XXIV.II Konsequenzen

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Killian

Beatrix gab einen verächtlichen Laut von sich. »Bitte, kannst du noch überheblicher sein? Das ist doch schon ewig her. Ich habe mich interessanteren Dingen zugewandt.«

»Interessanter als ich?« Er grinste sie an, auch wenn er sich innerlich fragte, warum sie dieses Gespräch führten. Beatrix war einer der Gründe, warum er dem Salon stets mit gemischten Gefühlen gegenüber stand. Nie wusste er, was in ihrem hübschen Köpfchen vor sich ging. Immer heckte sie etwas aus, immer musste er vorsichtig in ihrer Gegenwart sein. »Sag schon, was ist es dieses Mal? Du hast dich doch nicht unabsichtlich so provozieren lassen und beginnst von früher zu reden, wo ich doch genau weiß, wie unschuldig du selbst mir gegenüber tust. Zumindest bis wir beide alleine sind, hm?«

Sie schlug die Augen nieder. Hatte er jedoch geglaubt, sie in Verlegenheit zu bringen, weil sie sich durchschaut fühlte, musste er sich nun eingestehen, dass er sich getäuscht hatte. »Du bist einfach zu klug für mich.« Beatrix trat so dicht an ihn heran, dass nur noch ein Atemzug zwischen ihnen lag, und ließ ihre Finger zärtlich über seinen Oberarm gleiten, dann näherte sie sich auf Zehenspitzen quälend langsam seinem Ohr. Seine Atmung flachte ab, tief und kräftig hallte jeder Herzschlag durch seinen Körper. »Du tust von allem immer unbeeindruckt«, raunte sie. »Ich wette, tief in deinem Innern bringt es dich fast um den Verstand, dass du nicht weißt, was ich vorhabe. Habe ich überhaupt etwas vor? Vielleicht reizt es mich nur, dich ein wenig nervös zu machen.«

Ihren Atem über den Nacken streifen zu spüren, traf ihn unerwartet. Seine Härchen stellten sich auf, jeder Zentimeter seiner Haut fühlte sich glühend heiß an, während ein Schauder seinen Rücken hinab prickelte, der die Luft um sie herum elektrisierte. Die Kerzen auf der Anrichte loderten bedrohlich auf. Nun war es an ihm, sie nicht ansehen zu können. Es war gefährlich. Stattdessen fixierte er mit seinem Blick konzentriert einen Punkt auf der gegenüberliegenden Raumseite, wo Jowna sich gerade auf einen freien Platz setzte. Plötzlich zuckte sie zusammen, als hätte etwas sie gestochen, und rieb sich über die Haut in ihrem Nacken. Ihre Augenbrauen zuckten. Auch Mervyn, der neben Jowna stand, strich sich unauffällig über die Stelle und presste die Lippen dabei zu einer derart schmalen Linie zusammen, dass er Meister Amuigh damit Konkurrenz machen konnte. Es war ein merkwürdiger Anblick.

Doch Killian kam nicht dazu, weiter über die willkommene Ablenkung nachzudenken, als er durch sein Hemd spürte, wie sich Beatrix Finger mit sanftem Druck tiefer in seinen Oberarm vergruben. Sie ließ sich von den Zehenspitzen zurück auf ihre Fersen gleiten, streifte dabei mit ihren Lippen wie zufällig sein Ohr, dass er sich ganz benommen davon fühlte. Hitze loderte in ihm auf, züngelte durch jede Faser seines Körpers. Ein leises Klirren war zu hören. Durch den gläsernen Armleuchter auf der Anrichte zogen sich feine Risse. Killians Puls raste. Er spürte ihre Nähe so intensiv, dass es nur einen winzigen Schritt, ein leichtes Neigen seines Kopfes bedurfte, um sie zu küssen.

Er hasste, dass sie diese Wirkung auf ihn hatte. »Was sagt eigentlich dein Freund dazu«, setzte er heiser an, »dass du dich mir aufdrängst?«

Beatrix hakte sie sich wie selbstverständlich bei ihm unter und deutete ihm mit einem Nicken, weiter zu gehen. »Reden wir doch nicht die ganze Zeit über mich.« Ihr Lachen erfüllte den Raum. Einige Mitschüler drehten sich neugierig zu ihr um, lächelten freundlich und nichtsahnend, als wären sie Teil ihrer Welt. »Erzähle mir doch lieber, wie es dir geht. Was macht die Familie?«

»Oh, das sind ja gleich zwei Fragen. Womit verdiene ich diese ungeteilte Aufmerksamkeit?« Als sie am Tafelende stehenblieben, rückte Killian den altmodisch geschwungenen Stuhl magisch mit einer Handbewegung nach hinten, sodass sich Beatrix setzen konnte, und deutete abermals eine Verbeugung an, mit der er sie mehr aufzog als höflich zu wirken.

