•80•
Ekel steigt in mir auf, je länger ich mich in diesem Bereich befinden muss. Alles in mir schreit die Putzutensilien fallen zu lassen, um mich von oben bis unten zu säubern, damit auch der letzte Geruch und Dreck von mir und meinem Körper weicht, dennoch bleibe ich standhaft und putze weiter. Ich habe schon viele Aufgaben von ihm bekommen, an die er damals nicht mal im Leben gedacht hätte sie mir aufzutragen. Dass er mich aber sogar unter die Knaben setzt und wortwörtlich alles säubern und ausführen lässt ist der größte Tiefpunkt, den ich erreichen konnte. Zusätzlich zu dem fehlenden Blut, der Sonne, der ich zu viele Stunden am Tag ausgesetzt bin, und allen anderen Mangeln, ist es ein Wunder, dass ich weiter so standhaft sein kann. Doch wenn ich den körperlichen mit dem seelischen Leiden vergleichen müsste, würde zweites überwiegen. Sobald ich jeden einzelnen Fleck der Toilette gesäubert habe kann es mir nicht schnell genug gehen meinen Körper zu säubern. Das ist eines der wenigen Dinge, die er mir bisher nicht verweigert hat - aber eher um seinetwillen und der der anderen, als wegen mir.
Nach gefühlten Stunden betrete ich, mit deutlich angenehmeren Geruch, das Deck und beobachte mit einem kleinen Lächeln die Männer, die sich dort befinden und sich untereinander unterhalten. Es erinnert mich an die früheren Zeiten, zusammen mit Valeria.
Wie sehr ich sie und die anderen vermisse ...
Jason kann ich nicht entdecken und meine angespannten Schultern sacken erleichtert nach unten. Innerlich habe ich bereits den Entschluss gefasst so schnell wie nur möglich die Black Hell zu verlassen. Schmerz und Erniedrigung empfinde ich mittlerweile nur noch für diesen Ort, der einst das völlige Gegenteil in mir ausgelöst hat. Und wenn ich meinen letzten Schritt von hier gehe wird es für immer sein. Ich lehne mich an die Reling, sauge die frische Luft in meine Lungen und schließe für einen Moment meine Augen. Einen kleinen Moment Frieden. Dann schweift mein Blick über die Männer, die sich ebenfalls an Deck befinden und guter Laune zu sein scheinen.
"Was tust du da?"
Ich zucke bei seinem Ton zusammen, lasse meine Augen aber weiter auf alle anderen gerichtet.
"Ich bin soeben fertig geworden", sage ich ausdruckslos, und wappne mich bereits für die nächste unnötige und erniedrigende Arbeit, die er mir ganz sicher auftragen wird. So wie die vergangenen Tage. "Dann wird es Zeit, dass du dir neue Arbeit suchst. Hast du irgendwelche Ideen?"
Er kommt mir näher, sodass ich keine andere Wahl habe als ihn anzusehen. Unweigerlich bleiben sie auf seiner Brust hängen. Meine Gedanken bilden jedes einzelne Tattoo nach, an dass es sich erinnern kann. Jede Wölbung, die sich unter dem Stoff befindet. Ich zwinge mich dazu weg zu schauen und zucke mit den Schultern. "Du hast doch bereits eine Aufgabe für mich", meine ich und weiß genau wie sich ein diabolisches Grinsen auf seine Lippen legt. "Wie wäre es, wenn du dich beim Essen darum kümmerst, dass alle etwas auf dem Teller haben. Joe kocht schließlich nicht umsonst und harte Arbeit muss belohnt werden."
Im nächsten Moment spüre ich seine Finger an meinem Kinn, die mich zwingen in seine Augen zu sehen. In denen einst so viel Liebe schwellte, doch nun nichts mehr als Wut und Verachtung für mich ausstrahlen. "Wenn alle satt sind, darfst auch du Essen, Miststück." Sein Griff wird bei seinen Worten immer fester, bis er mich endlich loslässt und sich abwendet. Ich schlucke den Kloß in meinem Hals herunter. Wie gern würde ich mich in diesem Moment auf ihn stürzen und so lange auf ihn einschlagen, bis er das Bewusstsein verliert. Nur um etwas Ruhe und Frieden zu haben. Dieser Mann hat rein gar nichts mehr mit dem gemeinsam, den ich einst kannte. Und ich will ihn auch nicht kennenlernen, das ist sicher.
