III

Dem Neuen dabei zuzusehen wie er auf Knien mit einer Bürste das Deck bearbeitete, machte diabolisch viel Spaß.

Selbstverständlich arbeitete ich als Kapitänin ebenfalls mit, um das Schiff wieder auf Vordermann zu bringen. Ich war nicht jemand, der nur Befehle brüllte, sondern ich war immer an vorderster Front dabei. Mir die Finger schmutzig zu machen, damit hatte ich kein Problem.

Gerade besserte ich mit Jay die Stellen im Segel aus, die beim letzten Unwetter in Mitleidenschaft gezogen wurden. Es waren nicht viele, da die Segel sehr robust sind.

„Du genießt das, gib's zu."
„Was genieße ich?" Ich riss meinen Blick von Henry los und lenkte meine Aufmerksamkeit auf Jay.
„Den Neuen die Drecksarbeit machen zu lassen."
„Jeder von uns musste mal ganz unten anfangen", erinnerte ich ihn.

„Ja, aber du willst die Macht über ihn in vollen Zügen ausleben." Mein bester Freund uns erster Offizier lächelte wissend. Natürlich hatte er mich durchschaut, dafür kannte er mich zu gut.

„Was ist so falsch daran das verwöhnte Bürschchen ein bisschen leiden zu lassen? Nur so lange bis er aufgibt und sich heulend seine Mama zurück wünscht."

Jay lachte laut auf. „Du bist wirklich gemein."

Ich zuckte lediglich lässig mit den Schultern. Eine Antwort darauf, konnte ich nicht mehr geben, denn plötzlich wurde es am Hafen unruhig. Unruhiger als sonst.

Aus der Ferne waren Hufgetrappel und laute Stimmen zu hören. Ich sprang sofort auf und lief auf den Steg, um zu sehen was hier los war.

Mindestens sechs Reiter in dunkler Rüstung ritten in mörderischem Tempo durch die Gassen. Das Wappen auf ihrer Rüstung erkannte ich sofort: ein blutroter Adler, der ein Schwert in seinen Krallen hält. Das Wappen des O'Driscoll Clans. Seine Soldaten hier zu sehen, konnte nichts Gutes bedeuten.

„Kommt zum Marktplatz!", hörte ich sie nun im Vorbeireiten brüllen. „Kommt zum Marktplatz und seht was mit den Unartigen passiert!"

Erschrockene Hafenarbeiter sprangen den Pferden aus dem Weg, bevor sie unter die Hufe geraten. Kaum ist der Lärm verhallt, legte sich eine gespenstische Stille über den Hafen. Jeder hier wusste, dass der Lord nun eine öffentliche Bestrafung zur Schau stellen lassen würde. Als Abschreckung für jeden, der sich gegen ihn wandte. Obwohl ich die Angst in den Augen der Menschen erkennen konnte, wusste ich auch, dass die Neugier für das Grausame siegen würde. Auch wenn hier niemand die Grausamkeit des Markgrafen gut hieß, seine öffentliche Auftritte hatten dennoch eine makarbere Anziehungskraft. 

Mit einem Kopfnicken bedeutete ich meinen Männer, dass sie gehen dürfen wenn sie wollten.

Unruhiges Gemurmel breitete sich unter ihnen aus, doch die meisten folgten mir in Richtung Marktplatz. Niemand von uns ging dort hin, weil wir Spaß an den grausamen Spielchen des Markgrafen hatten. Ich wusste, die meisten Männer nutzen diesen Vorfall um ihren Hass auf Lord James zu steigern, ihrer Wut einen Grund zu geben, damit eines Tages dieser Tyrann sein Ende finden würde.

Ich entdeckte Henry weiter hinten, der uns etwas zögerlich folgte und sich ganz offensichtlich ziemlich unwohl fühlte. Vermutlich hatte er in seiner Heimatstadt keinen tyrannischen Lord, der seineUntertanen in Angst und Schrecken versetzte und gerne ein öffentliches Schauspiel aus den Bestrafungen machte. Das erste Mal so etwas mitanzusehen konnte verstörend sein, aber andererseits wurde ihm dadurch direkt gezeigt in was für ein Leben er im Begriff war sich einzulassen.

Jay ging neben mir und wir mischten uns am Marktplatz unauffällig unter das Volk. Ein paar abschätzige Blicke wurden uns Piraten zugeworfen, aber da es nicht um uns ging, wurden wir in Ruhe gelassen.

In der Mitte des Marktplatzes wurde auf einer erhöhten Plattform aus Holz ein Mast befestigt. Ein Schauer lief mir über den Rücken, als ich realisierte, dass hier gleich eine Auspeitschung stattfinden würde. Ich war schon oft Zeugin davon, wie jemand ausgepeitscht wurde, aber jedes Mal aufs Neue ging mir die Grausamkeit durch Mark und Bein.

Die Menschenmenge hatte sich kreisförmig um das Konstrukt herum versammelt und die Soldaten des Lords hielten die Menschen auf ihren Pferden oder zu Fuß in Schach.

