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Rom 1745
Die Zeit verging wie im Flug und ehe ich mich versah lebe ich bereits seit über vier Jahren in Italien. Es war zwar nicht geplant, doch je länger ich in Rom geblieben bin, desto mehr sind mir die Menschen dort ans Herz gewachsen. Anna und ich haben eine tiefe Freundschaft entwickelt und verbringen viel Zeit miteinander, wenn Marco und Vincenco ihrer Arbeit bedingt keine Zeit für uns Frauen haben. Oftmals hat sie mich in der Gaststätte ihres Großvaters besucht, wenn ich bei ihm gearbeitet habe, oder wir sind zusammen mit Diego spazieren gegangen. Aber wir haben auch viele Stunden in ihrem Heim oder meinem neuen Zuhause verbracht; denn auch dieses hat sich nach nicht mal einem Jahr gewechselt.
Das Arrangement zwischen Marco und mir ist trotz meiner Bedenken tiefer gegangen. Wir beide haben gemerkt, dass je mehr Zeit wir miteinander verbracht haben, sich eine Bindung zwischen uns aufgebaut hat. Ich würde es nicht als Liebe bezeichnen, dennoch kann ich nicht sagen, dass dieser Mann keine tiefen Gefühle in mir wecken würde. Es ist Marcos Sturheit zu verdanken, dass ich nach fast einem Jahr zu ihm gezogen bin und seitdem mit ihm seine Wohnung teile.
Ich kann nicht bestreiten, dass es kein schönes Gefühl wäre, wenn man zu einem Zuhause zurück kommt, wo man mit einem liebevollen Lächeln erwartet wird. Doch genau da liegt mein Problem: Es ist zu perfekt. An manchen Tagen fühle ich mich geradezu erdrückt, aber denke ich mir, dass er viel für mich tut, indem er mir immer wieder sein Blut gibt. Aber ich weiß - tief in meinem Inneren - dass die Gefühle niemals vollends dem nahe kommen werden, was ich bereits fühlen durfte.
Ein weiteres Problem, welches sich mit meinem Verbleib deutlich zeigt, ist mein Nicht-Altern. Ich weiß, dass meine Zeit bald ihr Ende finden wird und ich Rom den Rücken kehren muss, wenn ich keine Aufmerksamkeit auf mich ziehen möchte. Es ist unvermeidbar und dennoch bereitet mir der Gedanke Anna und die anderen hier zurück zu lassen, Unbehagen.
Wir vier treffen uns oft zusammen, sei es zu einer Flasche Wein oder leckerem Essen. Dabei lässt Anna nur zu gern verlauten wie gut Marco und ich zusammenpassen würden und dass sie sich glücklich schätzt, dass ich vor wenigen Jahren ausgerechnet nach Rom gekommen bin. Und seit fast zwei Jahren wissen auch sie von meiner Existenz - meinem Wesen - bescheid.
Eigentlich war es nicht geplant, doch Anna ist an einem Tag bei uns in der Wohnung erschienen, als ich grade von Marco getrunken habe. Zwar nur am Handgelenk, dennoch ist sie beinahe in Ohnmacht gefallen. Ich weiß noch, dass ich sehr große Mühe hatte ihr zu erklären, dass ich Marco nicht dazu zwingen würde und es hat viel Zeit und Erklärungen benötigt, bis sie mir Glauben schenkte. Natürlich hätte ich es mir einfacher machen und sie manipulieren können, doch die Tatsache, dass ich sie zu meinen engsten Freunden zähle hat mich daran gehindert dies zu tun. Und bereuen tue ich es keine Sekunde. Auch wenn sie mich vorerst tagelang ignoriert und mich somit der Angst ausgesetzt hat, dass sie mich verraten könnte. Doch dann stand sie irgendwann vor unserer Haustüre und verlangte, dass ich ihr alles erzähle. Wirklich alles.
„Dann sind du und Marco nicht wirklich ein Paar?"
„Doch, aber erst seit einem Jahr. Er wollte, dass ich ihm eine Chance gebe, also habe ich ja gesagt."
„Liebst du ihn denn?"
Ich brauchte ihr gar keine Antwort darauf geben, sie hatte es in meinem Gesicht gesehen.
Und ab dem Punkt habe ich ihr auch von ihm erzählt, wenn auch nur von den wichtigsten Aspekten.
Anna hing gebannt an meinen Lippen und saugte jedes Wort über Jason und mich ein. Am Ende, als meine Stimme leiser wurde, hat sie mich einfach nur in den Arm genommen. Kein Wort hat ihre Lippen verlassen und ich war froh darum; andernfalls weiß ich nicht, ob ich nicht wirklich in Tränen ausgebrochen wäre.
„Ihr habt euch beide sehr geliebt, das hört man in jedem Wort. Ich kann zwar deinen Geschmack, was .... naja, deine sexuellem Triebe angeht, nicht ganz nachvollziehen, aber darüber zu urteilen liegt nicht an mir. Ich persönlich würde mich nicht aus Lust auspeitschen lassen."
