•78•

Seit dem Winterball sind zehn Tage vergangen. Tage, in denen ich mich so leer wie noch nie gefühlt habe. Dachte ich, dass ich bereit wüsste, wie sich der Verlust von diesem Mann anfühlt, wurde ich eines besseren belehrt. Alles, was ich geglaubt habe zu wissen, wurde mir eines Besseren bewiesen.

Lediglich Stefano, welcher in dieser Zeit kaum von meiner Seite gewichen ist, hat die Tage etwas lebenswerter gestaltet. Er hat nicht zugelassen, dass ich in meiner Trauer versinke, hat mich nach draußen gelockt, versucht mich zum Lachen zu bringen. Und allein wegen seiner Mühe und weil ich ihm nicht das Gefühl geben wollte, dass all das nichts bringt, habe ich eine Maske aufgesetzt. Habe genau so reagiert, wie es die Situation erforderte und er mit sich zufrieden schien. Nur dass all das nicht im geringsten etwas genützt hat und ich abends, allein in meinem Zimmer, alles hinaus gelassen habe.

Ich habe weder etwas gegessen noch getrunken. Nichts wollte ich in mir behalten, sodass ich es einfach aufgegeben habe, aber mit den Konsequenzen leben muss. Wie mein Körper schwächer wird, meine Sinne nicht mehr so scharf sind wie sie einmal waren. Selbst meine Suche nach einer Möglichkeit von Tortuga zu kommen habe ich aufgegeben, da ich mir bewusst bin, dass es keinen Weg für mich geben wird, solange er sich auf dieser Insel befindet.

Erneut hat Jason es geschafft mich zu brechen, dieses Mal jedoch schlimmer als davor. Denn jetzt habe ich niemanden an meiner Seite, der mich stützen kann. Der mich davor bewahrt in dem Strudel zu ertrinken, welcher mit jedem verstreichenden Tag mehr an mir zieht.

Heute ist es so schlimm, dass ich nicht einmal Stefano in meine Nähe lasse. Ich liege einfach in dem Bett, starre an die Decke über mir und frage mich, wie viel ich noch ertragen kann. Dass ich mich mit diesen Gedanken nur noch mehr verletze interessiert mich nicht einmal, denn seitdem ich ihm wieder begegnet bin habe ich das Gefühl, dass es doch genau das ist, was sie alle wollen. Warum sie mir allein die Schuld geben.

Das Klopfen, welches irgendwann an meiner Tür ertönt, versuche ich zu ignorieren. Ich möchte Stefano heute nicht sehen, ich kann es nicht. Ich brauche einen Tag um mich zu erholen, an dem ich keine Fassade aufsetzen muss. Doch das Klopfen wird immer energischer, lässt mir keine Ruhe. Letztendlich stehe ich doch auf, höre dabei das Knirschen meiner Knochen, was ich einfach hinnehme. Meine Augen treffen auf ein Paar bekannte, die ich schon eine gefühlte Ewigkeit nicht mehr gesehen habe. "Sophia. Kleine, du siehst schrecklich aus."

Ein ehrliches Lächeln legt sich auf meine Lippen, was ich schon ewig nicht mehr getan habe. "Ich freue mich auch dich zu sehen Joe." Ich gehe einen Schritt zur Seite, sodass er eintreten kann, und schließe die Tür hinter mir. "Wie geht es dir?"

"Mir geht es gut, aber wie es dir geht muss ich wohl nicht fragen, denn das sehe ich." Er läuft durch das kleine Zimmer und sieht sich um.
"Giulio hat erzählt, dass du hier bist, was auch Jasons komisches Verhalten erklärt."
Er wendet sich mir zu und grinst. "Er ist mal wieder ziemlich gereizt. Ich wusste erst nicht was los ist, bis Giulio geplaudert hat."

Verstehend nicke ich, lasse mich dann auf meinem Bett nieder und mustere ihn. "Was tust du hier Joe?", frage ich direkt ohne Umschweife.

"Ich wollte nach dir sehen und wie mir scheint ist es auch gut so, denn sonst würdest du dich hier zu Tode hungern."
Er lässt sich auf das Sofa fallen, nachdem ich wieder auf meinen Beinen stehe und durch das Zimmer laufe. "Aber es gibt noch einen weiteren Grund."

