27. 72 Hours
♪ Here I go again - Whitesnake
Anastasia
Mit klopfendem Herzen blickte ich in Louis Tomlinson markantes Gesicht. Meine Hände begannen zu zittern und meine Stimme hatte einen brüchigen Ton, als ich die Frage stellte, die sich sofort in meinen Gedanken manifestierte.
„Ist er tot?"
Seine Antwort beruhigte mich keineswegs. „Das wissen wir noch nicht."
Dieses kleine Wörtchen 'noch' war es, was mich innerlich erzittern ließ. Irgendetwas war geschehen, schwerwiegende Ereignisse warfen ihre Schatten voraus.
Automatisch griff ich nach Kierans Hand, da er direkt neben mir stand und als Louis weiterredete, glaubte ich, den Boden unter den Füßen zu verlieren.
„Wir haben einen Leichnam gefunden. Der Mann trug die Papiere deines Vaters bei sich. Deswegen haben wir Grund zu der Annahme, dass er es vielleicht sein könnte. Ich sage jedoch nur könnte, da bisher nicht herausgefunden wurde, ob es sich tatsächlich um deinen Vater handelt."
Tränen stürzten aus meinen Augen, liefen über meine Wangen und ich hatte das Gefühl, plötzlich keine Luft mehr zu bekommen. Mein Atmen setzte aus, der Boden unter meinen Füßen schien zu wanken – doch es war Kieran, der mich festhielt. Wie ein Fels in der Brandung stand er da und legte mit dem nächsten Wimpernschlag seine Arme um meinen bebenden Körper.
Während ich noch immer völlig aufgelöst versuchte, die Information, die Louis mir hatte zukommen lassen, zu verarbeiten, fuhr Kieran mit seinen Händen beruhigend über meinen Rücken.
„Schsch, alles gut, ich bin da, Tia."
Mir war eiskalt, ich saugte förmlich die Wärme seines Körpers auf, der sich sanft gegen meinen lehnte. Den Kopf in seine Brust vergraben, weinte ich stumm vor mich hin. Die Möglichkeit, dass mein Vater nicht mehr lebte, schien zum Greifen nahe zu sein und der Gedanke daran ließ mein Herz beinahe zerbersten. Innerlich fiel ich zu Boden, äußerlich blieb ich stehen, weil Kieran mich hielt. Als Louis erneut sprach, nahm ich seine Worte wie in Watte gepackt auf.
„Wir brauchen deine Hilfe, Anastasia."
Ich wusste nicht, wie ich ihm hätte helfen sollen, doch da er mich darum bat, musste es anscheinend eine Möglichkeit diesbezüglich geben. Noch immer hielt Kieran mich in seinen Armen, während der nächste Satz gequält über meine Lippen kam.
„W- wie k-kann ich helfen?"
„Das besprechen wir gleich, lasst uns ins Haus gehen."
Nachdem Louis diese Worte ausgesprochen hatte, hob ich mühevoll den Kopf, um in Kierans besorgtes Antlitz zu blicken. Er ließ meine Hand nicht los, als wir gemeinsam über die Schwelle traten, welche von der Terrasse in den Wohnbereich führte.
Dort angekommen, begrüßte Louis zunächst die Hausherrin, bevor er mich bat, die Unterhaltung in meinem Zimmer zu führen. Selbstverständlich durfte Kieran uns begleiten, alles andere wäre für mich im Moment nicht hinnehmbar gewesen. Ich brauchte ihn.
Als wir die Treppe nach oben gingen, nahm ich zum ersten Mal Notiz von dem kleinen silbernen Koffer, den Louis mit sich herumtrug. Ich hatte keine Ahnung, was sich darin befand und im Moment interessierte es mich auch nicht besonders. Mein Kopf war vollgepackt mit schrecklichen Visionen, die kein Ende nehmen wollten.
Louis setzte sich auf einen der beiden Sessel, die in meinem Zimmer herumstanden, während Kieran und ich uns auf dem Bett niederließen. Automatisch tastete ich nach seiner Hand und drückte fest zu, als Louis mit seinen Ausführungen begann.
