•83•

Ich zähle die Tage, bis wir endlich an Land kommen und ich ein für alle Mal diesem Mann und diesem Schiff Lebewohl sage. Wird es mir leicht fallen? Es wird vermutlich das Schwerste und Erleichterndste sein, was ich tun werde. Nicht nur er, sondern auch die anderen Männer auf diesem Schiff. Sie alle haben zu meiner Familie gehört, was mir einmal mehr bewusst geworden ist. Sie haben mich mit offenen Armen empfangen, mir kein einziges Mal das Gefühl gegeben nicht mehr zu ihnen zu gehören und genau das wird es sein, was mir den Abschied umso schmerzhafter werden lässt. 

Vor allem zu Smith habe ich eine stärkere Bindung aufgebaut. Schon damals habe ich mich vor allem mit ihm und Joe gut verstanden, doch jetzt habe ich das Gefühl eine engere Freundschaft zu ihm aufgebaut zu haben. Nun kann ich umso mehr verstehen, weshalb Valeria so viel Zeit mit dem bekannten Brummbär verbracht hat, welcher eigentlich ein sehr gesprächiger Mann sein kann, wenn man nur mehr Zeit mit ihm verbringt. Und das habe ich genügend dadurch, dass ich mich für die Zeit auf der Black Hell in seinem Bereich befinde. 

Es ist komisch - auf jenem Schiff zu sein, welches damals mein Zuhause gewesen ist und gleichzeitig das Gefühl zu haben kein Teil mehr davon zu sein. Ich kann nur hoffen, dass ich, sobald ich dieses Schiff verlasse, irgendwie mit alledem abschließen kann. Ich muss es einfach.

Auf dem Weg zur Küche höre ich wie jemand auf Smith's Klavier zu spielen scheint. Da ich diesen jedoch eben noch an Deck erblickt habe und so sicher bin, dass nicht er es ist, welcher diese Melodie spielt, lasse ich mich von meiner Neugierde zur Kajüte führen. Je näher ich dieser komme, desto mehr spüre ich den Knoten in meinem Bauch. Und auch meine Finger zögern einen Moment die Türe zu öffnen, als ob sie wissen, was mich hinter dieser erwarten wird. 

Dennoch drücke ich die Klinke langsam hinunter, wodurch die Klänge lauter werden und so die traurige Melodie deutlicher wird. Meine Augen finden seine Statur, wie sie leicht eingesackt vor dem Klavier sitzt und seine Finger über die Tasten schweben. Ich kenne diesen Anblick - habe ich ihm damals unzählige Male dabei beobachtet wie er mir etwas auf dem Klavier vorgespielt hat. Wie er mir selbst das Klavier spielen beigebracht hat. Unser Lachen, unser Lächeln. All die Gefühle schlagen auf mich ein und nehmen mir die Luft zu atmen. 

Es wäre besser zu gehen. Ihn allein zu lassen und mir selbst diese Qual nicht anzutun. Uns beiden. Und doch laufe ich langsam auf ihn zu, sehe seinen geschlossenen Lider, während Tränen seine Wangen entlang laufen. So viel Schmerz steckt in dieser Melodie, so viel Qual und gleichzeitig so viel mehr. Ich weiß nicht warum ich es tue, wieso sich meine Arme um ihn legen und mein Haar um uns fällt wie eine schützende Decke. Und ich nehme es ihm nicht einmal übel, dass sich sein Körper unter der plötzlichen Berührung anspannt. In dem Moment, als sich seine Muskeln entspannen und er sich meiner Umarmung entgegen lehnt, seine stummen Tränen auf meine Haut tropfen, weiß ich nur, dass es trotz allem, was passiert gibt, immer etwas geben wird, was uns verbindet und dessen wir uns nicht entziehen können, egal wie sehr wie uns gegenseitig verletzen.

Eine Weile ist es still, bis seine Worte mich in die Realität zurückholen. "Lass mich bitte los Sophia. Ich kann das nicht." Der Klang seiner gebrochenen Stimme ist wie ein Stich und ich ziehe meine Arme weg. Es war ein Fehler einfach hierher zu kommen. "Entschuldige ...", flüstere ich mit belegter Stimme und laufe einige Schritte zurück. Geschockt darüber, dass ich ohne zu zögern auf ihn zugegangen bin, obwohl ich es nicht wollen sollte. "Ich ... Ich lasse dich wieder allein. Es tut mir leid."