Da ich aber weiß, dass es besser ist zu tun, was er sagt, begebe ich mich in die Küche, wo Joe gerade dabei ist alles fertig zu machen, damit das Essen nach oben an Deck gebracht werden kann. Fragend mustert er mich, doch schüttle ich den Kopf und greife nach dem riesigen vollen Topf, um ihn nach oben zu tragen. Mit einem Brummen versucht er mir ihn abzunehmen, doch wimmle ich ihn ab und trage ihn selbst an Deck. Dort hat sich bereits eine große Tafel zusammen gefunden und anhand der Blicke weiß ich, dass alle auf das Essen warten.
Joe läuft mit dem Geschirr hinter mir her und stellt es auf den Tisch, doch mehr helfen sei ihm nicht gegönnt. Im Augenwinkel sehe ich wie Jason eine Hand auf seinen Arm legt und ihn zurückhält, was mir Antwort genug ist. Ich darf alles allein machen.
Glücklicherweise muss ich für den Eintopf nur noch das Brot nach oben tragen, ehe ich jedem einzelnen seinen Teller mit dem Essen reichen muss. Wie eine Sklavin, die selbst unter den Burschen steht und für nichts anderes zu gebrauchen ist. Das einzige, was es mir leichter macht, ist die Tatsache, dass keiner von ihnen einen erniedrigenden Spruch oder anderweitige Handlungen unternehmen, die mich noch mehr in Scham versetzen könnten. Genau das ist es, was mich beim Reichen der Teller ein Lächeln tragen lässt. Es ist mein Konter für den Mann, der glaubt, er würde mir all meinen Stolz nehmen können. Aber das wird er nicht, das lasse ich nicht zu.
Sobald alle ihre leeren Teller vor sich stehen ertönt erneut seine Stimme, die mich zusammenzucken lässt. "Stapelt die Teller, sie kümmert sich dann drum!" Die Männer tun wie geheißen und ich sehe dabei zu wie sich die Stapel immer weiter häufen, bis sie den Tisch verlassen und außer mir und Jason nur noch Smith und Joe zurückbleiben. "Smith ab ans Steuer mit dir."
Er brummt, steht jedoch auf, dann wendet er sich auch an Joe. "Ist Jacks Portion unten?"
Ich wende meinen Blick ab und greife nach den Tellern, die mir bewusst machen, dass ein weiterer Tag vergehen wird, an dem ich kaum etwas zu mir nehmen konnte. Oder eher durfte.
Zusammen mit dem Knaben, der mir netterweise helfen soll, nehmen wir das dreckige Geschirr und bringen es nach unten zur Küche. Nach insgesamt drei Gängen befindet sich alles unten und wir fangen erst die Teller, dann das Besteck an zu spülen. Toby, der alles abtrocknet, beäugt mich immer wieder, wie ein kleiner Junge, der etwas interessantes entdeckt hat. "Was willst du wissen?", frage ich ohne von meinen Händen aufzusehen. Ertappt schaut er zu Boden, scheint zu überlegen, bis ich seine leise Stimme höre. "Stimmt es, dass Sie mal die Geliebte des Captain gewesen sind?"
Meine Hände erstarren in ihrer Bewegung und ich atme tief durch. "Geliebte trifft nicht ansatzweise-"
Ich stocke, schüttle dann meinen Kopf. "Es ist egal, was ich für den Captain bin oder gewesen bin."
"Das sehen wir aber nicht so."
Nun siegt doch meine Neugier und das scheint auch er zu merken, denn er lächelt mich an.
"Kaum einer Frau außer Celia schenkt er solch eine Aufmerksamkeit. Für Sie ... dich-"
Er korrigiert sich, als er meinen Blick bemerkt, und scheint dabei entspannter zu werden.
"Für dich sieht es nicht so aus, aber selbst, wenn der Captain dich so mies behandelt, schenkt er dir dennoch seine Zeit. Andere Frauen hat er einfach uns überlassen, dich jedoch darf weder jemand ansprechen, noch dir zu nahe kommen. Das kann man verschieden verstehen und dennoch wissen wir, dass er trotz seines Verhaltens seinen Besitz aufzeigt."
Ich lache auf, denn das, was er von sich gibt, kann doch nicht sein ernst sein!
"Glaube mir, wenn ich dir sage, dass ihr das euch nur einbildet. Es würde ihn nicht einmal stören, wenn ich im nächsten Moment sterbe."
Schmunzelnd betrachtet er mich, sagt jedoch nichts weiter. Daher herrscht Stille, bis wir auch noch das letzte Geschirr gesäubert haben. In dem Moment kommt Joe zu uns, um den Teller mit Essen zu holen. Mich sieht er mit einem entschuldigenden Ausdruck an und deutet auf die Scheiben Brot, die sich auf der Ablage befinden.