Damit brachte sie mich sofort zum Lachen und konnte so die trüben Gedanken wieder verscheuchen. Ich musste ihr versprechen, dass ich auf Marco aufpassen und dass auch Vincenco von mir erfahren würde. Sieben Tage später saß ich bei ihnen zuhause und habe auch ihn in mein Geheimnis eingeweiht. Seine Reaktion war ehrlich gesagt ruhiger wie erwartet, was mich anfangs wunderte. Doch mit der Aussage er sei Künstler und glaube daher nicht an irgendwelche Grenzen der Natur erklärte er mir warum er nicht so erschrocken reagieren würde wie seine Frau, deren Weltbild sich stets auf das begrenzte, was sie kannte.
Ein Jahr später berichteten sie mir von einem der schönsten Dinge, die es auf der Welt gibt. Etwas, wessen ich sie wohl immer beneiden werde, da mir diese Möglichkeit mit dem unsterblichen Leben genommen wurde.
Anna ist schwanger und sie und Vincenco bekommen ihr erstes Kind zusammen. Ich habe mich unheimlich für die beiden gefreut und auch Marco hat ihnen voller Freude gratuliert. Sie hatte mir oft erzählt, wie sehr sie sich ein Kind wünschen und nun, da es funktioniert hatte, waren sie überglücklich. Es lief alles gut.
Das dachte ich zumindest ...
Marco veränderte sich.
Wenn ich nicht von ihm trinken wollte wurde er immer wütender, auch wenn er es nicht wagte mir körperlich schaden zu wollen. Er wurde neidisch auf meine Fähigkeiten, obwohl ich ihm nie einen Grund dazu gegeben hatte. Auch Anna und Vincenco bemerkten seinen Persönlichkeitswandel, doch versuchten sie mich stets zu beruhigen und gaben mir den Rat, dass es eventuell an meinen Bissen liegen könnte.
Ich habe mich daraufhin zurückgehalten, was Marco jedoch nicht geholfen hat. An sich wandelte sich der zuvorkommende, höfliche Gentleman zu einem vor Neid besessener Mann, welcher sich jedes Mittels bediente um das zu bekommen, was er will. Und das sollte ich auf eine Weise erfahren, die ich mir nicht wünschte ...
Als ich gerade auf dem Weg zurück zu unserer Wohnung bin, da ich weiß, dass Marco bereits all seine Aufträge erledigt haben müsste, halte ich wenige Minuten, ehe ich an der Tischlerei ankomme, inne und merke wie all meine Muskeln erstarren.
Blut.
Der metallische Geruch kriecht sofort in meine Nase, da er nicht abzuschütteln ist, und ich folge der Geruchsspur zu seinem Ursprung, die mich auf direktem Wege zur Tischlerei führt. Meine Füße stocken in ihrer Bewegung sobald ich die leblose Gestalt auf dem dreckigen Weg erkenne sowie die deutliche Schnittwunde am Bauch. Doch was mich am meisten schockiert ist die Person selbst - es ist Marco.
Ohne zu zögern überbrücke ich den Abstand, lasse mich vor ihm auf den Boden nieder und beiße mir in mein Handgelenk, welches ich ihm an seine halb offenen Lippen halte. Sein Mund umschließt die Wunde und er beginnt brav mein Blut zu trinken, was die Panik, die sich in mir festgesetzt hat, lindert. Immer mehr verschließt sich die Wunde, bis ich ihm mein Handgelenk entziehe und seinem Körper soweit aufhelfe, dass er sich an der Hauswand seiner Tischlerei anlehnen kann. Sein Oberteil ist mit seinem Blut getränkt und auch an seinen Händen klebt sein Blut, welches aus der Wunde geflossen ist.
„Was ist passiert?", frage ich schockiert, lasse meinen Blick umher schweifen und kann einige Meter entfernt ein ganz einfaches Messer erkennen. „Sie wollten mich überfallen. Aber als sie gesehen haben, dass ich Nichts bei mir habe, haben sie mich niedergestochen und zurück gelassen. Ich weiß nicht, ob ich es überlebt hätte, hättest du mich nicht gefunden."
Erschöpft sieht er mich an und lächelt leicht. Seine Hand legt sich an meine Wange, über die er streicht, und trotz des stärker werdenden Geruch seines Bluts lasse ich ihn gewähren.
„Ich danke dir."
Ebenfalls lächelnd helfe ich ihm auf und bringe ihn in seine Wohnung, wo er sich von seiner schmutzigen Kleidung trennen und sich waschen kann. Von dem Messerstich ist nichts mehr zu sehen, dennoch beobachte ich ihn weiter, aus Angst etwas übersehen zu können.
