Kapitel 2
Es war dunkel und um mich herum waren Geräusche zu hören. Ein Brummen und Rattern, zwischendurch ein Pfeifen und dann ... Stimmen. Ich konnte nicht verstehen was sie sagten und auch stellte ich mit Schrecken fest, dass ich mich nicht bewegen konnte. Meine Glieder waren schwer und ich hatte ein seltsames Gefühl im Magen, was immer weiter nach oben kroch.
Die Stimmen verstummten. Dann eine Hand an meiner Schulter. Ich konnte mich gerade noch nach vorne beugen, bevor ich mich übergab. Instinktiv wollte ich meine Haare zurückhalten, doch meine Hände waren auf meinen Rücken gefesselt.
Ich keuchte und versuchte die Augen einen kleinen Spalt zu öffnen. Grelles Licht blendete mich und für einen kurzen Moment schloss ich sie wieder, bis das Dröhnen in meinem Kopf etwas nachließ. Dann hörte ich wieder die Stimmen.
Zwei Hände griffen nach meinen Haaren und hielten sie hinter meinem Kopf fest. Wieder musste ich würgen und ich spürte, wie etwas im letzten Moment gegen meine Brust gedrückt wurde. Dann öffnete ich die Augen. Alles war verschwommen. Nur schemenhaft konnte ich einige Gestalten erkennen.
»Ihr hättet nicht so hart mit ihr umgehen sollen. Sie ist doch noch ein halbes Kind.«
»Regen Sie sich nicht so auf, Sergant! Sie ist 18 Jahre alt und möglicherweise eine Gefährdung für unser Land! Halbes Kind hin oder her.«
»Wo-« Meine Frage wurde durch ein erneutes Würgen unterbrochen. In meinem Mund schmeckte ich die Galle, was mich gleich noch einmal dafür sorgte, dass sich mein Mageninhalt in dem Eimer wiederfand.
»Nimm ihr doch einer die Handschellen ab. Das arme Ding!«
»Das dürfen wir nicht! Strikter Befehl vom LieutenantColonel.«
»Der Lieutenant ist nicht hier, also woher sollte er es erfahren?«
Das Rasseln von Schlüsseln war zu hören und ich sah die Frau, die sich über mich beugte und die Handschellen mit schnellen Griffen öffnete. Schlaff sanken meine Arme an meine Seite, bis ich die Kraft hatte, meine aufgeschürften Handgelenke vorsichtig zu massieren. Meine Hände kribbelten und ich hatte das Gefühl, als würden Ameisen unter meiner Haut hin und her krabbeln.
Ich roch mein Erbrochenes, direkt in dem Eimer vor mir und drückte den Eimer von mir weg.
»Fliegen wir?«
Erst jetzt konnte ich soweit wieder alles erkennen. Um mich herum stand eine Gruppe von Soldaten. Alle in braun-grüner Uniform, die Arme hinter dem Rücken verschränkt und sahen mich mit gemischten Ausdrücken in den Gesichtern an. Unglauben, Entsetzen und ja ... eindeutig Unbehagen.
Ich musste nicht auf eine Antwort warten, denn genau in diesem Moment sank der Boden unter mir um mehrere Meter. Ein Luftloch. Ich hasste fliegen.
Im letzten Moment konnte ich mich nach vorn beugen. Oh Gott, es war mir so peinlich und mein Kopf war noch so vernebelt. Warum flogen wir eigentlich?
»Sie ist vollkommen neben der Spur. Vielleicht sollten wir ihr etwas gegen die Übelkeit geben.«
»Wir dürfen ihr nichts geben, schon vergessen? Wir haben keine Ahnung, wie sich Medikamente auf ihren Metabolismus auswirken. Am Ende stirbt sie uns noch weg.«
»Dafür haben sie das Betäubungsmittel aber ganz schön hoch dosiert. Sie war mehrere Stunden weggetreten.«
In meinem Kopf drehte sich alles. Warum war ich hier? Und diese Männer? Und warum Mili-.