Seufzend nicke ich, gehe auf diese zu und nehme die wenigen Scheiben. Meine Augen treffen auf Toby und Joe, wobei der eine mir zulächelt und der anderen grimmig dreinblickt. "Wenn das so weiter geht bringe ich ihn noch um", höre ich ihn murmeln und lache auf. "Ist schon gut, Joe."
"Nein, ist es nicht. Und das sehe nicht nur ich so!"
Ich habe Joe noch nie so wütend gesehen, und es zeigt mir einmal mehr weshalb dieser Mann niemals unterschätzt werden sollte.
"Joe, bitte." Ich gehe auf ihn zu, lege meine Hände auf seine Oberarme und streiche über sie. "Ich weiß es zu schätzen, wirklich. Aber hierbei könnt ihr mir nicht helfen, ohne eurem Freund in den Rücken zu fallen. Und so sehr ich ihn momentan nicht wiedererkennen kann, würde ich das niemals verantworten wollen. Es ist schon schlimm genug, dass er an Smith gezweifelt hat."
Seine Gesichtszüge werden weicher und er zieht mich mit in seine Arme. "Du Weibsbild", murmelt er leise und ich kann nicht anders als die Umarmung ebenso zu erwidern. Nachdem wir uns lösen lächeln mich beide an, ehe sie sich wieder an Deck begeben und ich in der Küche zurückbleibe.
Ich setze mich auf den Hocker, der sich am Tisch befindet, und reiße mir einzelne Stücke von dem Brot ab, welches mir als einziges zu essen gewährt geblieben ist. Meine Gedanken schweifen überall hin, wollen sich nicht fokussieren, und lassen ein immer stärker werdendes Pochen in meinen Schläfen erscheinen. Diese kleine Pause von allen scheint mein Körper bitter nötig zu haben, denn schon jetzt merke ich wie ich an meine Grenzen komme.
Meine Gedanken schweifen dabei von dem Schiff fort, bis ich plötzlich ein Schnauben hinter mir höre. "Ich habe wirklich das Gefühl dir könnte es zu langweilig bei uns sein." Mit eiskaltem Blick kommt Jason auf mich zu, reißt mir den Rest meines wenigen Essens aus der Hand und wirft es in irgendeine Ecke. "Hab ich mich nicht deutlich genug ausgedrückt?"
Ungläubig schaue ich zu ihm hoch. Die Wut, die ich stets versucht habe irgendwie in mir zu behalten, lässt sich nun jedoch nicht unterdrücken. "Was ist dein verdammtes Problem, Jason!? Ich habe alles getan, was du mir aufgetragen hast. Ist es wirklich zu viel verlangt eine Pause zu haben, wenn es nichts zu tun gibt? Gibt es niemand anderen, den du nerven kannst, statt deine Wut an mir auszulassen!?"
Mittlerweile bin ich vom Stuhl aufgesprungen und stehe weniger Meter von ihm entfernt. Meine Hände ballen sich zu Fäusten als er auf mich zugeht, doch habe ich nicht erwartet, dass er mir ins Gesicht schlägt. Erneut. "Mein Problem ist, dass du dich unerlaubt auf meinem Schiff befindest! Ich hasse es dich hier jeden Tag zu sehen, ohne dass ich es je erlaubt habe. Du bist ein Misststück, dass denkt es dürfe alles, aber ich bin der Captain dieses Schiffes und mich brüllt niemand. Niemand. Vorallem keine Huren wie du, die sobald sie keinen Vorteil mehr haben verschwinden!"
Die Worte bleiben in meiner Kehle stecken, und ich schaffe es nicht ihm in die Augen zu sehen. Das Pochen wird immer schlimmer und ich weiß nicht, was ich mir in diesem Moment mehr wünsche: dass ich diesem Mann niemals begegnet oder alles dafür getan hätte, dass er damals nicht fort gegangen wäre. Ich kann seinen schneller werdenden Atem hören, ehe er fluchtartig die Küche verlässt. An der Theke lasse ich mich langsam Richtung Boden sinken, merke wie mich jegliche Kraft langsam verlässt. Meine Gefühle wirbeln wie in meinem Sturm in mir umher, zurück bleibt eine Frau, die ich niemals sein wollte. Eine Frau, die bereut. Denn den Mann, den ich einst kannte, gibt es nicht mehr. Und so wie es aussieht musste es so weit kommen, bis auch mein Herz dies zu begreifen scheint.
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