34. New York
♪ Ever Since New York – Harry Styles
Freddie
Wir hatten die letzten beiden Plätze für einen Flug nach New York ergattert. Manchmal musste man einfach Glück haben. Die Tatsache, dass wir in Paris umsteigen mussten, schmälerte unsere Euphorie jedoch keineswegs. Kieran und ich schauten unserer Reise erwartungsvoll entgegen.
Zuletzt hatte ich vor einem Jahr, gemeinsam mit Lorena, die amerikanische Metropole besucht. Als meine Gedanken zu der jungen Frau schweiften, wurde mein Herz von einer Welle der Traurigkeit erfasst. Es war mir nicht gelungen, die Beziehung mit der Frau, die ich liebte, aufrecht zu erhalten. Einerseits konnte ich Lorena verstehen, denn sie machte sich stets Sorgen, wenn ich tagelang unterwegs war, ohne dass sie ein Lebenszeichen von mir erhielt. Bei unserem letzten großen Streit, der schließlich das endgültig Zerwürfnis brachte, hatte sie mir an den Kopf geworfen, dass ich egoistisch und verantwortungslos sein.
„Du hast auch eine Verantwortung mir gegenüber, Freddie. Wenn ich mich zu Tode ängstige, und dich interessiert das nicht, dann frage ich mich, ob es nicht besser wäre, wenn wir uns trennen."
Noch immer erklangen diese Worte in meinem Kopf und der Moment, in dem ich sie einfach gehen ließ, spulte wie ein Film vor meinem inneren Auge ab. Ich brauchte Zerstreuung, wollte den Kopf freikriegen, die Gedanken neu sortieren und vielleicht irgendwann die Lösung des Problems finden.
Den ersten Schritt hatte ich bereits getan: die Kündigung bei der SUN. Nach meinem letzten Einsatz, der mich einiges an Nerven kostete, hatte ich die Schnauze gestrichen voll. Zwar warf der Job gut Kohle ab aber im Endeffekt kostete mich das meine Beziehung zu Lorena.
Zwei Wochen war ich undercover unterwegs gewesen, um einen Senator auf Schritt und Tritt zu verfolgen, der angeblich seine Finger in diversen Geschäften mit Prostitution steckte. Die Story war ein Erfolg, auch wenn ich dafür bis nach Rumänien hatte reisen müssen. Dort betrieb er nämlich seine schmutzigen Geschäfte.
Als ich zurück nach Hause kam, gab mir Lorena den Laufpass, was meiner seelischen Verfassung den Rest gab. Kieran war nur per Telefon zu erreichen gewesen, somit musste ich erstmal alleine klarkommen. Meine erste Tat war die Kündigung meines Jobs. Dies geschah jedoch nicht aus einer Laune heraus, sondern war in diesem Moment genau überlegt. Ich wollte etwas anderes machen, als mein Talent für das Schreiben für die schmierigen Artikel der Klatschpresse zu verplempern. Was, das wusste ich noch nicht genau, aber da mir ohne das Schreiben definitiv etwas fehlte, begann ich bereits am Flughafen in London mit einer Art Reisetagebuch.
Kieran schmunzelte darüber, ließ mich jedoch gewähren und schaute ab und an über meine Schulter, sobald ich etwas auf meinem Tablet tippte.
„Ging es dir auch so auf die Nerven, als deine Mutter gefragt hat, ob du dir genügend warme Kleidung für Barrow eingepackt hast"? meinte er grinsend.
„Und wie! Ich dachte, ich bin wieder sieben Jahre alt und unfähig, alleine zu entscheiden, was ich alles mitnehme und was nicht. Außerdem können wir uns in New York prima einkleiden, da gibt es tolle Geschäfte und alles ist viel billiger als hier", antwortete ich, ohne meinen Blick von dem kleinen Tablet zu nehmen.
Erst als die Stewardess die Getränke servierte, schaute ich auf. Sie war hübsch, doch im Moment besaß ich keinerlei Ambitionen, eine andere Frau anzubaggern. Ich hätte alles dafür getan, Lorena zurück zu bekommen. Gerade deshalb war ich in der Lage, Kierans Gefühle Tia gegenüber vollkommen nachzuvollziehen. Es war unendlich traurig, dass mein bester Freund sich in eine Frau verliebt hatte, die er niemals würde haben können. Für mich hingegen tat sich vielleicht noch eine Chance auf.
