Kapitel 17 ~ Die Liebe

Jasper

Blut.

Süßes, rotes, köstliches Blut.

Es tropfte aus der Wunde, langsam, denn die darin steckende Scherbe hielt das Meiste davon auf. Würde man sie herausziehen, würde das Blut schneller fließen. In kürzester Zeit wäre die Hand und auch der Arm des Mädchens rot und die köstliche Flüssigkeit würde sich verbreiten. Das würde es mir einfach machen, an sie heran zu kommen und das Mädchen hätte keine Chance...

Das Mädchen. Mira. Sie war mir wichtig. Ich hatte mir geschworen, sie zu beschützen. Vor den Volturi, aber auch vor mir. Ich erinnerte mich daran. Und doch war da dieser Duft, der Geruch nach ihrem Lebenselixier, der meine Sinne vernebelte und meinen Verstand aussetzen ließ.

Ich wollte sie. Ich wollte ihr Blut.

Langsam schloss ich die Augen und schnupperte, ließ den süßlichen Geruch auf mich wirken und gleichzeitig wusste ich, dass ich verloren war.

Nein, nicht ich. Sie war verloren. Ich würde sie umbringen. Jetzt und hier. Ihre Großmutter hatte Recht, ich war ein Monster. Ein Monster, dass die Person töten würde, die ihm in seinem jämmerlichen Dasein am meisten bedeutete...

"Jasper?"

Das klägliche, schmerzerfüllte Jammern des Mädchens riss mich aus meinen Gedanken, in denen sie bereits halbtot in meinem Armen hing und ich ihren lebenserhaltenden Saft in mich aufnahm. Es dauerte einen Moment, bis sich mein Blick klärte und ich das Bild zu verdrängen schaffte. In der Realität saß Mira noch immer auf dem Fußboden, ängstlich ihre Hand umklammert und mich verständnislos musternd.

"Du musst mir helfen, Jasper", wimmerte sie und half mir dabei, mich wieder auf das Hier und Jetzt zu besinnen. Ich biss mir auf die Lippe, grub meine Zähne hinein. Ich spürte keinen Schnerz und schmeckte kein Blut und doch half mir diese verkrampfte Haltung dabei, nicht die Besinnung zu verlieren und über sie herzufallen. Stattdessen nickte ich und eilte ins Bad, wo ich das Verbandzeug vermutete und in dem Durcheinander glücklicherweise dennoch sofort fand. Damit eilte ich zu Mira zurück und ließ mich neben ihr auf den Fußboden sinken.

Stumm hielt ich ihr einen Verband hin, aber Mira unternahm keine Anstalten, ihn an sich zu nehmen.

"Du musst das machen", sprach sie und ich schüttelte verzweifelt den Kopf, denn ich wusste, würde ich ihrer verletzten Hand noch näher kommen, wäre es vorbei mit meiner Selbstbeherrschung. Mira ahnte nichts von meinem inneren Kampf, sie hatte keine Ahnung, wie nah sie gerade an der Grenze zwischen Leben und Tod balancierte und sie wusste nicht, welche Gefahr ihr drohte. Sie sah mich bloß an, abwartend und plötzlich schien sie zu verstehen.

"Du kannst kein Blut sehen, oder?", fragte sie und ich nickte schnell, dankbar, so eine glaubwürdige Ausrede für mein seltsames Verhalten zu haben.

Leicht schmunzelte sie, zuckte dann aber wieder zusammen, da der Schmerz vermutlich nicht gerade angenehm war.

"Das ist nicht schlimm. Wir machen das zusammen." Beruhigend lächelte sie mich an. Dann wies sie mich an, eine sterile Kompresse aus dem Verbandskasten zu nehmen und sie ihr sofort zu reichen, wenn sie sich die Scherbe aus der Wunde gezogen hatte. Panisch wollte ich verneinen, denn ich wusste, dass ich hier mit dem Feuer spielte, aber sie wollte nichts davon hören.

