35. Kapitel

Nach einiger Zeit fand ich das Baumhaus wieder. Ich sah von weit oben, dass auf der Hauptlichtung ein reges Treiben herrschte. Alle rannten aufgescheucht durch die Gegend. Ich kniff die Augen zusammen um meine Tränen zurückzuhalten. Ich wollte erst gar keinen Blick auf Muff werfen. Flügelschlagend bewegte ich mich auf das Baumhaus zu. Ein Rabe kam auf mich zugeflogen.
"Ella? Gott sei dank, du lebst!" , krähte Estus.
Ich ruckte nur mit dem Kopf und folgte ihm.
Meine Flügel wirbelten ordentlich Staub auf, als ich landete.
Susanne und Will kamen auf mich zu, wurden aber von Falsa und Jarus erstmal zurückgehalten. Die meisten anderen fanden sich auch auf der Lichtung zusammen und betrachteten mich ehrfürchtig. Vorsichtig legte ich den gefrorenen Muff auf den Boden. Falsa war sofort bei mir und kniete sich auf den Boden.
"Was ist mit ihm passiert?" , sie sah mich fragend an.
Ich berührte ihn vorsichtig mit einer Klaue.
"Das war Aspero." , zischte ich leise, sodass nur sie es hörte.
Falsa zog scharf die Luft ein und musterte mich.
Ich wollte gerade noch etwas hinzufügen, als ich plötzlich gepackt und in die Luft geschleudert wurde. Alle brüllten erschrocken auf.
Aspero schnappte nach mir und schleuderte mich zurück in einen Baum. Keuchend kämpfte ich mich heraus. die gebrochenen Rippen machten das nicht einfacher.  Der Schattendrache beachtete mich nicht weiter und besah sich amüsiert das Baumhaus.
"Sieh an, sieh an. Das Baumhaus des Widerstands.", zischte er und kniff sein Auge zusammen.
Adrog kam aus den Bäumen geschossen und schwebte vor dem deutlich größerem Drachen. Aspero sah ihn für einen kurzen Moment erstaunt an.
"Adrog, du lebst ja noch. Was für ein, naja... Wie soll ich es sagen? Was für eine unangenehme Überraschung."
"Du hättest wissen sollen, dass mich so schnell nichts umhaut, Aspero." , meinte der Adler drohend.
"Ich habe dummerweise damit gerechnet, dass eine aufgeschlitzte Halsschlagader reichen würde. Bitte verzeih mir."
Er wollte sich auf Adrog stürzen, doch diesmal war ich ausnahmsweise schneller und warf mich gegen den Schattendrachen. Eis brach von seinen Schuppen, als wir zusammenstießen. Er fauchte wütend auf und drehte sich so in der Luft, dass er mich mit seinen Hinterbeinen gegen Adrog schleuderte und wir beide ins Taumeln gerieten. Ich hörte rasselnden Atem und warf Adrog mit meinen Pranken auf die Lichtung des Baumhauses. Schnell versuchte ich selbst außer Reichweite der Kälte zu kommen. Ich war aber zu langsam und knirschend breitete sich das Eis auf meinen Flügeln aus. Es war so dick, dass ich sie nicht mehr bewegen konnte und in die Tiefe stürzte. Eine Millisekunde später packte mich aber jemand und hielt mich an meinen Vorderbeinen fest. Kälte hüllte meinen Körper ein und die kam nicht von dem Eis auf meinen Flügeln.
Aspero war derjenige, der mich festhielt.
