•66•

Im nächsten Jahr erreichen wir nach einer langen und turbulenten Schiffsfahrt den Hafen von Valencia. Bereits von weitem habe ich die Formen der Gebirge und Flächen bewundert und spüre wie ein erleichterndes Gefühl sich in meinem Magen ausbreitet. So viel Schlimmes ich hier auch erlebt habe, diese Stadt - mein Geburtsort - wird mich immer zurück zu sich ziehen.

Da die Sonne momentan am höchsten steht müssen wir bis Sonnenuntergang noch auf dem Schiff verweilen, bis wir endlich von Bord gehen können. Dass es hauptsächlich für Marcel notwendig ist wissen wir beide, dennoch bleibe ich mit ihm, da es sich für mich falsch anfühlt ihn hier stundenlang warten zu lassen.

Sobald der Nachthimmel seine Pforten öffnet werden bereits von einigen seiner Männer erwartet, die uns zum Untergrund bringen. Regende Gespräche erklingen hinter mir, als Marcel sich über alles informieren lässt, was in seiner Abwesenheit geschehen ist, was ich jedoch so gut wie mir möglich ignoriere. Meine Gedanken werden momentan nämlich nur von einer Person eingenommen, zu der ich so schnell wie möglich gelangen will. Dass dabei auch ein Hauch Angst mitschwingt zeigt mir das Leiche Unbehagen in meinem Bauch, doch versuche ich dem keine Chance zu geben zu vergrößern. Zu sehr bin ich aufgeregt Valeria nach über zwölf Jahren wieder zu sehen.

Am Eingang kann ich bereits Anna und Vincenco erkennen, sowie den kleinen Matteo, der gar nicht mehr so klein ist.
Mittlerweile ist er schon 22 Jahre alt und man kann die Ähnlichkeit zu seinem Vater deutlich sehen.

Er ist auch der erste, der auf mich zukommt und mich umarmt. Sein Körper überragt mich um einige Zentimeter und man spürt genau, dass er kein Mann ist, der auf der faulen Haut rumlungert. Wir hatten immer eine besondere Bindung zueinander, die sich nach den vielen Jahren nicht geändert hat.

„Hey mein Großer.", sage ich mit einem breiten Grinsen und drücke ihn noch etwas enger an mich. Es würde mich nicht einmal wundern, wenn die ein oder andere Frau an ihm Gefallen gefunden hat. Seine lockigen Haare fallen ihm ins Gesicht, die er kurz darauf zur Seite streicht und einen Eindruck auf seine muskolösen Arme gibt. Mein Patenkind hat sich sehr gut gehalten.

„Ich bin froh, dass du wieder bei uns bist.", höre ich an sagen und löse mich etwas von ihm, um in seine Augen zu sehen. „Das bin ich auch. Ich hoffe, du hast deine Eltern nicht ganz so schlimm auf Trapp gehalten in den Jahren, wo ich weg gewesen bin."

„Würde ich nie tun.", grinst er schelmisch, bevor er sich von mir löst und nun auch seine Eltern vor mir stehen bleiben und in ihren Gesichtern ebenfalls die Freude zu erkennen ist.

„Ich bin so froh dich heil wieder hier zu haben."
Anna fällt mir in die Arme und erneut lachend umarme ich sie genauso stark. Ihr unverkennbarer Geruch steigt mir in die Nase und lässt mich innerlich fragen, wie ich es so lange ohne meine beste Freundin geschafft habe.

„Du weißt schon, dass ich gut auf mich aufpassen kann oder?"

„Natürlich, aber ich freue mich meine beste Freundin wieder hier zu haben."
Sie gibt mir einen Kuss auf die Wange und geht wieder einen Schritt zurück, wo Matteo neben ihr steht und grinst.
„Mutter war wirklich aufgeregt als wir erfahren haben, dass ihr zurück seit.", fügt ihr Sohn hinzu, worauf sie ihm auf seinen Arm schlägt. „Du musst nicht gleich alles herausposaunen."