Der Flug nach Paris war nur von kurzer Dauer, ehe wir uns versahen, landete die Maschine und wir wanderten durch den großen Flughafen. Wir fanden uns schnell zurecht und landeten ohne Probleme an unserem Gate, wo der Flug nach New York eine Stunde später pünktlich startete.
„Ich freue mich total", gestand Kieran, „denn ich habe nicht mehr viele Erinnerungen an diese Stadt."
„Du warst noch zu klein. Ich kann mich daran erinnern, dass wir euch einmal besucht haben. Meine Mum und ich schliefen bei Sophia und Liam im Apartment. Das fand ich damals ziemlich cool."
„Ich kann mich daran erinnern, dass du einmal da warst", kam es schmunzelnd von Kieran.
Einen Moment herrschte Stille zwischen uns, dann fragte ich: „Wie fühlt es sich für dich an, an einen Ort zu reisen, an dem eure dunkle Vergangenheit stattfand?"
„Sehr komisch."
Nach weiteren sechs Stunden Flug gelangten wir an unseren Zielort. Es war später Nachmittag in New York, die Sonne brannte heiß vom Himmel, obwohl es bereits Anfang September war. Mit der U-Bahn fuhren wir in Richtung City, was ungefähr vierzig Minuten dauerte, da der Flughafen weit außerhalb lag. Das Hotel, das wir gebucht hatten, befand sich in der Nähe des Time Square. Es sah zwar nicht mehr taufrisch aus, denn die Computer am Check-In gehörten wahrlich nicht zu der neuesten Generation, aber es war zumindest sauber.
„Ich hätte ja nicht gedacht, dass ich mir mal ein Doppelbett mit einem Typen teilen werde", sagte Kieran lachend, bevor er sich auf das große Bett warf.
„Glaub mir, ich auch nicht", erwiderte ich, bevor ich kurz das Bad in Augenschein nahm. Dieses war sehr klein aber mehr als eine Dusche, Toilette und ein Waschbecken benötigten wir auch nicht.
„Was machen wir nun mit dem angebrochenen Tag?", fragte mein bester Freund, dessen Unternehmungsgeist nicht zu bremsen war.
„Ich hab' Hunger und dann könnten wir direkt auf Entdeckungsreise gehen, wenn du magst."
Die Sehenswürdigkeiten standen für uns an zweiter Stelle, viel wichtiger war es für Kieran, die Stätten der Vergangenheit aufzusuchen. Seine Eltern und auch mein Vater hatten ihm später alles erzählt. Ich wurde dabei nicht ausgeschlossen, denn ich sollte damals lernen, was meinen besten Freund beschäftigte.
„Eine Sache noch, was muss ich tun, wenn du Albträume bekommst?", erkundigte ich mich.
„Gar nichts. Wenn es dir zu laut wird, wecke mich einfach."
Nachdem wir frische T-Shirts angezogen hatten, ging es auch schon los. Kieran hatten den Stadtplan auf seinem Handy bereits geöffnet; er schien genau zu wissen, wohin es ging.
„Wir müssen zur U-Bahn Station laufen, die ist hier gleich um die Ecke", hörte ich ihn sagen.
Insgesamt benötigten wir nicht länger als zwanzig Minuten, ehe wir am Ziel standen; das Haus, in welchem Kieran früher mit seinen Eltern lebte. Dieses befand ich in der Charles Street, im Stadtteil West Village.
Ich sah, wie mein bester Freund sich freute aber auch, wie angespannt er dabei wirkte.
„Das Haus gehörte Tias Vater, also der russischen Mafia", sagte er leise. „Komisch zu wissen, dass wir hier gewohnt haben."
„Das kann ich mir vorstellen. Willst du hineingehen?"
Kieran schaute mich an, als hätte ich den Verstand verloren. „Wir können doch da nicht einfach klingeln."
„Und ob wir das können."
Ehe er mich davon abhalten konnte, drückte ich auf den runden Klingelknopf, der sich rechts neben der Haustür befand. Kurze Zeit später wurde die Tür durch einen älteren Mann, mit grauem Haar geöffnet, der uns misstrauisch anschaute.
„Tut mir leid, wir kaufen nichts und wir spenden auch nichts, nur für die katholische oder für die evangelische Kirche."
In diesem Moment kam Leben in Kieran. „Mein Vater ist Pfarrer, er hat hier in New York im Bezirk Hell's Kitchen gearbeitet. Wir wohnten in diesem Haus."
