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August 1729


Zusammen sitzen Valeria und ich in Smith's Kajüte an seinem Klavier, genießen, wie mit der Zeit unsere Finger über die Tasten schweben und wir kaum noch Fehler beim Spielen machen. Es ist ein Ritual für uns geworden, dass wir uns zusammen hierhin setzen und versuchen gleichzeitig zu spielen. Natürlich klang es am Anfang alles andere als gut und haben viel deswegen lachen müssen, aber mit der Zeit sind wir besser geworden und das hört man nun auch.

Vor allem, wenn es ihr mal schlecht ging, hat es sie vor das Klavier gezogen und ich bin froh, dass Smith nichts bisher dagegen gesagt hat. Sicher, ich habe schon einige Male gehört wie er meinte, dass er das Gefühl hat, seine Kajüte würde zu einem Aufenthaltsraum umfunktioniert werden. Dennoch hat er es uns nie verweigert das Klavier zu benutzen, wenn wir ihn gefragt haben. Tatsächlich hat er viel mit Valeria geübt und Jason mit mir.

Doch heute will es ihr nicht so gelingen. Sie ist total in Gedanken, unkonzentriert. Aber das habe ich bereits seit einigen Tagen gemerkt, seitdem wir wissen, dass es bald wieder ans Festland für uns geht.

Der nächste schiefe Ton erklingt und ich nehme ihre Hände von den Tasten, sehe sie musternd an. „Was ist los mit dir? Du bist so still und kannst dich gar nicht konzentrieren."
Ihre Augen sehen mich zwar an, doch schüttelt sie mit dem Kopf und legt ihre Finger wieder an die Tasten. Seufzend tue ich es ihr gleich und wir versuchen es noch einmal, bis sie tief Luft holt.
„Ich will, dass du mich verwandelst."

Meine Finger kommen total aus dem Takt und man hört laut und deutlich, wie der Ton in die komplett falsche Richtung geht.
„Wie bitte?", frage ich sie mit geweiteten Augen, doch ihre sagen mir, dass sie es völlig ernst meint. „Ich. will. verwandelt. werden.", betont sie jedes einzelne Wort und ich schlucke.

Ich liebe das Leben als Vampir, keine Frage. Aber mit diesem Leben muss man auch auf Dinge verzichten und ich weiß nicht, ob sie sich dem im Klaren ist.
„Du weißt nicht, was du da sagst Valeria.", sage ich leise, doch sie steht von dem Hocker auf und verschränkt ihre Arme vor der Brust. „Oh doch, das weiß ich ganz genau!"

Traurig lache ich auf, stehe ebenfalls auf und schüttle den Kopf.
„Achja? Du weißt, auf was du dann verzichten musst? Dein restliches Leben? Ich kenne dich Valeria, du bist immerhin meine Schwester. Du willst Familie, Kinder. Einen Mann, der dich über alles liebt. Aber als Vampir-"
„Habe ich das alles auch.", kontert sie und ich merke wie ich langsam wütend werde.

„Nein, hast du nicht! Du wirst niemals eigene Kinder bekommen können! Nie wirst du dein eigenes Baby in den Armen halten, es aufwachsen sehen können, weil dein Körper dazu nicht mehr imstande ist. Du bist auf Blut angewiesen und wenn du einen Mann kennen lernst, der ein Mensch ist, willst du dann zusehen wie er älter wird, während du selbst nach dreißig Jahren noch gleich aussiehst?"

„Ich kann ihn doch verwandeln.", sagt sie leise, dennoch nicht ganz überzeugt.
„Und wenn er das nicht will? Was tust du dann? Zwingst du ihn dazu?"

Ich gehe auf sie zu und lege meine Hände auf ihre Schultern. Mein Blick wird sanfter, sobald ich den Ausdruck in ihren Augen sehe, dennoch weigert sich ein Teil von mir zu akzeptieren, dass sie ihr Leben als Mensch aufgeben will. „Ich kann verstehen, dass du auch so sein willst. Aber ich werde dich nicht verwandeln, das kannst du nicht von mir verlangen. Ich kann das nicht tun, tut mir leid."

Damit lasse ich sie alleine in der Kajüte, gehe raus an Deck um frische Luft zu bekommen und um mich zu beruhigen. Ich kann mich an jedes einzelne Detail erinnern, als Jason mit mir über das Dasein als Vampir gesprochen hat. Und nachdem ich erfahren habe, dass ich nie eigene Kinder bekommen könnte hat es einen Teil in mir zerbrochen, der wohl mein ganzes Leben lang so bleiben wird. Kaputt. Dennoch bin ich ihm unendlich dankbar dafür mir dieses Leben gegeben zu haben. Mit ihm.

