? Wahrscheinlich sollte dies sogar ein Ereignis sein, dass mich zum Jubeln bringt, aber das tut es nicht.
Stattdessen ertappe ich mich immer öfter dabei, wie ich mich schuldig fühle, wenn meine Gedanken über sie ins Negative abwandern. Ich beginne wirklich, mich als Teil der Verschwörung und somit auch als Teil der Familie zu fühlen, obwohl ich mir sicher war, das immer ablehnen zu wollen. Wie kann das sein? Was ist nur aus mir geworden?
Ich hätte die Chance gehabt jemandem die Wahrheit zu sagen und sie hätte es mir geglaubt, aber ich habe es nicht getan. Ich habe mir eingeredet, dass ich nicht dazu befähigt wäre, habe Gott entscheiden lassen, denn so würde ja alles so kommen, wie es bestimmt wäre. Aber wie kommt es, dass ich daran glaube? Ich hätte mich selbst befreien können und es hätte nur wenige Worte gebraucht. Ich hätte fortgehen könne, dahin, wo mich niemand fände und wäre in Sicherheit gewesen. Stattdessen bin ich leise und hoffe, dass alles beim Alten bleibt.
Wie lange halte ich das noch auch, bis ich daran zerbreche wie Theresa?
Und dann ist da James, der mich hoffen und zweifeln zugleich lässt. Zu anfangs war ich mir meiner Gefühle für ihn nicht sicher, habe es langsam auf mich zukommen lassen, aber das kann ich jetzt nicht mehr tun. Er ist schon längst da und ist ein Teil meines Lebens geworden, den ich nicht mehr so schnell wieder fortwischen kann. Egal, was ich noch weiteres tun werde, er wird immer mein erster Kuss bleiben und ich denke ich kann auch schon von meiner ersten Liebe sprechen.
Wie kann es dann sein, dass ich nicht den Willen habe, ihm alles zu geben? Ich dachte es wäre ein Teil der Liebe, sich jemandem hinzugeben, mit ihm eine Einheit zu bilden, gemeinsame Entscheidungen zu treffen und Dinge für ihn in Kauf zu nehmen.
Er braucht mein Blut, benötigt es, um zu überleben und ich, das Mädchen, das ihn liebt, sollte es ihm doch geben wollen. Wenn nicht ich, wer dann?
Und gleich wird es wieder soweit sein. Er wird zu mir kommen, wir werden alleine in mein Zimmer gehen und ich werde gezwungen sein, den Schmerz auf mich zu nehmen. Man mag meinen, dass man es nicht bemerken sollte, wenn einem ein paar Schlucke Blut aus den Adern gesogen werden, aber man tut es. Ob früher oder später, man kann es nicht ignorieren.
Ich beginne zu zittern, wenn ich daran denke. Immer wieder wache ich aus meinem Schlaf auf, völlig entkräftet. Ich kann mich nicht daran erinnern, was ich geträumt habe, aber es können keine guten Träume gewesen sein. Ich denke, ich träume von James. Davon, wie er mich aussaugt.
Und weißt du was?
Wenn ich dann wach in meinem Bett liege und an die Decke starre, unfähig wieder einzuschlafen, weil mein Körper mich vor weiteren Strapazen des unruhigen Schlafes bewahren will, dann wünsche ich mir nichts sehnlicher, als dass er neben mir im Bett liegt, mich in meinen Armen hält und mir die Sicherheit gibt, die ich selbst nicht aufbringen kann.
Es klingt paradox. Es ist paradox. Und es ist unabänderlich.
Verzeih mir die Tintenflecke, denn meine Hand zittert, während ich das schreibe.
Ich hoffe wenigstens, dass es dir gut ergeht und du es genießt, weniger arbeiten zu müssen als sonst. Ich habe das Gefühl, ich habe dir immer mehr Zeit abverlangt als mir eigentlich zusteht.
Gestern erreichte mich ein riesiges Paket meiner Eltern aus Indien und hiermit schicke ich dir drei verschiedene Sorten Tee, den sie dort ankaufen oder auf ihren neu erworbenen eigenen Plantagen anbauen. Er riecht äußerst gut und ich denke du kannst mit ein paar guten Tassen Tee mehr anfangen als einem indischen Kleid.
Ich hoffe, dass wir uns bald wiedersehen, würde mich sogar am meisten darüber freuen, wenn es dir möglich wäre, sofort zu uns nach London zu kommen.
Bis bald,
deine gute Freundin
Evelyn WhitinginHuhshudsdainkdvADVJa‑
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top