Kapitel 5 ~ Keine nächtlichen Alleingänge mehr

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„Du!“, knurrte ich meinen Gegenüber an und ließ die Hand wieder sinken, denn ich ging davon aus, dass er keine Gefahr für mich darstellen würde. Stattdessen griff ich mir an meine Brust, in der mein Herz aufgeregt hämmerte und das Blut gemischt mit Adrenalin durch meine Adern pumpte.

„Du hast mich erschreckt“, beschwerte ich mich und stieß gleichzeitig die Luft aus, die ich unbemerkt angehalten hatte.

„Das lag nicht in meiner Absicht“, ließ mein Gegenüber verlauten und musterte mich intensiv aus seinen dunklen Augen, was mir einen kalten Schauer bereitete.

Ich hatte schon in der Schule festgestellt, dass dieser Kerl mir unheimlich war, aber jetzt von Nahem steigerte sich mein schlechtes Gefühl ihm gegenüber nochmals. Er war viel zu blass, um gesund auszusehen und seine Augen waren so dunkel, dass man kaum die Iris von der Pupille unterscheiden konnte. Seine blonden Haare standen ihm wirr vom Kopf ab und sein Gesichtsausdruck schien gerade noch leidender zu sein, als er es heute früh in der Schule gewesen war. Es sah beinahe so aus, als würde ihm dauerhaft irgendwas Schmerzen bereiten und das fand ich alles andere als normal. Es ließ ihn zudem nicht gerade freundlich wirken und am liebsten hätte ich einen großen Bogen um diesen Typen gemacht, egal, ob er an sich gut aussah oder nicht und egal, aus was für einer besonders angesehenen Familie er stammte.

„Schon gut, ist ja nichts passiert“, ruderte ich zurück und verschränkte erneut die Arme vor der Brust, denn ich hatte keine große Lust, ein ausschweifendes Gespräch mit ihm zu führen. Allerdings ignorierte er meine abweisende Haltung einfach, also nahm er sie entweder gar nicht wahr oder es interessierte ihn schlicht weg nicht.

„Mein Name ist Jasper Hale“, stellte er sich höflich vor und nickte mir zu. Da ich nicht unfreundlich wirken wollte, hatte ich keine andere Wahl, als dem Adoptivsohn des Doktors zu antworten.

„Ich bin Mira Magdalena Scott. Aber meine Freunde nennen mich nur Magda“, informierte ich ihn also auch über meinen Namen und musterte ihn argwöhnisch. Was machte er um diese Uhrzeit überhaupt hier draußen? War er mit seinen Geschwistern unterwegs?

Suchend sah ich mich um, entdeckte aber niemanden. Wir waren alleine auf dieser Straße, mutterseelenallein und mit einem Mal war die Angst von eben wieder da. Wer konnte mir schon vergewissern, dass er mir nichts tun würde? Ich kannte diesen Jungen nicht mal!

Bevor ich mich jedoch weiter reinsteigern konnte, begann mein Gegenüber wieder zu reden und beim Klang seiner tiefen, durchaus schön klingenden Stimme verschwand die Angst so schnell wieder, wie sie gekommen war.

„Glänzender Stern“, sprach er, was mich irritiert die Stirn runzeln ließ.

„Hä? Was meinst du damit?“, fragte ich nicht gerade eloquent nach.

Daraufhin schmunzelte er und ich konnte nicht anders, als ihn anzustarren, denn dieses Schmunzeln ließ in seinem Gesicht Grübchen erscheinen und er wirkte mit einem Mal nur noch halb so unheimlich wie noch zu vor.

„Dein Name. Mira. Er stammt aus dem arabischen und bedeutet glänzender Stern“, erklärte er und ich musste anerkennend nicken. Das hatte ich nicht gewusst.

„Eine junge Frau wie du sollte um diese Uhrzeit nicht mehr alleine unterwegs sein“, wechselte er dann das Thema und seine Worte ließen mich genervt schnauben. Ich konnte solche Männer nicht leiden, die Frauen als hilflose Geschöpfe ansahen, die man beschützen musste.

„Ich kann schon alleine auf mich aufpassen!“, widersprach ich ihm deshalb und wollte gerade kehrt machen, da griff er erneut nach meinem Arm und hinderte mich damit am weiter gehen.

„Mira, warte bitte. Ich meine das Ernst. Du solltest nicht alleine nach Hause gehen“, belehrte er mich erneut und ich starrte wütend auf seine Hand, die meinen Arm noch immer umklammert hielt, fester als es eigentlich nötig gewesen wäre.

„Ich meine es auch Ernst, Jasper“, schnaubte ich und betonte seinen Namen dabei extra stark. Er ging mir auf die Nerven und es störte mich, dass er mich nicht wie alle anderen auch Magda nannte, sondern stattdessen meinen ersten Vornamen benutzte.

„Was soll schon passieren?“, fügte ich dann noch hinzu. „Oder gibt es hier etwa einen verrückten Axtmörder, von dem ich wissen sollte? Oder irgendwelche Tiere, die nur darauf warten, mich zu zerfleischen? Oder sogar gruselige, übernatürliche Wesen, die mir auflauern, um mir dann mein Blut aussaugen zu können?“

Jaspers Gesicht verzog sich bei meinen Worten nur unmerklich.

„Vermutlich nicht“, entgegnete er mir. „Aber man kann nie wissen. Deswegen werde ich dich nach Hause geleiten.“

Entschlossen ging er los und ich war so perplex, dass ich nicht in der Lage war, ihm zu antworten oder gar mich zu bewegen.