Sogleich wurde er alte Mann ein wenig zugänglicher. „Sie haben hier gewohnt, junger Mann? Wie lange ist das her?"
„Ungefähr sechzehn Jahre."
„Oh, meine Frau und ich wohnen seit fünfzehn Jahren hier."
Freundlich grinste er uns an. „Wo leben Sie denn jetzt, wenn ich fragen darf?"
„In London, wir zogen auf einen anderen Kontinent. Meine Eltern wollten wieder zurück in ihre Heimat."
„Das kann ich sehr gut verstehen."
Er schien zu überlegen, ob er es riskieren sollte, uns in das Haus zu bitten, das konnte ich anhand seines Gesichtsausdrucks erkennen. Und wieder war es Kieran, der letzten die Bedenken des alten Mannes wegwischte.
„Ich arbeite als Polizist in London und eigentlich bin ich hierhergekommen, um die Plätze aufzusuchen, die in der Vergangenheit eine Rolle spielten."
Nickend erwiderte der alte Mann: „Das kann ich gut verstehen, dann kommen Sie mal herein." Im selben Atemzug rief er: „Marie, wir haben Besuch."
Sekunden später kam eine entzückende ältere Dame angewackelt, die uns sogleich lächelnd musterte. Als wir uns vorstellten, erklärte sie sich bereit, einen Rundgang durch das Haus mit uns zu machen. Kieran dabei zu beobachten war herrlich.
Mühelos fand er sein altes Kinderzimmer. „Hier stand mein Bett, das weiß ich noch genau. Und da hatte ich eine Kiste mit Matchbox Autos."
Es schien, als ob sein Erinnerungen Stück für Stück stärker wurden, je länger er sich in diesem Haus aufhielt. Wie ein kleines Kind freute er sich, als er durch die verschiedenen Räume marschierte und hier und da etwas erkannte.
„An den Kamin im Esszimmer kann ich mich noch erinnern. Da saßen wir vor dem Feuer, als es kalt draußen war."
Ich notierte alles in Gedanken, denn ich wollte es später auf dem Tablet heruntertippen. Eine gute Stunde hielten wir uns in dem Haus auf, welches früher Kierans Heim war, dann bedankten und verabschiedeten wir uns.
„Alter, das war cool." Kieran kriegte sich gar nicht mehr ein.
„Super, oder? Wie gut, dass ich den Mut hatte zu klingeln. Und wie gut, dass dir das mit dem Pfarrer eingefallen ist."
„Ich denke, letztendlich gab der Polizist den Ausschlag."
Grinsend schubste ich ihn an. „Such mal nach einem Restaurant, mein Magen hängt schon zwischen den Kniekehlen."
„Meiner auch."
Kieran fand eine Pizzeria, die unseren Ansprüchen vollends genügte. Wir schlugen uns die Bäuche voll und liefen später zum Hotel zurück, da uns langsam die Augen zufielen. Fünf Stunden Zeitunterschied spürte man schon.
Während mein bester Freund duschte, holte ich das Tablet hervor, um die gedanklichen Notizen endlich in Worte zu fassen. Es fiel mir unglaublich leicht, das Geschehen wiederzugeben und dabei Kierans Emotionen einzufangen.
Als er aus dem Bad trat, legte ich das Tablet zur Seite, um selbst unter die Dusche zu springen. Danach legten wir uns beide ins Bett und schliefen recht schnell ein.
Am nächsten Tag erwachten wir, als es noch stockdunkel draußen war.
„Halb fünf", seufzte Kieran, „was machen wir denn nun?"
„In aller Ruhe duschen, anziehen und den Tag planen", schlug ich vor.
Es erübrigte sich zu erwähnen, dass wir zunächst weiterhin nach den Orten aus Kierans Leben in New York suchten.
„Ich möchte auf jeden Fall zu diesem Privat Club, der früher der Mafia gehörte", sagte er, während er sich ein Shirt über den Kopf streifte.
„Das ist mir schon klar. Weißt du denn, was sich nun darin befindet?"
„Nein, ich habe keine Ahnung."
Beim Coffee Shop um die Ecke erwarben wir einen Latte to go sowie für jeden ein riesiges Sandwich, mit Käse, Schinken, Eiern und Salat belegt. Auf dem Weg zur U-Bahn verdrückten wir das Essen und quetschten uns anschließend mit den anderen Fahrgästen, die zur Arbeit fuhren, in die Bahn.