"Du schaffst das, Jasper. Ich vertraue dir", sprach sie und ihre Worte waren das ausschlaggebende Argument. Mir hatte noch nie jemand vertraut. Nicht mal meine Familie, mit der ich eigentlich gar nicht verwandt war, vertraute mir. Sie alle hielten mich für gefährlich, für unberechenbar und keiner von ihnen traute mir zu, mit so einer Situation zurecht zu kommen. Aber Mira, sie tat es. Sie kannte mich nicht mal richtig, wusste nicht, was und wer ich war und trotzdem konnte ich spüren, dass ihr Vertrauen ehrlich und tiefgründig war. Und ich wollte sie nicht enttäuschen. Ich wollte, dass sie ihr Vertrauen nicht bereute und dass sie es nicht verlor, denn es fühlte sich viel zu gut an, endlich jemanden zu haben, der mich ohne Vorurteile sah. Der nichts von den grausamen Taten wusste, die ich begangen hatte.

Nickend gab ich ihr deswegen zu verstehen, dass ich bereit war. In Gedanken versuchte ich, an etwas anderes als an die rote Flüssigkeit zu denken, nach der ich mich so sehnte. Um mich abzulenken, sprach ich in Gedanken das erste Gedicht auf, was mir einfiel und als Mira mich dazu aufforderte, ihr die Kompresse zu geben, tat ich wie geheißen. Auch beim Verband handhabten wir es so und ich versuchte, mich weiter auf das Gedicht zu konzentrieren. Dabei merkte ich nicht, dass ich es laut aussprach, bis Mira anfing, die kleinen Verse mit aufzusagen.

"Und was ist reine Liebe? -
Die ihrer selbst vergißt!
Und wann ist Lieb′ am tiefsten? -
Wenn sie am stillsten ist!", sprach sie mit mir und ihre Stimme war leise, ihr Blick fest auf mich gerichtet. Für einen Moment wurde es still, wir sahen einander stumm in die Augen, jeder mit seinen eigenen Gefühlen beschäftigt.

Dann fragte sie: "Und wann ist Lieb am reichsten?"

Ohne Umschweife antwortete ich, denn ich kannte dieses Gedicht wie so viele andere in und auswendig und war dankbar, dass ich so von ihrer Verletzung abgelenkt wurde.

"Das ist sie, wenn sie gibt!"

Mira lächelte leicht, bevor sie mir erneut eine Frage stellte. "Und sprich, wie redet Liebe?"

"Sie redet nicht, sie liebt!"

Mit einem Lächeln auf den Lippen sahen wir einander an und mir war mit einem Mal alles egal. Es war egal, dass ich sie eben beinahe umgebracht hätte, es war nebensächlich, dass die blutige Scherbe noch immer neben ihr lag. Auch ihre Großmutter und ihr dunkles Gerede von eben waren unwichtig geworden. Alles, was für mich zählte, waren Mira und ihr süßes Lächeln auf diese zarten Lippen, von denen ich so gerne kosten würde. Sie war so schön, so liebevoll, ehrlich und zerbrechlich und mit einem Mal wurde mir etwas klar.

Ich hatte mich in sie verliebt. Nein, nicht nur das. Ich liebte sie. Sie, Mira Magdalena Scott, ein kleines Menschenmädchen.

Wie hatte das nur geschehen können?

Mit dieser Entwicklung hatte Jasper -vermutlich als einziger- nicht gerechnet. Nun, ich schon! Und ihr sicher auch :)

Ich möchte diese Stelle nutzen, um ein bisschen Werbung zu machen. Diejenigen von euch, die gerne kitschige Jugendliteratur lesen und meinen Schreibstil mögen, können gerne bei meiner neuen Story "Friends Only" vorbei schauen. Wie der Name schon sagt: es geht um die Problematik, ob Freundschaft zwischen Mann und Frau möglich ist. Dort gibt es bisher nur einen Trailer und den Klappentext, aber es sind schon einige Kapitel vorgeschrieben, die darauf warten,  veröffentlicht zu werden! Ich würde mich über jedes Neue oder Bekannte Gesicht freuen, das ich dort sehe ♡

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