Ich bleibe stehen und mustere ihn neugierig, was er zu merken scheint.
"Hör zu Sophia. Jason lässt die Hell vorbereiten. Wir setzen morgen Früh Kurs. Entweder du kommst, oder du bleibst hier. Das ist deine Entscheidung.
Du weißt wo du uns findest und wo du ihn findest." Er steht auf und bleibt vor mir stehen, mit ernstem Blick. "Es ist egal wie du dich entscheidest. Für die Crew wirst du immer Familie sein."

Er gibt mir einen Kuss auf die Stirn, woraufhin sich meine Augen schließen, bevor er auf die Tür zugeht und sie hinter sich zuzieht. Ich sehe einen Moment auf die Türe, durch welche er verschwunden ist und seufze auf. Er hat mir eine Möglichkeit gegeben von hier weg zu kommen, doch ausgerechnet dieser wird mich ihm näher bringen. Ihm und der Frau, die ihn glücklich macht. Ist es mir das wert? Was soll ich tun?

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Stunden später stehe ich mit meinem Säckchen auf dem Steg vor dem imposanten Schiff, welches mein Weg von Tortuga sein wird. Es fiel mir nicht leicht, doch ist es momentan meine einzige Chance. Und ich muss auf Joe's Worte vertrauen, dass die Crew mich mit offenen Armen empfangen wird.

Ich atme nochmal tief durch, bevor ich über die Planke an Deck laufe. Sofort kann ich einige bekannte Gesichter entdecken und ich kann nicht anders als hart zu schlucken, um die Freudentränen zu unterdrücken. Nicht nur Jason hatte ich vermisst, sondern auch sie alle, die für mich wie eine Familie geworden sind.

Ich sehe wie Smith mit schnellen Schritten vom Steuer zu mir kommt und direkt vor mir stehen bleibt. "Joe hat nicht übertrieben. Du siehst wirklich schrecklich aus." Er schüttelt seinen Kopf, zieht mich dann in eine enge Umarmung. "Willkommen zurück."
"Ich freue mich dich zu sehen. Euch alle." Ich murmle die Worte an seine Brust und lächle, als wir uns voneinander lösen. Ich sehe mich um und erkenne das Lächeln auf den Gesichtern der anderen, was die Angst in mir etwas lindert. "Es ist viel zu lange her."

"Über 80 Jahre", fügt er nickend hinzu und sieht sich um. "Noch ist Jason nicht da. Am besten gehst du in meine Kajüte und bleibst dort eine Weile, bis wir uns ziemlich weit vom Land entfernt haben. Wir beide wissen, dass man bei ihm nie weiß, wie er reagiert."
Zögernd nicke ich, kann aber nicht anders als ihn noch einmal zu umarmen.
"Danke. Dass ihr trotz allem mich mit offenen Armen empfangt. Das bedeutet mir sehr viel."

Mit einem Lächeln führt er mich an den anderen vorbei, bis wir an seiner Kajüte ankommen. "Versuch erstmal nicht aufzufallen."
Er lässt mich allein, was ich nutze um mich umzusehen. Nichts hat sich verändert, selbst das Klavier, welches mich an alte Zeiten erinnert, befindet sich noch an Ort und Stelle.

Meine Beine tragen mich von selbst zu ihm und ich kann meine Augen nicht lösen. So viele Erinnerungen hängen an diesem Klavier und ich bin zwiegespalten ob ich lächeln oder weinen sollte. Als sich die Tür öffnet sehe ich wie Smith mit einem Glas Blut in der Hand zu mir kommt. "Hier." Dankend nehme ich es ihm ab und trinke einen kräftigen Schluck. Ich spüre sofort wie allein diese geringe Menge meinen Körper kräftigt und stärkt. "Kann ich dir sonst noch etwas Gutes tun?"

"Wenn du mir etwas Gesellschaft leisten möchtest wäre ich dem nicht abgeneigt. Du kannst mir ja erzählen, was ihr die Jahre getan und gesehen habt." Ich deute neben mich auf das Klavier, wo ich mich hinsetze und auf seine Antwort warte.

Er schließt die Türe hinter sich und setzt sich neben mich, betrachtet mich einen Moment. "Wir haben einige Schiffe gekentert und unsere Flotte erweitert, aber ich glaube das weißt du schon." Ich nicke, woraufhin er fortfährt.
"Hmm. Du kennst unser Leben und weißt eigentlich, was wir getrieben haben. Aber gibt es irgendwas spezielles, das dich interessiert?"