Vincenco muss genauso wie ich über dieses Bild schmunzeln, dann wendet er sich wieder mir zu und gibt mir einen Kuss auf die Wange.
„Es ist wirklich toll, dass du wieder da bist. Du wurdest von einigen vermisst."

„Ich freue mich auch wieder zuhause zu sein.", lächle ich und sehe mich nach jemand Bestimmtes um. Ich kann es nicht verhindern, selbst mit den Erinnerungen, die in meinem Kopf schlummern.

„Sie ist drinnen.", beantwortet Anna mitfühlend meine stille Frage und Matteo scheint genau zu wissen um wen es geht. „Wenn du willst bringe ich dich zu Val."

Erstaunt über seine Worte lasse ich mich von ihm in die Höhle führen und staune erstmal. Alles sieht noch eindrucksvoller aus. Es hat sich in den Jahren einiges getan.
"Es hat sich viel geändert in der Zeit, in der du weg gewesen bist, Sophia.", beginnt Matteo, während wir einen Pfad entlang laufen. Fragend mustere ich ihn, bis er seinen Kopf kurz in meine Richtung wendet und dann fortfährt.

"Wie du sicher schon weißt hat Valeria jahrelang eine Art Kraut zu sich genommen, die Wahnvorstellungen in ihr hervorrufen. Wir wissen bisher noch immer nicht woher sie dieses Kraut hatte oder wofür sie dieses genommen hatte, doch eines Tages habe ich gesehen, wie sie sich eine Art Tee gekocht hat. Ich war noch einige Jahre jünger und wollte ihn probieren, doch er hat einfach nur fürchterlich geschmeckt."

Angewidert verziehen sich seine Lippen und lassen mich schmunzeln.
"Es hat einige Zeit gebraucht, doch dann scheine auch ich mich ganz anders verhalten zu haben. Ich selbst kann mich daran nicht erinnern, aber meine Mutter hatte es bemerkt. Dann kam heraus, dass dieser Tee, den Valeria jahrelang schon zu sich genommen hat, schlimmere Auswirkungen auf sie gehabt zu haben."

"Nur durch dich wurde sie gerettet.", flüstere ich meine Gedanken leise und sehe im Augenwinkel wie er beginnt zu nicken. "Ja. Wenn ich damals nicht einfach etwas davon getrunken hätte, wer weiß was es noch mit ihr getan hätte. Auf Menschen scheint es nicht so starke Effekte zu haben wie auf Vampire."

Wir gehen auf ein kleines Häuschen zu, wo er einmal laut anklopft. Aufmunternd wirft Matteo einen Blick auf mich, den ich erwidere, ehe ich schon Fußschritte hören kann, die auf uns zukommen. Kurz darauf öffnet sich die Tür und meine Schwester, der man deutlich ansieht, dass sie eine harte Zeit durchgemacht hat, erscheint. Ihre Augen fallen erst auf Matteo, woraufhin sich ein Funkeln in ihnen bemerkbar macht, ehe sie weiter wandern und an mir haften.

Eine Dunkelheit erscheint in ihnen, von der ich niemals erwartet hätte sie zu sehen, und spüre wie eine übermenschlich schwere Last sich auf meine Schultern legt.
„Sophia.", haucht sie mit zitternder Stimme und sofort bin ich bei ihr, ziehe meine kleine Schwester in meine Arme, wo sie sich wie eine Ertrinkende an mich klammert und bitterlich zu weinen beginnt. Nur im Augenwinkel kann ich sehen wie Matteo aufmunternd lächelt, uns dann alleine lässt und ich bin ihm dankbar dafür.

Die Zeit scheint an uns vorbei zu ziehen, denn ich kann nicht sagen wie lange wir vor der offenen Tür stehen, bis sie sich etwas beruhigt hat. Auch mir sind ein paar Tränen gekommen, aber den Vorrat an ihnen habe ich vor Jahren bereits verbraucht. Wegen dem Verlust von ihr, den ich mit einer einzigen Umarmung nicht mehr verspüre.