»Du bist unverbesserlich, Killian«, seufzte sie und verdrehte gespielt empört ihre Augen. Unter dichten Wimpern sah sie zu ihm auf, fuhr sich scheinbar beiläufig mit ihrer Zunge über die vollen Lippen und lächelte lasziv.

Er spürte, wie es ihm schwerfiel zu schlucken, doch er wollte ihr nicht den Gefallen tun, so deutlich zu zeigen, dass ihr Verhalten ihn nicht kalt ließ. Beatrix war nicht ehrlich zu ihm, das war sie nie gewesen, und es ärgerte ihn mehr, als er zugeben wollte, dass er sich schwertat, ihre Spielchen zu durchschauen. Was wollte sie von ihm? Möglicherweise stand ihr nur der Sinn danach, ihn in Versuchung zu bringen, um ihn, rachsüchtig wie sie war, im Regen stehen zu lassen. Es würde zu ihr passen, doch sein Bauchgefühl ermahnte ihn, vorsichtig zu sein. Äußerlich unbeeindruckt nickte er ihr zu und begab sich auf den Weg zu Mervyn und Jowna, die neben Ellis O'Padraic Platz genommen hatten.

Als er an Rhydian vorbeikam, beugte er sich kurz zu ihm hinab und flüsterte: »Weißt du eigentlich, dass deine Brüder sich unten in der Herrentoilette betrinken?«

Rhydian sah ihn für einen Wimpernschlag ausdruckslos an, ehe er unter einem langen Seufzen den Kopf in den Nacken legte. »Danke für diese Info.«

Zum Abschied schlug Killian ihm auf die Schulter und folgte seinem Weg weiter in Richtung Mervyn und Ellis, die sich über etwas unerfreuliches zu unterhalten schienen, so gereizt wie sie sich beide gegenseitig niederstarrten.

Das Mädchen war hübsch anzusehen, keine Frage. Ihr kinnlanges Haar glänzte im Kerzenlicht, ihre hellen Augen wurden von dunklem Lidschatten hervorgehoben. Ellis trug eine silberne Robe, die am Rücken weit ausgestellt war. Doch mit Beatrix konnte es keine der anwesenden Hexen aufnehmen, nicht nur weil sie gut aussah, im Gegensatz zu vielen der Jüngeren wusste sie auch, wie sie ihr Aussehen zu ihrem Vorteil einsetzen konnte. Dazu war sie wortgewandt genug, andere aus der Reserve zu locken. Eine gefährliche Mischung. Ihre Art hatte ihn schon immer fasziniert.

»Worüber grübelst du?«, riss Jowna ihn aus seinen Gedanken. Sie hatte sich zu ihm gelehnt und verdeckt hinter ihrer Hand in sein Ohr geflüstert.

Dass ihm seine Stimmung so deutlich ins Gesicht geschrieben stand, verärgerte Killian umso mehr. Bereits in seinem ersten Jahr im Murchadha hatte er auf dem harten Weg im Schatten von Mervyn gelernt, dass jene Hexen, die ihr Herz auf der Zunge trugen, nicht lange in diesen Kreisen überlebten. All die Jahre als Lehrmeister zum Trotz saß er nun hier und Jowna brauchte nur einen Blick, um zu sehen, dass ihn etwas beschäftigte.

Ein Seufzen erklang. Sie musterte ihn aus braunen Augen, auf ihren Lippen lag eine Mischung aus Nachsicht und Frustration. »Auch wenn du das nicht hören willst. Ich weiß genau, worüber du nachdenkst. Nicht weil es dir in deine unleserliche Miene gebrannt ist, sondern weil ich dich kenne. Schon sehr lange, wohlbemerkt.«

»Ich habe nur darüber nachgedacht, wie bezaubernd du heute Abend aussiehst«, erwiderte Killian schließlich mit einem frechen Grinsen.

Sie schüttelte lächelnd den Kopf, doch ihr Gesicht wirkte ungewohnt steif, so als wäre sie nicht wirklich amüsiert. Unter ihren Augen lag ein dunkler Schatten der Erschöpfung, der ihm bisher nicht aufgefallen war. »Worüber hast du eigentlich mit Beatrix gesprochen?«

Etwas an der Art, wie sie es sagte, ließ ihn innehalten. »Wir haben uns... über alte Tage ausgetauscht. Warum fragst du?«

Bevor seine beste Freundin antworten konnte, wurden sie von dem schabenden Geräusch eines zurückgezogenen Stuhls zu ihrer Linken abgelenkt. Theodor H'Ealidhe, ein Schüler in Rhydians Alter, der ebenfalls wie Killian in Fåborg Sogn lebte, setzte sich mit unbewegtem Gesicht neben ihn, nickte einigen Hexen zu, die ihre Aufmerksamkeit auf ihn gelegt hatten, und entfaltete mit einem kurzen Schwenker seiner Hand eine Serviette magisch über seinen Schoß.

