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Rom 1741

Zu sagen, dass ich es in Valencia nicht lange ausgehalten habe, würde nicht ansatzweise beschreiben, wie ich mich von Tag zu Tag gefühlt habe. Seitdem diese Männer kein Teil mehr unseres Lebens sind hat sich viel verändert - ich habe mich verändert.
Jason hat mich so stark geprägt, mein Denken und Leben, dass es sich noch immer komisch anfühlt zu wissen, dass wir uns vielleicht nie mehr wiedersehen. Denn nachdem über ein Jahr vergangen ist und er noch immer nicht zurück kam habe ich eingesehen, dass er nicht kommen wird. Die Black Hell hat mit uns abgeschlossen und es ist an der Zeit weiter zu ziehen.

Auch wenn ich weiß, dass ich irgendwann in meine Heimat wieder zurückkehren werde, brauche ich einfach diesen Abstand um mein Leben wieder in die Hand zu bekommen. Um mein Leben wieder in meine Hände zu bekommen und nicht das Gefühl haben zu müssen, dass es von einem einzigen Mann bestimmt wird. Dem ich nicht ansatzweise so viel zu bedeuten scheine wie er immer sagte.

Warum es mich ausgerechnet nach Italien gezogen hat kann ich nicht sagen. Womöglich liegt es an den Geschichten, welche über Rom erzählt werden und nun will ich sie mit meinen eigenen Augen sehen. Die Wahrheit hinter ihrer Erzählungen. Mein Weg hierher war lang, doch letztendlich bin ich in Roma angekommen und ich wurde nicht enttäuscht. Der Anblick dieser Stadt ist atemberaubend. Die architektonischen Kunstwerke, welche in jeder Straße zu entdecken sind, erstaunen mich immer wieder aufs Neue und ich bin mir schnell sicher, hier werde ich für eine Weile vergessen können.

Während ich die Straße entlang laufe und mich neugierig in den Straßen Roms umsehe, da ich noch einen Platz zum nächtigen benötige, läuft mir ein Hund entgegen, welcher mit wedelndem Schwanz um meine Beine läuft und freudig hechelt. Ich habe in meiner Lebzeit nicht viele von ihnen gesehen und keiner war so niedlich wie dieser. Sein bräunlich gekräuseltes Haar lädt geradezu ein meine Finger durch dieses zu streichen um mich von meiner Vermutung zu überzeugen, dass es so weich ist wie ich es mir vorstelle.
„Hallo mein Kleiner.", sage ich und knie mich zu ihm, stelle meine Tasche neben mich auf die Erde, woraufhin er näher zu mir herankommt. Neugierig schnüffelt seine Nase an mir, ehe er mit seinem Kopf an meine Hand stupst und ich meinem Wunsch nachgehen kann. 

„Diego, wo bist du?!"

Ich hebe meinen Blick und treffe auf den einer jungen Frau, die auf mich und allem Anschein nach ihren Hund zukommt. Ein entschuldigendes Lächeln liegt auf ihren Lippen, sobald sie neben mir kniet und ihrem Hund über den Körper streicht. „Es tut mir wirklich leid, mein Hund will nicht immer auf mich hören. Wir haben ihn noch nicht lang und seine Erziehung ist noch nicht so ausgeprägt, wie wir es uns wünschen würden."

Seufzend greifen ihre Arme um seinen Körper und heben ihn hoch, woraufhin wir beide uns wieder aufrecht hinstellen. Ihr langes brünettes Haar ist zu einem akkuraten Zopf geflochten, welcher ihr auf einer Seite über der Schulter liegt, während dezent Farbe ihr Gesicht umschmeichelt. „Mein Name ist Anna."
„Sophia.", stelle ich mich vor und lächle ihr zu, kraule gleichzeitig ihren Hund über seinem weichen Fell, was ihn sich hechelnd biegen lässt um meiner Zuneigung näher zu kommen. Wir beide betrachten ihn lächelnd, bis sie sich wieder mir zuwendet.