„Bist du dir sicher, dass es dir gut geht?", hake ich nach und lege ihm meine Hände auf die Schultern, woraufhin er seine Hände über meine legt und leicht zudrückt. „Mir ging es nie besser. Danke, Sophia.", sagt er mit ernstem Ausdruck in seinem Gesicht und zieht mich dann so nah an sich, dass er jeglichen Protest meinerseits im Keim ersticken kann.
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Dass meine Sorge dennoch nicht vergeht merkt er, sobald ich am nächsten Morgen mich mehrfach nach seinem Wohlbefinden erkunde. Marco musste mich geradezu aus unserer Wohnung scheuchen, damit ich zur Arbeit gehe und nicht weiter ein Auge auf ihm behalte.
„Mir geht es gut, Sophia. Und du wirst jetzt zu Giovanni gehen, damit ich hinunter zur Tischlerei gehen und meine Aufgaben zu ende bringen kann, okay?"
Mit einem sanften Kuss auf meine Lippen hat er mich hinaus gescheucht und ich bin seiner Bitte nachgegangen. Nichts an seinem Verhalten hat darauf hingewiesen, dass mich am Abend eine Überraschung erwarten würde und im Nachhinein hätte ich vielleicht doch bei ihm bleiben sollen. Ich hätte die Zeichen ernst nehmen müssen und nicht auf die leichte Schulter.
Da der Betrieb heute besonders groß ist habe ich mich dazu überreden lassen Giovanni noch etwas länger unter die Arme zu greifen, weshalb ich nicht mitbekommen habe, dass sich in den vergangen Stunden viel verändern sollte.
Gerade, als ich mit meinem Tablett in der Hand die Krüge Wein auf dem großen Eichentisch abstelle und den Gästen ein freundliches Lächeln schenke wird die Tür der Gaststätte geöffnet und bringt einen frischen Wind hinein.
Meine Augen wandern zu dieser und meine Stirn runzelt sich, sobald ich Anna sehe und einen undefinierbaren Ausdruck in ihrem Gesicht. Ohne Umschweife kommt sie auf direktem Wege auf mich zu, ergreift meine Hand und zieht mich plötzlich mit sich. Die Blicke ihres Großvaters sowie der Gäste bewusst lasse ich mich von ihre mitziehen, bis wir im Flur stehen bleiben und sie mich endlich loslässt.
„Anna, was ist denn passiert? Du bist ja völlig aufgebracht."
„Es geht um Marco."
Sofort spannen sich meine Muskeln an und ich stelle das Tablett neben mir auf dem Boden ab. Abwartend mustere ich sie und sie streicht sich nervös durch ihr langes Haar. „Er ... Ich weiß nicht wie ich dir das sagen soll ..." „Anna, jetzt sprich endlich!"
„Marco ist fort."
Ungläubig blinzle ich mit den Augen, doch auch nach längerem Warten kann ich kein Anzeichen davon erkennen, dass sie scherzen würde. „Aber ... wie kann das sein? Er kann doch nicht spurlos verschwunden sein.", flüstere ich aufgebracht, schüttle meinen Kopf. Ich hätte auf mein Gefühl hören und bei ihm bleiben sollen. Vielleicht ist ihm alles zu viel geworden? Oder ihm ist etwas zugestoßen?
„Nein, Sophia, du verstehst nicht."
Mitfühlend greift sie nach meiner Hand und traurig sieht sie mir entgegen. „Marco hat heute alles verkaufen lassen. Seine Tischlerei, seine Wohnung, seine Besitztümer. Einfach alles."
Es ist wie ein Schlag in mein Gesicht. Geschlagen taumle ich einige Schritte zurück, schüttle wieder und wieder meinen Kopf. Kann es wirklich sein, dass ich mich erneut in einem mann getäuscht habe? Dass ich wieder den Fehler begangen habe meine Gefühle in die Hände eines Mannes zu geben, der mich letztendlich doch zurücklässt?
Ein schmerzhafter Stich durchfährt meinen Körper und lässt mich meine Augen zusammenpressen. Ich wusste, dass es ein Fehler sein könnte und dennoch dachte ich Marco wäre anders. Es ist ein herber Schlag, dass es ein weiterer Mann geschafft hat, dass ich Gefühle für ihn entwickle, nur um mich am Ende allein dastehen zu lassen.
Wie von selbst verhärten sich meine Züge und ich nicke, dass ich ihre Informationen verstanden habe, ehe ich das Tablett ergreife und zurück zu den Gästen gehe. Anna's Rufe ignoriere ich dabei und tue das, wozu ich hier bin. Und verschließe innerlich ein für alle Mal mein Herz, welches dort besser aufgehoben ist wie in den Händen eines Mannes. Dort ist es sicher. Dort kann es nicht verletzt oder verraten werden.
Ab heute werden Männer zu nichts mehr dienen als meiner Blut- oder Lustquelle.
Und mit diesem Kapitel endet der heutige Leseabend. Ich hoffe euch haben die Kapitel gefallen und wir sehen uns nächste Woche für ein Neues wieder 💋
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