Nach einiger Zeit lasse ich meinen Blick über das Deck gleiten, doch kann Jason nicht entdecken. Aber ich könnte grade nichts mehr wie seine Arme um mich, seine Wärme an mir gebrauchen, die meine Gedanken beruhigen. Daher gehe ich auf einen der Knaben zu, welcher grade dabei ist den Boden zu wischen. „Hey Junge, weißt du wo der Captain ist?"
Er sieht kurz von seinem Mopp hoch, zuckt mit den Schultern.
„Ich weiß es nicht. Die meisten sind aber im Aufenthaltsraum, vielleicht befindet er sich ebenfalls dort."

Ich nicke verstehend und begebe mich dann zu den Treppen ins erste Unterdeck, wo ich bereits das Gegröle von einigen Männern hören kann. Sobald ich den Raum entdecke sehe ich eine große Runde am Karten spielen - mittendrin der Mann, den ich suche.
Schmunzelnd gehe ich auf die Truppe zu und bleibe kurz davor mit verschränkten Armen stehen, schauen ihnen einen Moment lang zu.

Als Jason mich bemerkt winkt er einen der Männer zu sich und überlässt ihm seine Karten, steht dann auf und kommt auf mich zu, bleibt mir schräg gegenüber stehen. „Was ist los?"
Ich sehe von dem Spiel kurz zu ihm, dann wieder zurück. Es ist immer noch erstaunlich, wie gut dieser Mann mich lesen kann, auch wenn ich kein einziges Wort ausspreche. 
„Valeria.", seufze ich und löse meine verschränkten Arme.

Ich gehe aus dem Raum raus, da ich nicht unbedingt in Gegenwart aller darüber sprechen will, und Jason scheint den Wink zu verstehen. Draußen drehe ich mich wieder zu ihm und schüttle meinen Kopf.
„Sie will, dass ich sie verwandle.", sage ich direkt, da drum herum reden nichts bringen würde.

Er nimmt meine Hand und läuft mit mir zu den Treppen, die nach oben führen. „Hat sie dir gesagt warum?"
„Nein, nicht wirklich. Sie meinte plötzlich, dass sie verwandelt werden will. Ich habe ihr gesagt, dass sie das wahrscheinlich nicht mal richtig durchdacht hat und dann hat sie nur versucht meine Argumente zu kontern, was eher schlecht als recht funktioniert hat."

Oben an Deck lehnt er sich an die Reling und schaut zu mir. Er mustert mich einige Sekunden, erwidert dann „Du willst sie nicht verwandeln oder?"
Ich schüttle meinen Kopf. „Nein, so ist es nicht. Also nicht direkt."
Ich lehne mich neben ihn an die Reling und schaue auf das Wasser. Genau wie auf ihn hat das Meer eine beruhigende Wirkung auf meinen Körper. Wenn ich hier, auf diesem Schiff, bin, habe ich keinerlei Sehnsucht nach dem Festland. Das Meer, dieses Schiff, dieser Captain - sie sind so schnell mein Zuhause geworden, dass ich mich des öfteren schon gefragt habe, ob Valencia jemals mein wirkliches Zuhause gewesen ist oder mein Herz schon damals wusste, dass es ganz woanders hingehört.

„Ich kenne sie. Sie ist das typische Mädchen, dass einen Mann finden will, Kinder bekommen und eine glückliche Familie haben will. Und ich weiß, dass sie sich dessen Konsequenzen nicht bewusst ist, wenn sie verwandelt wird. Sie ist einfach noch nicht soweit dafür."

Der Wind lässt mein Haar hin und her wehen, doch stört es mich nicht. Mit der Zeit gewöhnt man sich sehr schnell daran und notfalls kann man seine Haare in einen Zopf binden. Doch für mich hat es ein Gefühl, als würde der Wind einen umhüllen wie eine schützende Umarmung.
„Du würdest sie also lieber verlieren, als dass sie so wird wie du?" 

Sein Ton klingt skeptisch und im nächsten Moment merke ich wie er meinen Kopf zu sich dreht.
„Du hattest keine Wahl und sie hat sie, also warum verwehrst du ihr ihren Wunsch?"
Sein Blick brennt sich geradezu in meinen ein, als würde er tiefer in mich sehen und nach dem wahren Grund suchen. Doch was genau stört mich so sehr daran?Ich weiß es genau, tief in mir, aber es laut auszusprechen ist härter wie gedacht.

„Ich würde sie nie verlieren wollen. Aber... sie nimmt sich damit freiwillig eine Chance, die mir die Krankheit genommen hat.", kommt es hauchend von mir und versuche die Tränen wegzuhalten. „Sie kann noch Jahre als Mensch haben und sich Dinge ermöglichen, die sie als Vampir nicht mehr kann. Aber sie wirft das einfach weg, indem sie sich dafür entscheidet."
„Soph, sie ist alt genug um sich selbst dafür zu entscheiden. Und nur weil du, wir, keine Kinder haben können, ist das kein Grund ihr diesen Wunsch zu verwehren."

