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Vier Tage sind schnell vergangen und wir warten nur noch darauf, dass endlich die Sonne untergeht, damit wir uns auf den Weg in Anna's und Vinceno's neuem Heim begeben können. Ich war bereits morgens dort um nachzusehen ob alles für die drei fertig hergerichtet ist und tatsächlich: eine schöne gemütliche kleine Wohnung, die komplett eingerichtet ist und auch für ein Baby alles hat, was man braucht. Woher und wie schnell sie all das geschafft haben will ich lieber nicht hinterfragen; da bin ich ihnen lieber dankbar dafür, dass es so ist als weiter nachzuhaken.
Sobald die Straßen durch die Nacht verdunkelt sind machen wir uns zu fünft auf den Weg zum schmalen Pfad, welcher uns zu unserem Ziel leitet. Valeria hat es sich natürlich nicht nehmen lassen mitzukommen, um auch die Wohnung zu sehen. Auch wenn mir ein Gefühl sagt, dass es nicht der einzige Grund sein wird, denn ich kenne meine Schwester.
Als wir angekommen sind wundert es mich komischerweise nicht, dass wir einem gewissen Mann begegnen, dessen intensiver Blick über uns schweift. Wie ein Gentleman wartet er auf uns und hält die Tür für das neue Zuhause von Anna und Vincenco offen, um uns hinein zu begleiten und die Tür hinter sich zu schließen. Er bespricht mit ihnen die wichtigsten Dinge wie, dass Vincenco ein Job zugeteilt wird, welchen er am nächsten Tag bereits antreten könne. Da er noch ein Mensch ist wird er in einem der Versorgungsbereiche unterteilt, in denen hauptsächlich alle Menschen arbeiten. Warum, erklärt sich von selbst.
Anna kann sich ganz auf ihren Kleinen konzentrieren, da Marcel der Ansicht ist, dass die richtige Erziehung von Kindern wichtiger ist, was ich ehrlich gesagt nicht von ihm erwartet hätte.
Bei dem kompletten Gespräch entgeht mir nicht wie Valeria gebannt auf Marcel's Lippen hängen und mir wird so einiges klar.
Nachdem alles besprochen wurde lassen wir die kleine Familie in Ruhe und verlassen ihr neues Heim. Draußen sieht Marcel sich einen Moment um, ehe er sich an Valeria wendet, auf deren Mund sofort ein Lächeln erscheint. „Würde es dir etwas ausmachen mich und Sophia für einen Moment allein zu lassen?"
Das Lächeln verrutscht und ich merke genau wie sich ihr Körper anspannt. Zögernd nickt sie mit ihrem Kopf, wirft mir dennoch einen Blick zu, ehe sie sich einige Meter von uns entfernt. Fragend schaue ich zu dem Spanier neben mir, der nun langsam weiter läuft, ich neben ihm her. Je mehr Distanz wir zwischen uns und meine Schwester bringen, desto schuldiger fühle ich mich. Dabei gibt es keinerlei Grund dazu, denn ich habe weder das Interesse diesem Mann näher zu kommen, noch würde ich irgendetwas in die Richtung zulassen. Ich würde niemals wissentlich meine Schwester verletzen.
„Sie fragen sich bestimmt warum ich mit Ihnen sprechen möchte."
„Allerdings. Und ich würde Sie bitten mich zu duzen, mir bekommt diese Anrede nicht wirklich."
„Natürlich. Nun Sophia, ich hätte ein Anliegen an dich und hoffe du wirst diesem nachkommen."
Stirn runzelnd blicke ich ihn von der Seite an, woraufhin sich seine Schritte verlangsamen. „Um was handelt es sich denn?"
„Da du zum einen die einzige hier bist, die sich im Sonnenlicht bewegen kann und zusätzlich aus diesem Ort kommt, möchte ich dich bitten beziehungsweise anbieten für mich zu arbeiten."
Mit hochgezogener Braue sehe ich ihn an. Auch wenn mir sofort ein Grund dafür einfallen würde sagt mir mein Gefühl, dass ich bei diesem Mann vorsichtig sein sollte. „Wieso sollte ich das tun?"
„Nun, zum einen um deiner Art willen", versucht er an mein Gewissen zu appellieren. Da dieses jedoch ziemlich abgehärtet ist durch die letzten Jahre nicht sonderlich effektiv.
„Zum anderen, da ich dich als eine sehr interessante Frau ansehe und mir sicher bin, dass du zu uns passen würdest." Bei seiner Betonung habe ich so das Gefühl, dass er eigentlich etwas anderes sagen will und ich weiß nicht ob mir das sonderlich gefällt. „Du würdest unsere Reihen mehr als bereichern."
Er bleibt plötzlich stehen und greift nach meiner Hand. „Nimm dir genügend Zeit zum überlegen. Ich bin kein Mann, der sich einer Frau aufzwingt, jedoch würde ich mich sehr darüber freuen zu wissen, dass ich dich als eines unserer Mitglieder wüsste. Du weißt, wo du mich findest und ich hoffe, dass ich bei unserer nächsten Begegnung eine positive Antwort von dir bekommen werde."
