II

„Trommel die Crew zusammen", befahl ich Jay, meinem ersten Offizier, sobald ich wieder an Bord war.

Jay ist mein bester Freund, seit dem Tag, an dem er auf unser Schiff kam. Damals war noch Old Jack Kapitän, ein alter Pirat, der Chip und mich aufgenommen hatte, nachdem wir aus dem Waisenhaus geflohen waren.

Ich wartete bis meine Männer sich auf Deck versammelt hatten. Einschließlich mir waren wir eine Truppe von fünfundzwanzig Mann. Korrigiere: vierundzwanzig Mann und eine Frau.

„Captain Crow hat Chip und die anderen in seiner Gewalt", kam ich augenblicklich zum Punkt. Entsetztes Raunen ging durch die Menge.

Captain Crow war ein furchteinflößender Pirat und unser Erzfeind Nummer Eins. Schon mehrmals waren wir in blutige Schlachten mit ihm verwickelt, die hauptsächlich auf Revierkämpfen beruhten. Bei unserer letzten Begegnung hatte er durch mein Schwert seine Hand verloren. Dort prangte jetzt ein Piratenhaken und Crow wollte mich dafür leiden lassen.

Ich hingegen hatte dem Mann ewige Rache geschworen, weil Old Jack's Tod auf Captain Crows Konto ging.
Old Jack war wie ein Vater für mich gewesen und sein Verlust hatte Chip und mich schwer getroffen.

„Daher werden wir so bald wie möglich in See stechen, um die anderen zu befreien."

Mein Tatendrang kam bei meinen Männern nicht an.

„Wir brauchen aber noch mindestens eine Woche, um die Reparaturen durchzuführen und die Vorräte zu besorgen", warf Carlos ein. Ein Spanier, der für das Krähennest zuständig war.

„Richtig, was bedeutet ihr werdet doppelt so schnell arbeiten wie sonst. Vergnügen könnt ihr euch in einem anderen Hafen."

Unzufriedenes Gebrumme wurde laut, denn eigentlich war der Plan gewesen diesmal etwas länger in Cork zu verweilen. Die Arbeit auf einem Piratenschiff war kräftezehrend, daher sehnte sich jeder von ihnen nach etwas Ruhe.

Wütend stemmte ich die Hände in die Hüfte. Langsam wurde ich sauer, weil anscheinend niemand hier es für nötig hält, den obersten Kapitän zu retten. Eine Meute Kerle war nicht so einfach in Schach zu halten, wie es vielleicht aussah.

„Ihr wollt euren Captain also in Crow's Händen sterben lassen?", fauchte ich verärgert.

„Nein, natürlich nicht", schaltete sich nun Jay ein, der wie immer ruhig blieb. „Aber wenn Chip und die anderen von Crow gefangen genommen wurden, müssen wir auch bedenken, dass sie vermutlich schon tot sind, bevor wir bei ihnen ankommen. Wir wissen nicht einmal wo sie sind."

„Das ist mir auch bewusst", schnauzte ich Jay an. Ich wusste er wird mir dafür nicht böse sein. Er kannte mich lange genug um mit meinen Launen umgehen zu können. „Aber niemand wird zurückgelassen, schon vergessen? Wir schulden es Chip wenigstens einen Versuch zu starten."

„Hier ihm Hafen weiß doch sicherlich jemand wo Crow sich momentan aufhält", meldete sich Johnny vorsichtig zu Wort. Er war kaum älter als sechzehn und ständig darauf bedacht mich nicht zu verärgern.

Dankbar nickte ich ihm zu. „Danke. Immerhin denkt hier jemand mit. Es kann nicht ja nicht so schwer sein Crows Aufenthaltsort ausfindig zu machen. Hört mal, ich weiß ja, dass ihr nicht sonderliche scharf darauf seid gleich wieder in See zu stechen, ohne richtigen Plan. Aber Chip ist mein Bruder und ich werde ihn und die anderen nicht kampflos zurücklassen. Wer nicht dabei sein will, dem steht frei zugehen. Ich für meinen Teil habe geschworen keinen Kameraden kampflos zurückzulassen und daran werde ich mich halten. Wir sind eine Familie und wir stehen füreinander ein."