Seine Hand, die sich auf meine gelegt hat, beruhigt mich augenblicklich und ich nicke. Es ist schwer zu akzeptieren, aber ich darf nicht meine Wünsche auf Valeria projizieren. Es ist ihr Leben, das muss ich akzeptieren, auch wenn es mir schwer fallen mag. „Ja, du hast recht. Es ist ihr Leben, ihre Entscheidung." Dennoch schlucke ich und lehne dann meinen Kopf an seine Brust. „Aber du bist du dabei, bitte. Ich will das nicht allein tun. Sie ist die erste Person, die ich verwandeln werde und grade bei ihr darf ich nichts falsch machen." 

Von unten sehe ich zu ihm hoch und sehe ihn bittend an.
„Ich mache es, nicht du. Mein Schiff, meine Regeln.", antwortet er und zwinkert dabei, was mich erleichtert meinen angehaltene Luft ausatmen lässt. „Noch besser.", lächle ich dankend und sehe dann über seine Schulter, da ich Schritte von der Treppe gehört habe. Man könnte denken, sie hätte es geahnt, denn Valeria ist es, welche am Treppenabsatz steht und zu uns sieht. „Wie aufs Stichwort."

Jason winkt sie zu uns und sie kommt seiner Aufforderung nach. Abwartend sieht sie zu mir und ich nicke zu Jason. „Er wird dich verwandeln. Aber ich frage dich nochmal: Bist du dir wirklich sicher, dass du das willst? Diese Entscheidung ist endgültig."
Eine leichte Unsicherheit ziert ihr Gesicht, doch diese verschwindet so schnell wie sie gekommen ist. „Ja, ich bin mir zu hundert Prozent sicher."

„Du weißt, dass du niemals schwanger werden kannst und Menschen töten wirst, oder?", hakt auch Jason nach und sie nickt.
„Ja, das weiß ich. Aber ich habe in den letzten Jahren immer mehr gemerkt, dass ich das hier will. Vampir sein. Und auch, wenn du denkst, dass ich mit den Konsequenzen vielleicht nicht klar komme, ich werde es. Außerdem habe ich doch euch, was soll also schiefgehen?"

Ihr Blick, den sie mir schenkt, lässt auch mich lächeln. Dann wendet sie sich wieder Jason zu.„Wann geht es los?" „Sobald die Sonne untergegangen ist. Ich habe noch nichts, was dich vor der Sonne schützt. Du wirst dich erst einmal Unterdeck oder in deiner Kajüte aufhalten müssen."

„Okay.", antwortet sie und sieht dann zu mir. „Was machen wir solange?"
„Also ich genieße meine freie Zeit und lasse neuen Kurs setzen. Und du überlegst dir wie du am liebsten sterben willst. Ich muss dich schließlich umbringen." Während Jason grinst hat sieht Valeria eher schockiert aus.
„Ähm...ja, in Ordnung.", antwortet sie etwas stockend, woraufhin ich sie an ihrem Arm nehme und mit mir ziehe.

„Na komm, wir lassen uns etwas einfallen."
Hinter uns kann ich Jason noch lachen hören und kann mir selber ein Schmunzeln nicht verkneifen. „Den Teil habe ich irgendwie ignoriert.", murmelt sie vor sich hin, während wir die Treppen nach unten und zum Aufenthaltsraum gehen, wo im Vergleich zu vorhin, weniger Männer da sind. Wir setzen uns in eine Ecke und dann sieht sie mich fragend an. „Was?"

„Naja... ich weiß ehrlich gesagt nicht wie und..."

„Wie du sterben sollst?", hake ich nach und kann nicht verhindern, dass ihre Unsicherheit mich überlegen fühlen lässt. Ich sagte ja, dass es nicht so leicht ist, wie sie es sich vorstellt. „Also wenn es schnell gehen soll, denke ich reicht ein Genickbruch. Oder ein Kopfschuss?"
Fragend tippe ich mit meinem Finger an meine Lippe während ihr Gesicht bleich wird. „Ich glaube ich würde das mit dem Genick bevorzugen."

„Wir können uns ja noch solange etwas überlegen, uns dann auf zwei einigen und dann fragen wir Jason." Daraufhin nickt sie und wir überlegen die restliche Zeit, bis die Sonne untergeht, verschiedene Wege. Erst da fällt mir auf wie viele Wege es doch gibt, wie ein Mensch sterben kann. Sei es auf schnelle und schmerzlose, oder lange und qualvolle Weise. Es klingt zwar komisch, doch kann ich mich glücklich schätzen, dass ich die letzten Minuten vor meinem Tod eher erschöpft und kraftlos empfunden habe, nicht unbedingt voller Schmerzen.

