•39•

Valencia, Frühjahr 1724

Die Jahre vergingen wie im Flug. Vier Jahre verbrachten Valeria und ich bereits auf der Black Hell, mit Jason und seinen Männern. Eine aufregende zieht. Und wenn ich eines sagen kann, dann, dass wir in ihnen eine neue Familie gefunden haben. In jedem einzelnen von ihnen.

Wir haben mit ihnen zusammen gelacht, zusammen gekämpft und sind enger zusammengeschweißt. Vor allem Jason und ich sind zu einer Einheit geworden.

Er hat mich am meisten geprägt. War ich vor vier Jahren noch eine Frau, die nur ihren Spaß haben und etwas von der Welt sehen wollte, bin ich nun - naja, nun bin ich eine Piratin an der Seite des bekanntesten und gefürchtesten Mannes der Weltmeere. Durch ihn wurde ich brutaler, skrupelloser, als ich es mir hätte je von mir vorstellen können. Doch angefangen hat es ab dem Zeitpunkt, als ich einen der wichtigsten Menschen verloren habe, den ich für einen kurzen Moment wiederbekommen hatte.

Irgendwann habe ich aufgehört zu zählen, wie viele Männer durch meine Hand gestorben sind und wenn ich ehrlich bin - ich habe es genossen. Endlich habe ich verstehen können wie aus ihm dieser Mann werden konnte. Dieses Machtgefühl über deren Leben in meinen Händen zu haben ist ein berauschendes Gefühl, sie macht süchtig.

Aber tief in mir schlummert immer noch das Mädchen, das auch Gefühle zeigt. Doch das tue ich nur hier, und auch nicht ganz. Seit dem Tod meines Vaters in Tortuga habe ich mich, was meine Gefühle angeht, auch etwas zurückgezogen, was meine Brutalität erklärt. Und nur bei Jason lasse ich alles raus. Ich habe schnell gemerkt, dass die Gefühle, die er in mir ausgelöst hat, Liebe sind. Dennoch habe ich sie nie ausgesprochen. Die Angst, die mich seit der Erkenntnis begleitet, begleitet mich seitdem Tag für Tag.

Dass ich ihm wichtig bin hat er mir immer gezeigt, aber diese eine Grenze haben wir in all den Jahren nie überschritten. Und sobald ich di3e3 Worte ausspreche habe ich die Befürchtung, dass ich etwas Grundlegendes zwischen uns dadurch zunichte machen könnte.
Ich habe hier so viel erlebt, wie ich sicher nie erlebt hätte, wäre ich Jason damals nicht begegnet. Und ich bin froh darum.

„Hey, ihr zwei."
Smith steht am Türrahmen zur Küche, wo wir uns mit Joe befinden, da wir ihm beim Kochen helfen. Das hat sich bei uns ebenfalls eingegliedert. Es ist fast zu einer Art Ritual geworden, dass wir zusammen Mit Joe kochen, aber diese simple Arbeit lässt uns auch normal fühlen. Als Menschen und nicht als Piraten. Wobei Valeria jeden Tag hier zu finden ist im Gegensatz zu mir.

„Was gibt's?"
Valeria, die in den Jahren noch wunderschöner geworden ist, knabbert an einer Karotte und schaut mit gehobener Braue zu ihm. „Er will euch sehen. Abmarsch."
Smith hat bis heute diese autoritäre Ader nicht komplett ablegen können, aber wir kennen ihn nun mal so und es stört uns nicht. Wir gehen an ihm vorbei nach oben, direkt auf Jason's Kajüte zu. Wir betreten diese und ich merke sofort, dass etwas nicht stimmt, wenn ich ihn ansehe. Irgendwas ist faul.

Das ist auch etwas, was sich mit den Jahren verstärkt hat. Die Zeit zusammen hat uns mehr voneinander gezeigt und selbst die kleinen Details haben sich in das Gedächtnis gebrannt. Er ist beinahe wie ein offenes Buch für mich und von andersrum brauche ich erst gar nicht anfangen.