„Sie kommen nicht von hier oder?", fragt sie freundlich und sieht auf meine Tasche, die weiterhin neben mir auf dem Boden steht. Zustimmend nicke ich und ergreife sie, klopfe den Staub von dem Stoff, in dem sich die wichtigsten Kleider befinden und einige weitere Dinge, die für mich unverzichtbar sind. „Ich bin auf Reisen und wollte unbedingt diese Stadt sehen. Bisher wurde ich nicht enttäuscht und das, obwohl ich erst angekommen bin."

„Ja, Roma ist eine sehr schöne Stadt. Ich kann mir nicht vorstellen woanders hin zu gehen. Wenn Sie möchten kann ich Sie gern ein wenig umher führen, ich habe etwas Zeit."

„Wenn es keine Umstände macht."

Lächelnd schüttelt sie ihren Kopf. „Nein, aber natürlich nicht. Diego tut die frische Luft gut und ich bin gerne draußen. Wissen Sie denn schon, wo Sie übernachten werden?"

Das Glück scheint heute auf meiner Seite zu sein, da sich Anna als eine sehr sympathische und offenherzige Frau herausstellt, die mir nicht nur einige schöne Flecke von Rom gezeigt hat, sondern gleichzeitig einen Schlafplatz für mich hat. Auf meine Aussage, dass dies nicht nötig sei, hat sie missbilligend mit der Zunge geschnalzt und betont, dass ich nun ihr Gast sei und sie darauf bestehe, dass ich in der Unterkunft ihres Großvaters nächtige. Dass ich ihm dennoch meine Hilfe anbieten werde für diese Gastfreundschaft ist selbstverständlich, auch wenn ich es nicht laut aussprechen werde, bis ich ihm persönlich gegenüber stehe.

Vor einer ansehnlichen und sauberen Gaststätte bleiben wir stehen und Diego scheint bereits zu wissen, wohin uns unser Weg geführt hat, da er mit lautem Bellen auf die Tür des Gasthauses zu rennt und dort mit seinen Pfoten an dem Holz kratzt. Grinsend betreten wir diese und meine Augen werden nicht enttäuscht, spiegelt das Innere Etablissement dem, was es von außen preisgibt. Da Anna mir bereits gesagt hatte, dass um die Mittagszeit nicht viel Kundschaft da sein würde wundert es mich nicht, dass wir bis auf zwei Männer nur einen älteren Mann begegnen, welcher hinter dem Tresen steht und dabei ist die Krüge zu säubern. Doch sobald er die neuen Gäste zu hören scheint wendet er sich zu uns. Ein breites Lächeln erscheint auf seinem Gesicht und mit ausgebreiteten Händen kommt er auf uns zu.

„Ciao, Anna! Ich dachte, dass du mich erst am morgigen Abend beehren würdest."

Vor uns bleibt er stehen und zieht seine Enkelin in seine Arme, bevor er sich dem Rüden zuwendet und über dessen Kopf streicht. Als er die weitere Person - mich - bemerkt, liegen seine Augen aufmerksam auf mir, das Lächeln verlässt dennoch nicht seine Lippen. „Wie ich sehe bist du nicht allein gekommen. Ich bin Giovanni, Anna's Großvater."
Er greift nach meiner Hand und haucht einen Kuss auf den Handrücken, was mich leider an einen anderen Mann erinnert, der mich ebenfalls so begrüßt hat. Ich schlucke den Schmerz, welcher sich daraufhin bemerkbar machen will, hinunter und schenke ihm ein ehrliches Lächeln, zumindest so gut wie möglich. „Mein Name ist Sophia, signore."

„Du darfst mich gern Giovanni nennen, ragazza. Ich bestehe nicht auf irgendwelche Höflichkeiten. Freunde meiner bezaubernden Enkelin sind bei mir herzlichst willkommen. Also, was genau führt euch zu mir?"
Mit seiner Hand deutet er uns ihm zu folgen, wo wir uns auf zwei freie Stühle setzen, während er weiter seiner Arbeit nachgeht. Anna zögert keinen Moment und erzählt ihm wie wir uns begegnet sind und ich nun ein Bett zum schlafen brauche. Ich betone dabei, dass ich mich nicht dagegen scheue bei der Bedienung der Gäste zu helfen, was ihn noch mehr zu freuen scheint und Anna nur den Kopf schüttelt. „Du hättest auch hier ohne eine Gegenleistung schlafen können, Sophia. Mein nonno ist ein lieber Mann und ich wusste sofort, dass ich dich nirgendswo anders schlafen lassen würde."

