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Ein einhalb Monate. So lange ist es her, dass Jason uns hier abgesetzt hat um weiter zu segeln. Vierundvierzig Tage, um genau zu sein.

Auch, wenn ich ihn schmerzlich vermisse, ich hätte ihn niemals aufgehalten Logan zu helfen. Ich mag ihn zwar nicht kennen, aber allein die Tatsache, dass sie wie Brüder sind, er nicht gezögert hat ihm zur Hilfe beizustehen, bedeutet viel bei einem Mann wie Jason. Nur wenige Personen haben einen Platz in seinem Herzen und für diese würde er alles tun.

Und derweil, während uns so viele Kilometer trennen, halte ich mich an seinem Versprechen fest, dass er zurückkommen wird. Also komme ich mit jedem Tag, der vergeht, dem Tag näher, an dem die Black Hell Kurs auf Valencia setzen wird. Wir mögen zwar nicht wissen, wann es sein wird, doch rede ich mir Mut zu, dass jeder verstrichene Tag ein erfolgreicher Tag ist.

„Wir müssen uns bald losmachen. Wenn es dunkel wird will ich ungerne noch die Einkäufe erledigen."
Valeria stellt sich neben mich an das Fenster und beobachtet wie ich die Straße.

Recht schnell, nachdem wir wieder in unserem neuen Zuhause angekommen sind, haben wir festgestellt, dass der Besuch der Engländer nicht nur viel Verwüstung hinterlassen hat. In den Jahren haben sich die verschiedensten Krankheiten verbreitet, durch die bereits einige Menschen ihr Leben lassen mussten.

Ich versuche Valeria und mich so gut wie möglich von solchen Menschen fernzuhalten, weswegen wir auch unsere Einkäufe wirklich in dem benachbarten Ort kaufen, wie uns das Paar geraten hat, da dort die Sterberate um einiges geringer ist als hier. Es ist ein immenser Unterschied, wenn ich diesen kleinen Ort mit meinem Zuhause vergleiche.

Warum wir nicht dorthin gezogen sind? Zum einen dauert der Weg dorthin mindestens eine Stunde, die uns noch mehr vom Hafen entfernen würde. Jeden Tag stehen ich oder Valeria dort und hoffen, dass die Black Hell kommen würde, auch wenn wir wissen, dass es noch einige Zeit nicht passieren wird.

Was mich zu dem anderen Punkt bringt.

Wenn dieser Tag kommt und wir uns nicht in unserem Zuhause befinden, wie soll uns Jason dann finden? Wir sind uns beide einig, dass wir dieses Risiko nicht eingehen wollen. Lieber meiden wir den Menschenkontakt hier und nehmen für unseren Einkauf den langen Weg in Kauf.

„Dann komm."
Ich laufe in die Küche, wo ich nach den Körben greife und ihr zwei davon in die Hand drücke. Wir versuchen immer so viel wie möglich mitzunehmen, damit wir nicht zu oft diese Strecke hinter uns legen müssen. Bei manchen Lebensmitteln bleibt uns aber keine Wahl, da sie nicht lange haltbar sind.

Auf dem Tisch liegen zwei weite Tücher, wovon ich ihr eines in die Hand drücke. Wir binden sie uns so um den Kopf, dass unser Mund und unsere Nase bedeckt sind. Und bisher hat das auch hervorragend geklappt, da wir nur wenigen Menschen hier über den Weg gelaufen sind und diese von außen hin gesund aussahen. Und selbst wenn, die Tücher hätten uns so gut wie möglich geschützt. Innerlich danke ich Tag für Tag, dass wir bei unserer Ankunft diesen beiden Menschen begegnet sind. Wer weiß, ob wir dann noch gesund wären.

