Kapitel 62

Briefe der Erinnerung 

Hongjoong saß still in seinem Schreibzimmer, die Fenster weit geöffnet, sodass die warme Brise des frühen Nachmittags sanft die Vorhänge bewegte. Das Zimmer war ein Ort der Stille und des Rückzugs, erfüllt von einem beruhigenden Duft nach altem Papier und Tinte. An diesem Tag war Hongjoong jedoch von einer seltsamen Unruhe ergriffen, die ihn immer wieder zu einer kleinen, in Leder gebundenen Schachtel auf seinem Schreibtisch blicken ließ. Er hatte lange gezögert, sie zu öffnen. Doch heute konnte er es nicht länger vermeiden. Mit einem tiefen Atemzug griff er nach der Schachtel, öffnete den Deckel und zog die Briefe hervor, die sich darin befanden. Es waren Briefe, die seine Mutter ihm geschrieben hatte, als sie noch lebte. Ihre Worte, sorgfältig in zarter, geschwungener Schrift niedergelegt, waren das Einzige, was ihm von ihr geblieben war. Langsam entfaltete er den ersten Brief, seine Finger zitterten leicht. Die Erinnerungen, die mit jedem Wort aufkamen, waren stark und überwältigend. Er konnte fast ihre Stimme hören, sanft und liebevoll, als ob sie direkt zu ihm sprach. „Mein lieber Hongjoong," las er leise vor, seine Stimme zitterte leicht. „Ich hoffe, dass dieser Brief dich in guter Gesundheit erreicht. Ich denke oft an dich, mein Sohn, und ich hoffe, dass du weißt, wie sehr ich dich liebe..." Die Worte verschmolzen miteinander, während er weiterlesen wollte, doch die Tränen begannen seine Sicht zu trüben. Er schluckte schwer, versuchte die Kontrolle über seine Gefühle zu bewahren, aber die Welle der Traurigkeit war zu stark. Mit jedem weiteren Satz, den er las, rollten ihm Tränen aus den Augenwinkeln, zuerst langsam, dann immer schneller. Es war, als ob die Trauer, die er so lange in sich verschlossen hatte, endlich einen Weg nach außen fand. Hongjoong legte den Brief beiseite und griff nach dem nächsten. Es war derselbe sanfte Ton, derselbe liebevolle Ausdruck, der ihn jedes Mal traf, als würde ein Dolch sein Herz durchbohren. Die Trauer, die in ihm aufstieg, war tief und intensiv. Er vermisste seine Mutter so sehr, dass es schmerzte. Ihre Abwesenheit hatte eine Leere in ihm hinterlassen, die niemand füllen konnte. Sie war immer seine Stütze gewesen, seine Inspiration, und jetzt war sie nicht mehr da. Er wusste, dass sie an einem besseren Ort war, irgendwo, wo sie nicht mehr leiden musste. Aber dieser Gedanke brachte ihm keinen Trost, nicht in diesem Moment, als die Realität ihrer Abwesenheit so unerträglich schien. Seine Tränen flossen nun ungehindert, tropften auf die alten, vergilbten Seiten, während er still weinte, allein mit seinen Gedanken und Erinnerungen. So vertieft war er in seine Trauer, dass er gar nicht bemerkte, wie sich die Tür zu seinem Schreibzimmer leise öffnete. Baekhyun trat ein, seine Schritte waren sanft und kaum hörbar, als er sich dem jungen Prinzen näherte. Doch als er sah, wie Hongjoong über die Briefe gebeugt saß, die Schultern von unterdrücktem Schluchzen bebend, blieb er stehen. Baekhyun hatte Hongjoong in den letzten Monaten sehr ins Herz geschlossen. Der Junge hatte so viel durchgemacht, und Baekhyun hatte versucht, für ihn da zu sein, ihn zu unterstützen, wo immer er konnte. Er hatte versucht, ihm das Gefühl von Familie zu geben, das er verloren hatte, und obwohl er wusste, dass er Kyungsoo niemals ersetzen konnte, wollte er Hongjoong zumindest das Gefühl geben, nicht allein zu sein. Langsam ging er auf Hongjoong zu und legte ihm sanft eine Hand auf die Schulter. „Hongjoong," sagte er leise, seine Stimme voller Mitgefühl. Hongjoong zuckte leicht zusammen, als er die Berührung spürte, und hob den Kopf. Seine Augen waren rot und geschwollen von den Tränen, und als er Baekhyun sah, konnte er nichts sagen. Die Worte blieben ihm im Hals stecken, aber in Baekhyun's Augen sah er das Verständnis, die stille Unterstützung, die er so sehr brauchte. Baekhyun setzte sich neben ihn, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, und zog ihn sanft in eine Umarmung. Hongjoong ließ es geschehen, ließ sich in die Umarmung sinken und vergrub sein Gesicht an Baekhyun's Schulter. Die Tränen flossen weiter, doch diesmal fühlte er sich nicht so allein. Baekhyun hielt ihn fest, strich ihm beruhigend über den Rücken und flüsterte leise, tröstende Worte. „Es ist in Ordnung, zu weinen," sagte Baekhyun sanft. „Es ist in Ordnung, sie zu vermissen. Aber du bist nicht allein, Hongjoong. Wir sind hier für dich." Hongjoong schluchzte leise, seine Hände krallten sich in Baekhyun's Kleidung, als ob er Angst hätte, dass dieser Trost ebenfalls verschwinden könnte. Aber Baekhyun blieb, hielt ihn fest, bis das Schluchzen nachließ und nur noch ein leises Schluchzen übrigblieb. Nachdem die Tränen versiegt waren, lehnte sich Hongjoong zurück und wischte sich mit dem Ärmel über die Augen. „Es tut mir leid," murmelte er leise, die Stimme noch brüchig. „Du musst dich nicht entschuldigen," erwiderte Baekhyun sanft. „Deine Gefühle sind wichtig, und es ist gut, dass du sie zeigst. Du bist stark, Hongjoong, aber du musst nicht immer alles alleine tragen." Hongjoong nickte langsam. Die Worte von Baekhyun drangen tief in sein Herz und gaben ihm das Gefühl, dass es vielleicht doch in Ordnung war, sich manchmal schwach zu fühlen. „Danke, Baekhyun," sagte er schließlich, seine Stimme war leiser, aber fester. „Ich bin immer für dich da," antwortete Baekhyun und lächelte ihn warm an. „Und jetzt, wie wäre es, wenn wir gemeinsam etwas machen, das dich auf andere Gedanken bringt? Vielleicht können wir spazieren gehen oder du kannst mir noch mehr über die Kräuter beibringen, die du so gut kennst?" Ein schwaches Lächeln huschte über Hongjoong's Gesicht. „Das klingt gut," antwortete er, und für einen Moment fühlte er sich etwas leichter. Die Last der Trauer war immer noch da, aber sie war nicht mehr so erdrückend. Gemeinsam standen sie auf, und Hongjoong legte die Briefe sorgfältig zurück in die Schachtel. Es tat weh, sie wegzulegen, aber er wusste, dass er sie immer bei sich tragen würde – in seinem Herzen. Und während er mit Baekhyun aus dem Schreibzimmer trat, spürte er, dass er nicht allein war, dass er Menschen hatte, die ihn liebten und die er Familie nennen konnte.

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