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1734 - Valeria's Sicht


Wie beschreibt man das Gefühl jemandem verfallen zu sein, der nicht dir gehören kann? Jemanden, der bereits sein Herz verschenkt hat und es dennoch schafft dich in seinen Bann zu ziehen? Wie kann man seine Gefühle in Worte fassen, wenn du dir wünschst an ihrer Stelle zu stehen und dennoch ihr das Glück gönnst, weil du sie mindestens genauso sehr liebst wie ihn?

Liebe kann ein Segen und ein Fluch zugleich sein, ich habe es an eigenem Leib erlebt - tue es noch immer. Dass sich meine Emotionen verstärkt haben, seitdem ich eine von ihnen geworden bin, macht es umso schlimmer, beinahe unerträglich. 

Sie zusammen zu sehen ist einerseits schmerzhaft, andererseits macht es mich glücklich. Ich liebe meine Schwester, denn sie war immer derjenige, die für mich da gewesen ist. Die mich gestützt hat und immer dafür sorgte, dass es mir gut geht. Ich weiß nicht wie mein Leben heute aussehen würde, würde es Sophia nicht geben. Vielleicht würde ich nicht mehr leben. Vielleicht wäre ich aber auch bereits Ehefrau und Mutter. Ich kann es nicht wissen, doch ich könnte es mir niemals ohne meine große Schwester, meinem Vorbild, vorstellen. Sie ist die Person in meinem Leben, die mich vor allem Bösen schützen wollte. Sie hat dafür gesorgt, dass es mir an so gut wie nichts fehlte, hat stets mein Wohlergehen über ihres gestellt. Doch in dieser einen Sache verletzt sie mich, auch wenn sie sich dessen nicht einmal bewusst ist.

Mein Blick schweift zu ihm und ein Lächeln entsteht auf meinem Gesicht. Seine Augen treffen meine und er lächelt auch mich an.

Doch dieses, was er mir schenkt, ist ein anderes als ihres. Mein Lächeln wird niemals die Gefühle ausdrücken, die ich für diesen Mann empfinde. Es ist ein schmerzhaftes Wissen, was mich mit jedem verstreichenden Tag mehr quält und nur in den Momenten, die ich mit einem anderen besonderen Jungen verbringe, vergessen scheinen. Nur dann sind meine Gedanken frei, mein Herz leicht und das Lächelnd auf meinem Mund echt.

Da ich meine Maske nicht länger aufbehalten kann gehe ich von Deck, geradewegs auf meine Kajüte zu. Dem einzigen Ort, in dem mich die Bilder von ihnen nicht verfolgen. Wo ich meinem Kummer freien Lauf lassen kann und ungehalten die Tränen fließen. Dieses Schiff ist wie eine zweite Heimat für mich geworden, neben Valencia. Aber hier zu sein, Tag für Tag Jason und Sophia so sehen zu müssen, ist leider auch eine Folter.

Ich schließe die Tür hinter mir, atme einige Male tief durch, bevor ich mich von dieser abstoße und mich seufzend auf mein Bett fallen lasse. Lege meinen Arm über meine Augen und versuche das Bild von ihm aus meinem Kopf zu bekommen. Das Lächeln, was immer auf seinen Lippen liegt, wenn er zu mir sieht. Seine Augen, die einen sofort in ihren Bann ziehen können. Es ist leichter gesagt, sein ganzes Wesen aus meinen Gedanken zu vertreiben, wie getan.

Als es an meiner Tür klopft antworte ich nicht, denn im Moment möchte ich einfach nur meine Ruhe und Frieden. Ich möchte niemanden sehen, noch mit jemanden sprechen. Doch mein Kopf will mir einfach keine Ruhe geben, schickt es mir immer wieder Bilder vor meine Augen, die mir erneut Tränen bescheren. Dann höre ich wie die Tür geöffnet und wieder geschlossen wird.

„Valeria.", höre ich seine Stimme meinen Namen sagen und mein Herz schlägt einen Takt schneller.  Zumindest würde es sich bestimmt so anfühlen, wenn ich nicht beschlossen hätte mein Leben als Mensch zu beenden und zu seinesgleichen zu werden. Und nachdem ich gemerkt habe, welche Veränderungen das Vampirsein mit sich bringt, vielleicht hätte ich auf Sophia gehört und mich dagegen entschieden.

Ich hebe meinen Arm von meinem Gesicht, wische dabei die paar Tränen weg, die ich auf meinen Wangen spüren kann. Sobald ich in seine Augen sehe könnte ich mich beinahe wieder in ihnen verlieren, so wie jedes Mal, was das verräterische Brennen in meinen Augen erneut entfacht. „Was ist?" frage ich, spreche bewusst seinen Namen nicht aus. „Darf ich mich setzen?"