Mir stockte der Atem. Alles war wieder da. Ich war zu Hause und dann kamen diese Männer. Und sie haben meiner Mutter weh getan und dann der Stich in meinen Arm. Ich konnte mich wieder erinnern. Was hatten sie mit meinen Eltern gemacht? Und wo würden sie mich hinbringen? Sie hatten gesagt, dass sie Beweise hätten, dass ich eine Gefährdung für das Land sei. Aber woher sollten sie das wissen? Mich hatte noch nie jemand gesehen.
»Hör mal, Kleine«, sagte einer der Männer und machte einen Schritt auf mich zu. Erschrocken wich ich zurück und zog die Beine an den Körper. Was hatten sie mit mir vor?
»Sie ist total verängstigt«, meinte ein anderer und eine Frau trat in mein Sichtfeld. Sie hatte mir die Handschellen geöffnet. Zumindest glaubte ich das. Jetzt konnte ich sie vor mir sehen. Ihre blonden Haare waren streng nach hinten gebunden. Sie war schlank und zierlich. Und im Vergleich zu den Männern ziemlich klein.
»Hör mal, Kleine«, begann sie nun, »wir können verstehen, dass du verängstigt bist, aber du musst dir keine Sorgen machen. Wir werden dir nichts tun.« Ihre Stimme war sanft und einfühlsam. Trotzdem konnte ich mich nicht wirklich beruhigen. Mein Herz raste, der Schweiß stand mir auf der Stirn und immer wieder wurde meine Sicht verschwommen. Was hatten sie mir gegeben?
»Du wirst jetzt erst einmal von den Doktoren untersucht und dann wird sich schon alles ergeben.«
Sie hatte leicht reden. Was war mit meinen Eltern? Ich konnte mich nur noch daran erinnern, dass meine Mutter geschrien hatte, und dann war die Haustür zugefallen. Und mein Vater? Sie wussten doch gar nichts. Das von mir. Ich hatte es immer für mich behalten.
»Was ist mit meinen Eltern?«, fragte ich und sah die Frau hoffnungsvoll an. Sie hatten ihnen nichts getan, oder? »Was haben sie mit ihnen gemacht? Mein Vater, er-«
»Okay, ganz ruhig! Wir dürfen dir keine Fragen beantworten, aber sei versichert, deinen Eltern geht es gut.«
Die Frau wandte sich wieder von mir ab und trat einige Schritte zurück, sodass alle wieder in einem Halbkreis um mich herum standen. Mir bebte der Kopf und ich hatte das Gefühl, dass er gleich platzen würde. Dazu kam die Übelkeit, die immer wieder meinen Hals hinauf kroch.
Ich versuchte meine Gedanken zu ordnen. Meinen Eltern ging es gut, das wusste ich also schon mal. Aber was sie mit mir vorhatte, dass verstand ich immer noch nicht. Scheinbar hatten sie mich gesehen, im Wasser. Aber wie konnte das sein? Ich kannte den Strand und ich wusste, dass es ein sicherer Platz war. Und wer sollte um diese Uhrzeit am Strand sein?
Mit einem leisen Stöhnen legte ich den Kopf in den Nacken. Das kalte Metall der Flugzeugwand ließ mich frösteln. Ich saß auf einem Sitz, die Gurte waren offen. Überall waren schwarze Koffer zu sehen, an unzähligen Seilen und Haken befestigt. Und dann die Gestallten vor mir.
»Wir setzen gleich zur Landung an. Jemand sollte ihr die Handschellen wieder anlegen. Sonst gibt es noch Ärger. Sowieso darf niemand erfahren, dass wir sie ihr für einen kurzen Moment abgenommen haben.«
Ich sah zu dem Mann hin. Schuld stand in seinen Augen.
Gerade wollte ein anderer etwas erwidern, als Schritte zu hören waren. Alle wandten sich um schlugen die Hacken zusammen.