Für einen Moment sieht er mir tief in die Augen, ehe er einen Kuss auf meinen Handrücken haucht, bevor er sich von mir löst und sich sowohl von mir als auch von Valeria enternt. Mein Blick fällt sofort zu genau dieser, der ich genau ansehen kann, dass ihr das Gesehene alles andere als zu gefallen scheint. Und damit sollte ich auch Recht echt behalten ...
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Der Weg zurück ist still. Zu still meiner Ansicht nach, doch belasse ich es dabei, weil ich meine Schwester ganz genau kenne. Sobald wir zuhause sind bricht sie aus und es wird aus den Fugen geraten. Dementsprechend gehe ich etwas auf Abstand, bevor wir durch die Tür unseres Elternhauses gehen und ich sie hinter uns schließe. „Sprich mit mir, Val. Ich merke doch genau, dass du etwas hast."
In einer schnellen Bewegung dreht sie sich in meine Richtung und ihre Augen leuchten rot auf. „Du kannst nicht aufhören, oder? Immer, wenn es jemanden gibt, den ich mehr mag kommst du und nimmst ihn mir weg! Kannst du mir nicht einmal etwas Glück gönnen oder bist du so verbissen darauf mir alles wegzunehmen!?"
Sprachlos sehe ich zu ihr, weiß nicht, was ich dazu sagen soll.
„Was redest du das bitte für wirres Zeug? Ich habe keinerlei Ahnung, was du meinst."
„Wirres Zeug!?", brüllt sie und wirft eine Vase, die auf der Kommode neben ihr steht, an die Wand. „Du hast nicht die geringste Ahnung wie es ist die kleine Schwester von dir zu sein. Immer werde ich als das kleine Mädchen abgestempelt, die im Schatten ihrer ach so tollen Schwester steht. Du bekommst alles und ich muss mich mit dem Rest zufrieden geben. Aber das will ich nicht mehr!"
Sie kommt mit wenigen Schritten zu mir und ihr Gesicht ist vor Wut verzerrt, man kann sogar ihre spitzen Zähne erkennen. „Von wegen die ach so tollen Schönheitsschwestern. Alle haben dich begehrt, selbst als der Prinz damals bei uns gewesen ist hat er letztendlich dich ausgewählt!"
„Weil ich euch, dich, beschützen wollte und das weißt du ganz genau!", werde nun auch ich etwas lauter und laufe an ihr vorbei ins Wohnzimmer.
„Selbst wenn. Du sagst immer du würdest es für mich machen. Weißt du was ich denke? Du tust das alles nur für dich selbst. Mutter hat dir nie die Liebe gegeben, die ich bekommen habe und es hat dich innerlich sich aufgewühlt, dass du es mir heimzahlen musstest. Mich würde es nicht wundern wenn du sie damals überhaupt nicht gefragt hättest ob sie uns begleiten will und einfach zurückgelassen hast."
Ihre Worte sind wie ein Messer, das sie mir in den Rücken bohrt. „Das geht zu weit! Egal wie schlecht sie als Mutter gewesen sein mag, ich habe versucht sie davon zu überzeugen zu gehen oder mitzukommen, DIR zuliebe, weil ich genau wusste, dass du sie trotz allem liebst, egal wie schlecht sie sich um uns gekümmert hat."
„Das war bestimmt auch deine schuld. Sie hat sich anfangs immer um mich gekümmert und ganz plötzlich hat sie nicht mal mich mehr beachtet. Wegen dir hat mich meine eigene Mutter allein gelassen!"
In ihrer Wut laufen einzelne Tränen über ihre Wangen, die mir im Herzen wehtun, aber warum sagt sie so etwas? Hat sie wirklich immer so von mir gedacht?
„Und natürlich konntest du mir nicht Marcel lassen, nein, du musstest ihn wie eine Hure bezirzen und natürlich springt er darauf an. Was anderes kannst du ja nicht."
Die Wut, die sich in mir aufstaut, wird immer größer, und es fällt mir zunehmend schwer sie nicht an den Schultern zu packen und zu schütteln. Diese Frau ist nicht meine Schwester. Oder hat sie mir immer nur ein anderes Ich gezeigt?
„Ich habe ihn weder bezirzt noch will ich etwas von ihm. Ich war nur freundlich, das ist alles. Was kann ich dafür wenn er mir zu nahe kommt? Das ist nicht meine Schuld, also sei lieber vorsichtig, was du behauptest."
„Sicher nicht, ich bin noch lange nicht fertig, wenn ich dir endlich all das sagen kann", schreit sie und schlägt mit ihrer Faust gegen die Wand, woraufhin ich einen Schritt zurückweiche und das Loch in der Wand betrachte. „Bist du verrückt geworden?", brülle ich, doch lacht sie einfach nur und sieht mich mit so viel Hass an, dass ich sie nicht wiedererkenne. Das vor mir ist nicht meine Schwester, sondern jemand ganz anderes. Was ist in all den Jahren nur mit Valeria geschehen?
