Kapitel 58
Das gibt es gar nicht.
Er hat seine Arme um meine Taille geschlungen, sodass ich sein Gesicht nicht sehen kann, während er mich tiefer hinunterzieht.
Wie schießen so schnell durch das Wasser, dass ich gar nicht in der Lage sein sollte, die Augen offen zu halten - aber ich kann es.
Wir sind bereits zu weit unten, um den Sturm über dem Meer noch länger zu sehen, um den Widerhall des Donners zu hören.
Eigentlich müsste ich durchdrehen.
Aber genau wie zuvor auf der Couch fühlen sich Hicks' Arme an wie ein Seil, eine Rettungsleine, von Muskeln durchsetzt und fest um mich geschlungen.
Je tiefer wir kommen, desto dunkler wird es, aber meine Augen scheinen sich anzupassen. Tatsächlich tun sie mehr als das - mein Blick schärft sich hier unten.
Zuerst ist es, als hätte jemand das Licht ausgeschaltet - ich sehe nur Schatten.
Aber die Schatten nehmen Gestalt an, verwandeln sich in Fische oder Felsen. Und dann erscheint alles so klar wie am helllichten Tag, als hätte jemand das Licht wieder eingeschaltet.
Aber wir bewegen uns noch tiefer nach unten, nicht zurück an die Oberfläche. Woher kommt das Licht?
Und wohin treiben wir?
Die Fischschwärme, an denen wir vorbeikommen, huschen uns aus dem Weg. Sogar größere Fische weichen zur Seite, als würden wir einen Sportwagen auf der Autobahn fahren.
Wie macht Hicks das?
Er hat alle Hände voll mit mir zu tun, also benutzt er sie nicht, um zu schwimmen.
Ich spähe zu unseren Füßen hinunter - nur dass unsere Füße nicht da sind. Bloß meine. Und eine Flosse.
"Hai!", schreie ich. Ich schlucke Wasser und hoffe, dass er mein Gurgeln versteht. Wir halten so abrupt an, dass es mein Haar nach vorne peitscht.
"Was?" Er verstärkt seinen Griff um mich und wirbelt uns auf der Stelle herum.
"Ich sehe keinen Hai, Astrid. Wo hast du ihn gesehen?"
"Dort unten - warte."
Ich blicke hinter uns, aber der Hai ist weg. Als ich um Hicks herumspähe, um zu sehen, ob der Hau uns überholt hat - obwohl ich mir ziemlich sicher bin, dass uns nicht einmal ein Schnellboot überholen könnte -, beginne ich, die wahre Stärke meiner Sehkraft hier unten zu hinterfragen.
Kein Hai.
"Ich schätze, wir haben ihn verjagt -was zur....? Wie machst du das? Wie mache ich das?"
So klingt man nicht unter Wasser. Jedes Wort, das wir sagen, klingt so klar, als säße ich im Wohnzimmer auf seinem Schoß.
Nicht gedämpft, wie wenn man in der Badewanne liegt und nichts außer dem eigenen Herzschlag hören kann.
Da ist kein Summen, kein Druck in meinen Ohren. Nur Stille.
"Wie machen wir das?" Er dreht mich zu sich um.
"Ich kann dich hören. Du kannst mich hören. Und ich sehe dich, so klar wie am helllichten Tag - aber es ist nicht Tag, nicht einmal am Ufer. Wie kann das sein, Hicks?"
Er seufzt. Wie kann er seufzen? Wir sind unter Wasser.
"Das ist das Geheimnis, Astrid"
Er deutet mit dem Kopf auf unsere Füße.
Ich folge seinem Blick. Halte den Atem an. Schlucke. Und würge.
Der Hau ist zurück - und hat Hicks' gesamten Unterleib verschlungen, bis hinauf zu seiner Taille!
Er bewegt seine Flosse kämpferisch hin und her, um an ihm dranzubleiben.
"Nicht auch noch du!", schreie ich. Ich trete nach dem Hai, so fest ich das mit bloßen Füßen kann.
Hicks verzieht das Gesicht und lässt mich los.
"Astrid, hör auf, mich zu treten!", sagte Hicks und packt mich an den Schultern.
"Ich trete nicht dich, ich trete.... ich trete.... Omeingott!"
Hicks ist der Hai. Der Hai ist Hicks. Was ich sagen will, ist - da ist kein Hai. Das ist nur Hicks. Sein Oberkörper ist noch da, die mächtigen Arme, die gemeißelten Bauchmuskeln, das großartige Gesicht.
Aber.... seine Beine. Sind. Weg.
Nicht abgebissen, nicht verschluckt.
Nein, nur ersetzt durch eine lange, silberne Flosse.
Un-fass-bar.
Ich schüttele den Kopf und reiße mich von ihm los.
"Das gibt's nicht. Das gibt es einfach nicht." Ich treibe von ihm weg, aber er folgt mir.
"Astrid." Er streckt sie Hand nach mir aus. "Beruhig dich. Komm her."
"Nein. Du bist nicht echt. Das alles hier ist nicht echt. Ich möchte wieder aufwachen."
Ich blicke zur Oberfläche.
"Ich sagte, ich möchte wieder AUFWACHEN!"
Ich schreie mein Ich an, weil es bestimmt immer noch auf Hicks Couch schläft, aber mein Ich wacht nicht auf.
Hicks gleitet näher heran, ohne die Arme zu bewegen.
"Astrid, du bist wach. Das hier ist dein Geheimnis. Der Grund, warum deine Augen diese Farbe haben."
"Bleib, wo du bist." Ich zeige warnend auf ihn.
"Für den Fall, dass du es nicht bemerkt hast, ich habe mich nicht in einen Fisch verwandelt, sondern du. Damit wäre das also dein Geheimnis, meinst du nicht auch?"
Er grinst. "Wir haben das gleiche Geheimnis."
Ich schüttele den Kopf. Nein, nein, nein.
Er nickt nachdenklich. "Tja, ich schätze, das war's dann wohl. Der Strand liegt in dieser Richtung."
Er zeigt in die Unendlichkeit hinter mir.
"Nun, es war schön, dich kennenzulernen, Astrid."
Mir klappt der Unterkiefer herunter, als er weg-schwimmt.
Als seine Silhouette langsam verschwindet, beginne ich zu hyperventilieren. Er geht einfach weg. Er verlässt mich. Er verlässt mich mitten im Meer. Er verlässt mich mitten im Meer, weil ich kein Fisch bin. Nein, nein, nein, nein!
Es darf mich nicht verlassen!
Ich wirble herum und herum. Wie soll ich den Strand finden, wenn ich weder die Oberfläche noch den Boden sehen kann?
Meine Atmung wird noch sprunghafter....
Aber.... aber.... wie kann ich unter Wasser hyperventilieren?
Zum ersten Mal, seit wir das Ufer verlassen haben, wir mit der Sache mit dem Sauerstoff bewusst.
Der hätte mir schon längst ausgehen müssen. Ist er aber nicht. Nicht einmal annähernd.
Während ich eben beinahe kollabiert bin, habe ich einfach Luft aus der Nase geschnaubt - genau wie beim Sprechen.
Gerade so viel Luft, um ein Geräusch zu machen. Das hat immer gesagt, ich hätte eine richtig gute Lunge, aber ich bezweifle, dass er damit das hier gemeint hat.
Und jetzt habe ich auch noch Publikum. Da ist nichts Nebelhaftes oder Traumartiges an der Gruppe von Fischen, die mich umringt.
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