•57•

Die Tage ziehen vorbei. Jeden einzelnen von ihnen lenke ich mich auf die verschiedensten Weisen ab, nur um nicht daran zu denken, wie viel Zeit schon vergangen ist.

Dieses Mal ist es anders. Dieses Mal ist er selbst nach Wochen noch nicht zurückgekehrt und mich lässt das Gefühl nicht los, dass dies in ferner Zukunft auch nicht geschehen wird. Auch wenn ich dennoch mit jedem vergehenden Tag versuche an der Hoffnung fest zu halten merke ich wie seine Abwesenheit mich mehr und mehr verletzt und es kaum einen Tag gab, an dem ich nicht an ihn denken musste. Ich habe mich so gut es ging abgelenkt - entweder auf dem Markt ausgeholfen, etwas mit Valeria unternommen oder mich um andere Dinge gekümmert. Hauptsache ich war so beschäftigt, dass ich nicht nachdenken konnte. Geholfen hat es wenig.

Es sind einige Monate vergangen, seitdem Jason fort gegangen ist um Logan zu helfen. Was auch immer es ist, wobei Logan seine Hilfe braucht, ich weiß genau, dass es sehr wichtig sein muss.
Sonst wäre er nicht gegangen. Sonst hätte er mich nicht zurückgelassen. Sonst hätte er nicht gezögert mich zu bitten ihn zu begleiten. Zumindest ist es das, woran ich mich versuche fest zu halten.

Den Schmerz spüre ich dennoch, besonders wenn ich versuche Schlaf zu finden und meine Gedanken mir keine Ruhe geben. Wie sie mir Nacht für Nacht ein Bild von ihm herbeizaubern, welches mich ihn nur noch mehr vermissen lässt. In manchen Nächten wache ich Tränen überströmt auf, sehe neben mich und erkenne das leere Bett. Begreife, dass er tatsächlich fort ist und bereue es nichts gesagt zu haben.

In dem Moment, wo ich gespürt habe, dass dieser Abschied anders ist wie der zuvor hätte ich was sagen sollen. Hätte ihn bitten sollen mich mit sich zu nehmen, uns nicht erneut zu trennen. Für eine ungewisse Zeit. Doch ich war feige. Egoistisch. Innerlich wollte ich die Worte aus seinem Mund hören, dass er mich bittet, dass ich ihn begleite. Doch nichts dergleichen kam über seine Lippen. Und vielleicht war das auch der Grund wieso ich ihn habe ziehen lassen.

Hätte ich anfangs ahnen können, dass meine Ängste sich bewahrheiten würden und er selbst nach Monaten, die verstrichen sind, nicht zurückkehren würde? Vielleicht.

Und vielleicht war es dumm von mir zu schweigen. Nicht meine Arme um ihn zu legen, ihn zu küssen und zu bitten mich nicht zurück zu lassen. Aber ich kann die Zeit nicht zurückdrehen und muss nun mit den Konsequenzen leben. Wir beide.
Dennoch versuche ich mich an jeden einzelnen Moment mit ihm zu erinnern um den kleinen Hoffnungsschimmer aufrecht zu halten. Vielleicht wird er eines Tages doch dort stehen. Am Hafen Valencia's, auf der Black Hell, mit ausgestreckten Armen und einem liebevollen Lächeln auf mich warten. Bis zum heutigen Tag ist nichts von alledem geschehen. 

Kein Schiff am Horizont.

Kein Pirat, welcher auf der Suche nach mir ist.

Kein Jason.

Mittlerweile ist tiefster Winter in Valencia angekommen. Die Temperaturen sinken unter unter den Gefrierpunkt, die Menschen kleiden sich so warm wie es geht, um sich vor dem Wetter zu schützen. Natürlich tun wir es ihnen gleich, auch wenn die Kälte uns nicht so viel ausmacht wie ihnen. Aber wir müssen unserer Existenz wegen in Sicherheit bleiben. Wir dürfen nicht auffallen und uns von den Menschen unterscheiden, sonst könnte es zu viel Aufsehen erregen.

„Wollen wir ein wenig spazieren gehen?"

Valeria stellt sich neben mich ans Fenster unseres Hauses, aus dem ich die fallenden Schneeflocken beobachte wie sie langsam auf den Boden rieseln. Eine dicke Schicht Schnee bedeckt diesen, die nur durch wenige Fußabdrücke unterbrochen wird. „Sicher."

Wir beide ziehen uns warm und gemütlich an, schlüpfen in warmes Schuhwerk, bevor wir unser Heim verlassen und die leere Straße betreten. Kaum eine Menschenseele ist zu sehen, was dem Wetter zu schulden ist. „In welche Richtung willst du dieses Mal gehen?" 
Fragend wende ich mich zu ihr und warte auf ihre Antwort. „Ich weiß nicht. Vielleicht in Richtung der Berge? Dort sind wir bisher nicht gewesen, auch früher nicht."