„Das Problem bei der Leiche ist, dass die Fingerkuppen entfernt wurden, das Gesicht bis zur Unkenntlichkeit zerstört, der Kiefer zertrümmert und sämtliche Haare entfernt wurden. Die Möglichkeiten einer Identifizierung schrumpfen damit auf ein Mindestmaß zusammen. Lediglich die Blutgruppe ließ sich bisher feststellen und diese stammt mit der deines Vaters überein."
„Oh Gott."
Ich bedeckte das Gesicht mit meiner freien Hand, versuchte die Tränen, die erneut hochkamen, zu unterdrücken. Doch es gelang mir nicht. Ich liebte meinen Vater, auch wenn er für viele Leute zu den Bösen gehörte. Aber er hatte in der Vergangenheit alles für mich getan; mir seine Liebe und Fürsorge gegeben.
Als ich klein war, las er mir vor dem Einschlafen oftmals Gute-Nacht-Geschichten aus einem russischen Märchenbuch vor. Er kochte Kakao für mich oder heiße Milch mit Honig, je nachdem, was ich lieber wollte. Bei schönem Wetter besuchten wir Spielplätze und Parks, er tollte mit mir durch die Wohnung, wenn es draußen regnete, oder wir sahen uns gemeinsam Disney Filme an. Auch wenn mein Vater oftmals beruflich stark eingespannt war, so schenkte er mir etwas, das ich nie vergaß; seine Herzenswärme. Durch den frühen Tod meiner Mutter wurde er zu meiner Bezugsperson Nummer eins. Zu dem Menschen, den ich von Herzen liebte, ungeachtet seiner kriminellen Machenschaften. In die Mafia hineingeboren, kannte er es nicht anders.
Die Umarmungen meines Vaters zu spüren, war immer unendlich schön gewesen. Sein vertrauter Geruch hing noch immer in meiner Nase, seine Stimme erklang in meinen Ohren und der letzte Kuss, den er mir zum Abschied auf die Stirn gab, den fühlte ich noch deutlich.
„Anastasia, pass gut auf dich auf."
Einer der letzten Sätze, welche er zu mir sprach, hallte in meinem Kopf. Ich würde diesen nie vergessen. Mein Vater wollte, dass ich überlebte, nur deswegen trat ich den Weg zur Flucht an. Ich war nicht hier, um zu sterben, um zu verlieren, sondern um weiterzuleben. Ob mit oder ohne ihn, das lag jedoch nicht in meiner Hand.
Ein Ruck ging durch meinen Körper, zu vergleichen mit einem kleinen Stromschlag, der mich aus meiner Trauer und Trance holte. Ich war eine Romanow, wir gaben niemals auf.
Erhobenen Hauptes blickte ich Louis' Tomlinson in die Augen, bevor ich meinen nächsten Satz formulierte.
„Wie kann ich behilflich sein? Ich tue alles dafür, um herauszufinden, ob es sich bei diesem Toten um meinen Vater handelt."
Ein wohlwollendes Nicken meines Gesprächspartners ließ mich wissen, dass er meine Einstellung schätzte.
„Gibt es irgendwelchen Merkmale am Körper deines Vaters, die ihn als unverkennbar ausweisen? Muttermale oder Narben?"
Entschlossen schüttelte ich meinen Kopf. „Nein, er hat keine Narben und auch kein Muttermal. Zumindest keines, das ich kenne."
„Das ist sehr schade, aber wir haben ja noch andere Möglichkeiten, um Klarheit in die Sache zu bringen."
„Welche sind das?", fragte ich unvermittelt nach.
Zu meiner Überraschung antwortete Kieran darauf. „Einen DNA-Test."
Diese Aussage löste einen Hoffnungsschimmer in mir aus.
„Ist es denn bei einem Toten möglich, solch einen Test ohne Probleme durchzuführen?", erkundigte ich mich mit klopfendem Herzen.
„Ja, das ist es", kam es von Louis. „Es ist zwar ein bisschen schwieriger, als bei jemandem der noch lebt, dennoch sind wir in der Lage, solche Tests durchzuführen." Ein wenig atemlos stellte ich meine nächst Frage. „Wie lange wird es dauern, bis das Ergebnis vorliegt?"
