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Valeria's Sicht
Seitdem das Leben ihren Körper verlassen hat scheint nicht nur sie gegangen zu sein. Nicht nur Sophia hat uns verlassen, sondern auch ein Teil des Mannes, welcher doch grade dafür bekannt war, dass er jenes nicht besäße - sein Herz.
In dem Moment, in dem sie in Jason's Armen gestorben ist, ist auch der menschliche Teil in ihm gegangen. Der, der sich gesorgt hat. Der sich um die Menschen, die ihm wichtig sind, kümmert. Um sich selbst. Und geblieben ist ein gebrochener Mann.
Müsste nicht ich es sein, die am meisten um ihre Schwester trauert? Mein Herz blutet und ununterbrochen laufen Tränen meine Wangen entlang, wenn ich daran denke, dass ich niemanden mehr aus meiner Familie habe. Allein bin. Zwar ist die Black Hell auch meine Familie, doch seit ihrem Tod ist auch dieses Gefühl verschwunden. Sophia hat dem Schiff ein Herz, eine Seele gegeben und nun ist diese fort.
Dennoch bin nicht ich es, die am meisten durch ihren Verlust leidet. Nicht ich hänge an ihrem leblosen Körper, als wäre es mein letzter Anker. Und auch ich bin es nicht, die stets dafür sorgt, dass man ihr nicht ansehen kann, dass ihre Seele bereits den Körper verlassen hat. Sondern Jason. Ein Captain, ein Pirat, ein Vampir. Eine Persönlichkeit, die Jahrhunderte hinter sich hat und durch nichts zum Fallen gebracht wurde. Grade ihn scheint es am schlimmsten getroffen zu haben.
Und von Tag zu Tag wird es schlimmer.
Sein Äußeres spiegelt genau das wieder, wie es in seinem Inneren aussieht. Seine blasse Haut, die eingefallenen Wangen, seine ganze Statur. Von dem stolzen und skrupellosen Mann fehlt jegliche Spur.
Seitdem wir das Schiff mit Sophias Körper betreten haben befindet er sich an genau zwei Orten. Tagsüber ist er unentwegt an Deck. Sein Blick stur auf die Wellen oder die Sonne gerichtet und rührt sich nicht vom Fleck. Seine Umwelt bekommt er nicht mehr mit, was ich vor allem daran gemerkt habe, nachdem Smith versucht hat an ihn ranzukommen. Erfolglos. Und wenn er sich fortbwegt ist jeder Schritt zu hören, der durch seine knackenden Knochen begleitet wird.
Jeder von uns hat Angst auch ihren Captain zu verlieren. Er ist die einzige Person, die mir neben meiner Schwester wirklich geblieben ist. Weswegen ich mir umso mehr Sorgen mache. Ich darf nicht auch noch die allerletzte Person verlieren, die mich wenigstens etwas an meine Familie erinnert. Welche insgeheim auch mein Herz erobert hat, nur würde ich dies nie zugeben.
Er isst nicht.
Er nimmt kein Blut zu sich.
Er schläft nicht.
Niemand kommt an ihn ran.
Und ich kann ihm nicht helfen, denn ich kann ihm seinen Schmerz nicht nehmen. Ich kann lediglich weitere Tränen vergießen, die ihm gelten und nicht meiner Schwester.
Deswegen halte ich mich die meiste Zeit in meiner Kajüte auf um ihn nicht sehen zu müssen. Denn auf Dauer würde ich diesen Anblick ebenfalls nicht ertragen. Tagsüber, wenn ich nicht anders kann, schleiche ich mich in seine Kajüte, nur um Sophia wenigstens so nah sein zu können. Zu der Zeit bin ich mir sicher, dass er nicht dort ist.
Er befindet sich nur solange hier, wenn die Sonne untergangen ist und wenn sie langsam wieder aufgeht. In dieden Zeiten versuche ich ihm aus dem Weg zu gehen, aus Angst vor seinen Augen gänzlich zusammen zu brechen.
Leise laufe ich zu seinem Bett und setze mich neben den blassen Körper, welcher sich darauf noch immer befindet. Als würde sie bloß schlafen. Ich presse meine Lippen aufeinander, während ich durch ihr Haar fahre und weitere Tränen in mir hochsteigen.
Wenn ich es nur aufgehalten hätte.
Wenn ich anstatt ihr gegangen wäre.
Wenn es mich und nicht Sophia getroffen hätte.
Der Schaden wäre um ein vieles geringer gewesen. Ich habe keinen Mann an meiner Seite, der mich liebt. Um mich hätten weniger Menschen, Vampire, getrauert, wie um sie.
Sophia ist sich nicht einmal bewusst gewesen, wie sie jeden Einzelnen auf diesem Schiff um ihren Finger gewickelt hat. Für jeden von ihnen gehört sie nicht nur an Jason's Seite, sondern auch zu dieser Familie, die schon seit etlichen Jahren besteht. Nein, ihre Aufmerksamkeit lag allein bei Jason. Nicht auf seinem Ruf, oder seinem Hab und Gut, sondern bei dem Mann hinter der Fassade. Und vielleicht war das der ausschlaggebende Grund wieso sie von allen so gemocht wurde.
Mein Tod wäre ertragbarer gewesen und würde nicht so viele Konsequenzen ziehen.
„Es tut mir leid.", schluchze ich immer wieder, sehe dabei weiterhin in ihr Gesicht. Auf ihre geschlossenen Augenlider, ihren Mund, aus dem nie wieder ihre Stimme erklingen wird.