Plötzlich wurde Killian wieder zu deutlich bewusst, dass er hier als Spross der Ordensfamilie von zahlreichen Feinden umgeben war, deren Eltern und Tanten größtenteils den Morrígna angehörten. Nicht alle natürlich, bei einigen Familien blieb die wahre Loyalität auch ungewiss – ebenso wie die Frage, auf welcher Seite seine eigenen Eltern standen. Doch der Orden hatte ihm und seinen Cousins verraten, welche Namen sie verdächtigten, der Sekte anzugehören. H'Ealidhe und Owain waren nur zwei davon.

Am Tafelende erhob sich Beatrix unter dem Aufflackern dutzender Kerzen, die vor ihnen auf dem Tisch verteilt standen. »Ich freue mich, dass ihr alle meiner Einladung gefolgt seid«, eröffnete sie offiziell die Runde. Etwa dreißig Augenpaare lagen auf ihr. »Bereits zum vierzehnten Mal treffen wir uns in diesem Salon als rechtmäßige Erben der urkeltischen Hexen.« Beatrix strahlte, als sie den Raum mit selbstbewusstem Blick überflog. Es war offensichtlich, wie sehr sie es genoss, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen.

Ihre Stimme vibrierte vor Stolz, als sie fortfuhr: »Wir sind die Erben des alten Wissens, der Magie und Traditionen. Der heutige Abend soll passend zur hiesigen Jahreszeit unter dem Thema der Verbundenheit zu unseren Ahnen stehen, deren reines Blut durch unsere Adern fließt.«

Killian spähte die Tafel entlang. Es saßen die verschiedensten Hexen hier zusammen, vom jüngsten Alter bis hoch in die Zwanziger. In ihren Gesichtern erkannte er Hochmut, Respekt, Erhabenheit, ein Teil dieser Gruppe zu sein, und eine unerträgliche Arroganz. Es war beinahe lachhaft, wie leicht der Stolz der Silurer anzustacheln war, da sie sich alle so viel auf ihre Herkunft einbildeten.

»Ich bitte euch«, forderte Beatrix sie sanft aber bestimmt auf. »Erhebt eure Kelche. Lasst uns Anstoßen auf die Ahnen, die uns den Weg geebnet haben, auf die starke Magie, die in uns lebt, und auf die Einheit, die uns hier zusammenführt.«

Alle Anwesenden erhoben sich von ihren Stühlen. Das Geräusch von Holz, das über Holz kratzt, erfüllte den Raum. Killian griff nach dem edlen Glas, das schräg hinter seinem Gedeck stand. Behutsam roch er an der prickelnd rosafarbenen Flüssigkeit. Ambrosia. Eines seiner liebsten Getränke, auch wenn Barek nicht gerne sah, dass er es trank. Dem Glauben nach sollte es die Lebenskraft steigern und für berauschendes Glück sorgen. Letzteres war aufgrund des Alkoholgehalts bereits nach einer Flasche der Fall, je nach weiterer Menge schlug es jedoch schnell in einen bodenlosen Fall aus Peinlichkeiten und Erinnerungslücken um, weshalb Killian sich stets davor hütete, seinem Genuss zu sehr nachzugeben.

»Air ár seanmhuintir, ar fhuil glan«, sagten sie den traditionellen Tischspruch. Auf unsere Vorfahren, auf unser reines Blut und die Kraft der Magie. Ein sanfter Goldschimmer legte sich über die Tafel. »Ar neart draíochta.«

Beatrix nippte an ihrem Kelch, während Killian den Ambrosia in einem Zug leerte. Der Geschmack nach Erdbeere und herben Kräutern prickelte über seine Zunge. Wärme rann seine Kehle hinab bis in sein Innerstes, das von einer sanften Glut geflutet zu werden schien.

Die ersten Speisen wurden von zwei Klabauterwesen, die auf den Schüsselrändern saßen, in den Salon geflogen. Ein Junge, vermutlich erst um die dreizehn Jahre alt, schenkte Killian nach. Er trug einen schwarzen Umhang über sein dunkles Hemd, das seine Haut bleich aussehen ließ. Seine Mundwinkel zuckten, als könnte er sich nicht entscheiden, ob er lächeln oder weinen sollte. Er war nur ein Hexer ohne bedeutenden Namen, vermutlich aus einer syndikatsnahen Familie, den Beatrix zur heutigen Bewirtschaftung bezahlt hatte. Killian wusste nicht, ob sich der Junge erhoffte, so vielleicht einen Fuß in ihre Kreise zu setzen, doch es war offensichtlich, dass er nichts verstanden hatte. Er würde nie mehr als eine gesichtslose Hexe unter den Silurern sein. Geduldet, solange er höflich und verschwiegen seinen Aufgaben nachkam und seinen Platz in der Hierarchie akzeptierte, aber niemals einer ihresgleichen.