„Die moderne Gerichtsmedizin ist dazu in der Lage, innerhalb von drei Tagen, also zweiundsiebzig Stunden ein aussagekräftiges Ergebnis herbeizuschaffen. Und ich rede hier von dem Zeitpunkt, ab dem deine DNA-Proben im gerichtsmedizinischen Labor eingegangen sind. Da ich heute Nacht nicht mehr nach London zurückfahre, zählen die zweiundsiebzig Stunden ab morgen, etwa ein Uhr mittags. Bis dahin werde ich diese bei Dr. Peppermann abgegeben haben. Er wartet bereits sehnsüchtig auf meine Rückkehr."
Spätestens in diesem Augenblick wurde mir klar, was es mit dem kleinen silbernen Koffer auf sich hatte. Dieser diente ganz sicher für den Transport meiner DNA-Proben.
„Also, Anastasia, ich benötige eine Speichelprobe von dir."
Louis öffnete den Koffer, zog ein paar grüne Gummihandschuhe hervor, wie die Ärzte sie trugen, und schickte sich an, ein dünnes Plastikröhrchen, welches einen gelben Verschluss hatte, in die Hand zu nehmen.
„Peppermann hat mir alles erklärt", meinte er, als Kieran ihm einen eher skeptischen Blick zuwarf.
„Ich wusste nicht, dass dies auch zu unseren Aufgaben gehört", kam es von meinem Freund.
„Tut es eigentlich auch nicht, aber in diesem Fall geht es nicht anders. Ich werde Anastasia ganz sicher nicht wegen einer DNA-Probe nach London reisen lassen, dieses Risiko gehen wir nicht ein. Und Peppermann oder irgendeinen anderen Hansel aus der Gerichtsmedizin hierher zu zitieren, wäre genauso kontraproduktiv. Das Temporary Fix darf nur den Mitarbeitern aus unserem Team bekannt gegeben werden."
Eine klare Ansage, die Louis da von sich gab und die mir zwei Dinge verdeutlichte. Zum einen, wie vorsichtig er war und zum anderen, wie gefährlich meine Lage sich darstellte. Der dritte Schluss, den ich aus dieser Begebenheit zog, war jedoch ganz anderer Natur. Dieser sagte mir, dass es sich bei Louis um einen Menschen handelte, der wirklich alle Register zog und der sich nicht davor scheute, selbst mit anzupacken, wenn es vonnöten sein sollte.
Er stieg immer mehr in meiner Achtung und ich hatte das Gefühl, im vollends vertrauen zu können. Er würde mein Leben schützen – mit allen Mitteln, die ihm und seinem Team zur Verfügung standen. Die kleinen Zweifel, die hin und wieder in mir aufgetaucht waren, wischte ich nun zur Seite.
Mir entwich ein lautes Aufatmen, als Louis mir ein Stäbchen überreichte, welches er zuvor aus dem sterilen Röhrchen hervorgeholt hatte. Eine Speichelprobe abzugeben war nichts Weltbewegendes, trotzdem besaß diese für mich und meine Zukunft ein außerordentlich großes Gewicht.
Penibel deponierte er das Stäbchen wieder innerhalb des dünnen Gefäßes, welches er sogleich verschloss, nachdem ich dieses mit meinem Speichel benetzt hatte.
„Das war es schon, Anastasia."
Louis klappte den kleinen Koffer zu und schaute dann zu Kieran.
„Ich verlasse mich auf dich, darauf, dass du Anastasia zur Seite stehst."
„Das werde ich, dafür bin ich hier." Kieran sprach mit fester Stimme, die darauf hindeutet, dass er seine Aussage sehr ernst meinte. Auch ohne seine Zusicherung war mir bewusst, dass er immer für mich da sein würde – zumindest so lange wir beide uns an einem gemeinsamen Ort aufhielten.
Was danach sein würde, daran wollte ich gar nicht erst denken, denn die Gewissheit, dass wir eines Tages der unausweichlichen Trennung gegenüberstanden, beschwor ein schreckliches Gefühl in meinem Innersten hervor. Dabei hätte mir vom ersten Tag unseres Zusammentreffens klar sein müssen, dass es keine Zukunft für Kieran und mich gab – und auch niemals geben würde.