„Du warst schon immer ein gütiges Kind, mia cara."
Stolz tätschelt er ihre Hand, wendet sich dann aber wieder mir zu und nickt. „Allerdings erkenne ich eine tüchtige Frau, wenn ich sie sehe. Und etwas sagt mir, dass es dir nicht behagt Nichts zu tun." Seine Augen wandern über meine Kleidung, welche nicht aus einem schlichten Kleid besteht, sondern aus einer Hose sowie Bluse, zusammen mit einem Korsett, welches alles an Ort und Stelle hält. Es ist das einzige, was ich von meiner Zeit auf See beibehalten habe, zusammen mit meinem Schutz vor der Sonne, welcher Fluch und Segen gleichzeitig ist, wenn meine Augen auf diesen fallen und mich an ihn erinnern.

„Ich gebe dir eines der besten Zimmer, mit einem weichen Bett. Natürlich bekommst du auch solange Verpflegung, wie du hier schlafen wirst. Und im Gegenzug kannst du mir abends beim Servieren der Bestellungen zur Hand gehen. Ich denke, so haben wir beide etwas davon und können uns auch etwas besser kennen lernen. Also, was sagst du?"
Bei seinen Worten zwinkert er mir zu, worauf ich nur schmunzeln muss und seine entgegen gestreckte Hand annehme um sie zu schütteln. „Das ist sehr großzügig von Ihnen. Und ich wäre töricht, wenn ich solch ein Angebot abschlagen würde."

Sobald sich unsere Hände lösen dreht er sich zu einem kleinen Kästchen, aus dem er einen Schlüssel hervorholt und ihn auf das Holz legt. Dann deutet er mit seinem Kopf auf einen Flur, direkt neben einer Sitznische. „Im ersten Stock befindet sich das Zimmer auf der rechten Seite. Du kannst ruhig deine Sachen abstellen und es dir genauer ansehen. So, wie ich meine Anna kenne, wird sie dich danach wieder durch die Stadt führen, damit du auch wirklich jeden Teil der Stadt gesehen hast. Die passende Kleidung dazu trägst du ja bereits."

„Tatsächlich hatte ich dies im Sinn.", stimmt sie zu und macht es sich etwas gemütlicher, was mir zeigt, dass sie mir so viel Zeit gibt, wie ich benötige. Meine Tasche nehmend lasse ich sie allein und folge dem Gang, wo eine kleine Treppe in den ersten Stock führt und ich auf die erste Tür auf der rechten Seite zugehe. 

Ein Lächeln stiehlt sich in mein Gesicht, als ich die vielen Details erkenne und weiß sofort, dass es mich wohl länger in Rom festhalten wird wie ich eigentlich geplant hatte. Ich stelle meine Tasche auf den kleinen Hocker vor dem einladenden Bett und stelle mich ans Fenster. Die Sonne steht mittlerweile am höchsten Punkt und ich sauge die Sonnenstrahlen in mich auf, in dem Wissen, dass sie mir nichts tun können, solange ich das Armband an meinem Handgelenk trage. Nachdem ich mich noch ein wenig umgesehen und meine Kleidung in dem kleinen Schrank verstaut habe binde ich meine Haare zu einem hohen Zopf, bevor ich mich wieder nach unten begebe und Anna und Giovanni mitten in einem Gespräch antreffe. Als sie mich sieht verabschiedet sie sich von ihm mit einem Kuss auf die Wange, während ich ihm mit einem freundlichen Lächeln zunicke.