„Hunger?", fragt er und deutet auf den gedeckten Tisch. Valeria setzt sich direkt hin, während ich auf dem Fleck stehen bleibe und ihn mustere.
Mein Blick bleibt noch einen weiteren Moment auf ihm hängen, bis ich dann doch langsam auf den Tisch zugehe und mich setze. Dabei lasse ich ihn nicht aus den Augen. Valeria schlägt währenddessen schon beim Essen zu.

Wir fangen an zu essen und er lächelt uns kurz zu, ehe er sich räuspert.
„Wie war es bei Joe?"

Da Jason niemals Smalltalk führt, vor allem nicht so offensichtlich, bin ich mir absolut sicher, dass etwas nicht stimmen kann. Auch Valeria sieht ihn nun skeptisch an. „Ähm, gut wie immer.", antwortet sie, widmet sich dann aber wieder dem Essen. Auch ich esse etwas und die Stimmung in der Kajüte wird immer erdrückender.

Ich merke ihm an, dass er nervös zu sein scheint, daher lasse ich von meinem Brot ab und verschränke meine Arme vor der Brust.
„Okay, raus mit der Sprache.", sage ich nur, mein Ton etwas schroff. Das hat sich mit der Zeit auch entwickelt. Mein Temperament ist noch mehr zum Vorschein gekommen, was aber in manchen Situation wie beim Sex alles noch besser macht.

Zögernd sieht er auf und er sieht zwischen uns Frauen hin und er, bevor er hart schlucken muss. „Ihr beiden werdet die Hell heute für eine unbestimmte Zeit verlassen. Wir sind vor Spanien und heute Abend haben wir Valencia erreicht."

Ich habe das Gefühl das alles an Blut aus meinem Gesicht weicht und kann ihn nur geschockt ansehen.

Das ist doch ein schlechter Scherz.

„Sag mir, dass ich mich grade verhört habe.", sage ich nun mit leicht zitternedem Ton. Aus Wut oder Angst kann ich jedoch nicht sagen. „Doch. Ich muss zu Logan und kann euch nicht mit nehmen. Ihr werdet solange hier bleiben."

Sobald er Logan's Namen erwähnt ist mir klar, dass es ernst sein muss. Auch, wenn er mir in all den Jahren nicht so viel von ihm erzählt hat weiss ich, er ist seine Familie. Und wenn er Hilfe braucht ist er sofort da. Daher nicke ich langsam, aber verstehend, mit meinem Kopf. Ich kenne Jason und ich würde ihn niemals bei seiner Familie vor die Wahl stellen oder gar ihn zu etwas zwingen, wenn es so wichtig ist. Das würde er nicht mit sich machen lassen. Valeria hingegen ist nicht begeistert.

„Nimm uns doch einfach mit. Wird schon kein großes Ding sein. Wir haben mittlerweile doch genügend Erfahrung."
„Nein Valeria.", greife ich dazwischen, bevor Jason etwas sagen kann und sehe dann zu ihm. „Weißt du, wie lange es dauern wird, bis du zurück bist?", frage ich nun das, was mir am wichtigsten erscheint.

„Ein, vielleicht zwei Monate. Du weisst, dass ich sobald es geht zurück komme."
Über dem Tisch greift er nach meiner Hand, die er nimmt und unsere Finger ineinander verschränkt. „Ihr werdet die ersten sein, die es erfahren."

Ich lächle ihn dankend an und verliere mich wieder in seinem Blick, wie ich das oft tue, bis Valeria sich nervös räuspert „Ich.... geh mal lieber uns lass euch allein."
Sie schaut zwischen uns hin und her und geht dann aus seiner Kajüte, nimmt sich aber etwas vom dem Essen mit, was mich zum Lachen bringt.
„Dieses Mädchen ist unersättlich."

Auch Jason muss daraufhin lachen und sieht von der Tür zu mir. „Ich kenn da noch eine, die unersättlich ist."

------

"Bist du satt?" Ich nicke, woraufhin er von seinem Stuhl aufsteht und mir seine Hand entgegenhält. Er zieht mich jedoch mit etwas mehr Kraft hoch, wodurch ich gegen seine Brust pralle und anfange zu kichern.