Der Gedanke daran, dass ich mich inzwischen total in ihn verliebt hatte, machte es nicht einfacher. Schon lange hatte ich mein Herz an ihn verloren, aber der Aspekt, dass auch unsere Seelen auf eine Art und Weise miteinander verbunden waren, wie ich es noch nie zuvor bei einem jungen Mann erlebt hatte, machte mich glücklich und traurig zugleich.
Er würde niemals mein sein.
Gemeinsam verließen wir mit Louis das Zimmer. Die Trockenheit, welche sich in meinem Mund ausgebreitet hatte, wollte bekämpft werden und zu diesem Zweck trat ich in die Küche, um eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank zu holen. Kieran leistet mir dabei Gesellschaft, er ließ mich nicht aus den Augen, wohl auch um sicher zu gehen, dass ich nicht zusammenklappte, weil die Ereignisse auf meine Psyche übergingen.
Eine warme Welle durchflutete mein Herz, als ich in seine blauen Augen schaute. Er war der Mann, mit dem ich mir hätte vorstellen können, mein weiteres Leben zu verbringen. Doch es mutete hirnrissig an, sich an diese Vorstellung zu klammern. Ein Polizist und jemand, der in die Mafia hineingeboren war, konnten niemals zusammen sein.
Während ich das Wasser in ein Glas einschenkte, lauschte ich mit halbem Ohr der Unterhaltung, welche Shawn und Louis im angrenzenden Zimmer führten. Da die Küchentür offenstand, konnte man jedes Wort verstehen. Es ging jedoch nur um profane Dinge, aus denen ich keine Schlüsse zu ziehen vermochte.
Die nächsten drei Tage würden sehr hart werden und Ablenkung tat wirklich not. Zum Glück hatte ich diese in Form von Kieran, der mich in jeder Minute spüren ließ, was es bedeutete, für jemanden da zu sein.
Als wir endlich zu Bett gingen, nahm er mich in seine Arme. Ich bettete den Kopf auf seine Brust, schloss meine Augen und lauschte dem Schlag seines Herzens. Der Vollmond warf sein Licht auf uns, er verhinderte, dass die nächtliche Dunkelheit uns vollkommen umhüllte. So wie dieser Mond war Kieran mein Licht in einer Welt, in der mich im Moment nur Schwärze und der Hauch des Todes einholten.
Als wir am nächsten Morgen aufstanden, war Louis bereits nach London aufgebrochen. Um kurz nach eins traf eine Nachricht auf Shawns Handy ein, dass er wohlbehalten angekommen sei und die DNA-Probe bei Dr. Peppermann abgegeben habe.
Der Countdown lief ab jetzt.
Zweiundsiebzig Stunden - das waren drei volle Tage und erst dann würde ich wissen, ob es sich bei dem Opfer um meinen Vater handelte.
„Gut, dass es so etwas wie DNA-Analysen gibt", seufzte ich, als ich mit Kieran am Pool lag, der sich nun aufrichtete.
„Die gibt es schon sehr lange aber noch bis vor fünf Jahren dauerte eine Analyse manchmal Wochen oder gar Monate. Dank dem neuen Verfahren, welches man heute anwendet, ist man in der Lage, innerhalb dieser zweiundsiebzig Stunden ein verlässliches Ergebnis zu erhalten."
„Du kennst dich gut damit aus, hm?" Ich warf ihm einen neugierigen Blick zu, worauf Kieran lediglich mit den Schultern zuckte.
„Das hat mich schon immer interessiert und wenn du deine Ausbildung bei der Polizei machst, schicken sie dich auch in die Gerichtsmedizin. Allerdings ist das Obduzieren der Leichen nicht so mein Fall. Die anschließenden Arbeiten im Labor mochte ich lieber."
„Das kann ich mir vorstellen."