Da ich schlecht nein zum Captain sagen kann nicke ich ihm zu, worauf er sich neben mich setzt. Ich versuche einen gewissen Abstand zwischen uns zu halten, damit mein Körper nicht den seinen berührt. Keiner von uns spricht erst ein Wort, bis ich es nicht mehr aushalte und laut ausatme.
„Was willst du von mir?", frage ich direkt, ohne ihn dabei anzusehen. Ich merke sofort, wie er etwas näher zu mir rutscht und versuche die Tatsache zu ignorieren, dass sich mein Körper nach seiner Nähe sehnt. „Ich sehe, wie du mich anschaust Valeria. Mittlerweile weiß ich, wie eine Frau guckt, die ihr Herz verloren hat." 

Meine Atmung bleibt für einen Moment stehen.

Er weiß es.

Und ich bekomme kein Wort aus meinem Mund. Was soll ich auch dazu sagen? Ihm zustimmen und mich der Scham aussetzen? Ihm in seine Augen sehen und mich freiwillig dem Schmerz aussetzen? Schließlich weiß ich, dass er nicht so empfindet wie ich. Mein Herz will dies aber bis heute nicht verstehen, will sich nicht von ihm lösen, auch wenn es bereits einen kleinen, winzigen Teil gibt, den ein anderer in Beschlag genommen hat.

„Wieso redest du nicht mit mir?", fragt er leise, doch schüttle ich nur meinen Kopf. „Was soll das bitte bringen, hmm?"
Nun sehe ich ihn doch an, meine Augen voller Tränen. „Warum sollte ich darüber reden, wenn es keinen Sinn hat und unnütz ist?"

„Weil du dich kaputt machst, wenn du es lediglich in dich frisst."
Plötzlich zieht er mich in seine Arme und vergräbt seinen Kopf in meinem Haar. Ich höre genau, wie er meinen Duft tief einatmet. Etwas, was er nur bei mir oder Sophia tut, und dabei den Schmerz nur schlimmer werden lässt. Diese Nähe ist einfach zu viel und lässt mich noch mehr weinen. 

„Hör auf zu weinen Prinzessin.", flüstert er, doch kann ich nicht aufhören. Zu sehr tut es weh so mit ihm hier zu sitzen. In seinen Armen zu liegen, seinen Atem an meinem Hals zu spüren und dennoch nicht die seine zu sein. Es ist nicht das erste Mal, dass er mich umarmt. Doch ist es das erste Mal, wo er genau weiß, dass er mich damit verletzt und es dennoch tut. Mit dem Wissen, dass er über meine Gefühle Bescheid weiß, macht er es nur schlimmer.

„Ich kann nicht.... es tut so weh.", wimmere ich und kralle mich an ihn, als wäre er mein Anker. Dabei ist er es, der mich in die Tiefe sinken lässt ohne es zu wollen. „Es soll aufhören... einfach aufhören.", hauche ich, mein Damm an Zurückhaltung gebrochen.
„Valeria. Du bist die Einzige, die es aufhören lassen kann. Du weißt, dass es für mich immer Sophia war und es immer sein wird. Ich liebe sie."

Auch wenn ich es weiß, diese Worte jetzt aus seinem Mund zu hören bricht mein Herz in tausend Stücke. Ich weine meinen ganzen Schmerz aus, den man für die erste Liebe empfinde kann, bis keine Tränen mehr kommen. Bis ich mich leer und kraftlos fühle, nichts lieber tun würde wie mich hinzulegen und dem hier zu entfliehen. Nur langsam löse ich mich aus seinem Griff, ohne ihn dabei anzusehen. „Warum sie? Was hat sie, was ich nicht habe?"

Es ist eine Frage, die ich nicht stellen sollte. Dennoch kommen sie aus meinem Mund, bewusst, dass ich meine Schwester als etwas Schlechteres darstelle. Doch die Verzweiflung nimmt Überhand, versucht sich an jeden einzelnen Rettungshalm, den er mir gibt, fest zu halten. Behutsam streicht er eine meiner Haarsträhnen hinter mein Ohr, bevor sein Finger zu meinem Kinn gleitet und es hochhebt. Dabei schenkt er mir ein kleines Lächeln. Seine Berührung hinterlässt eine Gänsehaut auf meinem Körper, die unübersehbar ist.

„Valeria, du warst viel zu jung für mich, als wir uns kennen gelernt haben. Wärest du so alt wie jetzt gewesen, wäre das Ganze vielleicht anders verlaufen. Du hast immer einen Platz in meinem Herzen, nur bist es nicht du, der dieses Herz gehört. Ich wünschte ich könnte die Last von dir nehmen, doch kann ich es nicht."

Mit einem traurigen Lächeln sehe ich in seine Augen, denen ich ansehen kann, dass er mir nicht absichtlich wehtut und für einen kleinen Teil lindert es meinen Schmerz.
„Es sollte wohl nicht so sein.", sage ich traurig und wische mir nochmal über meine Wangen. Seine Augen, die liebevoll auf mir liegen, lassen den sehnlichen Wunsch, welcher auf meiner Haut brennt, nur noch stärker werden, sodass sich die Worte ihren eigenen Weg hinaus bahnen.„Darf... darf ich dich wenigstens um einen Gefallen bitten?"