Mit einem Nicken gehe ich auf den kleinen Pfad zu, welcher durch mehrere Gassen zu den Gebirgen führt. Von unserem Haus aus konnte man sie schon immer sehr gut betrachten, doch habe ich nie jemanden aus der Stadt gesehen, der sich auf dieses Gelände gewagt hätte. Über meine Schulter hinweg schaue ich auf unser Haus, welches im Laufe der Jahre in Mitleidenschaft gezogen wurde. Epidemien, Kriege, all dem hat es Stand gehalten, wenn auch mit deutlich erkennbaren Makeln. Jetzt jedoch ist es die Zeit, die ihren Tribut zollt und unser altes Zuhause langsam zum Zerfall bringt. Bisher haben wir keine großen Auswirkungen von innen gespürt, trotzdem bin ich bereits auf der Suche nach einem neuen Heim für uns. So etwas wie ein Neustart in unserem alten Zuhause.

Stille herrscht zwischen uns, während wir den Pfad entlang laufen. Seitdem wir wieder in Valencia sind ist Valeria schweigsamer geworden und ich bin mir bewusst wieso. Auch sie vermisst Jason, Lenn und die Zeit mit unserer zweiten Familie auf dem Schiff. Vor allem an Smith hat sie einen Narren gefressen, als er ihr immer am Klavier etwas vorgespielt hat. Wie genau es mit ihr und Lenn weitergeht weiß ich nicht, denn auch ihn habe ich lange Zeit nicht mehr hier in Valencia gesichtet. Die Befürchtung, die ich damals bereits verspürt habe ist nie ganz erloschen und so wie es aussieht wird auch ihre Beziehung nicht mir lange bestehen. Auch wenn er im Gegensatz zu Jason hier gewesen ist um sie zu sehen, was mir mehr weh getan hat als ich zugeben würde.

Wir legen immer mehr Abstand zwischen uns und der Stadt, kommen den Bergen näher. Auch sie sind bedeckt von dem Schnee, welcher fleißig auf uns niederrieselt. Die Schneedecke verleiht den Bergen etwas unheimliches, als würde es etwas vor uns verstecken wollen. 
Jegliches Zeitgefühl habe ich verloren. Lediglich die Sonne über uns lässt mich grob schätzen, dass es bereits Nachmittag sein muss, als wir die Berge erreichen und uns umsehen. Auf den ersten Blick wirkt alles ruhig und normal, allerdings trügt der Schein. Irgendwas stimmt nicht, man kann es geradezu in der Luft spüren.

„Riechst du das auch?" 

Valeria sieht angespannt um sich und auch ich beäuge die Umgebung nun genauer. Wieso ist uns dies nicht schon vorher aufgefallen?
„Wenn du das Blut und den Geruch nach Vampiren meinst, dann ja."

Wir folgen dem verdächtigen Geruch und tatsächlich - hinter einem Schutt von Brocken scheint eine kleine Höhle zu liegen, dessen Eingang sich genau hier befindet. Für Unerfahrene nicht deutlich erkennbar, doch für Einheimische verdächtig. Leise schlüpfen wir durch den kleinen Eingang und laufen einen langen dunklen Gang entlang. Da er nicht beleuchtet ist würden Menschen womöglich wieder kehrt machen. Vampir Augen jedoch sind um einiges ausgeprägter, daher ist es für uns nicht schwer den Weg erkennen zu können.

Sobald wir am Ende des Tunnels angelangen traue ich meinen Augen kaum. Damit hatte ich ganz sicher nicht gerechnet, so etwas zu entdecken, genauso wenig wie meine Schwester. Inmitten dieser Gebirge befindet sich ein eigenes kleines Dorf, mit standhaften Häusern. So etwas habe ich noch nie gesehen und frage mich wie lange dies schon existieren muss. Bevor wir aber weitergehen können werden wir von zwei Männern, die anscheinend hier als Wachen stehen, aufgehalten, die ihre Waffen zücken wollen.

„Wer seid ihr und wie habt ihr uns gefunden?"

Ihre Augen leuchten rot auf und sofort stelle ich mich vor Valeria, spüre wie Wut in mir hochsteigt. Bei meinem Anblick lockern sich ihre Griffe um ihre Waffen und ein Schmunzeln legt sich auf das Gesicht des Mannes links von uns, sobald seine Augen genauer über uns wandern. „Die Schönheitsschwestern scheinen wohl zu leben und sich der Unsterblichkeit angeschlossen zu haben, interessant. Was verschlägt euch hierher?"

