Ertrinken
Die Wochen vergingen.
Johnny blieb bei der Band, zog von einer Kleinstadtkneipe zur nächsten und spielte vor einer halb betrunkenen Menge, die ihm kaum Aufmerksamkeit schenkte.
Es war nicht Samurai. Es war nicht das blendende Neonlicht von Night City, es waren nicht Tausende von Menschen, die seinen Namen schrien, die Fäuste in die Luft streckten und eine Revolution forderten, aber es war etwas und in diesen kurzen Momenten auf der Bühne, als die Musik durch die beschissenen Lautsprecher dröhnte, als er das Mikro fest umklammerte und seine Stimme den Raum erfüllte, fühlte er sich fast wieder wie er selbst.
Fast.
Denn egal, wie sehr er versuchte, sich in der Musik zu verlieren, wenn die Nacht zu Ende war, fand er sich immer an einem Ort wieder.
Zurück in der Gasse hinter der Bar, in der sie gerade spielten.
Die Hände zitterten.
Sein Atem war unsicher.
Er starrte auf die rissigen Pflastersteine, als ob es eine Art Antwort geben würde.
"Was zum Teufel tu ich hier?"
Es war die gleiche Frage, Nacht für Nacht.
Warum war er immer noch auf der Flucht?
Warum war er noch hier?
Johnny Silverhand sollte doch tot sein.
Und V, dieser Körper, dieser verdammte Käfig, sollte lebendig sein.
Aber die Welt war aus den Fugen geraten, hatte sich in etwas verwandelt, das nicht existieren sollte, und jetzt lief er in einer Haut herum, die nicht seine war, gab vor, jemand zu sein, der er nicht war, und sang Lieder, die nicht mehr zu ihm gehörten.
Er lehnte sich gegen die Backsteinmauer, die Finger gruben sich in seine Kopfhaut.
Jede verdammte Nacht traf es ihn aufs Neue. Der Kummer. Die Wut. Die schiere Ungerechtigkeit von all dem.
Und es gab nur eine Sache, die die Wogen glätten konnte...
Er hatte sich geschworen, es nicht zu tun.
Er hatte sich gesagt, dass er mit dieser Scheiße fertig war, aber verzweifelte Momente hatten die Angewohnheit, alle Versprechen, die er sich selbst gegeben hatte, zunichte zu machen.
Also trank er.
Schnaps war hier draußen billig und leicht zu bekommen. Er brannte seine Kehle hinunter, setzte sich in seinem Bauch fest und betäubte gerade genug von dem Geschrei in seinem Kopf, um es erträglich zu machen.
Er redete sich ein, es sei nur für die schlechten Nächte, nur um sich zu beruhigen.
Aber dann wurden die schlechten Nächte zu jeder Nacht und bald waren es nicht mehr nur ein oder zwei Drinks.
Es war genug, damit seine Hände aufhörten zu zittern, genug, um das Gewicht in seiner Brust ein wenig weniger erdrückend zu machen.
Genug, um ihn - wenn auch nur für ein paar Stunden - vergessen zu lassen, dass er beim Aufwachen immer noch in diesem Körper gefangen sein würde.
Die Band stellte keine Fragen. Vielleicht war es ihnen egal. Vielleicht hatten sie ihre eigenen Dämonen zu ertränken.
Solange er auf der Bühne auftauchte und es nicht zu sehr vermasselte, ließen sie ihn gewähren.
Und er ließ sich in eine Spirale hineinziehen. Denn tief im Inneren kannte er die Wahrheit; Dies war kein neuer Anfang.
Es war nur eine weitere Möglichkeit, sich zu zerstören.
Und darin war Johnny Silverhand schon immer gut gewesen.
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