*37*
Ziellos, planlos stürze ich aus dem Haus des alten Italieners. Ich habe keinen klaren Gedanken. In meinem Kopf dreht sich alles und mir wird übel. Panisch greife ich beim Laufen an meine Brust. Ein Stechen im Herzen begleitet die kräftigen Schläge. Galle steigt die Speiseröhre empor, ich übergebe mich und weine. Hilflosigkeit überfällt mich, dass Gefühl versagt zu haben.
Mit auf den Knien gestützten Händen, unregelmäßigen Atemzügen und heißen Tränen die mein Gesicht hinab laufen stehe ich in der Nähe des Hauses. Die kalte Winterluft klart meinen Kopf, die bösen Gedanken ziehen sich zurück, bleiben allerdings in Lauerstellung.
Mit zittrigen Fingern wähle ich Magnus Nummer. Es klingelt, aber er geht nicht ran. Das ganze ist ein Albtraum und ich habe Angst. Große Angst. Sie frisst sich durch meinen Körper wie ein Parasit, vergiftet mich von innen heraus.
Erschrocken zucke ich zusammen als sich eine Hand auf meine Schulter legt. Ich reagiere, schnappe nach der Hand und mit geweiteten Augen schaut Jace mich an. Er liegt mit den Rücken auf dem Boden, sein Handgelenk schmerzt von meinem Griff. Es war eine der ersten Lektionen die Magnus mir zeigte. Bei einer unserer zahlreichen Trainingsstunden. Nachdem ich minutenlang und mit verliebten Blicken dabei zusah, wie er seine Tameshigiri-Übungen durchführte. Diese Anmut und Reinheit, gepaart mit Kraft und Geschwindigkeit. Das Spiel seines schweißbedeckten mit Muskeln übersäten Körper, Magnus im Einklang mit seinem Schwert.
"Alec ich bin es." sagt Jace und hält seine freie Hand schützend vor sein Gesicht.
"Was ist passiert? Warum hast du nach Magnus geschrien?"
"Hab ich nicht." antworte ich verwirrt.
"Doch. Alle in diesem Raum und wahrscheinlich im restlichen Haus haben es gehört. Du hast geschrien. Magnus. Dann bist du panisch los gerannt. Asmodeus hat bereits das Anwesen verlassen. Durch die Hintertür."
Ich bin mir dessen nicht bewußt, dass ich laut seinen Namen geschrien habe. Eine leises rufen, ja. Aber ein lauter Schrei? Das passt nicht zu mir. Andererseits ist es Magnus um den ich mich sorge.
"Wo wolltest du denn hin? Ohne Mantel und Autoschlüssel?"
Jace liegt noch immer mit dem Rücken auf dem Boden und plötzlich wird mir alles klar. Das alles hier war geplant.
"Robert hat das geplant. Er weiß von Jem und Will. Und von Magnus und mir."
Ich helfe Jace beim aufstehen, sein Rücken knackt vom harten Aufprall auf dem gefrorenen Boden.
Er klopft sich den Schnee von den Kleidern und reicht mir meinen Mantel. Ich starre ihn an, unfähig mich zu bewegen. Ich habe alles vergessen, mein Kopf fühlt sich so leer an.
"Alec. Du musst dich anziehen. Du frierst. Dein Körper zittert."
Er hat recht. Jetzt wo Jace es erwähnt bemerke ich das zittern meiner Hände und spüre die Kälte des Winters auf meiner Haut.
"Er geht nicht an sein Telefon." sage ich leise.
"Versuch es noch einmal. Und dann wieder. Solange bis er sich meldet."
Mit zittrigen Fingern, klamm vor Kälte und steif vor Angst wähle ich Magnus Nummer. Immer und immer wieder. Unzählige Nachrichten schreibe ich. Aber alle bleiben unbeantwortet.
Mittlerweile sitze ich in Jace Wagen. Irgendwie bin ich hier her gekommen. Aber ich weiß nicht wie. Natürlich habe ich auch versucht Ragnor zu erreichen. Auch da blieb ich erfolglos.