Auf der Straße werden wir immer wieder höflich begrüßt und mir fällt auf, dass die Römer ein sehr höfliches Volk zu sein scheinen. Während unseres sehr langen Spaziergangs erfahre ich auch einiges über die Frau, welche es innerhalb weniger Stunden geschafft hat mein Interesse zu wecken und die wohl mich meine restliche Zeit in Rom stets begleiten wird.

Anna ist 23 Jahre alt und bereits seit einigen Jahren mit ihrem Ehemann Vincenco verheiratet. Den kleinen Diego haben sie erst seit wenigen Wochen, da sie sich oft wegen Vinenco's Beruf als Künstler allein fühlt, wenn er auf Reisen geht und sie ihn nicht begleiten kann. Als Lösung habe er ihr den Hund geschenkt, um zumindest etwas seiner nagenden Schuldgefühle wieder auszugleichen, auch wenn sie mir versichert hat, dass es sie nicht stört. Sie liebt ihn und seine Kunst, weshalb sie ihn unterstützt.

„Ich würde dich gerne morgen zum Essen bei uns einladen. Dann kann ich dir meinen Mann vorstellen."

Ohne überlegen zu müssen nehme ich ihre Einladung an, bin selbst gespannt auf den Mann, von dem sie so früh wusste, dass sie ihr Leben mit ihm verbringen will. Es lässt mich unweigerlich an mein Leben denken. Auch ich dachte, dass ich diesen Mann gefunden hätte. Un wurde bitter enttäuscht.
Als wir uns zum Abschied umarmen fällt mein Blick auf ihren Hals, wo ich genau das Pulsieren ihrer Ader erkenne. Mehrmals durchatmend, da ich keinen Fehler begehen will, löse ich mich von ihr und gehe dann in die Gaststätte, vor der wir letztendlich stehen geblieben sind.

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Am nächsten Tag habe ich mich Giovanni bereits zur Verfügung gestellt ihm aus zu helfen, bis Anna und ihr Mann mich abholen. Da ihr Heim nicht so leicht zu finden sei und ich mich nicht in der Stadt auskenne hatte sie angeboten mich mit ihrem Mann abzuholen, was ich natürlich angenommen habe. Doch solange sie nicht da sind kann dem alten Mann zwei weitere Hände sicher nicht schaden, vor allem, da es heute etwas voller zu sein scheint.

„Liebes, könntest du das bitte an den Tisch in der Ecke bringen?" Giovanni hält mir das Tablett mit den Essensplatten hin, welche ich vorsichtig nehme und an den gewünschten Tisch bringe. Zwei gut aussehende Männer grinsen mich an und beobachten mich genau wie ich die Platten auf dem Holztisch abstelle, dabei stets ein freundliches Lächeln zeige um einen guten Eindruck zu machen. Und vielleicht auch, weil sie schon sehr attraktiv sind und es schaffen mich abzulenken. Bevor ich wieder gehen kann räuspert sich einer der beiden und ich sehe ihn fragend an. „Darf es noch etwas sein?"

„Entschuldigen Sie die Frage, aber gäbe es die Möglichkeit sie die Tage auf ein Getränk einzuladen?" 

Die offene Frage überrascht mich, doch schaffe ich es schnell mich zu fassen und ein wissendes Schmunzeln aufzusetzen. Meine Augen nehmen sein Aussehen etwas genauer auf und ich muss zugeben, dass er selbst auf offener Straße mein Interesse geweckt hätte. Vor allem diese vollen Lippen ...
„Fragen Sie mich die Tage ein weiteres Mal, vielleicht überlege ich es mir bis dahin." zwinkere ich ihm zu und gehe dann zurück zu Giovanni, wo bereits Anna grinsend auf mich wartet, neben ihr ein Mann, der besitzergreifend seinen Arm um sie liegen hat.

„Du bist erst seit einem Tag hier und schon wirst du von Marco Neroli angesprochen. Das hat noch keine Frau geschafft.", sagt sie und zieht mich für eine Umarmung in ihre Arme. „Was genau meinst du?"

„Das erzähle ich dir wenn wir bei uns sind. Das ist übrigens mein Mann Vincenco. Liebling, das ist Sophia."