Zustimmende Ausrufe gingen durch die Menge. Niemand machte Anstalten zu gehen, was mich erleichtert aufatmen ließ. Kurze Zeit hatte ich Angst, meine Mannschaft würde mich verlassen. Aber nicht diese Männer. Wir hatten einander Treue geschworen und ich für meinen Teil, würde für sie in den Tod gehen.

Jay begann damit Aufgaben zu verteilen, damit wir so bald wie möglich startklar waren.
„Wenn wir uns beeilen, können wir spätestens in drei Tagen auslaufen."

„Dann könnt ihr sicherlich Hilfe gebrauchen", erklang eine fremde Stimme.

Keine Sekunde später waren fünfundzwanzig Schwerter auf den Eindringling gerichtet, der erschrocken die Hände hob. „Woa ganz ruhig."

„Runter von meinem Schiff", blaffte ich den jungen Mann an. Ich konnte es gar nicht leiden, wenn fremde Menschen einfach so mein Schiff betraten. Mit erhobenem Schwert ging ich auf den jungen Mann zu und bohrte die scharfe Spitze leicht in seine Brust. Ohne dass er verletzt wurde, aber so dass deutlich wird, wer hier das Sagen hatte.

Mit kalten Augen mustere ich den Eindringling. Das Auffälligste waren die markanten Wangenknochen und die stechend blaugrauen Augen, die mich ebenso musterten, wie ich ihn. Dunkelbraune Strähnen fielen ihm in die Stirn. Seine Kleidung sah hochwertig aus, war aber ziemlich verdreckt, so als hätte er eine lange Reise hinter sich. Dennoch schrie seine adelige Abstammung mich durch seine Kleidung und die Körperhaltung gerade so an. Ein Adelsschwein also.

„Ich bin auf der Suche nach den Cunningham Geschwistern", sagte der Fremde. „Es hieß man soll sich an sie wenden, wenn man eine Karriere als Pirat starten will."

Spöttisch grinste ich ihn an. Der Mann vor mir war zwar unverkennbar muskulös, aber alleine seine gepflegte und vor allem helle Haut und die weichen Hände sagten mir, dass er noch nie in seinem Leben hart gearbeitet hatte.

„Wir nehmen keine Adelsschweine auf."

„Meine Herkunft lässt sich wohl nicht leugnen, aber ich habe genauso einen Hass auf den Adel wie Ihr. Deshalb möchte ich etwas tun, was meine Familie ganz sicher in Rage versetzt."

„Das ist schön für dich Prinzessin." Der Spitznamen, den ich dem Adeligen verpasst hatte, ließ einige meiner Männer verhalten lachen. „Aber so wie du aussiehst, überlebst du nicht einmal zwei Tage auf hoher See. Also mach dass dein verwöhnter Hintern von meinem Schiff verschwindet."

Ich bohrte die Spitze meines Schwertes etwas fester in seine Brust, was den Fremden allerdings völlig kalt ließ.

„Ich bin den weiten Weg von Ulster gekommen, weil ich den berüchtigtsten Piraten angehören möchte. Ich bin mir nicht dafür zu schade hart zu arbeiten und ich bin gewillt schnell zu lernen."

„Wir könnten tatsächlich Hilfe gebrauchen", sagte Jay plötzlich und ich funkle ihn sofort wütend an. „Eine billige Arbeitskraft schadet doch nicht." Die umstehenden Männer nickten zustimmend. Am liebsten würde ich Jay den Hals umdrehen. Dieser adelige Möchtegern war höchstens Fischfutter, aber ganz sicher kein würdiges Mitglied meiner Crew.

Ich stieß ein genervtes Zischen aus. „Na schön, Prinzessin." Meine Augen verrenkte ich zu schmalen Schlitzen. „Wenn du unbedingt Pirat werden willst."

„Es wäre mir eine Ehre", sagte er und grinst schelmisch.

Geschlagen nahm ich mein Schwert herunter und meine Männer taten es mir gleich. Der Fremde entspannte sich merklich.

„Ich bin übrigens Henry." Er streckte mir die Hand entgegen und lächelte wobei ein Grübchen zum Vorschein kam.

„Und ich bin die, die das Sagen hat." Seine Hand ignorierend drehte ich mich um. Im Gehen steckte ich mein Schwert zurück in die dafür vorgesehene Scheide. „Mitkommen Prinzessin."