Allmählich füllte sich die Tafel mit duftenden Speisen. In der Mitte thronten ein edel angerichtetes Haggis, ein traditionelles, schottisches Gericht aus einer Vielzahl von Innereien, auf das Killian sich stets am meisten freute, und zwei dampfende Schüsseln voll Kartoffeln und Rübenpüree. Daneben befanden sich äthiopische Injera und kleine, bunt gefüllte Schalen mit würzigen Saucen. Auf einer Etagere türmten sich Apfelküchlein, Macarons und verschiedene Herbstfrüchte, die mit Schokolade überzogen waren. Für den Salon, musste Killian erneut mit grimmigem Erstaunen feststellen, scheute Beatrix keine Kosten und Mühen. Es war ihre Art, die Schachfiguren im Spiel um die Zukunft zu positionieren und, was auch immer er sonst über sie denken mochte, sie verstand es, ihre Talente zu nutzen.

»Dann wünsche ich einen guten Appetit«, eröffnete Beatrix schließlich das Abendbuffet.

Erste Gespräche lebten auf, wurden nur von dem Kratzen von Besteck auf ihren Tellern oder dem Klirren der Gläser unterbrochen. Einige Hexen aßen stillschweigend ihr Essen und lauschten den Worten ihrer Mitschüler, wieder andere hatten wie Jowna und Mervyn ihre Köpfe flüsternd zusammengesteckt. Beatrix unterhielt sich mit Silas Ruaidhín, dem sie bereits vorhin ihre Aufmerksamkeit geschenkt hatte, und einer anderen, etwas jüngeren Hexe, deren Name er nicht kannte. Sie lächelte unentwegt, warf dem jungen Mann immer wieder auffällig intensive Blicke zu und legte mehr als einmal ihre Hand auf seinen Arm.

Kurz wandte Beatrix ihren Kopf in Killians Richtung, ihre Blicke kreuzten sich, das Lächeln auf ihren Lippen verzog sich zu einem provokanten Grinsen, dann lachte sie laut auf. »Du bist mir vielleicht einer, Silas! Du willst doch nur Klatsch abgreifen, so wie ich dich kenne.«

Silas strich sich durch seine blonden Haare, seine Bewegungen wirkten fahrig, ein selbstbewusstes Lächeln stand in seinem Gesicht. Seine Antwort verstand Killian nicht mehr unter dem Gelächter der vielen Mitschüler. Er wandte sich demonstrativ der anderen Seite des Tisches zu, während er sich eine Gabel voll Kürbissalat in den Mund schob.

»Wie geht es ihrem Onkel?«, fragte eine junge Hexe mit auffällig buschigen Augenbrauen. Ihr Gesicht strahlte Erhabenheit aus. »Wie ich hörte, hat er nach der harten Kritik an seinem neuen Gesetzesentwurfs an Rückhalt im Unterhaus verloren.«

Theodor, der neben ihm saß, verspannte sich merklich, zwang jedoch ein höfliches Lächeln auf seine Lippen. »Nun, manche Ideen begeistern, andere stellen sich als nicht mehrheitstragend heraus. Politik lebt vom ständigen Diskurs, meinen Sie nicht?«

»Diplomatisches Geschwätz, wenn du mich fragst«, mischte sich Rhydian ein. »Das Gesetz zum Erhalt magisch bedeutsamer Kulturgüter hatte in der Vorabstimmung...«

Killian seufzte. Nach den langen Sommermonaten, die er mit dem Orden unter einem Dach verbringen musste, war ihm die Lust an politischen Themen vergangen. Er konnte es nicht mehr hören. Weder Belanglosigkeiten wie die Debatte um Theodors Onkel, über die Gwynedd und Graham vor über einer Woche bereits in der Wasserbahn philosophiert hatten, noch die Vorbereitungen auf eine mögliche Unterwanderung des Senats durch die Morrígna. Seine Stimmung war auf einem Tiefpunkt.

»Du siehst unzufrieden aus«, stellte Jowna fest. In der Hand hielt sie ein Törtchen aus Karotten und Rührteig, das mit einer duftenden, silbern glitzernden Frischkäsecreme überzogen war. Sie biss hinein, ihre Augen funkelten vergnügt.

»Du kennst mich«, erwiderte Killian trocken. »Wann sehe ich schon glücklich aus?«

Mit einem schiefen Grinsen stieß Jowna ihm in die Seite. Sie verdrehte ihre hellbraunen Augen. »Idiot.«

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