Skeptisch betrachte ich ihn als auch den anderen Mann, dessen Blick ebenfalls über uns gleitet. Es erinnert mich an die Zeit, in der ich noch menschlich war, nicht über die Kraft verfügt habe wie jetzt. Nicht viel hätte ausrichten können, wenn sie versucht hätten etwas gegen meinen Willen zu tun. „Wir sind zufällig auf diesen Ort gestoßen.", beantworte ich seine Frage, ohne auf den Kommentar über uns einzugehen. „Wenn es nichts ausmacht würden wir uns gerne umsehen."

„Natürlich. Unseresgleichen ist hier stets willkommen. Doch bedenkt, dass dieser Ort hier im geheimen existiert. Es hat oberste Priorität, dass es auch so bleibt. Ihr könnt ein- und ausgehen, solange ihr Stillschweigen bewahrt."

Mit einem Nicken gehen wir an ihnen vorbei und staunen nicht schlecht über diesen Ort. Alles ist eher dunkel gehalten, lediglich die vielen Fackeln, welche alle paar Meter weit oben leuchten, erhellen die Gassen dieses Untergrundes. Irgendwie freut es mich zu sehen, dass sehr wahrscheinlich die Vampire, die der Sonne normal schutzlos ausgeliefert waren, hier einen Ort erschaffen haben, an dem sie ohne Probleme weiterleben können. Mir ist nicht einmal bewusst gewesen, dass sich in der Nähe Valencia's welche unserer Art befinden könnten. Im Nachhinein töricht von mir.

Auch wenn alles eher kleiner gehalten ist, wird hier ebenfalls das meiste geboten, was man in der Stadt erwerben kann. Und da wir nichts bräuchten bis auf Blut sparen sie sich einiges an Platz. Essen, Trinken. Alles, was man braucht um zu überleben, wenn man an diese Dinge gebunden ist. Was mich am meisten erstaunt ist jedoch, dass, wenn auch nur vereinzelt, Menschen hier zu leben scheinen, die uns freundlich begrüßen. Und sie wirken keinesfalls wie Gefangene, sondern als würden sie nebeneinander mit den Vampiren leben. In einer Gemeinschaft - unvorstellbar in unserer Zeit.

Und dass wir hier auch auf bekannte Gesichter unserer Vergangenheit stoßen würden ist eine weitere Überraschung. Die nette Verkäuferin, bei welcher ich früher immer unser Obst und Gemüse erworben habe, lächelt uns freundlich entgegen und betrachtet uns von Kopf bis Fuß. „Dass ich euch noch einmal wiedersehen würde hätte ich wohl nie zu glauben gehofft. Ihr seid so schön wie immer. Ich glaubte, ihr hättet die Schlacht damals nicht überlebt."

„Wir waren zu der Zeit nicht in Valencia, wir kamen erst später zurück."

Verstehend nickt sie und deutet uns mit einem Handwink ihr zu folgen. Sie führt uns durch einen Weg, an den sich mehrere Häuser reihen. Es ist zwar eng, dennoch passierbar. „Wann seid ihr verwandelt worden, wenn ich fragen darf? Ihr seht noch recht jung aus."

Fragend mustere ich sie, doch ihre plötzlich aufleuchtenden Augen sind Antwort genug, was meine leichte Anspannung etwas mildert. „Schon einige Jahre. So genau wissen wir es gar nicht mehr, es ist schon einige Jahre her. Und Sie?", antwortet Valeria und sieht dann zu der Dame, die sofort in Erinnerungen zu schwelgen scheint. „Ich bin bei dem Angriff auf unsere Stadt schlimm verletzt worden. Mein jetziger Mann, Francis, hat mich gefunden und verwandelt. Seitdem lebe ich hier."

Sie zeigt mit ihren Hände schweifend über diesen Ort. „Dieses kleine Städtchen gibt es schon eine lange Zeit und wird bisher gut gehütet. Wir können hier genauso leben wie die Menschen außerhalb, ohne dass die Sonne uns schaden kann."
„Wie kommt es, dass sich auch hier Menschen befinden? Haben sie denn keine Angst?", frage ich das, was mich am meisten verwundert, als wir vor einem kleinen Häuschen stehen bleiben. „Das ist eine Geschichte für einen anderen Tag. Wir sehen uns sicher wieder, Mädchen."

Nachdem wir uns von ihr verabschieden lassen wir es uns nicht nehmen uns noch ein wenig hier um zu sehen. Dass so etwas geschaffen wurde nur um all diese Vampire zu schützen. Es wird sicher nicht das letzte Mal gewesen sein, dass uns unser Weg hierher führt. Und wenn es nur deshalb ist um heraus zu finden wer für all dies verantwortlich ist.

Wie klingt ein Leseabend nächstes Wochenende?

Ich überlasse es euch, ob ihr Samstag oder Sonntag ein paar Kapitel lesen möchtet und ab wie viel Uhr - schreibt eure Wünsche einfach in die Kommentare ❤️

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