Er drehte sich halb zu mir und sprach: „Was ist? Oder möchtest du nicht nach Hause?“

Schnell schüttelte ich den Kopf, um mich aus meiner Schockstarre zu reißen und eilte ihm hinterher.

Schweigend lief ich neben ihm her und betrachtete ihn verstohlen von der Seite. Er war mehr als einen Kopf größer als ich und sehr schlank, aber ohne dabei ungelenk zu wirken. Viel mehr bewegte er sich sehr geschmeidig und sein Körper schien sehr sehnig zu sein. Er sah aus, als würde er viel Sport machen, allerdings nicht so etwas wie Gewichte stemmen oder so. Fieberhaft überlegte ich, an was mich seine Statur erinnerte… er könnte Radfahrer sein, oder Schimmer oder…

„Sag mal, läufst du?“, rutschte es mir da heraus, ehe ich es verhindern konnte.

Jetzt war er an der Reihe, mich irritiert anzusehen. „Wie meinst du das?“, erkundigte er sich und blieb dabei aber immer noch höflich. Er schien sich nicht an meiner unbedachten Art zu stören, ich jedoch fand es befremdlich, dass er sich dauerhaft so gewählt und irgendwie altmodisch ausdrückte.

„Ehm, also, naja, ich… ich wollte wissen, also, ob du Läufer bist. Also… naja, du siehst irgendwie so aus“, brabbelte ich peinlich berührt und spürte dabei, wie ich schon rot anlief.

Aber Jasper ignorierte mein Gestammel einfach und bestätigte mir meine Vermutung.

„Ich betreibe sehr viel Ausdauersport, das hast du gut beobachtet“, lobte er mich, sodass ich mir zum einen wie eine Spannerin und zum anderen wie ein kleines Mädchen vorkam. Es war wirklich zum verrückt werden. Irgendwie schien ich in seiner Gegenwart nicht in der Lage dazu zu sein, auch nur einen intelligenten Satz hervor zu bringen.

Schweigend liefen wir weiter und ich wunderte mich, dass er genau zu wissen schien, wo wir hin mussten. Ich war zwar keine Spannerin, aber vielleicht er ja ein Stalker?, überlegte ich und brachte sicherheitshalber einen Schritt Abstand zwischen uns. Ich blieb bei meiner Meinung: Jasper Hale war mir einfach nur verdammt unheimlich.

Nach weiteren Minuten des Schweigens kamen wir am Haus meiner Großeltern und ich wollte ihm gerade sagen, dass ich ab hier alleine zu Recht kam, da verkündete er, dass er mich noch bis zur Haustür bringen würde. Ich wagte es nicht, ihm zu widersprechen, also duldete ich es, dass wir gemeinsam die Auffahrt hinaufliefen und ich beschwerte mich auch nicht, als er mich dabei beobachtete, wie ich den Schlüssel aus dem Blumentopf kramte.

„Ihr habt dort einen Schlüssel liegen?“, hakte er entsetzt nach, als ich den Schlüssel gefunden und ihn triumphierend in die Höhe gehalten hatte.

Bestätigend nickte ich.

„Hast du was dagegen?“, fragte ich sarkastisch, denn seine Betonung hatte deutlich gemacht, dass er davon nicht viel hielt. Im Gegenteil.

„Natürlich nicht. Ich finde es nur sehr leichtsinnig von euch. Das erleichtert es Bösewichten ungemein, in euer Haus einzudringen“, erläuterte er mir mal wieder übertrieben höflich.

Scheinbar hatte er sich wieder auf seine Manieren besonnen und darauf, dass ihn das überhaupt nichts anging.

„Wie bereits erwähnt, ich glaube kaum, dass es in diesem Kuhkaff überhaupt so etwas wie Bösewichte gibt“, belehrte ich ihn, woraufhin er schnaubte. Ich meinte ihn so etwas wie „Du hast ja keine Ahnung“ sagen zu hören, aber ich konnte mich auch täuschen. In jedem Fall ignorierte ich ihn und schloss die Haustür auf. Dann drehte ich mich zu ihm um, um mich von ihm zu verabschieden und mich für seinen Begleitschutz zu bedanken. Ich empfand ihn zwar nach wie vor als unangebracht, aber ich war nun einmal gut erzogen, also gehörte es sich so.

„Danke fürs Nachhause bringen“, sprach ich also und nickte ihm zu. „Man sieht sich sicher mal an der Schule“, fügte ich hinzu und hoffte innerlich, dass ich so schnell nichts mehr mit ihm zu tun haben würde.

Jasper nickte und behielt weiter seine gleichgültige, leicht gequält wirkende Maske bei.

„Dafür brauchst du dich nicht zu bedanken, Mira. Es ist selbstverständlich. Ich würde dich nur bitten, nicht wieder so leichtsinnig zu sein und alleine in der Dunkelheit nach draußen zu gehen“, bat er mich und ich seufzte tief. Ich wollte wirklich einfach nur noch in mein Bett und hatte keine Kraft mehr für irgendwelche Diskussionen, weswegen ich nickte.

„Keine nächtlichen Alleingänge mehr, ich versprech’s dir“, antwortete ich ihm also. Er würde es sowieso nicht mitbekommen, ob ich mein Versprechen einhielt oder nicht, also konnte ich ihm genauso gut Recht geben. Allerdings schien er mir keinen Glauben zu schenken, denn er verzog skeptisch sein Gesicht, als könne er spüren, dass ich es nicht ernst meinte. Dennoch sagte er nichts, sondern wünschte mir noch eine Gute Nacht und lief die Einfahrt hinunter zu Straße.

Ich sah ihm verwirrt hinterher, denn irgendwie wurde ich nicht schlau aus diesem seltsamen Kerl.

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