IV.I Streit im Hexenzirkel

7
Killian

Mit verschränkten Armen saß Killian auf dem kalten Erdboden. In der Mitte des Halbkreises, den die Hexenkinder seines Zirkels hatten bilden sollen, stand eine der Zirkelältesten, Meisterin Yates, und erklärte den Jüngeren ausführlich, weshalb die heutige Lektion so wichtig für sie alle sei.

Er rollte mit den Augen. Ihre täglichen Unterweisungen im Zirkel hätten großartig sein können, eingeschworen und lehrreich, traditionell und voller altem Wissen, über Jahrhunderte an die nächste Generation Hexen der Familie weitergegeben. Doch stattdessen saß er hier neben seinen nervtötenden Verwandten, um über das Brauen vom zigtausendsten Elixier zu reden. Wie vermisste er doch den Unterricht am Murchadha! Die zwei Tage in der Woche, in denen er mit seinen Freunden im Lyzeum lernen durfte, waren sein einziger Lichtblick.

»Schlagt eure Rezeptbücher nun auf Seite dreiundzwanzig auf«, begann Yates schließlich ihren Monolog. Ihre sanfte Stimme klang weit aus jünger, als das Aussehen der über Neunzigjährigen vermuten ließ. »Wie ihr wisst, stellen die Heiltränke die größte Klasse der Elixiere dar. Wir werden heute einen einfachen Codladhoch brauen. Wer kann mir sagen, was diese Art der Tränke ausmacht?«

Niemand antwortete.

»Nun, der Begriff Codladhoch setzt sich aus den gälischen Wörtern für Schlaf und Trank zusammen und wird für Elixiere verwendet, die gezielt dazu eingesetzt werden, den Schlaf einzuleiten oder seine Qualität zu verbessern. Er ist von den Elixieren abzugrenzen, die lediglich Einfluss auf unsere Träume haben.« Sie machte eine ausladende Handbewegung, ihre faltigen Finger kamen dabei unter ihrem langärmligen, violetten Umhang zum Vorschein, und ein langer Ast, der zwischen den Gräsern gelegen hatte, raste auf sie zu. Mit routiniertem Gleichmut fing sie ihn auf, um das Wort Sámhod in den Sand zu zeichnen.

»Wir beschäftigen uns die nächsten Wochen mit den Schlafelixieren. Heute brechen wir unsere Tradition und beginnen ausnahmsweise zuerst mit dem Brauen. Das Rezept habt ihr alle vor euch in den Büchern, die Zutaten findet ihr wie immer im Vorratsschrank, falls ihr sie nicht selbst dabei habt.« Bei diesen Worten flog die Tür zum nahegelegenen Brauhaus auf. Es war eine kleine Steinhütte mit einem Dach aus Reisigzweigen. »Ich setze erst einmal eine gute Stunde Zeit an. Bei Fragen werden euch die Älteren gerne helfen.«

Killians Blick fiel auf die Zutatenliste. Das Elixier bestand nur aus Baldrianwurzel, Lavendelblüten, Fenchelkraut und Hopfen, auch waren die Anweisungen kurzgehalten. Trotzdem entwich ihm ein leises Stöhnen. Er hatte gehofft, die Hexenkinder seines Zirkels fingen erst in den nächsten Wochen mit dem Brauen an, wie es sonst üblich war. Von ihnen wurde zunehmend Eigenständigkeit erwartet, wie die heutige Stunde bewies. Leider wusste er aus Erfahrung, dass das gleichbedeutend damit war, dass die Kleinen jeden Schritt mit ihm zusammen durchgehen wollten, am besten noch sollte er ihre Zutaten bearbeiten oder das Elixier gleich selbst kochen. Dabei hatte er die Unterrichtszeit im Zirkel gerne für seine Hausaufgaben genutzt, daraus würde die nächsten Wochen wohl nichts werden.

»Worauf wartest du?«, fragte Pheline, die bereits einen ihrer Schützlinge davon bewahren musste, Fenchelkraut mit den giftigen Schierlingsfrüchten zu verwechseln. Ein Grinsen schlich sich auf ihre Lippen. »Ich verstehe gar nicht, dass dir das hier so überhaupt keine Freude bereitet. Ich liebe Elixierkunde mit den Kleinen. Es ist gar nicht so lange her, dass wir an ihren Stellen waren.«

Als Antwort gab er nur ein Brummen von sich. Killian erhob sich vom Waldboden, klopfte sich den Dreck von der Hose und lief auf die Feuerstelle seiner Zöglinge zu. Bevor Michael, ein etwa zehnjähriger Junge mit pechschwarzem Haar, seinen kleinen Edelstahlkessel in die Halterung hängen konnte, erinnerte Killian ihn daran, dass er das Holz zuerst entflammen sollte, da er es sich sonst nur unnötig selbst schwer machte.