„Sing was für mich.", flüstert er leise an mein Ohr als er mich so nah wie nur möglich an sich presst und seine Hände auf meiner Taille ablegt. Seine Finger krallen sich in meine Haut und ich weiß genau dass er diese Nähe jetzt braucht. „Bitte."

Ich nicke leicht und fange an ein Lied, was wir in Spanien immer gehört haben, zu summen. Das Lied haben wir immer auf den Festen singen hören, als ich noch klein gewesen bin, und es hat einem immer ein Lächeln ins Gesicht gezaubert. An seine Brust gedrückt wiegt er uns ein wenig hin und her als ich weitersinge und die spanischen Worte über meine Lippen fliegen.

Er vergräbt dabei sein Gesicht an meinem Hals, saugt den Geruch meines Haares ein, was mich zum Lächeln bringt. Er und Valeria sind die einzigen Personen, denen ich freiwillig etwas vorsinge. Es ist für mich zu persönlich um es vor Jedermann zu tun, denn darin stecken so viele Emotionen, die man manchmal einfach nicht mit normalen Worten beschreiben kann.

„Ich will nicht ohne dich sein... aber es geht dieses mal nicht anders."
Seine Finger krallen sich bei seinen Worten noch mehr in meine Haut, als würde man mich jede Sekunde von ihm wegziehen. Meine Finger krallen sich in seinen Rücken und ich merke wie auch mich das ganze nicht kalt lässt.

„Ich will auch nicht, dass du gehst. Aber er braucht dich Jason.", flüstere ich leise.
„Und es ist nicht für immer. Du kommst wieder zurück, du hast es selbst gesagt."
Ich löse meinen Kopf von seiner Brust und sehe in seine Augen, merke wie ich meine Emotionen kaum noch zurückhalten kann. „Versprich es mir. Du kommst und holst mich wieder zu dir."

„Versprochen Baby." Hastig nickt er mir zu und küsst mich dann voller Leidenschaft, die keinerlei Zweifel an seinen Worten zulassen. Er lehnt seine Stirn an meine und sieht mir direkt in die Augen. „Lass keinen Mann an dich ran ja? Sonst bring ich ihn um."
Die Ernsthaftigkeit in seiner Stimme lässt mich leise lachen. „Dann lass mich nicht zu lange warten, Jason Grant."

Ich nehme meine Arme von seinem Rücken um sie um seinen Nacken zu legen. Es wird nicht schwer sein jegliche Männer von mir fern zu halten. Niemand könnte mir das geben, was er mir in den Jahren immer wieder gegeben hat und ich bin mir sicher, dass er das auch weiss. „Wie du sagtest, ich bin eine unersättliche Frau, also beeile dich lieber."

Dann küsse ich ihn wieder, nur um mir seine Lippen, seinen Geschmack so gut wie nur möglich einzuprägen für die Zeit, in der er fort ist.
Sobald sich unsere Lippen trennen zieht er mich an das Fenster seiner Kajüte, wo bereits das spanische Festland zu sehen ist. Uns unsere Schonfrist zeigt, die wir noch haben, ehe sich unsere Wege für eine Zeit trennen müssen, ob wir wollen oder nicht.

Mein Rücken ist an seine Brust gelehnt, sein Kopf lehnt auf meiner Schulter.
„Willkommen daheim.", flüstert er leise und mit belegter Stimme. Aber mir geht es nicht anders. Mein Zuhause ist nämlich nicht vor meinen Augen, sondern direkt hinter mir und hält mich fest. Dennoch nicke ich während ich uns beiden ein Versprechen gebe. „Ich werde auf dich warten." Sein Kopf legt sich auf meine Schulter, sodass sein wärmer Atem über meine Wange streicht. Es ist tröstend, beruhigend in diesem Moment. Einer unserer letzten. „Halte deinen Blick immer auf den Horizont gerichtet, Sophia." Seine Lippen verweilen für einen Moment auf meinem Haar, während er die Worte haucht, sie mir verinnerlicht. Und genau das werde ich auch tun. Ich könnte nicht anders. Denn ich wäre töricht, wenn ich nicht nach ihm Ausschau halten würde.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top