Verwirrt blinzelte ich zu ihm hoch. Der Drache verzog sein ohnehin schon dreist grinsendes Maul, zu einem so breiten Grinsen, dass ich seine spitzen Zähne sehen konnte. Ich bemerkte die abgesplitterten und verdrehten Zähne auf seiner linken Gesichtshälfte. Im Gegensatz zu den schimmernden gesunden Zähnen auf der rechten Seite, waren die linken schwarz und von Raureif überzogen. Er drehte den Kopf so, dass ich direkt in seine leere Augenhöhle starrte. Angewiedert zog ich den Kopf vor der grausamen Wunde zurück und versuchte mich aus seinem eisigen Griff zu befreien, da ich mittlerweile schon ziemlich zitterte. Dabei waren nur Sekunden vergangen.
"Bist du dir sicher, dass ich dich loslassen soll?" , fragte er.
Ich zappelte weiter.
"Wenn sie mich weiter festhalten, werde ich erfrieren." , knurrte ich zunehmend panischer.
Ich sah aus dem Augenwinkel, wie der Widerstand immer noch wie versteinert da rumstand. Selbst Litus und Revel waren von dem Schauspiel, das sich ihnen bot zu Salzsäulen mutiert. Diese Flaschen! Adrog rappelte sich mit Falsas Hilfe auf und langsam wurden Waffen gezogen.
"Was hätten wir denn gerne Königstochter? Sterben , indem du sehr unangenehm auf dem Boden aufschlägst, oder doch lieber langsam erfrieren?" , zischte er leise.
Langsam wurde mir durch die Kälte schwarz vor Augen und ich spürte, wie das Eis von seinen Krallen aus, über meinen Körper wanderte.
Er schüttelte mich und das Eis brach von meinem Körper ab. Ich sah verschwommen, wie es in die Tiefe fiel. Ich hörte Aspero genervt seufzen und erkannte, die unzähligen Bögen, die in seine Richtung gespannt waren.
"Lass sie los Aspero!" , krächzte Adrog warnend.
"Hach, jetzt bin ich aber beeindruckt. Habt ihr die Bögen aus eurem Antiquitätenhaufen gekramt oder was?"
Adrog öffnete schon den Schnabel, um den Befehl zum Abschuss zu geben, als er von Aspero unterbrochen wurde.
"Halt! Ok, das kann ich wirklich nicht mit ansehen. Bitte nicht, Erbarmen!" , jaulte der Drache mit gespielter Panik.
Alle sahen ihn verwirrt an (insbesondere mir.)
"Adrog, das kannst du doch nicht tun, ich bekomme gerade ernsthaft Angst, dass ihr die liebe Ella hier treffen könntet."
Jetzt sahen ihn alle sehr böse an.
"Warum sollte ich dich hier töten Ella? Wo es nur deine Freunde sehen? So schnell werde ich dich nicht umbringen, keine Sorge. Du weist, dass erst deine Freunde dran sind." , knurrte er leise, damit nur ich es hören konnte. Jeglicher Sarkasmus war aus seiner Stimme gewichen und sie klang nur noch kalt und hoch. Ich spürte, wie er mich fester packte und dann mit Schwung auf die Lichtung schleuderte. Keuchend donnerte ich auf den Boden und alle mussten erstmal zur Seite hechten. Ich sah nach oben zu Aspero, der immer noch auf der Stelle flog. Sein eisblaues Auge blitzte kurz auf, als er umdrehte und mit ein paar starken Flügelschlägen in den Wolken verschwand. Falsa trat in mein Blickfeld und sah mich genau wie die meisten anderen besorgt an. Stöhnend verwandelte ich mich zurück und schrie vor Schmerz auf, als sich meine gebrochenen Rippen bei der Verwandlung selbständig machten. Falsa berührte mit ihrem Finger meine Stirn und alles wurde wieder mal schwarz.