Auch die Park Avenue, unser erstes Ziel für den heutigen Tag, war vom Times Square aus gut zu erreichen. Wir brauchten nur wenige Minuten, ehe wir erneut auf der Straße standen.
„Hier geht es lang." Wie üblich hatte Kieran alles im Griff und lotste uns beide zu einem großen, beeindruckenden Gebäude, dessen blütenweiße Fassade erahnen ließ, dass hier immer noch das Geld wohnte. Wenngleich nicht mehr das der russischen Mafia.
„Hier hat mein Vater sich mit Nicholas Romanow zum Pokern getroffen", erzählte Kieran mit relativ nüchterner Stimme. „Er hat ein ganz schönes Doppelleben geführt. Tagsüber der brave Vikar und abends der Typ, der sich mit der Mafia eingelassen hat, um seine Familie zu retten."
Nachdenklich betrachtete ich das pompöse Haus. „Würdest du es anders machen?"
Darauf zuckte er mit den Schultern. „Ich weiß es nicht, Freddie. Ich versuche immer nachzuvollziehen, wie mein Dad sich gefühlt haben muss. Es muss schrecklich für ihn gewesen sein."
Bedächtig nickte ich und fuhr anschließend mit der einen Hand durch mein vom Wind zerzaustes Haar. „Ich glaube, niemand von uns kann sich das so richtig vorstellen."
„Vermutlich nicht."
Ein goldenes Schild, welches neben der Tür des Gebäudes angebracht war, wies daraufhin, wer nun hier hauste.
„Emerald Green Stiftung", las ich laut vor. „Das googeln wir nachher mal."
Unsere nächste Station war die Galerie, in welcher Kierans Mutter aus Teilzeitbasis gearbeitet hatte. Sie lag in Greenwich Village, einem Bezirk der an West Village angrenzte. Da bereits geöffnet war, traten wir ein und als die Glocke läutete, die den Besuch der Kunden ankündigte, kam eine Dame, etwa Mitte Fünfzig, auf uns zu, die sich mit dem Namen Milli vorstellte.
Kieran zuckte leicht zusammen, scheinbar war ihm dieser Name ein Begriff.
„Was kann ich für Sie tun?", erkundigte sich die gut gekleidete Frau.
„Führen sie hier Gemälde von Thomas Fabry?", fragte Kieran sofort.
„Natürlich." Sie führte uns durch die Galerie, die am Ende ihre Juwelen beherbergte. Er war ein fantastischer Maler, seine Werke für Normalverdiener nicht mehr erschwinglich. Kierans Mutter besaß jedoch zwei Bilder aus seiner frühen Zeit, eines war ein Geschenk von Alexander, Gwennys Mann. Und genau dieses war von Ort zu Ort gereist. Niall und Sienna hatten das erzählt, als man Kieran und meine Wenigkeit über alles aufklärte.
Nachdem wir die Bilder in Augenschein genommen hatten, bedankten wir uns höflich, um uns anschließend zu verabschieden.
„Als nächstes gehen wir zu dem Kindergarten, den ich besucht habe", erklärte Kieran, der gerade einen Blick auf sein Handy warf.
„Einverstanden."
Besagter Kindergarten lag recht nahe an der Galerie, wir brauchten nicht einmal zehn Minuten zu Fuß. Zusammen betrachteten wir das Gebäude sowie den dazugehörigen Spielplatz, der umzäunt war. Einige Kinder spielten draußen, ihr Geschrei dröhnte in meinen Ohren und ließ mich wissen, dass die Kinderplanung in meinem Fall definitiv noch Zeit hatte. Zudem fehlte mir im Moment sowieso die passende Frau dazu.
„Hier bist du also als kleiner Stöpsel herumgelaufen", meinte ich grinsend.
„So ist es. Auch wenn ich mich kaum noch daran erinnern kann, aber Tia und ich waren dort immer zusammen."
Die Erwähnung der Russin ließ einen Schatten über sein Gesicht gleiten, doch er fasste sich relativ schnell wieder, um dann zu sagen: „Auf nach Hell's Kitchen."
Kierans Unternehmungsgeist schien weiterhin ungebremst zu sein. Ich konnte dies aber nachvollziehen und war jederzeit zu allen Schandtaten bereit. Zur Abwechslung legten wir die Strecke vom Kindergarten bis zur Kirche zu Fuß zurück. Somit bekamen wir einen relativ guten Eindruck der unterschiedlichen Bezirke, die jedoch allesamt Manhattan angehörten.