Ich wende mich von ihm ab, greife nach der Klinke der Tür. Wische mir dabei mit der anderen Hand die Tränen aus dem Gesicht um nicht mit völlig verweinten Augen vor Joe zu stehen.
"Bleib bei mir", flüstert er leise und lässt mich so inne halten. "Es gibt gleich Essen. Leiste mir Gesellschaft, dann können wir reden."

Über meine Schulter hinweg sehe ich zu ihm, bis ich langsam meine Hand sinken lasse und mich ganz zu ihm drehe. "In Ordnung."

Sobald er auf mich zukommt gehe ich ein Stück zur Seite, sodass er vorgehen kann, und folge ihm. Mir bewusst, wohin er uns führt, versuche ich mich etwas zu beruhigen. Es ist das erste Mal, dass ich sein Reich wieder betrete und mit dem Wissen, dass eine andere Frau ebenfalls hier gewesen ist ... Es lässt den Knoten in mir schlimmer werden. Er öffnet die Tür zu seiner Kajüte und sofort wandern meine Augen umher. Nur wenige Dinge haben sich geändert, doch fallen sie mir auf wie das Leuchten in einer Dunkelheit. Auch der Tisch, auf welchen wir zugehen, sowie die Stühle, welche mit rotem Samt überzogen sind, stechen hervor und spiegeln mir wieder, wie sich unsere Leben verändert haben.

"Setz dich." Während er sich hinsetzt nehme auch ich mir einen Stuhl, auf welchen ich mich setze, und sehe über den bereits gut gedeckten Tisch. Während wir auf das restliche Essen warten, welches von seinen Jungen gebracht wird, schaue ich mich noch etwas um. Dass sein Reichtum um ein weiteres gestiegen ist ist unverkennbar, allerdings habe ich bei diesem Mann nichts anderes erwartet.

Sobald alles auf dem Tisch steht hält er mir etwas von dem Brot entgegen, was er abgerissen hat. Zögernd nehme ich es aus seinen Händen, merke aber wie sich sein Körper anspannt.
"Warum bist du eben zu mir gekommen, wenn du es jetzt nicht einmal schaffst mich anzusehen?"

Ich hebe meinen Blick und sehe er mich mustert. Ich lege das Stück Brot auf den Teller ohne meinen Blick von ihm zu lösen. Damit er sieht, dass ich ihn ansehen kann. Auch wenn es mir schwerer fällt wie früher, wo ich ihn stundenlang betrachten konnte. "Ich weiß es nicht. Es war nicht einmal meine Absicht. Es ist einfach passiert", sage ich mit etwas festerer Stimme.

Statt etwas zu sagen nickt er und widmet sich dann dem Essen. Auch ich beschließe mir etwas von dem vielen Obst, Käse und Fleisch auf meinen Teller zu tun, auch wenn mein Appetit nicht groß ist. Eine Weile herrscht völlige Stille, bis er sich räuspert und zu mir sieht. "Was hast du die letzten 100 Jahre über gemacht, außer zu reisen?"

Ich lege das Stück Käse, welches ich bis eben in meiner Hand gehalten habe, zurück auf den Teller, bevor ich zu sprechen beginne. "Nicht viel, um ehrlich zu sein. Die erste Zeit sind wir in Valencia geblieben, weil -"
Ich stoppe, führe den Satz nicht fort. Ihn wissen zu lassen wie lange ich tatsächlich auf ihn gewartet habe schaffe ich nicht auszusprechen, weshalb ich mich räuspere. "Wir haben gemerkt, dass sich einiges in unserer damaligen Heimat verändert hat. Aber auch wir. Ich brauchte Luft, deswegen bin ich nach Italien. Dort habe ich Anna und Vincenco kennengelernt."

Bei dem Gedanken an sie und Matteo muss ich anfangen zu lächeln. Vermutlich wird es Zeit wieder nach Hause zu kommen, denn erst jetzt wird mir so richtig bewusst wie sehr sie mir doch fehlen. "Als ich aus Italien zurückkam habe ich erfahren, dass eine Siedlung an Vampiren in dem Inneren der Gebirge gebildet worden ist. Wir haben dort gelebt, sie unterstützt und so haben Anna und Vincenco besser gelernt wie es ist als ein Vampir zu leben. Es war übrigens sehr großzügig von dir die Ringe damals zu schicken, also noch einmal danke. Auch im Namen von ihnen."