Wir gehen aus unserem Haus auf die Straße und laufen eher am Rande der Straßen entlang, auf den langen Feldweg hinzu, der uns zum Nachbarort führt. Ich verbinde mit diesem Ort immer den selbstverliebten Adel, der vor einigen Jahren hier gewesen ist. Die Erinnerung, wie ich ihn auf charmante Weise abwimmeln konnte und er weiter gezogen ist, lässt mich auch heute noch schmunzeln. Es ist definitiv eine Geschichte, die ich Jason erzählen werde, sobald er zurück ist.

Wir begegnen auf unserem Weg kaum anderen Menschen, bis wir den nächsten Ort erreichen. Hier sieht es um einiges besser aus als in Valencia und man merkt auch heute, dass die Krankheitswelle die Menschen hier nicht beeinflusst. Allerdings weiß ich auch nicht wie weit die Engländer vorgedrungen sind. Vielleicht haben sie sich auf Valencia beschränkt, da es direkt am Hafen liegt und sie so schneller wieder das Land verlassen können. Denn wenn ich mir die Häuser und Straßen ansehe würde ich nicht vermuten, dass vor ein paar Jahren dieses Städtchen geplündert worden wäre.

Die Märkte sind gut besucht, die Menschen unterhalten sich lebhaft und lachende Kinder rennen umher. 
„Lass uns den Einkauf erledigen und wieder nach Hause.", höre ich Valeria neben mir und sehe sie aufmunternd an. Sie ist zwar älter geworden, doch das heißt nicht, dass sie die Zeiten, wo sie mit ihren Freundinnen auf den Straßen gespielt hat, nicht vermissen würde.

Einige der Menschen, mit denen wir uns vor über vier Jahren unterhalten haben oder mit denen wir in Kontakt standen, sind entweder durch die Hand eines Engländers oder deren Krankheiten gestorben. Wir sind im wahrsten Sinne des Wortes auf uns selbst gestellt.

Ich nicke ihr kurz zu und deute dann zu dem Stand, wo das frische Brot angeboten wird.
„Hol doch etwas Brot und was wir für den Haferbrei brauchen, ja? Ich gehe solange zum Käse und zur Wurst."

Wir teilen uns auf und ich gehe auf den Stand zu, an dem eine ältere Dame Käse anbietet. Daneben ist direkt die Fleischware, an den ich danach gehen werde.
„Guten Tag meine Liebe.", begrüßt mich die Dame und breitet eine ihrer Hände über ihre Ware aus.
"Suchen Sie eine bestimmte Sorte? Ich kann Ihnen den hier empfehlen."

Sie hält mir ein Stück hin, an dem man sofort das nussige Aroma riechen kann.
„Es ist einer meiner besten Käsesorten. Sehr beliebt, Sie werden nicht enttäuscht sein."

„Dann verlasse ich mich mal auf Ihr Urteil. Ich hätte gerne drei verschiedene Blöcke. Überraschen Sie mich.", antworte ich freundlich und grinsend macht sich die Dame daran mir drei große Stücke an Käse, wo einer natürlich der Nussige ist, auszusuchen.

Nachdem diese in dem Korb verstaut sind gebe ich der Dame die Taler und gebe ihr einen zusätzlich. Sie strahlt mich an und wünscht mir noch einen guten Tag, während ich bereits auf den anderen Stand zugehe und sowohl frisches Fleisch als auch Trockenfleisch für Valeria und mich hole.

Valeria stößt kurz danach auf mich zu und wir kaufen zusammen noch etwas an Obst und Gemüse ein, bevor wir uns auf den Rückweg machen. Sie ist jedoch sehr ruhig, weshalb ich irgendwann stehen bleibe und sie fragend ansehe.
„Was ist los mit dir?"

Seufzend sieht sie kurz zu mir, bevor sie weitergeht und ich ihr wieder folge.
„Ich fühle mich hier einfach nicht mehr wohl. Nicht mal unser Haus, in dem wir jahrelang gelebt haben. Es ist nicht das gleiche wie-"

„Ich weiß.", unterbreche ich sie sofort und merke wie mein Herz sich zusammenzieht. Mir ist bewusst, dass es ihr genauso geht wie mir, nur hatte ich die Hoffnung, dass wenigstens eine vertraute Umgebung diese Gefühle lindern würden. Vergebens.

