•75•
Hinter mir schließe ich die Türe meiner Kabine, seufze und streiche mir durch mein Gesicht. Ich befinde mich nun seit einiger Zeit auf Giulio's Schiff und bin noch immer unwissend, wohin dieses Schiff eigentlich segelt. Zwar habe ich kein festes Ziel, wohin es mich verschlägt, dennoch würde es mir mehr behagen zu wissen, in welchem Land ich als nächstes ankommen werde. Ganz abgesehen davon, dass ich so schnell wie möglich von diesem Schiff will, um sowohl ihm als auch seiner Crew nicht mehr begegnen zu müssen. Es war töricht von mir zu denken, dass ich auf meiner Reise auf niemand Bekanntes treffen würde, doch dass aus ausgerechnet Giulio sein musste ...
Ich sehe mich in dem recht gemütlichen Raum um, erkenne den Charakter, welchen nur Jason's Schiffe auszeichnet. Über mir kann ich die lachenden Stimmen der Männer hören und schlagartig spüre ich wie sich eine Gänsehaut über meinen Körper legt. Je früher ich von diesem Schiff komme, desto besser wird es mir gehen. Vor allem, da ich dann so viel Abstand zwischen mich und diese Piraten bringen kann wie nur möglich.
Doch solange ich mich hier befinde weiß ich, dass auch ich mithelfen muss. Niemals würde Giulio mich einfach so auf seinem Schiff dulden, dessen bin ich mir bewusst. Auch wenn ich bis heute nicht weiß, weshalb er solch einen Hass auf mich verspürt. Zumindest kann ich mich an nichts erinnern, was ihm einen Grund geben könnte mich so zu behandeln.
Auch eben hat er sich nicht davor gescheut mir deutlich zu zeigen, dass seine Meinung von mir nicht gut ist. Mich von Mann zu Mann zu scheuchen, sie zu bedienen wie eine Magd und mich deren Blicken untersetzen zu müssen - niemals hätte ich geglaubt, dass ich mich auf einem Schiff so verloren, so ängstlich fühlen würde, doch er und seine Männer haben genau das geschafft. Ich schaffe es nicht einmal eine Berührung zu ertragen, sei sie beabsichtigt oder nicht. Es reicht nur eine zufällige Berührung und mein Körper schreckt vor Furcht zusammen. Erinnerungen an das, was sie mir beinahe angetan haben, erscheinen in voller Wucht in mir und lassen mich wünschen, dass ich meine Zeit hier allein in meiner Kajüte verbringen könnte. Niemals hätte ich gedacht, dass mich etwas dermaßen aus der Bahn werfen würde.
Vielleicht ist es all das zusammen, dass ich mich versuche zusammen zu reißen, bevor ich einige Zeit später meine Kajüte verlasse, um auf die des Captains zu zu gehen. Da es später Abend ist bezweifle ich, dass er sich noch an Deck befinden würde, weswegen ich vor der Tür zur Kapitänskajüte stehen bleibe und klopfe.
Es dauert einen Moment, bis sich die Tür öffnet und er mich mit zusammengekniffenen Augen mustert. "Was willst du?"
"Entschuldige, dass ich dich störe.", sage ich und versuche ruhig zu bleiben, da mich jetzt schon seine Abneigung innerlich wütend werden lässt. "Ich ... Weiß weder, wohin ihr segelt, noch wie lange und hatte gehofft, du könntest mir ein paar Antworten geben."
"Und das musst du ausgerechnet jetzt wissen?", fragt er und schnaubt auf, woraufhin ich genervt ausatme. "Ich wollte dich tagsüber nicht stören, wenn du beschäftigt bist." Ich verschränke meine Arme vor der Brust.
"Habe ich dir je irgendwas getan, dass du so einen Hass auf mich verspürst?"
"Du hast dem Mann, der wie ein Vater für mich ist, eine ganz schön schwere Zeit beschert und wir mussten es ausbaden Schätzchen." Entspannt lehnt er sich an die Tür, während er mich abschätzend betrachtet. "Du führst dich auf meinem Schiff auf, als wäre es die Hell und du immernoch die Frau an seiner Seite. Aber glaub mir dieses Privileg hast du damals verloren, als du ihn hast gehen lassen. Und entweder, du hälst hier die Klappe und machst dich nützlich, oder du schwimmst den Rest bis zur nächsten Küste. Mir ist scheiß egal was du dazu zu sagen hast, denn ich bin nicht Jason!"
"Das ist nicht fair. Zu sagen, dass ich an allem schuld bin." Ich lasse meine Arme sinken, hebe meine Abwehr auf. "Er hätte doch genau so etwas tun oder sagen können. Und habe ich mich nur ein Mal beschwert hier mit anzupacken? Ich habe alles, was du mir aufgetragen hast getan ohne ein Wort zu sagen. Ich möchte genauso wie du von diesem Schiff weg, ist es also zu viel verlangt zu wissen wohin ihr segelt?"
"Tortuga." Mit drohendem Blick stößt er sich von der Tür ab und stellt sich neben diese. "Und wenn wir da sind, tust du gut daran dich nie wieder bei einem von uns blicken zu lassen, denn ich bin mir sicher ein zweites Mal wirst du nicht vor dem bewahrt, was beinahe geschehen ist."
Daraufhin schlägt er die Tür vor meinen Augen zu und lässt mich erschrocken zurückweichen. Mit wenigstens einer Antwort beschließe ich statt zurück in meine Kajüte an Deck zu gehen. Aufmerksam sehe ich mich um und stelle erleichternd fest, dass sich niemand anderes hier befindet. Meine angespannten Schultern senken sich und ich laufe zur Reling, wo ich mich auf den Boden fallen lasse und hinaus auf das Wasser blicke.