Nachdem das leise Prasseln und der altbekannte dunkle Rauch eines Feuers aufloderten, fragte Killian: »Was ist der nächste Schritt?« Niemand schien eine passende Antwort zu wissen. »Wir bringen das Mondöl zum Kochen, nicht nur erhitzen, danach dürfen die ersten Kräuter dazu.« Wie oft hatte er das selbst damals vergessen? Er warf sein Thermostat in den Kessel, um die Temperatur im Blick zu haben, und machte sich daran, die verschiedenen Zutaten an die Jüngeren zu verteilen, damit jeder eine Aufgabe hatte. Niemand sollte behaupten, er wäre unfair. Killian konnte kaum die Beschriftungen der Kübel und Fläschchen entziffern, so duster war es im Wald. Neben dem Kessel stand eine alte Laterne, deren warmer Lichtschein sich mit dem Feuer mischte und die Büsche wie Sträucher in scharfen Konturen schimmern ließ. Schweiß rann ihm bereits den Nacken entlang, bis die Kinder endlich alles beisammen hatten.

Mit einem Stößel zerrieb ein blondes Mädchen, deren Name er stets vergaß, getrocknete Lavendelblüten, die Killian zuvor auf der Waagschale gegen zwanzig Kristalle abgewogen hatte. Er war sich unsicher, ob sie geduldig genug gewesen war und die Pflanze fein genug zermürbt hatte, doch Killian wusste, dass er selbst nur unzureichende Elixiere braute. Was sollte er da den Kleinen beibringen können? Schulterzuckend wies er als nächstes Elise an, den Lavendel in die Tinktur zu rühren.

Auch Pheline, die neben ihm mit den Kindern konzentriert die Zutaten mischte, hatte hochrote Wangen und einige Strähnen ihres weißblonden Haares kringelten sich feucht über ihre Stirn.

»Ganz schön warm«, wisperte Killian ihr zu.

Sie gab ein leises Kichern von sich. »Pass auf, noch ein paar Minuten und ich habe Sonnenbrand.«

»Von ein bisschen Magie überfordert?«, ahmte Killian seinen besten Freund nach, der zu Wochenbeginn etwas ganz ähnliches zu Rhydian in seiner gewohnt überheblichen Art gesagt hatte.

Pheline warf ihm einen bösen Blick zu, grinste dann aber verschlagen. »Ganz schön vorlaut für jemanden, der noch nicht einmal die simpelsten Tränke zubereiten kann.«

»Ich bin ein Silurer. Durch meine Adern fließt mächtiges, reines Blut. Ich bin einfach zu höherem bestimmt.« Er biss sich auf die Zunge. Nach einem Tag im Lyzeum hatte er bereits vergessen, dass nicht etwa Jowna oder Rhydian neben ihm saßen, sondern Pheline. Eine Hexe, vor der er sich solche Worte verkneifen sollte.

Bevor sie jedoch reagieren konnte, war Gwynedds Zwillingsbruder vor ihm aufgesprungen. »Dreckiger Fanatiker!« Grants braune Augen funkelten vor unterdrückter Wut. Die Hexenkinder zuckten erschrocken zusammen. »Wie kannst du so etwas nur sagen? Was bringen dir deine kleinen, schwarzmagischen Freunde eigentlich bei?«

Gwynedd hatte ihrem Bruder beschwichtigend eine Hand auf die Schulter gelegt, doch er schüttelte sie ab wie eine lästige Fliege.

»Immerhin haben wir keine Ghulfresse«, zischte Killian. Demonstrativ musterte er Grant, seine dünnen, rötlichen Haare und die markanten Kieferknochen, um keinen Zweifel aufkommen zu lassen, wen er mit seiner Aussage meinte.

»Nimm das zurück!«, rief dieser plötzlich und machte einen Satz auf Killian zu. Seine Augen loderten.

»Beruhige dich, Grant«, versuchte Gwynedd es ein weiteres Mal. »Was sollen denn die Kleinen denken? Killian hat ganz offensichtlich einen Scherz gemacht.« Sie warf ihm einen eindringlichen Blick zu. »Das ist doch so, oder?«

Es kostete ihn alle Selbstbeherrschung, nicht laut zu schnauben und seine Cousine auszulachen für ihre Naivität. Stattdessen zwang er sich ein diplomatisches Lächeln auf die Lippen. »Natürlich. Als würde ich irgendwelchen verbotenen Ideologien nacheifern.«

Bevor ihr Bruder ihm weitere unschöne Worte an den Kopf werfen konnte, war Meisterin Yates neben ihnen aufgetaucht. »Was ist denn hier los?«

»Es gab eine kleine Meinungsverschiedenheit zwischen mir und Herrn Mac Carthaigh«, beeilte Killian sich zu sagen, ehe Grant ansetzen konnte, seine Seite der Geschichte zu erzählen. »Wir haben es jedoch geklärt.«

»Ist das wahr?«, verlangte die Zirkelälteste zu wissen.

»Aber!«, setzte Grant an, wurde jedoch von seiner Schwester unterbrochen.

»Wir haben es geklärt«, wiederholte Gwynedd nachdrücklich.

Killian warf Grant noch ein provozierend freundliches Lächeln zu, dann widmete er sich wieder seinen drei Schützlingen.