„Krass, wie schön New York ist, oder?" meinte Kieran, der plötzlich nach rechts abbog.
„Hey, wo willst du hin? Da steht nach Hell's Kitchen geht es geradeaus", protestierte ich lautstark.
Er drehte sich kurz zum mir, um dann zu sagen: „Ich würde gerne den Park anschauen, den wir immer besucht haben."
Der Washington Square Park, zu welchem Kieran uns führte, war wirklich schön anzusehen. Zu dieser Jahreszeit blühten noch einige Blumen und die Bäume trugen ihre Blätter, obwohl sich diese an manchen Stellen bereits zögerlich färbten. Interessiert beobachtete ich, wie Kieran nachdenklich durch den Park schritt, immer wieder aufschaute, als ob er nach etwas suchte.
„Es ist komisch", sagte er, „auch wenn ich es nicht wüsste, würde ich trotzdem behaupten, schon einmal hier gewesen zu sein."
„Unglaublich wie das Unterbewusstsein funktioniert, oder?"
Als Kieran nickte, klopfte ich ihm auf die Schulter. „Du wirst noch sehr viel mehr entdecken, glaube ich."
Wir gingen weiterhin zu Fuß, bis wir den Bezirk Hell's Kitchen erreichten. Das dortige Ziel war die Kirche, in welcher Kierans Dad seine Tätigkeit als Vikar verrichtete. Da das Gotteshaus seine Pforten geöffnet hatte, traten wir ein und ließen uns auf einer der langen Bänke nieder. Vollkommen alleine genossen wir beide die Stille, welche um uns herum herrschte.
„Es kommt mir so unwirklich vor, dennoch erinnere ich mich in Bruchstücken daran, dass ich hier gewesen bin. Wenn auch nicht sehr oft."
Kierans Aussage ließ mich erneut wissen, dass ein Fünfjähriger sehr viel mehr von seiner Umgebung und allgemein von seinem Leben aufnahm, als man vielleicht glaubte.
Mit dem Besuch der Kirche war unser Rundgang für den heutigen Tag beendet, denn nun standen Essen und relaxen auf dem Programm. Als wir uns faul auf dem Hotelbett lümmelten, begann ich nach der Stiftung zu googeln, welche in der Park Avenue ansässig war.
„Hör mal, Kieran, ich habe etwas über diese Stiftung gefunden", bat ich meinen Kumpel, der sofort aufschaute.
„Was denn?"
„Die Emerald Green Stiftung wurde vor etwa fünfzehn Jahren gegründet. Sie zielt darauf, obdachlosen Kindern und Jugendlichen zu helfen, die oftmals mit Drogen in Berührung kommen."
„Na sowas, das ist so ziemlich das Gegenteil von dem, was die Mafia hier gemacht hat", stellte Kieran fest.
„Ja, würde ich auch sagen. Man kann die Stiftung sogar besuchen, wir waren nur zu früh dort. Das Büro öffnet erst um zehn."
„Super, da würde ich morgen gerne hin."
Den Rest des Tages verbrachten wir damit, uns Dinge wie das Flat Iron, den Broadway und am Abend den Times Square mit seiner irren Beleuchtung anzuschauen.
„Morgen, vor Sonnenuntergang, fahren wir das Empire State Building hoch und machen dort Fotos", bestimmte ich.
„Von mir aus gerne."
Es war easy mit Kieran zusammen zu sein, Orte zu entdecken und zu wissen, dass wir dies beide auf eine Art und Weise genossen. Vielleicht hätten wir dies schon viel eher tun sollen.
Tatsächlich machten wir uns am nächsten Tag wieder auf in Richtung Park Avenue. Um viertel nach zehn trafen wir vor dem Gebäude ein und als ich die Türklinke nach unten drückte, ließ sich die Pforte mühelos öffnen. Kieran folgte mir mit halb ernstem, halb gespannten Gesicht dicht auf den Fersen. Wir hatten noch keinen konkreten Plan, was wir den Leuten erzählen wollten, um uns in diesem Gebäude umsehen zu dürfen, welches sicher viele Geschichten hätte erzählen können.
„Guten Morgen, was kann ich für sie tun?" begrüßte uns die nette Dame an der Rezeption, deren dunkelblaues Kostüm eine gewisse Seriosität ausstrahlte.
„Wir sind eigentlich nur durch Zufall hier gelandet", erklärte ich. „Das Gebäude hat und so gut gefallen und wir wollten einfach fragen, ob man sich das von innen anschauen kann."