Unweigerlich schweifen meine Gedanken zurück zu der Zeit, die ich an seiner Seite verbracht habe. Es war die beste und schönste meines Lebens, was den darauffolgen Schmerz umso schlimmer gemacht hat. Ich kann Giulio's Wut sogar verstehen. Ich habe alle Seiten an Jason gesehen, ich glaube ihm also, dass er ihnen das Leben mehr als schwer gemacht hat. Doch dass ich an allem die alleinige Schuld tragen soll? Es gehören immer zwei Menschen dazu und nicht nur ich hätte damals etwas sagen können, sondern auch er. Stumm weine ich, während ich stundenlang auf das Meer hinaus sehe. Ich habe mich auf dem Meer, seitdem ich ihn kennengelernt habe, immer zuhause gefühlt. Doch jetzt, wie ich hier sitze, umgeben von seinen Männern, schreit alles in mir danach zu fliehen und so viel Abstand zwischen sie und mich zu bringen wie nur möglich.
Ich zucke nicht mal zusammen, sobald sich jemand neben mich setzt, da mich meine Gedanken so einnehmen. Erst, als ich Giulio's Stimme erneut höre schellt mein Kopf in seine Richtung. „Ihm geht es gut Sophia."
Ohne mich anzusehen spricht er die Worte aus, ohne Wut oder Abneigung in ihnen zu haben. Ich hätte eher erwartet, dass er mich von Deck scheuchen würde und nicht, dass er sich einfach neben mich setzt und mit ruhiger Stimme spricht. Ehrlich gesagt hätte ich nicht einmal damit gerechnet, dass er auch freundlich zu mir sein kann. "Das ist schön zu hören."
„Was willst du wissen Mrs. Beinahe Grant?"
Erstaunt sehe ich ihn an und bemerke wie er seine Augen verdreht. "Ich kann auch wieder in meine Kajüte gehen. Nutz die Gelegenheit, solange du sie hast."
Ich verschränke meine Hände ineinander, sehe raus aufs Meer und überlege. So viele Fragen schwirren in meinem Kopf umher, doch sie alle auszusprechen wird sicher seine Geduld strapazieren. „Weißt du, wo er sich zurzeit befindet?" Schmunzelnd schüttelt er seinen Kopf. „Nein, niemand weiß wo er ist, außer er selbst und Logan.", antwortet er und zuckt mit den Schultern.
„Wie kommt es, dass aus dem kleinen Jungen, der in der Küche rumgetollt ist, so ein Captain geworden ist? Das habe ich mich schon die ganze Zeit gefragt. Versteh' das bitte nicht falsch, ich hätte damit nur nicht unbedingt gerechnet."
Meinen Kopf schräg legend warte ich auf seine Antwort, da mir diese Sache tatsächlich durch den Kopf geht, seitdem ich mir sicher bin, wen ich vor mir habe. Ich wusste zwar damals, dass er und Lenn von Jason losgeschickt wurden, um neue Schiffe für ihn zu erobern, doch im Vergleich zu der Zeit habe ich das Gefühl einen ganz anderen Mann vor mir zu sehen.
„Wenn man eine ganze Flotte hat, braucht man eine Menge Captains und fast jeder, der Jahre lang seine Treue ihm gegenüber bewiesen hat, wurde mit diesem Aufstieg belohnt."
Verstehend nicke ich. „Habt ihr noch etwas von ihm gehört? Immerhin ist es auch seine Flotte, ihr müsstet doch Befehle von ihm bekommen. Habt ihr ihn die letzten Jahre gesehen?"
„Zu viele Fragen auf einmal.", brummt er und atmet tief durch, bevor er weiter spricht. „Nein. Und der einzige Befehl, den wir haben und befolgen ist es, alle Schiffe zu kentern und die Meere zu beherrschen. Wenn er etwas will, wissen wir es."
Wir schauen der Sonne dabei zu wie sie langsam am Horizont erscheint. Erst jetzt wird mir klar, dass ich die gesamte Nacht wach geblieben bin und auch er schon einige Zeit hier neben mir sitzen muss.
„Danke, dass du mir das alles gesagt hast. Ich werde zwar nie voll und ganz verstehen, dass du mich so sehr hasst, aber da ich es nicht ändern kann werde ich versuchen dir so wenig Unannehmlichkeiten wie möglich zu verursachen."
„Das wäre in unser beider Interesse, glaub mir. Ich werde dir nie verzeihen können, dass du ihn nicht davon abgehalten hast dich in Valencia zu lassen. Ihr wart nicht nur Spielpartner, er hat dich geliebt und hätte alles für dich aufgegeben und als wir gehen mussten hat er uns das Leben förmlich zur Hölle gemacht. Du hast ihn kaputt gemacht, indem du ihn hast gehen lassen. Aber damit eines klar ist, ich hasse dich nicht. Ich ertrage es nur nicht der Frau in die Augen zu sehen, die dem Mann, der für mich ein Vater war, so sehr das Herz zerstört hat."
Statt ihm darauf zu antworten sehe ich der Sonne dabei zu wie sie immer weiter steigt. Denn ich weiß, dass ich Giulio's Sicht der Dinge nicht ändern kann, schließlich hat er nur seine gesehen. Er hat nicht mitbekommen wie ich innerlich immer mehr zerbrochen bin. Wie ich meine Schwester beinahe verloren hätte. Dass ein Teil von mir irrenlos durch die Welt reisen muss, da er nirgends zu Ruhe kommt. Daher schweige ich. Und vielleicht ist es auch gut so.
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