»Sir, alles unter Kontrolle, Sir!«
»Rühren«, sagte der Mann nur knapp und alle machten ihm Platz, damit er vor mir zum Stehen kam. Er trug keine Uniform, sondern schien zu den Männern zu gehören, die mich von zu Hause weggeholt hatten. Er trug eine getönte Brille, sodass man seine Augen nicht sehen konnte und seine Mine war eisig.
Der Mann musterte mich, sah auf mich herab, als sei ich ein Objekt. Für ihn war ich das vermutlich auch. Und ich saß da wie ein Häufchen Elend. Zusammen gekauert auf dem Sitz, die Beine an die Brust gezogen und einen Eimer mit Kotze vor mir. Bestimmt ein toller Anblick.
»Warum trägt sie keine Handschellen?«
Keiner antwortete. Er sah erst in die eine Richtung, dann in die andere. Keiner der Männer rührte sich.
»Warum trägt sie keine Handschellen?«, schrie er dann und die Adern an seinem Hals kamen zum Vorschein. Alle zuckten zusammen und ich drückte mich noch mehr in den Sitz, in der Hoffnung, alles würde nur ein dummer Traum sein.
„Sir", sagte die Frau und trat vor. Ich sah, wie sie hart schluckte. Wieder schlug sie die Hacken zusammen und sah starr gerade aus.
„Warum?", knurrte der Mann sie an, doch sie wandte den Blick nicht ab.
„Sir, als sie aufwachte musste sie sich mehrere Male übergeben. Ihr Zustand war nicht gut. Wir waren besorgt, dass ihr etwas passieren könnte. Also lösten wir die Handschellen, damit sie etwas mehr Bewegungsfreiheit hat."
„Bewegungsfreiheit?" Er spuckte ihr die Worte regelrecht ins Gesicht. „Sie, Major, hatten die Verantwortung für diese Kreatur, und dann lösen sie ihre Handschellen, damit die BEWESUNGSFREIHEIT hat?"
Wieder schluckte sie. „Sir, ich-"
Grob unterbrach er sie. „Ich wusste gleich, dass Sie nicht für diesen Einsatz tauglich sind. Eine Frau. Was sollte man anderes erwarten? Das schwache Geschlecht. Sie hatten gleich Mitleid mit ihr, ist es nicht so? Sie haben sich von Ihren Gefühlen leiten lassen und einen strickten Befehl missachtet!"
„Sir, verzeihen Sie, Sir", sagte sie und reckte das Kinn noch ein wenig.
„Wegtreten! Ich will Sie nicht mehr sehen!"
Und wieder schlug die Frau die Hacken zusammen und lief davon. Was war das gerade? Wieso geht dieser Mann so mit ihr um? Und hat er mich gerade wirklich als Kreatur bezeichnet? Was sollte das denn? Ich hatte doch meine menschliche Gestalt. Und die andere, würden sie auch nie zu Gesicht bekommen.
Nun war ich allein. Allein mit den Männern. Mit großen Augen sah ich zu dem Mann. Trotz seiner dunklen Brille konnte ich die Verachtung, die er für mich empfand, in seinen Augen sehen. Mein Magen krampfte sich zusammen. Dieser Mann machte mir Angst.
Er wandte sich zu den anderen Soldaten, die immer noch bewegungslos da standen. Vermutlich warteten sie auf weitere Befehle.
Eine Stimme drang durch das Flugzeug und ich schreckte wieder zusammen. Himmel, wie sollte ich diesen Tag überstehen? Mein Herz raste ununterbrochen. Wenn das so weiter ging, würde ich sicherlich noch einen Herzanfall bekommen. Oder in Ohnmacht fallen.
Die Stimme war kaum zu verstehen. Es kratzte und quietschte, doch alle anderen schienen die Anweisung verstanden zu haben.
„Wir beginnen mit dem Landeanflug, Sir", wiederholte einer der Männer. „Bitte um die Erlaubnis unsere Plätze einnehmen zu dürfen."
„Erlaubnis erteilt, aber zuerst, legen sie diesem Ding wieder die Handschellen an. Wenn sie uns entwischt, mache ich Sie alle dafür verantwortlich."