„Das ist nicht gut. Das ist gar nicht gut", murmelte Jay neben mir besorgt. Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, teilte sich die Menge gegenüber von uns und Lord James O'Driscoll schritt in seinem teuren Mantel, der sogar hinter ihm über den Boden schleifte, auf das Konstrukt zu. Er war umgeben von Soldaten, sodass er unangreifbar wirkte.

Plötzlich ging ein Raunen durch die Menge, denn weitere Soldaten schleiften nun etwas das aussah wie ein kleines Bündel hinter sichher.

„Oh mein Gott." Ich schlug mir erschrocken die Hand vor den Mund, als ich erkannte, dass es sich um einen kleinen Jungen handelt, der nicht älter als zehn Jahre alt sein konnte.

Um seine Hände waren Stricke gewickelt, die ihm in die Haut schnitten. Die blanke Panik stand ihm ins Gesicht geschrieben. Er versuchte sich zu wehren, aber gegen die Soldaten hatte der Junge keine Chance. Als würde er nichts wiegen zerrten sie ihn auf die Holzvorrichtung, zwangen ihn dazu sich hinzuknien und banden seine Hände an dem Masten fest. Er trug lediglich seine Hose, der Oberkörper war nackt.

„Verehrte Bürger von Cork", erhob der Markgraf nun seine Stimme. Sie klang kalt wie ein Eissturm, genau wie sein Gesicht aussah. Hart, kalt, ohne jegliche Anzeichen von Emotionen.

„Dieser unverschämte Bastard hat mich bestohlen. Er wurde dabei erwischt wie er ein Laib Brot stehlen wollte."

Wegen Brot? Wegen so einer Belanglosigkeit sollte das arme Kind nun derartig bestraft werden?

„Ich dulde solch ein Verhalten nicht von meinen Untertanen", donnerte die Stimme des Markgrafen über den Platz. „Ich erwarte ein ehrliches, aufrichtiges Verhalten von den Bürgern Corks. Für sein täglich Brot hat man zu arbeiten, man stiehlt es nicht von anderen Menschen, die für ihren Lebensunterhalt etwas tun."

Er machte eine dramatische Pause, die das Publikum unruhig werden ließ. Der Junge zittert am ganzen Leib und obwohl ich mehrere Meter von ihm entfernt stand, konnte ich ihn wimmern hören.

„Da ich allerdings ein gütiger Markgraf bin, sehe ich davon ab, dem Bengel die dreckige Hand abzuschlagen. Dafür verurteile ich ihn zu zwanzig Peitschenhiebe. Lasst euch das eine Warnung sein, für jeden der es wagt mich zu bestehlen. Das nächste mal, lasse ich keine Gnade mehr walten."

Von wegen ein gütiger Markgraf. Zwanzig Peitschenhiebe werden den zierlichen Jungen genauso schänden, wie wenn sie ihm die Hand abhacken.
Die Strafe war viel zu hoch, für einen versuchten Diebstahl von lediglich einem Laib Brot.

Ein verzweifelter Aufschrei ertönte und eine Frau drängt sich aus der Menge heraus. „Bitte", schrie sie verzweifelt. „Bitte, er ist doch nur ein Kind!" Sie versuchte zu dem Jungen zu gelangen, aber sie kam nicht weit. Zwei Soldaten packten sie von links und rechts und fixierten sie so, dass sie sich kaum noch bewegen konnte.

Sie musste die Mutter des Jungen sein, denn ihre Kleidung war schmutzig und sie war ähnlich abgemagert wie ihr Sohn.

„Bitte, habt Erbarmen!", rief sie wieder. „Mein Mann ist tot, ich habe niemanden der sich um mich kümmert. Ich arbeite Tag und Nacht, genau wie meine Kinder. Ich flehe Sie an Mylord, begnadigen Sie meinen Jungen!"

Lord O'Driscolls Gesicht war völlig ausdruckslos. „Ich habe bereits Gnade gezeigt. Das Urteil ist gefällt."

Er winkte einen seiner Leute zu sich, der die Kapuze seines Umhangs tief über den Kopf gezogen hatte, sodass man sein Gesicht nicht sehen konnte. Eine Peitsche lag locker in seiner Hand. Der Mann trat hinter den Jungen und ließ die lange Peitsche mehrmals probehalber durch die Luft sausen.

Die Mutter flehte noch immer um Gnade, doch der Markgraf packte lediglich ihr Kinn und zwang sie damit, der grausamen Tat zuzusehen.

Mit einem Zischen pfiff die Peitsche durch die Luft, dann knallte sie zum ersten Mal auf den Rücken des Jungen. Er brüllte vor Schmerz.

Der fünfte Peitschenhieb bewirkte, dass die Haut des Jungen aufplatzte und das Blut über seinen Rücken lief und in dem Stoff der Hose aufgesogen wird. Seine Schmerzensschreie mischten sich mit den verzweifelten Schreien der Mutter, die gezwungen war diese Schandtat mitanzusehen.

Erneut lief mir ein eiskalter Schauer über den Rücken. Ich wünschte ich müsste nicht so machtlos daneben stehen, sondern könnte irgendetwas tun, um dem armen Jungen zu helfen.