Ich ließ all meinen Charme spielen und auch Kieran tat ein Übriges, um der Schönheit den Kopf halbwegs mit seinen blauen Augen den Kopf zu verdrehen.
„Leider geht das nicht so einfach", erklärte sie bedauernd. „Also zumindest können sie nicht alle Räumlichkeiten sehen. Aber ich frage mal nach."
Es dauerte nicht lange und wir wurden von einer weiteren Dame abgeholt, die um die Vierzig sein musste. Sie erklärte uns den Sinn der Stiftung, obwohl wir nicht danach gefragt hatten und führte uns ein wenig herum. Wir durften sogar Bilder machen, was uns beiden ziemlich gut gefiel. Zum Schluss ließen wir uns die Bankverbindung der Stiftung geben. Selbst kleine Beträge halfen bei den Spenden, denn schließlich machte Kleinvieh auch Mist, wie man so schön sagte.
Alles in allem war der Besuch ein Erfolg, das fand auch Kieran, der sich nun vollends mit mir in das Abenteuer New York stürzte. Shopping war angesagt, schließlich benötigten wir noch warme Sachen für Nord Alaska. Da der Herbst kurz vor der Tür stand, waren die Einkaufszentren voll mit dicken Pullovern, Parkas und warmen Schuhen. Wir schlugen kräftig zu und gingen vor dem Besuch des Empire State Buildings nur kurz ins Hotel zurück, um dort die Einkaufstüten zu deponieren. An schließend machten wir uns sofort wieder auf den Weg, um die Zeit des Sonnenuntergangs nicht zu verpassen. Dieser sollte auf dem Empire State Building besonders schön sein.
Man hatte uns wirklich nicht zu viel versprochen. Schon die Fahrt mit dem Aufzug war ein Erlebnis. Der stattliche Bau Maß 381 Meter an Höhe, inklusive der Antenne sogar 443 Meter. Von der Plattform aus konnte man in alle Richtungen über New York blicken. Die Aussicht gehörte wirklich zu den schönsten, die ich jemals gesehen hatte und als die Sonne langsam unterging, wurde die Stadt in ein orangefarbenes Licht getaucht. Zum Glück hatte ich meine Kamera mitgenommen, welche ich mir eigens für den Job als Klatschreporter gekauft hatte, um mehr oder weniger pikante Szene festzuhalten.
„Wow, das ist klasse", hörte ich Kieran neben mir sagen.
Wir beiden gerieten völlig in den Bann des Farbenspiels, das den Himmel dominierte. Erst als der große, runde, rote Ball am Horizont versank, kehrten wir wieder auf den Boden der Tatsachen zurück.
„Ich hab tierischen Hunger", gestand Kieran, worauf ich ihm zustimmte. „Ich auch."
Das Ende des Abends ließen wir in einer typischen New Yorker Bar ausklingen, in welcher Piano Musik gespielt wurde. Wir hatten beide unseren Spaß, tranken Whiskey mit Eis und planten unsere kommenden Ausflüge.
In den nächsten Tagen probierten wir die unterschiedlichsten Gerichte aus. Angefangen von den Hot Dogs der Straßenverkäufer bis hin zu den asiatischen Restaurants, die Sushi All-you-can-eat zu recht humanen Preisen anboten. Wir schauten uns das Chrysler Building an, marschierten über die Brooklyn Bridge und fuhren auf dem Hudson River. Außerdem machten wir einen Ausflug mit der Fähre nach Staten Island. Dort liefen wir unter anderem am Strand entlang, wo Kieran unvermittelt sagte: „Hier war ich mit meinen Eltern. Mum hat mir das erzählt."
„Wie fühlt es sich an, all das noch einmal zu erleben? Dinge zu sehen, die in deinem Unterbewusstsein vergraben sind?"
Einen Augenblick überlegte er, um dann zu antworten: „Seltsam, aber auch schön. Aufregend und irgendwie doch vertraut."
Diese beiden Dinge merkte ich mir gut, denn ich war gespannt, ob mich das gleiche Gefühl ereilen würde, wenn wir Barrow erreichten.
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Die Reise von Kieran und Freddie hat begonnen. Wie hat euch der Aufenthalt in New York gefallen?
Freut ihr euch schon auf Barrow?
Das nächste Update kommt in einer Woche. Auch wenn ich ihm Urlaub bin, so lese ich doch eure Kommentare :)
LG aus dem Urlaub, Ambi xxx
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