Nachdem wir uns vorgestellt haben und uns noch einen kurzen Moment miteinander unterhalten haben erscheint aus dem Nichts ein völlig verwirrter Mann am Eingang der Gaststätte. Vollkommen blass, als habe man ihm soeben eine schlimme Nachricht unterbreitet. Auch die anderen anwesenden Gäste beäugen ihn interessiert, doch scheint dieser Mann nur den Alkohol im Sinn zu haben, da er direkt auf den Tresen zugeht und nach einem großen Krug Wein verlangt. Ana, Vincenco und ich stehen etwas abseits, doch kann ich das leise Nuscheln des Mannes dennoch hören und ich merke wie sich augenblicklich meine Nackenhaare aufsstellen. 

Ungeachtet von den fragenden Blicken gehe ich auf den Mann zu und lege eine Hand auf seine Schulter, was ihn augenblicklich aufzucken lässt und seine Augen zu mir wandern. Allein sie würden mir das bestätigen, was ich vermut, selbst wenn ich es nicht wahrhaben wollen würde. Doch kenne ich die Blicke seiner Opfer, wenn er sich nicht zügelt und unter Beweis stellt, wie sehr sich die Menschen vor ihm fürchten sollten. 

„Ist alles in Ordnung bei Ihnen, Sir?", frage ich mit samtig weicher Stimme, woraufhin er seinen Kopf schüttelt und ich den leichten Geruch von Blut und Urin riechen kann. Meinen Eckel versuche ich zu verstecken als ich ihm in die Augen sehe und ihn dazu zwinge mir zu erzählen, was ihn so verängstigt, was jedoch durch die Lautstärke seiner Worte auch die Aufmerksamkeit aller anderen Gäste auf uns zieht.

„Die Legenden, sie sind wahr. Ich habe ihn mit meinen eigenen Augen gesehen. Dem Herren sei Dank, dass ich noch lebe und nicht von ihm gehäutet wurde."

Das Zittern in seinen Gliedern lässt nicht nach, selbst als er mehrere Schlucke aus seinem Krug nimmt. Als ich über meine Schulter sehe bemerke ich den brennenden Blick von Marco, versuche ihn aber auszublenden, erinnert es mich in diesem Moment an einen anderen Mann, der trotz seiner Abwesenheit stets mein Leben zu beeinflussen scheint. Mit zitternder Stimme und insgesamt zwei Krügen Wein berichtet er von seinen Erlebnissen. Und obwohl ich genau weiß, was für ein Monster in dem Mann, in den ich mich verliebte, steckt, hatte ich stets die Hoffnung, dass dieses niemals gänzlich die Kontrolle verlieren würde. Auch wenn ich nicht wie alle anderen Gäste völlig entsetzt und fürchtend reagiere, innerlich habe ich das Gefühl einen anderen Mann vor mir zu sehen.

Ein Massaker.

Der Herrscher der Meere.

Keine Überlebenden.

Abgeschlachtete Männer.

Das emotionslose Grinsen auf einem blutverschmierten Gesicht.

Es sind die wenigen Sätze, die in meinem Gedächtnis hängen bleiben, als wir die Gaststätte verlassen. Doch hält es mich nicht davon ab wieder an ihn denken zu müssen. Ich glaube jedes Wort des Mannes, welches von seinen Lippen kam. Was mich jedoch stutzig werden lässt ist die angebliche Beschreibung des berüchtigten Captain Grants. Ich kenne jeden einzelne Zentimeters von diesem Mann und die Beschreibung des Mannes ... sie stimmt nicht mit meinen Erinnerungen überein. Kann es sein, dass es nicht Jason gewesen ist, welcher ihm begegnet ist? Andererseits treffen alle Beschreibungen zu; die Black Hell, das mordlustige Abschlachten. All das passt zu ihm, bis auf die äußerliche Erscheinung. Von wem also hat dieser verängstigte Mann gesprochen?