Ich lächle ihm zu, da ich es genau so meine. Wer weiß wie ihre Leben nun aussehen würden, hätte Jason damals meinen Brief nicht erhalten. Auch wenn ich nie eine Antwort von ihm selbst bekommen habe. Oder ein Zeichen, dass er mich vermisst wie ich ihn.

"Gerne. Ich hoffe sie genießen die Ewigkeit." Das Lächeln, welches er mir schenkt, hinterlässt ein bekanntes Gefühl in mir, welches jedoch so schnell wie möglich versuche zu vergraben.
"Dein Brief ist übrigens nach ein paar Umwegen erst bei mir angekommen. Ich war nie länger als wenige Tage an einem Ort und somit wurde es schwer mich abzupassen. Lenn hat es irgendwann geschafft mir zu begegnen, sodass ich den Brief bekommen habe. Eda, die Hexe die für uns arbeitet, war nicht begeistert drei Ringe herstellen zu müssen, ohne eine Gegenleistung der betreffenden Personen einfordern zu können."

"Dann gebührt dir noch mehr Dank, dass du sie dennoch dazu bringen konntest", erwidere ich und das Lächeln wird zu einem Grinsen. Dass er Mittel und Wege kennt um das zu bekommen, was er will, ist mir schließlich nicht neu. Ein Stöhnen entweicht seinem Mund und er trinkt einen weiteren Schluck aus seinem Glas. "Diese Frau ist der Teufel selbst. Glaub mir, ich versuche sie so gut es geht zu meiden und Logan auch."

Seine Reaktion sorgt dafür, dass ich kichern muss. "Ach komm, so schlimm ist sie sicher nicht. Du stellst dich sicher nur an." Die Worte kommen völlig entspannt aus meinem Mund und es erschreckt mich beinahe selbst wie wohl ich mich plötzlich wieder bei ihm fühlen kann. "Nein nein. Sei froh, dass du sie niemals kennen lernen musst." Grinsend schüttelt er seinen Kopf. "Erzähl du mir über die Personen die du kennen gelernt hast."

"Nun, Anna und Vincenco bin ich in Rom begegnet. Es war eher aus Zufall, aber ich habe enge Freunde in ihnen gefunden, die mich letztendlich nach Valencia begleitet haben. In Frankreich bin ich einem Künstler begegnet, dessen Werke wirklich sehr faszinierend waren. An sich bin ich auf meinen Reisen vielen Menschen begegnet und habe gemerkt wie unterschiedlich die Kulturen doch sind. Und natürlich diejenigen, mit denen wir zusammen leben. Man könnte es eine Art Gemeinschaft nennen, auch wenn ich die meisten Jahre nicht dort gewesen bin. Aber so wusste ich, dass es Valeria gut geht und sie nicht allein ist."

Ich nehme mir ein paar der Weintrauben, die ich Stück für Stück esse. "Und wie war es für dich auf See? Konnten du und Logan das tun, weswegen du fort bist?" Die letzte Frage kommt nicht leicht über meine Lippen, dennoch schaffe ich es das Lächeln aufrecht zu halten. "Nein. Wir verfolgen noch immer das gleiche Ziel. Den gleichen Mann. Er schafft es immer wieder vor uns zu entkommen, kurz bevor wir ihn haben. Aber ich möchte nicht über Menschen reden, die ich hasse."

Verstehend nicke ich und spiele mit den Trauben in meinen Händen. "Dann erzähle mir von den Zeiten auf See." Neugierig mustere ich ihn, denn wenn eins sicher ist, dann das es immer etwas zu erzählen gibt, wenn sich seine Crew auf Wasser befindet.

"Wie du weißt, habe ich meine Flotte vergrößert. Mittlerweile gibt es kaum noch Piraten, die nicht für mich segeln. Morgana hat mir dabei geholfen. Sie selbst ist ebenfalls ein Captain in meiner Crew und dank ihr kenne ich Celia. Sie ist ihre beste Freundin."
Überrascht nicke ich, da ich nun weiß, von wem Celia gesprochen hat. Ich kann mich noch sehr genau an Morgana erinnern und die Erinnerung an sie lässt mich schmunzeln. "Wie es scheint hast du nun wirklich alle Weltmeere unter deiner Führung. Ich hätte nichts anderes von dir erwartet." Ein Gefühl von Stolz überkommt mich, dass dieser Mann solch eine Macht besitzt, was ich deutlich zu spüren bekommen habe.

