Der Käfig

Der digitale Sturm um sie herum knisterte vor instabiler Energie, als Alt Johnny tiefer in den Cyberspace führte.

Der Weg, der vor ihnen lag, war bruchstückhaft und flackerte wie ein sterbendes Signal. Jeder Schritt fühlte sich instabil an, als würde man am Rande des Vergessens laufen.

Aber Johnny wurde nicht langsamer.

Auch nicht, als Alt endlich wieder sprach.

"Sie ist gleich da vorne", sagte sie.

Sein Herz pochte.

Nach all der Zeit, nach all dem Kummer, dem Trinken, dem Weglaufen war V hier.

Irgendwo.

Alt hob ihre Hand, und die Welt um sie herum veränderte sich. Die Dunkelheit teilte sich wie ein Vorhang und enthüllte einen Raum, der nirgendwo im Cyberspace, den Johnny je gesehen hatte, Platz fand.

Er war leer. Stumm. Eine riesige Leere ohne Geräusche, ohne Bewegung.

Und mittendrin -

V.

Schwebend.

Sie schwebte in einer durchsichtigen Lichtkugel.

Sie bewegte sich nicht.

Ihr Körper war still, die Arme hingen schwerelos an ihren Seiten. Ihr Haar schwebte in Zeitlupe, als wäre sie unter Wasser.

Ihre Augen waren offen und starrten geradeaus, aber es war nichts darin zu sehen. Kein Erkennen. Keine Emotion. Nur... Leere.

Johnny spürte, wie sich etwas in seiner Brust zusammenzog, sein Atem blieb ihm im Hals stecken.

"V?"

Keine Antwort. Kein Aufflackern von Bewusstsein.

Nichts.

Er trat näher heran, die Hände zitterten. "Hey, V, ich bin's. Ich bin's, Johnny."

Immer noch nichts.

Sie reagierte nicht. Blinzelte nicht. Sie schien ihn nicht einmal zu hören.

Sie war einfach da, schwebte in diesem Zwischenraum, verloren in etwas, das er nicht erreichen konnte.

"Was zum Teufel ist das?", knurrte er und drehte sich zu Alt um.

"Das", sie deutete auf die Kugel, "ist der sicherste Ort, den ich für sie schaffen konnte."

"Sicher?" Johnny schnauzte. "Sie ist katatonisch!"

Alts Gesichtsausdruck änderte sich nicht. "Sie befindet sich in einem Grenzzustand. Einem Ort zwischen Bewusstsein und Nichtexistenz. Ein Raum, in dem keine abtrünnige KI, kein Netrunner, kein Wesen aus der Blackwall sie finden kann."

Johnny schüttelte den Kopf. "Sie ist nicht lebendig."

"Nein", gab Alt zu. "Aber sie ist auch nicht tot."

Johnny drehte sich wieder zu V. Seine Fäuste ballten sich, die Nägel gruben sich in seine Handflächen.

Sie war genau dort. Er konnte sie sehen, aber sie war nicht da.

Sie war nicht V.

Seine Kehle fühlte sich trocken an. "Wie lange ist sie schon so?"

"Seit ich sie hier gelassen habe."

"Wie lange, Alt?"

Alt zögerte. Nur eine Sekunde lang. "162 Tage."

Johnny fühlte sich, als hätte man ihm einen Schlag in die Magengrube versetzt.

Das war...

Über fünf Monate.

Fünf Monate, in denen sie im Nichts schwebte. Fünf Monate, in denen sie nichts sah und nichts fühlte. Fünf Monate, in denen sie in ihrem eigenen Kopf gefangen war, allein.

Seine Finger zuckten.

Niemand hatte das verdient.

Nicht einmal die schlimmsten Bastarde in Night City.

Und schon gar nicht V.

"Also was", sagte Johnny mit leiser Stimme, "sie bleibt einfach hier?"

"Bis sie ihren Körper zurückbekommt", bestätigte Alt.

Johnny knirschte mit den Zähnen.

Und was, wenn sie es nicht schafft?

Was, wenn er versagte?

Was, wenn dies alles war, was sie noch hatte?

"Du verstehst es nicht", murmelte er. "Das ist sie nicht."

Alt musterte ihn schweigend.

"Du glaubst, du beschützt sie", fuhr Johnny fort. "Aber du hältst sie nur gefangen."

"Es war die einzige Möglichkeit", sagte Alt.

"Blödsinn! Wenn sie wirklich weg wäre, dann vielleicht. Aber das ist sie nicht. Sie ist hier. Und du sagst mir, ich soll sie einfach so zurücklassen?"

"Es gibt keine Alternative", sagte Alt mit fester Stimme. "Nicht, bis sie in ihrem Körper zurück kann."

Johnny atmete scharf aus und fuhr sich mit der Hand durch die Haare.

Er hasste es, dass sie so nah und doch so fern war.

Er hasste es, dass er nicht einmal sagen konnte, ob sie ihn hören konnte.

Aber vor allem hasste er es, dass es seine Schuld war.

Wenn er härter gekämpft hätte, wenn er sie überzeugt hätte, ihn mit Alt gehen zu lassen, vielleicht wäre sie dann gar nicht hier.

Vielleicht wäre sie noch am Leben.

Nicht nur eine Hülle, die in der Leere schwebte.

Er machte einen weiteren Schritt nach vorne und drückte seine Hand gegen die Kugel.

Sie war kalt. Fest. Wie Glas.

Sie reagierte nicht.

Blinzelte nicht einmal.

"V", murmelte er. "Ich weiß nicht, ob du mich hören kannst. Aber wenn du es kannst..."

Er schluckte schwer.

"Ich werde das in Ordnung bringen."

Keine Antwort.

Keine Bewegung.

Nur leere, hohle Stille.

Aber Johnny spürte sie immer noch - tief in seinem Bauch, in seiner verdammten Seele.

Sie war noch da.

Und er würde verdammt sein, wenn er sie zurücklassen würde... Erneut.

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