Was als nächstes passierte bekam ich nur leicht verschwommen am Rande mit. Die meisten wurden gebeten Ruhe zu bewahren und Adrog berief eine Versammlung ein. Meine Wenigkeit wurde mal wieder in Falsas Hütte gebracht. Ich spürte wie jemand mir ein äußerst widerliches Zeug in den Rachen kippte. Ich drehte meinen Kopf zur Seite und mein Blick fiel auf Muff, der immer noch erstarrt auf dem Tisch lag. Meine Augen fielen zu...

Ein Klopfen an der Tür weckte mich. Ich hörte Falsas Kleid rascheln, als sie zur Tür ging. Sie stieß einen überraschten Schrei aus und ich öffnete meine Augen einen Spalt breit. Vor der Tür stand der Fremde! Sein schwarzer Mantel flatterte ein wenig in der kalten Brise, die hereingeweht kam. Draußen musste es schon dunkel sein.
"Was, bei allen Magiern, tust du hier?" , zischte sie.
"Ich wollte Pilze sammeln. Ich habe gehört, dass hier ein besonders seltenes Exemplar namens..." , setzte er an, wurde aber von Falsa unterbrochen, die ihn energisch in die Hütte zerrte und die Tür so vorsichtig schloss, dass ich das Gefühl hatte sie könnte explodieren, wenn man sie zu laut ins Schloss drückte.
"Willst du mich auf den Arm nehmen??" , regte sich die Magierin auch sofort auf.
"Das würde ich doch niemals wagen. Hatte ich erwähnt, dass ich wegen Pilzen hier bin?"
Sie ließ sich seufzend in einem der Schaukelstühle fallen und sah genervt zu dem Fremden.
"Du bist wirklich der einzige, der es schafft mir zu schmeicheln und mich dann im selben Satz zu verhöhnen. Du kannst froh sein, dass Jarus nicht hier ist. Was hätte ich ihm denn sagen sollen?"
Nicht zu fassen. Mein Top-Secret Schwertkampflehrer kannte Falsa und die beiden unterhielten sich gerade wie zwei alte Freunde. Falsa sah kurz zu mir und ich schloss blitzschnell meine Augen. Ich hörte die Schritte des Fremden auf mich zukommen und spürte plötzlich seine Hand auf meiner Stirn. Ich musste mich ziemlich zusammenreißen, die Augen nicht zu öffnen. Seine Hand war aber wunderschön kalt und mir fiel erst jetzt auf, wie heiß mir war.
"Wie geht es ihr?" , wollte er leise wissen.
"Zwei gebrochene Rippen und eine Gehirnerschütterung. Ich habe ihr direkt was gegeben." , erklärte Falsa.
Es knackte, als der Fremde Muff in die Hand nahm.
"Ihr Sitzdrache." , stellte er fest.
"Ja, kriegst du ihn wieder hin?"
Langsam öffnete ich wieder die Augen und schielte zu dem Fremden. Mit Erstaunen sah ich, dass seine Hand kurz blau schimmerte und sich langsam das Eis von Muff löste. Es rieselte auf den Boden und der kleine Sitzdrache streckte sich zu seiner vollen Größe aus. Wobei seine volle Größe in seinen Bauch rutschte. Muffs Rubinaugen glotzten den Fremden verwirrt an, wurden nach ein paar Sekunden aber so rund wie Pfannkuchen.
Ach du Scheiße!
Hörte ich seine Stimme in meinem Kopf. Muff schnappte nach dem Fremden.
"Ganz ruhig ich habe nicht vor dich zu fressen." , meinte der Fremde amüsiert.
Ach nein? Da bin ich aber überrascht.
Falsa sah den Drachen warnend an.
"Sei brav, oder du musst nach oben zu deinen Geschwistern!" , drohte sie.
Muff funkelte sie einen Moment lang an und ließ sich dann grummelnd auf den Tisch plumpsen.
"Also," Falsas Blick wanderte wieder zu den Mann, "was machst du hier?"
"Die Nebelwandler wissen jetzt, wo euer Baumhaus ist. Es ist nur noch durch deinen Zauber geschützt und den wird Ferox schon bald entschlüsselt haben. Ihr habt nicht mehr viel Zeit."
"Hast du keine Möglichkeit die Nebelwandler ein wenig zu verwirren?" , fragte Falsa hoffnungsvoll.
Der Fremde schüttelte nur resigniert den Kopf.
"Das kannst du vergessen. Wie soll ich das anstellen, ohne das meine Tarnung auffliegt? Es hilft nicht sonderlich, wenn Ferox überall herumschleicht."
"Wie lange haben wir noch?"
"Ich würde schätzen, dass noch Zeit bis zum Winteranfang bleibt. Wenn die ersten Blätter fallen, dürfte es soweit sein."
"Danke, du bist wirklich eine große Hilfe. Aber wie sollen wir Ferox und die Nebelwandler jemals besiegen? Wir werden nie genug sein und Ferox ist der mächtigste Magier, den ich kenne."
Der Fremde packte Falsa am Arm und zog sie in seine Umarmung. Sie zuckte zurück.
"Lass das! Du bist verdammt kalt!" , meckerte sie.
Er lachte nur leise und strich ihr mit der Hand über die Haare.
"Wenn du noch an solchen Kleinigkeiten rumjammerst, ist das Ende der Welt noch sehr weit entfernt." , meinte er spöttisch.
Ich sah, wie Falsa sich an meinen Schwertkampflehrer lehnte und von unten unter seine Kapuze linste. Da sie mindestens einen Kopf kleiner war als er, klappte das wohl sehr gut.
"Ich hab das Gefühl, dass ich dich vor meinem Tod nicht mehr wiedersehe..." , flüsterte Falsa mit Trauer in der Stimme.
"Dann solltest du dich gut hieran erinnern." , erwiderte er, zog sie noch näher zu sich und küsste sie doch tatsächlich.
Meine Augen mussten schon aus meinem Kopf geploppt und über den Boden gerollt sein. Was war denn das? Sie... Und er...
Ich warf einen Seitenblick auf Muff. Der kleine Drache hockte noch auf dem Tisch und starrte mit aufgerissenem Maul und seitlich heraushängender Zunge auf die beiden.
Die beiden Turteltauben lösten sich wieder von einander.
Falsa holte aus und verpasste ihm eine Backpfeife. Jetzt war ich verwirrt.
"Wofür war das denn jetzt, wenn ich fragen darf?" , wollte der Fremde genauso perplex wissen.
"Warum hast du mich geküsst?"
"Du kannst nicht leugnen, dass es dir nicht gefallen hat..." , feixte er.
Die Magierin wurde rot und sah auf den Boden. Schließlich trat sie wortlos zur Tür und öffnete sie.
"Stirb mir nicht so schnell." , murmelte sie. 
Der Fremde seufzte und ging mit wehendem Mantel zur Tür. Wieder fiel mir das verblasste Zeichen auf, das früher einmal auf seinem Mantel gewesen sein musste.

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Ja, Schande über mich.
Hat diesmal sehr lange bis zum neuen Kapitel gebraucht. Jetzt kommen die hoffentlich wieder pünktlicher ;-) :-)

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