Ich sehe einen Moment auf meine Hände, bevor ich wieder aufsehe. "Diese Frau ..." Ich zögere einen Moment. "Wie ist sie?"
Ich weiß, dass es dumm ist mich selbst damit zu quälen, doch wenn sie wirklich auch auf dem Schiff sein sollte ...

"Celia?"

"Ich denke schon. Ich habe sie nur einmal gesehen, auf dem Ball mit ihm zusammen." Meine Hände krallen sich in das Polster der Bank, um die Gefühle in mir zu unterdrücken. "Ja, das ist Celia. Es tut mir leid, dir das sagen zu müssen, aber sie ist keine schlechte Frau. Wir mögen sie."

Ich wende meinen Blick ab, bevor ich langsam nicke. "Das ist ... Das ist gut, denke ich. Dann weiß ich, dass es ihm gut geht, wenn ich weg bin. Vielleicht bekommt er nicht einmal mit, dass ich hier bin. Das würde es uns beiden sicher einfacher machen."

"Smith!", hören wir im selben Moment seine Stimme und Erwähnter steht kerzengerade auf, hält sich einen Finger an die Lippen und verschwindet aus der Tür. Auch wenn ich es nicht sollte kann ich nicht anders wie ihnen zuzuhören.

"Sind wir soweit?"

"Ja, die letzten Vorräte werden an Deck gebracht und unsere Männer sind auch alle wieder da."

"Gut. Ich will, dass wir diese Nacht in den frühen Morgen Stunden ablegen. Ich bin in meiner Kajüte, falls ihr mich braucht."

Es ist dumm von mir, doch die Gewissheit, dass sie ihm tatsächlich so viel bedeutet, setzt einen weiteren Stich in mein Herz. Ich kann mich genau an seine Worte erinnern, dass er keine beliebigen Frauen zu sich lässt. Und die Tatsache, dass sie in diesem Moment bei ihm sein muss, ist Antwort genug.

Die Tränen laufen unkontrolliert meine Wangen entlang, dass ich nicht einmal mitbekomme wie Smith zurückkommt und seinen Arm um mich legt. Er sagt kein Wort, sondern tröstet mich allein durch seine Anwesenheit, was dennoch genügt. "Es war ein Fehler auf dieses Schiff zu kommen.", flüstere ich leise und wische mit einer Hand die Tränen fort.

"Ich denke nicht, dass es ein Fehler war. Du willst schliesslich von Tortuga weg und da ist sein Schiff die einzige Wahl." Seine Hand streicht über meinen Rücken, was tatsächlich eine beruhigende Wirkung auf mich hat. "Aber falls es dich etwas tröstet, Celia wird nicht mit uns segeln."

Fragend sehe ich zu ihm auf. "Ich verstehe nicht."
"Sie ist selbst Captain eines Schiffes und legt diese Nacht nicht ab. Noch ist sie hier, aber wir werden schon wissen, wenn sie weg ist, denn dann treibt Jason sich wieder außerhalb seiner Kajüte herum."

Ich schlucke, da er nicht weiter sprechen muss, was sich solange dort abspielen wird. "Dann ist es denke ich besser, wenn ich solange schlafe. Hoffentlich kann ich so die Zeit überbrücken." Dass ich die Geräusche aus seiner Kajüte bloß nicht hören will ist uns beiden klar, doch bin ich froh, dass er es nicht ausspricht. "Danke, dass du mich bei dir unterbingst. Ich schulde dir etwas."

Lächelnd nickt er, bevor er aufsteht. "Natürlich. Mach es dir solange bequem.
Ich hoffe es stört dich nicht, dass wir über die Nächte hinweg das Bett teilen müssen?"
Seine Worte bringen mich zum Kichern und ich schüttle den Kopf. "Wenn du dich damit zurecht findest. Du bist eher wie ein Vater für mich. Ganz abgesehen davon, dass du mit Roxy verwandt bist."

"Ich werde es überleben. Muss ich ja, sonst fällt es auf. Schlaf gut Sophia."
Sobald er die Kajüte verlässt lege ich mich in sein Bett und ziehe das Fell über mich. Die Erschöpfung holt ihren Tribut und es dauert nicht lang, bis meine Lider immer schwerer werden.

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