Langsam nickt er mit seinem Kopf. „Natürlich, um welchen?"

Etwas unbehaglich knete ich meine Hände, bevor ich tief durchatme und ihn flehend ansehe. Entschlossen, keinen Rückzieher zu machen, auch wenn es das Richtige wäre. „Küss mich. Ich will nur einmal wissen wie es sich anfühlt, wenn ich die diejenige bin und nicht sie."

Er atmet tief aus, bevor er mich wider ansieht. „Du musst mich danach aber so gut es geht vergessen Valeria."

Ich schlucke hart, doch nicke ich verstehend. Aussprechen kann ich es nicht, denn ob ich diese Gefühle je vergessen kann kann ich ihm nicht versprechen. Das einzige, worauf ich hoffen kann ist dass sich mein Herz seinen Weg zu dem anderen Mann in meinem Leben findet. Doch etwas sagt mir, dass das nicht so schnell passieren wird, wie ich es mir wünsche. Wenn überhaupt.

Mein Blick verhakt sich mit seinem und bleibt so, als ich so nah an ihn ranrutsche, dass sich unsere Beine berühren. Seine Hände legen sich um mein Gesicht und ziehen mich zu ihm. Und sobald sich unsere Lippen berühren ist es als würde etwas in mir geschehen, dass ich nie zu wagen geglaubt habe - Liebe. Seine Liebe zu mir, mag sie auch eine andere sein als ich es mir wünschen würde.

Sein Kuss ist hart, begehrend ich gebe mich ihm vollständig hin. Meine Hände krallen sich in sein Haar und halten ihn so nah an mir, denn das Letzte, was ich will, ist dass er sich von mir löst. Schnell merke ich, dass mir diese Nähe nicht nah genug ist, ich brauche mehr. Mehr von diesem Mann, welcher in diesem Moment nur mir gehört. Niemandem sonst. Daher rutsche ich reflexartig auf seinen Schoss, ihn dabei immer noch verlangend küssend. Es ist so falsch und doch will ich es so sehr. Seine Lippen, seinen Körper, einfach alles.

Seine Hände legen sich an meine Hüften und er schiebt mich leicht von sich. Meine sind noch immer in seinem Haar als ich meine Augen öffne und in seine sehe. Und bringen mich sofort in die Realität zurück. „Valeria nicht."

Meine Augen fangen wieder an zu tränen, ich will nicht aufhören, was wir angefangen haben.„Bitte.", hauche ich wimmernd, schieße trotzdem meine Augen wieder, da ich nicht in seine sehen kann, merke ich doch, dass er nicht weitergehen will. Mein Kopf jedoch schreit nach mehr. Bildet sich ein, dass er es genauso sehr will wie ich und sich nur wegen Sophia zurück hält. Dass er es genauso genießt meine Haut unter seinen Fingern zu spüren wie ich es tue. Dass er, wenn er es nur wollen und seinem Ruf nachgehen würde, sich meiner annimmt. Meinem Herzen und meinem Körper. Letztendlich ist es aber nur ein Wunsch, mehr nicht.

Mit einem Kuss auf meiner Stirn spüre ich wie er mit mir in seinen Armen aufsteht und mich auf dem weichen Bett absetzt. „Es geht nicht, wir können nicht weiter gehen." 

Meine Augen bleiben weiter geschlossen als er durch meine Haare streicht. 'Doch wir können', ruft mein Herz, während meine Lippen geschlossen bleiben. Seine nächsten Worte zeigen mir jedoch, warum es nicht geht und ich mich schäme, dass ich mich ihm hingegeben hätte, hätte Jason es gewollt. „Ich werde es ihr sagen, du musst es nicht selbst tun."

Ich antworte nicht auf seine Worte, denn es gibt nichts mehr zu sagen. Nichts, was diese Situation besser machen oder sie ändern könnte. „Du musst mich vergessen. Verspricht es."

„Ich kann nicht."

Meine Augen öffnen sich und schmerzend sehe ich zu ihm auf. Sein brennender Blick lässt jedoch meine Vernunft erscheinen, welche für mein Herz antwortet. „Ich werde es versuchen, aber ich kann es dir nicht versprechen."

Darauf nickt er mir zu und verlässt mit einem kleinen Lächeln meine Kajüte. Ohne nochmal zu mir zu sehen oder mir zu versichern, dass es besser werden wird. Und ich weiß, dass es erst schlimmer wird, ehe mein Herz heilen kann. Ich fange an erneut zu weinen, lasse meinen Körper zurück auf das Bett fallen und starre auf die Schiffsdecke. Weil ich nicht nur verstanden habe, dass ich ihn nie haben werde, sondern auch, dass ich grade meine eigene Schwester hintergangen habe. Etwas, wovon ich dachte, niemals imstande zu sein. Und das nur wegen unserer Liebe für denselben Mann.

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