Nachdem er sie angewiesen hatte, auch die Baldrianwurzel und den Hopfen in den Sud zu geben und das Mondöl eine halbe Stunde köcheln zu lassen, nahm er sich einen der Kolben aus dem Brauhaus, in die sie später ihre Ergebnisse füllen sollten. Er stellte diesen neben seiner Feuerstelle unter einen Dreifuß und spannte schon einmal das Sieb ein.

»Wer von euch weiß, wofür wir Sámhod genau nutzen?«, fragte Killian, um die kurze Wartezeit zu überbrücken.

Michael zeigte sofort auf, ein euphorisches Leuchten in den dunklen Augen, als würde er über seine Geschenke zu Beltaine berichten wollen. Killian nickte ihm zu. »Also«, setzte er mit kindlich hoher Stimme an, stockte jedoch und tippte sich sichtlich aufgeregt gegen das Kinn. »Oh, nein, ich weiß es nicht mehr.«

Ein frustriertes Grinsen schlich sich auf Killians Lippen, das vermutlich weniger freundlich wirkte, als er sich wünschte. Doch über die Unbedarftheit der Hexenkinder konnte er jedes Mal nur mit dem Kopf schütteln. Es war beinahe niedlich, wenn der Unterricht im Zirkel ihm nicht so schlechte Laune bereiten würde. »Vielleicht jemand anderes?« Er sah die beiden Mädchen an. Da ihm der Name der kleinen Blondhaarigen noch immer nicht eingefallen war, rief er Elise auf.

Sie rieb sich über ihre sommersprossenbedeckte Nase. Hätte sie rotes und nicht aschbraunes Haar, hätte sie als Gwynedds jüngere Schwester durchgehen können. »Ich glaube, das ist ein Schlafelixier.«

»Ja, richtig«, sagte Killian. »Aber das hatte Meisterin Yates euch vorhin schon erzählt. Wofür genau wird es eingesetzt?«

»Bei leichten Einschlafproblemen!«, rief das andere Mädchen. »Meine Mama nimmt das manchmal, wenn sie abends wachliegt.«

Die restlichen Minuten nutzte Killian dazu, die Kindern zu motivieren, bereits ihren Arbeitsplatz aufzuräumen und die Stößel und Schalen im Brauhaus abzuwaschen. Schließlich goss Michael etwa die Hälfte des Gebräus in den bereitgestellten Kolben und kleckerte dabei weniger, als Killian zunächst befürchtet hatte. Die Überreste der Lavendelblüten, der kleingeschnittenen Baldrianwurzel und des Hopfens verfingen sich im feinmaschigen Gitter vom Sieb. Das Glasfläschchen war bis zur obersten Linie mit einer gelblichen, zähen Flüssigkeit befüllt, die ihn auf den ersten Blick an Honig erinnerte. Er sah zu Pheline hinüber. In dem Elixier ihrer Gruppe schwebten ebenfalls noch Partikel herum, wogen sich sacht in dem Trank wie tanzende Punkte, allerdings erinnerte die Farbe an flüssiges Gold, während seine noch zu sehr nach dem gelben Mondöl aussah, das sie als Basis benutzten.

Killian seufzte. Wie viel Mühe er sich auch gab, ihm fehlte die Geduld und die Begeisterung, präzise Tränke zu brauen. Nicht ohne Grund schoben die Zirkelältesten stets die hoffnungslosen Fälle an ihn ab, wie seine Gruppe mit Michael und Elise bewies. Mervyn hatte überall gute Ergebnisse. Er war nicht annährend so talentiert wie Killian in Geschichte oder Runenlehre, aber dafür war er eine konstante Größe in allen Fächern. Killian hingegen brillierte und enttäuschte je nach Unterricht. Es nützte nichts, sich darüber zu ärgern.

Kurz vor Ende läutete Meisterin Yates mit einer Glocke, um sie darauf hinzuweisen, dass sie das Brauen einstellen und ihre Feuerstellen aufräumen sollten, während sie den moosbedeckten Waldboden entlang schritt und ihre Ergebnisse begutachtete. Auch wenn sie Sámhod zum ersten Mal gebraut hatten, wusste Killian von damals, dass es bei dem Trank besonders darauf ankam, die Wirkstoffe der Zutaten in dem Mondöl zu lösen. Etwas, das seine Schützlinge nicht geschafft hatten. Meisterin Yates ließ ihre Proben in einen Korb schweben, dann schlug sie ein weiteres Mal die Glocke.

»Denkt dran, eure ausgespülten Kessel ins Brauhaus zu bringen und zum Trocknen aufzuhängen. Bis zur nächsten Stunde ergänzen die Älteren bitte noch die Protokolle zum heutigen Elixier«, versuchte sie die zunehmend unruhiger werdenden Hexenkinder zu übertönen. »Wir sehen uns dann morgen wieder.«

Kaum hatte sie das letzte Wort ausgesprochen, waren Grant und Gwynedd mit Pheline im Schlepptau den Wildwechsel entlang hinter dichten Nadelbäumen verschwunden. Das Lachen und Kreischen der Kinder lebte auf. Killian blieb allein auf der Lichtung zurück.

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