Irgendwann kommt Jason mit einem Glas und einem Messer zu und und schiebt es zu mir.
„Bist du soweit?", fragt er Valeria lächelnd und setzt sich zu ihr, legt seinen Arm um ihre Schultern. „Die Kleine wird erwachsen.", neckt er sie und sie rollt ihre Augen. Ich schneide mir derweil in meine Hand und lasse etwas Blut in das Glas tropfen, schiebe es dann zu ihr rüber und warte einen Moment, bis die Wunde verheilt ist. Skeptisch betrachtet Valeria das Glas, was sie in ihrer Hand hält. Jason nimmt es ihr aus der Hand und scherzt ein wenig. „Ich kann ja verstehen, dass du das trinken willst, aber das gibt es erst, wenn du wieder wach wirst. Wie willst du sterben?"

Sie sieht nochmal zu mir und ich nicke. „Naja, wir haben uns gedacht, dass Ge-Genickbruch am besten ist.", sammelt sie etwas und sieht unsicher zu Jason. „Hauptsache, so schnell und schmerzlos wie möglich." „Klingt nach einem Plan. Ich werde mir jetzt in mein Handgelenk beißen und du musst mein Blut trinken ok?"

Sie stimmt zu und er beißt sich daraufhin in sein Handgelenk, was er ihr direkt hinhält. Zögernd legt sie ihre Lippen an die Wunde und trinkt etwas von dem Blut, was aus der Wunde kommt, bis diese sich wieder verschließt und sie leicht das Gesicht verzieht. Etwas von seinem Blut bleibt an ihren Lippen hängen, welches sie sofort wegwischt und dann auf das langsam trocknende Blut an ihrem Handrücken blickt.

„Du wirst dich schon noch dran gewöhnen.", sagt er mit einem Lächeln, bevor er seine Hände an ihren Kopf legt. „Sophia, du solltest vielleicht weggucken."
Doch ich tue es nicht. Es ist nicht das erste Mal, dass ich sowas gesehen habe und wenn ich ehrlich bin, ich muss es sehen um die Gewissheit zu haben, dass alles richtig läuft und es funktioniert.

„Könnte weh tun." 

In ihren Augen kann ich die Angst genau erkennen und als Jason anfängt runter zu zählen bricht er ihr vor der Zahl eins das Genick, sodass ein mehr als unangenehmes Knacksen zu hören ist. Eines, was sich noch lange Zeit in meinem Kopf festsetzen wird. Leblos fällt ihr Körper in seine Arme und ich sehe abwartend zu ihm. „Wie lange denkst du wird es dauern? Ich war immerhin krank, sie nicht." 

„Nicht allzu lange.", antwortet er und wir warten einige Minuten, bis Valeria plötzlich aufschreckt und tief einatmet. „Na du.", grinst Jason und hält ihr das Glas hin. „Guten."

Sie reißt ihm beinahe das Glas aus der Hand und trinkt das Blut in großen Schlücken aus. Ihre Augen leuchten rot und ihre Fangzähne treten hervor. Das leere Glas schiebt sie von sich weg, leckt mit ihrer Zunge den letzten Rest Blut weg, statt ihn mit ihrer Hand weg zu wischen.

„Willkommen zurück.", sage ich und bekomme so ihre Aufmerksamkeit, zumindest dachte ich das. Sie scheint aber sehr unruhig zu sein, weswegen ich verwirrt zu Jason sehe. „Alles gut Prinzessin?" Jason wendet sich zu ihr, doch sie antwortet ihm nicht.

„Valeria.", rufe ich etwas lauter und bekomme so wirklich ihre Aufmerksamkeit. Ich kann die Unsicherheit und Angst in ihren Augen sehen, die sich nun langsam auch in dem leichten Zittern ihres Körpers zeigen. „Was ist los?"
„Blut. Ich kann nur an Blut denken.", murmelt sie und ballt ihre Hände zu Fäusten. Leicht verzweifelt sieht sie mich an.

„Das ist ganz normal, du hast großen Durst und mit ein bisschen Übung wird das wieder. Wir schaffen das, versprochen." Mit einem aufmunternden Lächeln sieht Jason sie an und streicht ihr über ihr Haar. Etwas, was er von Anfang an schon bei Valeria getan hat, und es verfehlt seine Wirkung auch nicht, scheint ihr Körper tatsächlich etwas zur Ruhe zu kommen.

Valeria ist nun eine von uns - ein Vampir. Und nun heißt es für sie zu lernen, was es bedeutet, auch einer zu sein.

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