Nie wieder werde ich hören wie sehr sie sich um mich sorgt oder ihre Ratschläge hören. Nie wieder werde ich ihren Gesang hören, der mich an unsere Kindheit erinnert, wenn sie mir abends ein Lied zum einschlafen vorgesungen hat. Es ist als hätte ich Mutter und Schwester in einem verloren.
Ich sehe mich um und bemerke sofort die einzelnen Gegenstände aus unserem alten Zuhause. Kann mich genau daran erinnern wie Jason mit all ihrem Hab und Gut auf das Schiff gestürmt ist und jeden quasi angeschrien hat, der es auch nur wagen wollte ihm zu helfen oder nur ansatzweise in Berührung damit zu kommen.
Jedes einzeln Stück erkenne ich und ich bin mir sicher, dass das nicht alles ist. Ich sehe wieder zu ihrem Körper und beuge mich etwas vor um ihr einen Kuss auf die Stirn zu drücken, so wie sie es immer bei mir getan hat, bevor ich die Kajüte wieder verlasse und an Deck gehe.
Wie immer steht Jason an der Reling und starrt hinaus, blendet alles um sich herum aus. Ich gehe etwas näher auf ihn zu, ohne mich bemerkbar zu machen, und beobachte seine Gesichtszüge. Trauer ist eindeutig in ihnen gezeichnet und das Glänzen seiner Haut beweist es mir ebenfalls. Ich weiß ganz genau wie es sich anfühlt, wenn die Tränen anfangen zu trocknen und immer wieder Neue folgen. Ein nicht aufhörender Kreislauf, dem wir nicht entfliehen können.
Da ich ihn nicht noch länger ansehen kann, ohne nicht selbst wieder weinen zu müssen, lasse ich ihn allein und begegne Smith, dessen Blick besorgt auf mir liegt, ehe ich an ihm vorbei gehe. Abgesehen von Jason und Sophia ist Smith die Person, mit der ich am liebsten meine Zeit verbracht habe. Er hat mir zugehört, mir Klavier spielen beigebracht. Nie hat er mich wie ein Kind behandelt, weswegen ich ihn trotz seiner oft schroffen Art, lieb gewonnen habe. Er ist wie ein Vaterersatz für mich geworden, auch wenn ich ihm das niemals so sagen würde.
Sobald ich unter Deck gehe steuere ich direkt auf die Küche zu, wo ich Joe rumhandtieren sehe. Sein Blick ist ausdruckslos beim Schneiden des Gemüse und sieht nur kurz zu mir, ehe er sich wieder dem Essen widmet. Ihr Tod hat wirklich jeden hier getroffen.
„Kann ich dir irgendwie helfen? Ich muss mich irgendwie ablenken."
Stumm nickt er neben sich, worauf ich mich neben ihn stelle und anfange das restliche Gemüse zu schneiden, während er sich etwas andere widmet. Wir beide gehen stumm unserer Arbeit nach, bis ich fertig bin und seufzend das Messer ablege.
„Ich mache mir Sorgen um Jason.", murmle ich leise, ehe ich zu ihm aufsehe und ein trauriger Auszug auf seinem Gesicht erscheint.
„Wir machen uns alle Sorgen um ihn Kleines. Aber wir können nichts tun. Gegen ein gebrochenes Herz kann niemand etwas tun."
Ich schlucke, da mir mit diesen Worten wieder etwas vor Augen geführt wird, was ich schon so lange weiß, dennoch ein Teil von mir bisher nicht akzeptieren wollte. Dabei sehe ich es selbst jetzt doch direkt vor meinen eigenen Augen. Und spüre die Stiche in meinem Herzen ebenfalls.
„Das kann ich nicht beurteilen. Ich wünschte nur wir könnten wenigstens etwas tun."
„Lass ihm seine Ruhe. Jeder hat seine eigene Art mit Verlust klar zu kommen. Und Jason's ist... unvorhersehbar. Die Zeit wird zeigen, wie es mit uns allen weitergehen wird."
Stumm nicke ich und helfe ihm noch einen Moment, bis ich mit einem leisen „Danke" die Küche verlasse. Dabei habe ich nicht einmal bemerkt wie die Sonne fast komplett untergegangen ist. Vielleicht sollte ich noch einen versuch wagen um mit ihm zu reden. Immerhin teilen wir dasselbe Leid. Sophia war für uns beide die wichtigste Person in unseren Leben. Doch bevor ich in seiner Kajütentür klopfen kann höre ich von der anderen Seite genau, dass ich keinerlei Chance habe ihm zu helfen.
Und das tut mehr weh, wie ich zugeben würde.
Sein Schluchzen hallt noch durch meinen Kopf, nachdem ich langsam zu meiner Kajüte zurück gehe. Mein eigenes Schluchzen verdecke ich mit meiner Hand, die ich über meinen Mund halte.
Sobald ich in meiner Kajüte bin werfe ich die Tür ins Schloss und lasse mich auf das Bett fallen. Mein Blick bleibt starr auf der Holzdecke hängen während ich mit der Kette spiele, die ich von Sophia zu meinem Geburtstag bekommen habe.
Meine Hand legt sich schmerzhaft um den Anhänger und ich schließe meine Augen. Versuche in eine andere Welt zu tauchen. Eine, in der Sophia noch lebt. Eine, in der wir alle noch beisammen sind. Eine Bessere wie diese.
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