Das ist es, weshalb ich den Adel auf den Tod hasste. Sie suhlten sich in ihrem Reichtum, während sie ihre Pächter und Untertanen verhungern ließen. Sie demonstrierten ihre Macht mit Aktionen wie diesen hier, nur um ihre Untertanen in Angst und Schrecken zu versetzen, damit sie es ja nicht wagten sich gegen sie aufzulehnen.

Eine Welle der Wut baute sich in mir auf, brach über mir zusammen und schien mich mit in die Tiefe zu ziehen.

Ich musste mehrmals tief ein und ausatmen, damit das prickelnde Verlangen in mir nicht dazu führte, dass ich irgendetwas Dummes tat. So schwer es mir auch fiel, aber man sollte auf keinen Fall die Aufmerksamkeit des Lords auf sich ziehen. Schon gar nicht wenn man Pirat war. Sonst baumelte mein lebloser Körper bald am Strick.

Der Junge war mittlerweile ohnmächtig geworden und hing schlaff in den Fesseln. Sein Rücken war kaum mehr wiederzuerkennen. Es war ein einziges Schlachtfeld aus Blut, Hautfetzen und Fleisch.

Ich war froh für ihn, dass er die letzten Schläge nicht mehr bewusst wahrnahm, auch wenn er noch sehr lange von diesen Schmerzen geplagt sein würde. Der entstellte Rücken würde ihn nun sein ganzes Leben lang an diesen schrecklichen Tag erinnern.

Endlich war der letzte Peitschenhieb erfolgt und der Kapuzenmann trat zurück. Die Soldaten ließen die Mutter los, die sofort weinend zu ihrem Sohn stürzte. Nun hielt sie niemand mehr auf. Es interessierte sich auch niemand mehr für sie. Die Menge löste sich langsam auf, die Menschen wandten sich von dem schrecklichen Anblick ab und die Familie wurde ihrem Schicksal überlassen.

Ich hätte erwartet, dass der Markgraf sich sofort mit seiner Armee an Soldaten zurückzog, aber stattdessen blieb er stehen und ließ den Blick langsam über die Menge wandern. Bis er schließlich an uns hängen blieb. Beziehungsweise an jemand direkt hinter uns. Ich drehte mich ruckartig um, aber da stand nur Henry, blass vor Entsetzen.

Als ich mich wieder dem Markgrafen zuwandte, nahm dessen Blick nicht mehr Henry ein, sondern mich. Er beobachtete mich, nahm mich mit seinen Augen gefangen und plötzlich verzog sich sein Gesicht zu einem widerlich arroganten Grinsen.

Ich war so perplex, dass ich den Blick nicht von O'Driscoll losreißen konnte. Was sollte denn das?

Dieses Lächeln triefte nur so von Verachtung und Genugtuung. Ich wusste er sah mir meinen Hass an. Hass für das was er mit dem Jungen getan hatte. Hass, für das was er mit den Einwohnern von Cork bereits zuvor getan hatte und immer weiter tun wird. Aber er wusste auch, dass ich absolut machtlos ihm gegenüber war und diese Position genoss er mit jeder Faser seines Körpers.

Ich ballte meine Hände zu Fäusten, um meine Wut zu kontrollieren. Erneut raste sie wie eine Welle über mich, schlug brausend über mir zusammen und schien mich verschlingen zu wollen. Diesmal wollte ich die Wut zulassen. Ich wollte mich auf den Markgraf stürzen und mein Kurzschwert mit Gewalt in sein Herz bohren und ihm dabei zusehen wie das Leben aus seinen Augen wich. Er verdiente es zu leiden, so wie Cork unter ihm leidet.

Ich machte einen Schritt nach vorne, bereit Gewalt anzuwenden. Doch Jay packte mich am Arm. „Nicht", sagte er bloß.

Tief atmete ich durch. Jay hatte recht. Es wäre absolut dämlich so etwas zu versuchen, abgesehen davon, dass ich seine Soldaten im Alleingang nicht überwältigen könnte, um an O'Driscoll heranzukommen. Und selbst wenn würde er mich in seinem Kerker verrotten oder mich hinrichten lassen.

James O'Drsicoll grinst mich noch immer an, dann tippte er sich zum Gruß an seinen nicht vorhandenen Hut und verschwand mit seinen Soldaten.

Ich schnaubte abfällig. „Was für ein widerwärtiger Dreckskerl. Ich hoffe er schmort in der Hölle", fluchte ich laut. Einige umstehenden Menschen sahen mich erschrocken an. Alle hier in Cork waren gläubige und fromme Leute, die jedes Mal zusammen zuckten, wenn jemand flucht. Was wir Piraten nur zu gerne tun. „Gott sei mit Euch", schob ich eilig hinterher, was die meisten wohl beruhigte.

„Gehen wir", sagte ich zu Henry, der immer noch so aussah, als würde er sich jeden Moment übergeben. „Bevor und dieses Arschloch von Markgraf noch aufknüpft. Wir haben immer noch meinen Bruder zu finden."


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