Und auch während wir uns mittlerweile in Anna's und Vincenco's Wohnung befinden gehen mir die Worte nicht aus dem Kopf. Ich versuche mir nicht anmerken zu lassen, dass mich die Erzählung noch dermaßen in Beschlag nimmt, doch scheint ihr Mann ein sehr aufmerksamer Mensch zu sein und schenkt mir ein verstehendes Lächeln und versucht tatsächlich meine Gedanken von Jason abzuwenden. 

„Ich würde gerne mehr von der neuen Freundin meiner Frau wissen. Was führt dich nach Rom? Von wo stammst du ursprünglich?" Auch Anna mustert mich neugierig, woraufhin ich die Tasse mit dem Tee in die Hand nehme, welchen sie mir zubereitet hat, und einen Schluck trinke um meine Lippen mit Flüssigkeit zu benetzen.
„Eigentlich wohne ich in Valencia mit meiner kleinen Schwester, allerdings brauchte ich etwas Abstand und wollte neue Städte bereisen. Was Neues sehen und ich habe viel Gutes über Rom gehört. Und nun bin ich hier."

„Und wieso hat deine Schwester dich nicht begleitet? Es ist schließlich nicht ungefährlich allein als Frau zu reisen.", hakt er nach und bringt mich zum Lächeln. „Valeria ist in einem Alter, in dem sie auch ohne mich zurecht kommt. Und auch, wenn es auf den ersten Blick nicht so aussehen mag, weiß ich mich zu verteidigen. Ich habe mit den Jahren vieles erlernen können und weiß mich zu verteidigen."
Verstehend nickt er und fragt mich noch weiter etwas aus, bis er auf ein heikles Thema kommt „Hast du denn keinen Mann? In unserem Alter ist es üblich bereits verheiratet zu sein oder sogar schon Mutter zu sein. Und du erscheinst mir nicht wie eine Frau, die keine Angebote bekommen würde, wenn du selbst Marco Neroli's Aufmerksamkeit auf dich gezogen hast."

Aus Angst die Tasse fallen zu lassen stelle ich sie zurück, versuche mich nicht zu sehr in meine Gedanken fallen zu lassen. Zu schmerzhaft sind die Erinnerungen, die ich mit ihm teile und die mich Nacht für Nacht heimsuchen, mir aufweisen, was ich verloren habe. „Ich habe bisher keinen Mann gefunden, dem ich mich auf die Weise hingeben wollte oder konnte."

„Etwas sagt mir, dass das nicht alles ist." Anna mustert mich mit einem wissenden Blick, der mich schutzlos fühlen lässt. Wenn selbst eine Frau, die mich nur so kurz kennt, durchschauen kann, wie muss es dann meinem engen Umfeld ergangen sein?

„Es gab da einen Mann. Aber es scheint nicht unser Schicksal gewesen zu sein, dass wir beieinander bleiben. Er musste fortgehen seiner Familie helfen und ich wollte ihn davon auch nicht abhalten." „Aber warum bist du nicht mitgegangen?"

Ihre Frage reißt eine tiefe Wunde in mir auf, die ich stets versucht habe zu verdecken. Denn wenn ich ehrlich zu mir selber bin weiß ich, dass es nicht das Schicksal gewesen ist, welches uns im Weg stand, sondern unser Schweigen. Doch dies würde ich niemals offen aussprechen, weshalb ich mit dem Anhänger meines Armbands spiele und tief ausatme.

„Es ging nicht. Ich habe eine Verantwortung gegenüber meiner Schwester und habe sie daher über mein Glück gestellt. Und wenn er gewollt hätte, dass ich bei ihm bleibe, hätte er es ausgesprochen. Aber er hat mich ziehen lassen. Ich kann ihm also nicht viel bedeutet haben, wenn er mich so leicht gehen lassen konnte."

Das ist zumindest das, was ich mir stets versuche einzureden.


Willkommen zum ersten Kapitel des Leseabends. Ich bin gespannt was ihr zu Sophias Aufenthalt in Bella Italia sagen werdet genauso wie zu den Menschen, denen sie begegnet. Sie alle werden ihren eigenen wichtigen Teil in ihrer Geschichte spielen, so viel ist sicher!


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