Schon wieder tauchte der Gedanke in meinem Kopf auf, das eine Leiche in London in der Gerichtsmedizin lag, bei welcher die Papiere meines Vaters gefunden worden waren. Traurigkeit überfiel mich, diese machte es schwer, den Tag in der Sonne zu genießen.
Kieran bemerkte es sofort. Er nahm jegliche Stimmungsschwankungen von mir auf und versuchte sein Möglichstes, mir die Zeit zu vertreiben. Jedoch nervte er mich dabei nie, da er genügend Fingerspitzengefühl besaß.
„Möchtest du ein Eis essen?", lautete seine Frage, die ich sofort mit einem „Ja, gerne", beantwortete.
Susans Kühltruhe zeichnete sich durch einen überaus großen Eisvorrat aus, den Kieran, Shawn und ich jedoch regelmäßig zum Schrumpfen brachten. Immerhin füllte Shawn den Vorrat wieder auf, da er Susan manchmal zum Einkaufen begleitete. Wir lebten hier fast wie eine Familie zusammen, wenn man von den Widrigkeiten absah, die mich an diesen Ort gebracht hatten.
Mit einem „Danke", nahm ich Kieran das Eis aus der Hand, beobachtete dabei, wie er wieder auf die Liege setzte, um ebenfalls an seinem Eis zu schlecken.
„Ich wünschte, die Zeit würde schneller vorbeigehen", seufzte ich leise.
Nach achtundvierzig Stunden war ich zu einem Nervenbündel mutiert. Kieran hielt mich in seinen Armen, als wir in meinem Bett lagen, obwohl es Mittag war. Nicht einmal die Sonne wollte ich heute genießen. Während ich gestern noch in den Pool sprang, so war dieser mir heute gänzlich egal. Ich wollte nur noch eines: dieses verdammte Ergebnis erfahren. Aber weitere vierundzwanzig Stunden lagen vor mir, eine Zeitspanne, die mir unendlich lange und beinahe unüberwindbar vorkam. Es schien, als hätte die Zeit sich dazu entschlossen, stehen zu bleiben.
„Kieran?"
„Hm?"
„Wenn er tot ist, dann habe ich niemanden mehr. Und wenn er nicht tot ist, habe ich ebenfalls niemanden mehr. Denn ich werde über kurz oder lang ein neues Leben anfangen, während mein Vater vielleicht irgendwann im Gefängnis landet."
Meine Gedanken laut auszusprechen gehörte einfach zu mir. Ich versteckte diese nicht, vor allem nicht vor Kieran.
„Tia, denk' doch nicht immer an das Schlimmste."
Er wollte mir Hoffnung machen, doch ich war mir plötzlich sicher, dass ich meinen Vater nie wiedersehen würde. Entweder weil er bereits tot war oder weil man mich nach Paris brachte und ihn irgendwann einbuchtetet. Ich würde auf mich alleine gestellt sein, so sah meine Zukunft aus. Ohne meinen Vater, ohne Kieran, ohne die beiden Menschen, die mir am meisten bedeuteten.
„Kieran?"
„Ja?"
Das sanfte Streicheln seiner Finger, die meine Haut berührten, ließ mein Herz automatisch schneller klopfen.
„Denkst du, es gibt so etwas wie eine Bestimmung?"
„Das kommt ganz darauf an. Erläutere mir das näher."
Oftmals führten wir solch tiefsinnige Gespräche, manchmal sogar nach dem Sex. Während der letzten beiden Tage hatten wir allerdings nur Zärtlichkeiten ausgetauscht. Aber Kieran akzeptierte es, dass ich mich mental nicht in der Lage dazu fühlte, mit ihm zu schlafen. Wie ein Damoklesschwert schwebten die Gedanken an das Testergebnis über meinem Kopf und machten es unmöglich, Dinge richtig zu genießen.
„Die Bestimmung, einen Menschen nie wieder zu sehen, das meine ich damit. Ich verliere ihn und ich verliere dich irgendwann auch."
Ich hatte mit Vielem gerechnet, aber nicht damit, dass Kieran plötzlich aufbrausend reagierte.
„Du wirst mich nicht verlieren, Tia. Selbst wenn wir uns nicht sehen, bin ich in Gedanken immer bei dir. Das sollte dir Kraft geben."