„Noch eine Weile, dann wird die Black Hell wiederkommen und wir können wieder dorthin, wo wir hingehören.", versuche ich sie aufzumuntern und schaffe es tatsächlich, dass sie mir ein kleines Lächeln schenkt.

Als wir wieder in unserem Stadtteil ankommen, sehen wir von weitem, wie Rauch aufsteigt. Während Valeria verwirrt aussieht macht sich in mir eine Vermutung breit und ich schlucke.

„Was ist da los?", fragt sie als ich versuche sie weiter zu schieben.
„Das willst du nicht wissen, geh weiter."
Nur widerwillig lässt sie sich von mir die Straße weiter entlang schieben, bis wir endlich unser Haus erreicht haben.
Selbst aus unseren Fenstern kann man die Rauchschwaden erkennen, die immer weiter empor steigen, weswegen ich Valeria bitte alle Lebensmittel auszupacken und zu verstauen.

„Ich gehe gleich zum Hafen. Du bleibst bitte im Haus. Vielleicht hast du ja auch Lust heute das Essen zu machen?", meine ich und drehe mich in ihre Richtung. Sie zuckt erst nur mit den Schultern, nickt aber tatsächlich.
„Lass mich bitte nur nicht zu lange allein."

Nachdem ich ihr einen Kuss auf den Scheitel gebe mache ich mich wirklich auf den Weg zum Hafen, auch wenn ich weiß, dass auch heute nicht dieses eine Schiff zu sehen sein wird. Seitdem immer mehr Menschen krank werden ist auch der Hafen weniger besucht und wirkt so trostlos. Zwei Stunden bleibe ich dort, sehe mich ein wenig um und mache mich dann wieder auf den Rückweg, wobei sich die bekannte Enttäuschung in meinem Körper verteilt. Nur mache ich einen Umweg über den Marktplatz, wo das Feuer vermutlich gelegt wurde um zu sehen, ob meine Befürchtung wahr ist.

Und ich soll Recht behalten sobald ich vor mir eine Art Scheiterhaufen erkenne - haufenweise lebloser Körper, die in den Flammen verbrennen. Der Geruch von verbranntem Fleisch kriecht mir durch das Tuch in die Nase und ich muss mich zusammenreißen mich nicht zu übergeben. Einige Leute stehen drum herum und beobachten die aufsteigenden Flammen. Ich kann mir das nicht länger ansehen und drehe mich um um zurück nach Hause zu gehen. 

Ich laufe dabei jedoch gegen jemanden und falle zu Boden, die Person über mich. Sie hustet mir ins Gesicht und ich schließe sofort meine Augen, wische mir mit meiner freien Hand über das Gesicht und versuche mich von ihr zu befreien. Ich schaffe es grade so die Person von mir zu stoßen und schnell aufzustehen.

Ein Blick in das Gesicht der unbekannten Person zeigt mir das, wovor ich in Angst habe und mein Herz setzt für einen Schlag aus. Meine Hand wandert automatisch an mein Gesicht und schlucke - das Tuch ist von meinem Gesicht verrutscht.

Ich renne nach Hause, reiße die Tür auf und stürme ins Bad, wo ich meine Kleider und das Tuch von meinem Körper reiße, mich so gründlich wie noch nie in meinem Leben säubere. Die Rufe meiner Schwester ignoriere ich, reibe ununterbrochen über jede mögliche Stelle meines Gesichts und meines Körpers. Als würde so das Zittern und die Angst verschwinden.

Ich blicke durch den Spiegel und sehe meinen bebenden Körper. Ich muss noch vorsichtiger sein und vor allem eins - mich erstmal von Valeria fernhalten.
Ich darf kein Risiko eingehen. Wenn es dafür nicht schon zu spät ist.


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