"Danke" Ein ehrliches Lächeln liegt auf seinen Lippen als er nickt, was ich erwidere. Sein Lächeln hatte schon immer was Ansteckendes, was sich bis heute nicht geändert hat. Stille legt sich über uns, in der ich seine Statur mustern kann und wie zu erwarten nicht enttäuscht werde. Wenn ist er in all den Jahren noch attraktiver geworden, was es mir und meinen Gefühlen keinesfalls leichter machen wird dieses Schiff und ihn zu verlassen. "Was hast du vor, sobald du von Bord gegangen bist?", wirft er plötzlich die Frage ein, dessen Antwort ich mir noch nicht sicher bin. Werde ich meine Reise fortführen? Oder sollte ich lieber zurück nach Hause kehren? Zwar noch immer mit einem Herzen, welches schwer auf meiner Brust liegt, dieses Mal jedoch ohne die offenen Fragen.

"Ich weiß es noch nicht. Entweder werde ich versuchen nach Kanada zu gelangen oder mein Weg führt mich nach ... nach Hause." Valencia wird nie mehr wirklich mein Zuhause sein, doch dort befinden sich meine Schwester, meine beste Freundin. Diejenigen, die für mich mein Zuhause sind. Ich verfolge ihn genau wie er von seinem Stuhl aufsteht und auf seine Kommode zugeht. Als er neben mir stehen bleibt und mein Haar zur Seite schiebt halte ich automatisch meinen Atem an. Seine Finger auf meiner Haut zu spüren ist schmerzend und wundervoll zugleich, doch sage ich nichts. Ich spüre genau wie er den Verschluss meiner Kette öffnet, sie kurz darauf aber wieder verschließt und ich ein zusätzliches Gewicht spüre. Meine Finger umgreifen einen Ring, den er durch die Kette gezogen hat und nun an dieser baumelt. 

"Wenn du wieder einem meiner Schiffe begegnen solltest, oder mit einem reisen willst, zeig ihnen den Ring. Dann wird sowas wie beim letzten Mal nicht noch einmal geschehen und wenn du ihn nicht mehr zum reisen benötigst, kannst du sie einem Vampir geben. Er ermöglicht es in der Sonne zu sein."

Kurz darauf lässt er sich auf seinem Stuhl wieder nieder. Meine Finger liegen noch immer um den Ring, spielen mit ihm, während ich ihn dankbar anlächle. Dass er diesen Ring um die Kette meines Vaters gelegt hat ist ihm dabei nicht einmal bewusst, da er sie nie wirklich zu Gesicht bekommen hat. "Das ist großzügig von dir. Danke." Dass ich diesen Ring nur jemandem Besonderen geben würde, weil er von Jason ist, behalte ich aber für mich. "Gern."

Während er einen Schluck aus seinem Glas trinkt bleiben meine Augen für einige Sekunden auf seinem Bett hängen. Ich weiß nicht warum, doch ungewünschte Bilder erscheinen vor mir, die ich mit einem leichten Kopfschütteln versuche zu verdrängen. "Was werdet ihr tun? Irgendwelche Ziele, die ihr verfolgt?"
Interessiert mustere ich ihn, stütze dabei meinen Kopf mit meinem freien Arm ab.
"Das gleiche wie immer. Versuchen Probleme zu beseitigen und dabei mächtiger zu werden. Das Leben einfach genießen."

"Passend zu Captain Grant." Lachend schüttle ich meinen Kopf, bevor ich den Rest meines Glases leer trinke und von meinem Platz aufstehe. "Ich denke ich werde mich noch etwas ausruhen. Wir wollen den Captain schließlich nicht enttäuschen, dass alles so läuft, wie es soll." Er folgt mir zur Tür, welche er öffnet und sie lächelnd für mich offen hält. "Mach das. Bis dann Soph." Als die Tür hinter mit ins Schloss fällt atme ich tief durch, bevor ich mich auf den Weg zu Smith's Kajüte mache. Dabei mit derselben Frage in meinen Gedanken, die ich mir schon etliche Jahre zuvor gestellt habe.

Was tut er nur mit mir?

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