„In Gedanken? Wie bitte soll mir das Kraft geben?"
Vorsichtig setzte Kieran sich auf und zwang mich damit, es ihm gleichzutun. Den Blick auf ihn geheftet, spürte ich, wie er nach meiner Hand griff, um diese auf die Tätowierung zu legen, welche sich an seinem Handgelenk befand.
„Du hast mich vor einiger Zeit gefragt, was dieses A zu bedeuten hätte", begann er. „Und ich habe dir erzählt, dass es für zwei Menschen steht, die mir etwas bedeuten."
„Aiden und Alistair", wiederholte ich die Namen, die sich diesbezüglich in meinem Gedächtnis befanden.
Kieran nickte kurz, bevor er erneut zum Reden ansetzte.
„Alistair starb, als ich fünf Jahre alt war. Ich habe ihn niemals vergessen, gehe heute noch zum Friedhof, um ihn zu besuchen. Ich rede mit ihm, auch wenn die Leute, die dort vorübergehen, mich dumm anstarren. Alistair gibt mir Kraft, das hat er schon immer getan. Auch wenn ich ihn nicht mehr sehen kann, so ist der doch immer bei mir. Hier, in meinem Herzen und in meiner Seele."
Als er auf sein Herz zeigte, bildeten sich Tränen in meinen Augen. Sie brannten wie Feuer und als Kieran die nächsten Worte aussprach, da schluchzte ich laut auf.
„Dieses A steht auch für Anastasia, denn wenn du eines Tages fort bist, so werde ich dich trotzdem in meinem Herzen behalten und an dich denken."
Ich ließ mich von Kieran in die Arme nehmen, nahm förmlich seine Körperwärme auf und spürte, wie nahe wir uns in diesem Moment standen. Er war alles, was ich im Moment hatte und während ich meine Augen schloss, drückte er mich an sich. Wir benötigten diesen Augenblick, er gehörte uns alleine und obwohl er durch eine gewisse Traurigkeit umhüllt wurde, brannten sich diese Minuten in mein Gedächtnis ein; für immer.
Unendlich langsam verstrich die Zeit, jede Minute schien qualvoller zu werden, die letzten zwanzig Stunden brachen an. Am liebsten hätte ich durchgeschlafen bis zum nächsten Mittag aber das machte mein Körper nicht mit. Mein Schlafbedürfnis lag bei acht Stunden maximal und wenn ich jetzt die Augen zumachte, würde ich mitten in der Nacht erwachen. Da war es besser, die Zeit am Tag totzuschlagen.
Kieran und ich standen schließlich um kurz nach fünf auf, wir hatten die letzten Stunden nur im Bett verbracht; allerdings weiterhin ohne Sex, da mir nicht der Sinn danach stand.
„Ich glaube, ich gehe duschen", erklärte er, was ich mit einem Nicken zur Kenntnis nahm.
Da ich selbst das Bedürfnis nach einer erfrischenden Dusche hatte, kam die darauffolgende Frage leicht über meine Lippen. „Hast du was dagegen, wenn ich mitkomme?"
„Ganz und gar nicht."
Es tat gut, Kierans Hände auf meinem Körper zu spüren, zu genießen, wie er das Duschgel auf meiner Haut verteilte und den warmen Wasserstrahl einfach herabprasseln zu lassen. Fast schwemmte dieser meine Gedanken hinfort, ließ mich in dem Glauben, dass alles ok und wie immer sei. Ich wehrte mich nicht dagegen, sondern gab mich nur zu gerne diesem Trugschluss hin.
Eine geschlagene Viertelstunde verbrachten wir unter der Dusche und als ich aus der Kabine trat, hüllte Kieran mich in ein großes Badetuch ein.
„Danke", sagte ich lächelnd.
Sanft küsste er mich auf die Lippen. „Bitte, und jetzt beeil dich, ich habe Hunger."
Das Zwinkern seiner blauen Augen beschleunigte meinen Herzschlag sofort und auch ich spürte, wie mein Magen zu knurren begann, da das Mittagessen für mich eher spärlich ausgefallen war. Ich hatte einfach keinen Appetit gehabt, dafür besaß ich jetzt umso mehr.
