Epilog


Jewa schloss die Augen, auf ihrem Arm lag der kleine Juri friedlich schlafend. Sein Gesicht war so ähnlich wie das ihres Gatten, doch die ersten Ansätze des Haares des Knaben waren vom gleichen Blond wie ihre, grüne Augen die den Eltern mit kindlicher Freude entgegen blitzen wenn er durch die kleine Wohnung grappelte. Der Krieg war zwei Jahre her und nichts war wie davor, die Schneiderei gab es nicht mehr. Mit der Besatzung der Wehrmacht völlig zerstört durch Einheiten der SS ,die nach Juden gesucht hatten.


Zwei Jahre war der verfluchte Krieg zu Ende, Jewa und Andrej waren sich lange sehr nahe und doch so fern gewesen. Vier Jahre hatten sie gekämpft in großer Entfernung, ihre Lebensweise war nun wieder eine andere, beide hatten die eigenen Traumata die die Seele belastete. Jewa träumte nachts von sterbenden Menschen, durch die Einheiten der SS. Den Tod der 41 Infanterie und Popow, die Schlacht von Stalingrad. Was brachte ihr der Orden, wenn ihre Seele so wie die von vielen kaputt war. Die Generation Krieg hatte Dinge gesehen, die sich ihre Enkel oder Kinder gar nicht mehr vorstellen konnte. Die Russin strich stumm über den Kinderkopf, ihr Ehemann war an der Arbeit, durch die aktuelle Situation im Land hatte er sich einen Wunsch erfüllen können, ganz ohne Studium arbeite der gelernte Schneider als Lehrer.


Jewa hatte sich trotz vieler Angebote aus dem Militär zurückgezogen, das war nicht ihre Welt. Nie mehr wollte sie eine Waffe führen, ihr schwarzes Buch hatte sie verbrannt. 200 Abschüsse, 200 Tote durch ihre Hand wobei es alleine durch Stalingrad mehr als 200 seien mussten. Immer wieder stiegen ihr die Tränen in die Augen wenn sie daran dachte. Sie hatte 200 Kindern, oder Frauen den Vater oder Ehemann geraubt, den Bruder oder guten Freund. Jedes Mal wurde ihr schlecht wenn sie an die Tage in Stalingrad dachte, an harte Kämpfe an die Leichen die von Krähen zerrupft wurden, Krieg war grausam, schrecklich und Gift für die Seele und das Herz.


Sie wurden als Helden gefeiert und Jewa wusste gar nicht wie so, Krieg schrieb keine Helden, Krieg schrieb Verlust, Einsamkeit und Grauen. Ihre Finger strichen über das kleine Köpfchen des Kindes, wie viele Kinder würden ohne Väter aufwachsen? Zu viele und viele würden unter den Vätern die das Schrecken des Krieges gesehen hatten leiden, ihre Schritte trugen sie durch die kleine Wohnung. Andrejs Eltern wohnten ihnen gegenüber, es war gut so, Jewa war manchmal mit dem kleinen Juri überfordert, manchmal wenn sie selbst so verzweifelt war tat es gut, wenn sie jemand in den Arm nahm. Ihr Vater hatte sich seit Kriegsende nicht mehr bei ihr gemeldet, nur Olga hatte sie durch Post kontaktiert. Von dem Dorf ihrer späten Jugend war kaum noch etwas übrig.


Jewa hätte gerne ein Grab, wo sie für ihre Schwestern und die Mutter trauern konnte doch es gab keines, irgendwo verscharrt im Wald. Dumpf gingen ihre Schritte über die braunen Dielen nach oben ins Schlafzimmer wo sie ihren Sohn in sein kleines Bett leckte und sie liebevoll seinen zarten Körper zudeckte.Die Russin war glücklich und erleichtert darüber, das ihr ganzer Stolz nicht in den Krieg hineingeboren war, ihr Blick viel auf den einfachen Schrank, in welchem die alte Uniform hing. Vorsichtig und bedacht nahm sie sie heraus und strich darüber, über jeden einzelnen fehlenden Knopf, über die Orden und die Löcher. Manchmal fragte sie sich was aus Major Motrjk geworden war. Zu Anastasia hatte sie den Kontakt leider völlig verloren doch zu Juri hatte sie ein gutes Verhältnis. Der 22 jährige hatte mit seinem Bein kaum Arbeit gefunden, so dass er sich als Schreiner selbst ständig gemacht hatte.


Ein lieber Kerl doch so wohl seines als auch das Bein ihres Mannes waren durch Holz ersetzt worden. Manchmal kam Andrej damit gar nicht zurecht, er klagte darüber, dass es sich anfühlen würde wie ein Fremdkörper. Wie gerne würde die Tochter von Stalins Adjutanten ihm dieses Leid nehmen doch es ging nicht, ihr Leid aus dem Krieg war die hässliche Narbe auf ihrem rechten Arm. Nachher wollte Juri auf eine Tasse Tee kommen, seufzend setze sie sich auf das Bett. Am liebsten würde sie Lew, Motrjk und die anderen die ihr lieb geworden waren ein Mal noch sehen, doch sie lebten überall verteilt in dem großen Land, vielleicht gab es ja Möglichkeit zu mindestens Lew zu kontaktieren und ihn ausfindig zu machen, in den Wirren Tagen in Berlin hatten sie sich nicht mehr gesehen.


Andrej öffnete die Tür, müde und erschöpft war er mit dem Bein in das Haus gekommen, der Krieg hatte auch ihn verändert und dennoch versuchte er ihr ein guter Ehemann zu sein, sie zu lieben und ihr all das zu geben was sie brauchte, auch wenn er dabei an seine eigenen Grenzen stieß. Er erblickte Ewa auf dem Bett im Schlafzimmer wo sie über ihre Uniform strich. "Ewa liebes tue dir einen Gefallen und lasse die Uniform im Schrank."


"Ich kann nicht, immer wieder sucht sie mich Heim. Ich habe Angst, dass all das hier ein schöner Traum ist. Das ich morgen auf dem harten Boden aufwache und wir den Krieg nicht gewonnen haben. Das wir immer noch kämpfen und es nie ein Ende gibt." Die 30 jährige fing an zu weinen, wer sagte ihr denn dass es nicht nur ein Hirngespinst war, dass sie morgen in Gefangenschaft oder doch in Stalingrad aufwachen würde.


Andrej setzte sich neben sie und zog sie an sich. "Nicht weinen." flüsterte er leise und drückte sie an sich. "Es ist die Realität, der Krieg ist vorbei. Wir können nicht dafür sorgen das es nie wieder so einen Krieg gibt wir können nur an die nächsten Generationen appellieren." Andrej dachte an Juri, der gute Freund und Namensgeber ihres Kindes hätte ein ganzes Leben vor sich gehabt, Tanzabende mit hübschen Frauen, Feiern und Spaß haben doch seine Jugend wurde ihm erfolgreich genommen, diese Möglichkeiten würde er mit seinem Holzbein nie bekommen, sie waren keine Helden sie waren Krüppel. Verunstaltet und gezeichnet vom Leben und dennoch lebten sie.


Ein Klingeln an der Tür. "Das wird Juri sein ich mache auf." Jewa erhob sich und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht, es hatte sich alles verändert und dennoch stand sie jetzt hier. Mit ihrem Ehemann und einem Kind, alles hätte so leicht anders laufen können. Zwei Mal war sie nur durch Glück davon gekommen, warum ausgerechnet sie? Warum durfte sie Leben während andere starben? Die Zeit heilte ja bekanntlich alle Wunden doch die Wunden der drei jungen Menschen würden niemals heilen, dazu war zu viel passiert.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top