Ein gleichzeitiges „Sir, ja, Sir!", dann kam Bewegung in die Männer. Einer griff nach meinem Arm. Der Versuch ihn wegzuziehen scheiterte.
„Bitte", flüsterte ich, doch meine Stimme war zu schwach. „Bitte, nicht!"
Das kalte Metall an meinen Handgelenken sorgte für eine Gänsehaut auf den Armen. Das Gefühl gefesselt zu sein sorgte dafür, dass sich mir die Nackenhaare aufstellten. Und dann kamen die Tränen.
Die ganze Zeit, hatte ich keine Kraft zum Weinen gehabt, doch jetzt brach es aus mir heraus. Träne um Träne lief mir über die Wange und sammelte sich an meinem Kinn, bevor sie zu Boden tropften. Das Flugzeug ruckelte und alle Männer ließen sich in die anderen Sitze fallen und zogen die Gurte fest.
Ich sah auf meine Handgelenke. Ich war gefesselt. Aber auch nicht angeschnallt.
Ein Schluchzen kam aus meiner Kehle. Ich konnte es nicht zurückhalten. Der Mann neben mir sah von seinen Händen auf.
„Du bist ja noch gar nicht angeschnallt", sagte er und griff nach den zwei metallenen Schnallen, die er vor meinem Bauch mit einem Klicken einrasten ließ. „Wie Isabell schon gesagt hat, du musste keine Angst vor uns haben. Wir werden dir nichts tun!"
„Was wollt ihr von mir?" Ich sah zu ihm auf. Mein Anblick musste schrecklich sein. Rotz hing unter meiner Nase und meine Augen mussten rot sein, genau wie meine Wangen.
„Alles wird gut", murmelte er nur und wandte sich wieder von mir ab.
Die Landung war die Hölle für mich. Der Pilot schien wirklich kein gutes Händchen zu haben und ich war erleichtert, als der Vogel wieder auf dem Boden war. Eine Zeit lang fuhren wir noch. Keiner sprach mit mir.
In der Zwischenzeit hatte ich mich etwas beruhigt. Ich musste mich darauf konzentrieren, dass ich nichts Falsches sagte. Ich musste einfach so tun, als sei ich eine ganz normale Schülerin, wie immer. Keine Flosse, kein Meer, kein Garnichts.
Mit einem Ruck stoppten wir und ich wurde gegen die Gurte gedrückt. Ein Zischen ertönte, dann wurde eine Wand langsam abgesenkt. Das Flugzeug schien eines dieser Militätmaschinen zu sein, die eine Rampe zum Laderaum öffnen konnten.
„Los, los, los, Leute! Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit! Bringt sie ins Gebäude."
Der Mann mit dem Anzug stand mitten im Raum und klatschte zwei Mal in die Hände. Dann lief er mit schnellen Schritten die Rampe hinunter und verschwand aus meinem Gesichtsfeld.
Schritte waren zu hören, viele Schritte. Und dann sah ich sie. Mindestens zwanzig Männer und Militäruniform und mit Gewehren bewaffnet kamen die Rampe hinauf in den Bauch des Flugzeugs. Und sie blieben genau vor uns stehen.
Ich hörte das Klicken des Gurtes und sah den Mann neben mir, wie er den Gurt löste und zur Seite zog.
„Kannst du aufstehen?"
Er löste selbst seinen Gurt und stand auf. Mir fröstelte es, als meine nackten Füße den Metallboden berührten. Erst jetzt bemerkte ich den fahlen Geschmack auf meiner Zunge. Ich hatte Durst. Vielleicht war auch dies ein Grund, warum meine Kopfschmerzen nicht nachließen.
„Wohin bringt ihr mich?", versuchte ich mit müder Stimme eine Antwort zu bekommen. Doch alle schwiegen. Kurz schloss ich die Augen. Dann spürte ich einen festen Griff um meinen Oberarm und sah zu einem der bewaffneten Männer, der mich nach oben zog. Wohin würden sie mich bringen?
Wie findet ihr es? :)
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