„Wollen wir lieber reingehen?", frage ich vorsichtig und werde dann von ihr reingebeten. Zu zweit setzen wir uns auf die Couch in ihrem Wohnzimmer und ich sehe mich kurz um. „Du hast es schön hier."

„Danke. Ich wohne hier nicht alleine, eine Freundin und ich haben beschlossen hier zusammen zu wohnen, nachdem ... nachdem es mir wieder gut ging."

Ihre Stimme wird immer leiser, bis sie ganz verstummt. Ihr dunklen braunen Augen sehen reuevoll in meine und ich kann genau sehen, wie sehr sie leidet.
„Ich werde niemals gut machen können, was ich damals getan habe Sophia.", fährt sie hauchend fort, wobei ihre Augen wieder glasig werden.

„Dass ich meiner eigenen Schwester so wehtun konnte. Ich war nicht ich selbst, dessen bin ich mir heute bewusst. Wenn ich Marcel richtig verstanden habe hat es dafür gesorgt, dass es meine tiefen Gefühle und Emotionen auf ein einziges Gefühl fokussiert. Es hat mich Dinge sehen lassen, die nicht real gewesen sind. In dem Falle war es Wut. Auch wenn ich wirklich Gefühle für Marcel und Jason hatte, alles andere waren nicht meine eigenen Worte und Gefühle. Ich habe niemals so von dir gedacht, das musst dir mir glauben."

Eine Träne läuft ihre Wange runter, die sie schnell wegwischt. „Ich werde niemals gut machen können, was ich dir angetan habe. Alles, was ich hoffe, ist, dass du mir irgendwann verzeihen kannst, was ich gesagt und getan habe. Ich habe an dem Tag meine Schwester verloren und ich konnte nichts dagegen tun, selbst wenn ich es gewollt hätte."

Unaufhaltsam laufen ihre Tränen, sodass ich es nicht mehr aushalte und sie in meine Arme ziehe. Sie weint erneut so sehr, dass  es mich schmerzt sie so zu sehen. Doch so sehr mich ihr Schmerz berührt, ruft mir eine kleine Stimme zu, dass nicht alles von dem, was sie vor vielen Jahren sagte, gelogen war. Und dass ich dies nicht einfach so vergessen kann.

Immer wieder murmelt sie ein 'Es tut mir leid' und dass sie das alles nie gewollt habe.
„Du warst nicht du selbst, das hast du selbst gesagt.", sage ich irgendwann und halte sie mit meinen Händen an ihren Schultern etwas zurück um in ihre geschwollenen Augen sehen zu können.
„Ich bin einfach froh, dass Marcel es rausgefunden und dir geholfen hat. Ja, du hast in mir etwas kaputt gemacht und es wird mich immer daran erinnern, was damals passiert ist."

Ihr Blick senkt sich auf ihre Hände, doch lege ich eine Hand an ihr Kinn und hebe es, damit sie mich wieder ansehen kann.
„Aber du bist meine Schwester Valeria und ich liebe dich. Ich sehe wie sehr es dich belastet und das zeigt mir, dass du das alles nicht so gemeint hast und sagen wolltest. Ich werde noch Zeit brauchen, aber das Wichtigste ist, dass ich meine Schwester wieder habe. Ich kann dir nicht versprechen, dass es so werden wird wie früher, aber wir können versuchen es langsam wieder aufzubauen. Schritt für Schritt."

Ein Lächeln ziert ihr Gesicht und sie fällt mir Freude um den Hals. „Ich werde versuchen es wieder gut zu machen, egal wie lange es dauert."

Mit gemischten Gefühlen erwidere ich die Umarmung, bete innerlich, dass es eines Tages wirklich so sein wird, dass mich der Schmerz ihrer Worte nicht mehr verfolgt. Doch das wird nur die Zeit zeigen.

„Da bin ich mir sicher."

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top