„Nein ich sage endlich das, was ich schon immer von dir dachte. Du bist eine Hure, die sich an alles und jeden wirft und dabei auf meinen Gefühlen rumtrampelt. Du kannst mir Marcel nicht lassen genauso wie du mir Jason damals genommen hast!"
„Von was redest du da bitte? Ich weiß, dass du für ihn geschwärmt hast, aber nie, dass du wirklich Gefühle für ihn hattest. Du hast dich mir nie anvertraut, Valeria! Außerdem, wieso sagst du mir das alles ausgerechnet jetzt? Warm musst du gerade jetzt über ihn sprechen!? Du weißt genau, dass er noch immer ein wunder Punkt bei mir ist." „Genau deswegen. Ich will, dass du genauso leidest wie ich."
Sie steht nun genau vor mir, unsere Nasen können sich beinahe berühren und ihr Körper fängt leicht an zu zittern. „Du, Sophia Suarez, bist die widerwertigste Frau, die mir je untergekommen ist. Du achtest auf niemandes Gefühle, sondern nur auf deine. Du hast dich mit ihm immer vor mir präsentiert, weil du wusstest, dass ich Gefühle für ihn habe. Denkst du wirklich, ich glaube dir, wenn du sagst, dass du es nicht gewusst hättest!? Denkst du ich hätte es dir damals geglaubt?"
Sie schubst mich gegen die Wand und ich wehre mich nicht. Ich kann nicht, bei dem, was sie alles sagt. Und ich könnte nie meiner eigenen Schwester wehtun. Nicht, wenn ich immer das kleine Mädchen in ihr sehen werde, für die ich alles tun würde. Und genau deswegen tun ihre Worte umso mehr weh.
„Ich habe dir nie wehtun wollen Valeria", flüstere ich und sehe sie traurig an. „Es war doch nur eine Schwärmerei, woher sollte ich wissen, dass du ihn geliebt hast? Außerdem habe ich ihn vor dir kennengelernt, warum machst du mir also den Vorwurf, ich hätte ihn dir weggenommen?"
„Weil du es einfach hast!"
Sie wirft die Möbel voller Wut um, bis das Wohnzimmer wie ein Schlachtfeld aussieht. Aber ich halte sie nicht auf, in der Hoffnung, sie würde sich etwas beruhigen. Aber dabei täusche ich mich.
„Ich bin so froh, dass Jason doch zurückgelassen hat, du hast es nicht anders verdient."
Ihre Worte sind wie ein Schlag mitten ins Gesicht und ich kann nicht verhindern, dass sich meine Hände zu Fäusten ballen. „Wie kannst du das sagen? Du weißt genauso wie ich, wie sehr ich ihn geliebt habe und es immer noch tue. Du hast gesehen, dass ich sogar gehen musste, weil ich es nicht mehr hier ausgehalten habe." „Und dabei hast du wieder nur an dich gedacht."
Sie wendet ihren Kopf zu mir und ein trauriger Ausdruck erstreckt sich über ihr Gesicht. „Ich bin auch hier geblieben, vergessen? Sie haben nicht nur dich zurückgelassen. Und statt, dass du bei mir bleibst, bist du einfach abgehauen."
„Du warst einverstanden! Ich hätte die niemals alleine gelassen, wenn du es nicht gewollt hättest und das weißt du." Meine Augen beginnen zu brennen und als ob mein Körper bereits wusste, dass ihre kommenden Worte sich anfühlen würden, als würde sie mir das Herz rausreißen, spüre ich einzelne Tränen, die sich aus meinen Augenlidern lösen.
„Du hättest es dir denken können Sophia. Du machst alles kaputt, was du berührst, du hast mich kaputt gemacht. Jason hat die beste Entscheidung getroffen dich zu verlassen. Am besten, er hätte erst mich statt dich getroffen. Denn du bist es nicht wert und wirst es nie sein."
Und dann spüre ich es - wie ein Teil in mir zerspringt und ich nichts dagegen tun kann. Wie sich eine Leere in mir ausbreitet, von der ich dachte, dass sie sich schon seit Jahren in mir befunden hätte. Keine weitere Minute halte ich es in ihrer Anwesenheit aus, daher drehe ich mich um, renne raus auf die Straßen, um so viel Abstand zwischen uns zu bringen wir nur möglich.
Ich renne weg, vergesse jeden Stolz und jede Kraft, die sich bis vor wenigen Minuten noch in mir befunden hat. Doch ausgerechnet meine Schwester hat mir all dies genommen. Ich habe keine Ahnung, wohin ich laufe, laufe an Passanten vorbei ohne auf meine Umgebung zu achten. Und immer wieder hallen mir die Worte im Kopf nach.
Du hast mich kaputt gemacht.
Jason hat die beste Entscheidung getroffen dich zu verlassen.
Du bist es nicht wert und wirst es nie sein.
Ich dachte Jason hätte mich zerstört, indem er fort gegangen ist. Aber meine eigene Schwester hat mir bewiesen, dass nicht er es war, der mich endgültig gebrochen hat, sondern sie.
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