Noch immer starre ich auf das schwarze Display meines Telefons. Das Adrenalin fließt schnell durch meine Adern, mein Herz pumpt eine beachtliche Menge Blut hindurch. Das Rauschen in meinen Ohren lässt nicht nach. Stocksteif sitze ich im Wagen, gedämpft höre ich die Stimme von Jace. Er redet mit mir.
"Ich habe ein Haus gekauft. In Südengland. Für Magnus und mich. Es ist weiß mit roten Fensterläden. Von der Veranda aus blickt man direkt auf das Meer und der Sonnenuntergang ist traumhaft schön." sage ich gedankenverloren.
Jace verstummt. Ich schaue aus dem Fenster und eine Träne verlässt meine Augen.
"Morgen früh geht unser Flieger. Wir haben alles geplant. Es ist alles geregelt. Wir wollten neu anfangen."
"Das könnt ihr immer noch. Wir finden ihn." Jace klingt zuversichtlich. Aber mich begleitet ein ungutes Gefühl.
"Wir sind da Alec." Gemeinsam betreten wir das Haus in dem sich unsere Wohnung befindet. Der Portier begrüßt uns freundlich.
"Guten Tag die Herren." Er ist ein älterer Herr und immer freundlich.
"Guten Tag. Ist Mr Carstairs zu Hause?" fragt Jace und der Portier verneint. Schweigend gehen wir zum Fahrstuhl. Meine Angst wächst mit jedem Meter den wir gehen.
"Fuck." rufe ich als ich den Fahrstuhl verlasse. Ich sehe die eingetretene Wohnungstür und bekomme Panik. Schnell laufe ich in die Wohnung, es ist still und ich bleibe mit Tränen in den Augen im Wohnbereich stehen.
"Oh Alec." sagt Jace hinter mir und legt seine Arme beschützend um meinen Körper.
"Warum?" frage ich, erwarte keine Antwort, denn sie liegt direkt vor mir.
Das Bild welches sich mir bietet brennt sich wie Säure in meine Netzhaut. Auf dem Boden liegen schwarze Federn, geformt zu einem Kreuz. In der Mitte des Federkreuzes liegen zwei gekreuzte Katanaschwerter. In die Klinge eingraviert zwei Buchstaben. Magnus Initialien. MB
Und auf den Schwertern liegt eine Waffe. Die gleiche wie ich sie benutze. Und in den Griff eingraviert drei Buchstaben. Meine Initialien. AGL
Ich breche weinend in den Armen meines Bruders zusammen. Jace hält mich, streicht beruhigend über meinen Rücken und flüstert leise in mein Ohr. Meine Kehle brennt bereits von den Schreien die ich in der Stille der Wohnung hinterlasse.
"Warum? Warum hat er das getan?" schreie ich meine Wut und Verzweiflung heraus.
"Magnus." gebe ich unter schluchzen wieder und die Tränen laufen heiß über meine Wangen.
"Es tut mir leid Magnus. Es tut mir so leid."
Ich schreie und tobe, Jace bekommt mich nur schwer unter Kontrolle. Mit einem letzten Blick auf das Foto von Magnus und mir über dem Sofa stehe ich auf und atme tief durch. Langsam begebe ich mich in einen Zustand, den nur eine Handvoll Leute kennen. Jace ist einer davon.
Vor nicht allzu langer Zeit habe ich Magnus versprochen dieses Ich hinter mir zu lassen. Aber ich muß dieses Versprechen brechen. Für Magnus.
Stoisch und mit einer antrainierten Sorgfalt gehe ich ins Schlafzimmer und ziehe mich um. Ich tausche den Anzug gegen schwarze Jeans und einen schwarzen Wollpullover, schwarze Boots und meinen Ehering. Dann sammele ich die versteckten Waffen ein und übergebe sie Jace. Meine Waffe liegt im Holster und das Gewicht lässt mich etwas ruhiger werden.
"Fahr mich zum Lagerhaus." Ein plötzlicher Einfall, ein Strohhalm. Vielleicht ist er da.
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