Wie so oft half Kieran Susan in der Küche, ich hingegen ließ lieber die Finger davon. Beim letzten Mal, als ich meine Arbeitskraft anbot, schnitt ich mir mit einem scharfen Messer in den Finger und hatte nur Glück, dass ich nicht richtig traf. Ansonsten wäre ein Besuch im Krankenhaus erforderlich gewesen.
Es gab Fischfilet und Salat mit einem selbstgemachten Dressing sowie frisches Weißbrot, das sich noch warm anfühlte. Susan holte dieses immer beim Bäcker um die Ecke, zu dessen Lieblingskundinnen sie wohl zählte.
Ich ließ mir das Essen schmecken und versuchte an schöne Dinge zu denken. Bis zu einem gewissen Grad gelang mir das auch, doch als ich auf meine Armbanduhr schielte, begann ich automatisch die Stunden zu zählen. Es waren noch siebzehn.
Sie zogen sich dahin wie Kaugummi. Kieran und ich gingen früher zu Bett als sonst, mit dem Ergebnis, dass wir um halb sechs morgens putzmunter waren. Die Sonnenstrahlen erhellten den Raum und die Vögel zwitscherten munter. Mir war jedoch plötzlich zum Heulen zumute. Einerseits forderte ich mich dazu auf, Stärke zu zeigen, andererseits befand ich mich, gefühlsmäßig gesehen, am Rande eines Abgrunds. Ich wurde nur durch Kieran gehalten, der sich stets in meiner Nähe aufhielt.
Ab zwölf Uhr begann ich die Minuten zu zählen. Sechzig, Fünfzig, Vierzig – es wurden immer weniger. Die letzte Viertelstunde zog sich endlos dahin.
Um Punkt eins überkam mich ein seltsames Frösteln, ähnlich einer düsteren Vorahnung und als Shawns Telefon endlich eine Skype Unterhaltung ankündigte, war ich zu einem Nervenbündel mutiert. Dennoch versuchte ich gefasst zu wirken, als wir zu dritt auf das kleine Display starrten.
Louis' Gesicht wirkte ernst und als er zu sprechen begann, sackte mein Herz buchstäblich in die Hose.
„Ich habe schlechte Nachrichten."
Während ich meine Augen schloss, tastete Kieran nach meiner Hand. Die ersten Tränen quollen unter den Lidern hervor, ich wollte es nicht wahrhaben.
„Anastasia, schau mich bitte an."
Das konnte Louis nicht ernst meinen. Warum wollte er meinen Gesichtsausdruck sehen, wenn er mich über den Tod meines Vaters in Kenntnis setzte? Mein Herz schlug wie wahnsinnig in der Brust, mein Mund wurde trocken und ich glaubte jeden Moment umkippen zu müssen. Und sein nächster Satz raubte mir den letzten Nerv.
„Jemand hat sich in das Computersystem der Gerichtsmedizin eingehackt. Das Ergebnis der DNA-Analyse ist verschwunden."
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Hallo ihr Lieben, da morgen der Osterhase kommt, dachte ich, ich mache euch in der Nacht noch ein Geschenk - mit Cliffhanger, wie es sich gehört. Muhahaha.
Ich hoffe, ihr hattet Spaß beim Lesen und seid gespannt darauf, wie das nun weitergeht. Das Kapitel hat mich einiges an Nerven gekostet, es war irgendwie schwer zu schreiben, was vermutlich an den Emotionen lag.
Habt ihr irgendwelche Ideen, wer sich da in den Computer eingehackt haben könnte?
Was die DNA-Analyse betrifft; nach dem heutigen Stand benötigt man dafür tatsächlich mehrere Wochen. Da diese Geschichte jedoch in der Zukunft spielt, war ich so frei, die Zeit auf 72 Stunden zu verkürzen.
Danke für die super Kommentare zum letzten Kapitel :)
Das nächste Update kommt vermutlich am Donnerstag.
Ich wünsche euch ein frohes Osterfest ♥
LG, Ambi xxx
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