Meine Männer machten sich wieder an die Arbeit, ich hingegen steuerte die Treppe in das Innere des Schiffes an. In unserem Aufenthaltsraum befand sich ein langer Tisch, an dem wir immer gemeinsam aßen. Alle Möbelstücke und sonstige Gegenstände waren festgeschraubt, damit sie bei unruhigem Seegang nicht ständig hin und her rutschten.

Schummriges Licht empfing uns, als ich mit Henry den Raum betrat. Die einzige Lichtquelle stammte von einer Petroleumlampe, die über dem Tisch hing und durch die Schiffsbewegung mit einem leisen Quietschen hin und her baumelte.

„Du bist sicher Amaya."

„Meisterhafte Detektivarbeit." Ich holte mir Papier und Feder, bevor ich mich zu dem Neuling umdrehte und ihn mit einem ernsten Blick bedachte. Er sollte merken, dass das hier kein Spaß war.

„Also Frischling. Wenn du einer von uns werden willst, hast du Regeln zu beachten. Brichst du eine dieser Regeln hat das Konsequenzen, klar?"

Henry nickte konzentriert.

„Regel Nummer eins." Ich hielt mein Zeigefinger als Demonstration in die Höhe. „Alles hört auf mein Kommando. Ich bin die Kapitänin der Nightmare. Wenn du damit ein Problem hast und keine Befehle von einer Frau annehmen kannst – da ist die Tür."

„Ob ein Mann oder Frau Kapitän ist juckt mich nicht."

Welch seltene Meinung er damit vertrat. Die meisten Menschen sahen mich schräg an, wenn sie realisierten, dass ich Piratin bin. Und es war schwierig Männer zu finden, die sich von einer Frau kommandieren ließen.

„Na gut. Regel Nummer zwei: Das hier ist kein netter Schiffsausflug. Wenn du Teil der Crew werden willst, hast du zu arbeiten. Die Arbeit hier ist hart und kräftezehrend, also nichts für Weicheier. Wenn ich dich erwische, wie du faul herumliegst, haben wir beide ein Problem.

Regel Nummer drei: Du bekommst deinen rechtmäßigen Anteil der Beute. Da du ein Frischling bist, stehst du ganz unten in der Nahrungskette. Entsprechend ist auch dein Lohn. Arbeitest du dich nach oben, bekommst du auch mehr vom Kuchen. Solltest du uns bestehlen, wirst du auf einer unbewohnten Insel ausgesetzt."

Henry sah mich mit großen Augen an. „Im Ernst jetzt?"

„Mein absoluter Ernst. Bist du ein Dieb, wirst du maroniert, so einfach ist das. Das bedeutet du wirst mit wenig Proviant und einer Waffe mit nur einem Schuss auf einer unbewohnten Insel ausgesetzt."

Der Neue schluckte erschrocken. Damit hatte er wohl nicht gerechnet. „Was? Glaubst du wir sind hier 'ne nette, freundliche Truppe? Wir sind Piraten, wir sind nicht zimperlich. Komm damit klar, oder lass' es bleiben, aber dann verschwinde von hier."

„Nein, nein", stotternd räusperte sich Henry. „Schon gut."

„Behalte einfach deine Finger bei dir und halte dich an die Regeln, dann habe ich auch kein Grund dich auszusetzen. Also weiter im Text. Regel Nummer 4: Wir sind Piraten, wir rauben, wir kämpfen. Drückst du dich vor einem Kampf oder desertierst bist du tot. In der Regel läuft das so, dass du an einen Mast gebunden wirst und wählen darf, wer die Ehre hat dich hinzurichten."

Ich genoss Henrys Gesichtsausdruck, der immer blasser wurde. Ihn mit grausamen Details zu versorgen, gab mir mehr Genugtuung als es sollte. Aber wir waren Piraten. Dieses Leben war hart und brutal. Damit musste man umgehen können.

„Aber keine Sorge. Jeder Frischling wird im Kampf ausgebildet. Wenn es aber soweit kommt, egal ob früher oder später, hast du zu kämpfen."

„Aye, aye Captain."

Spöttisch zog ich eine Augenbraue nach oben. Sein Versuch sich einzuschleimen konnte er gleich vergessen.

„Regel Nummer 5: Keine Frauen an Bord."

Nun war es Henry der eine Augenbraue nach oben zog und mich belustigt musterte. „Und was bist du dann?"

„Sehr lustig. Keine Frauen außer mir an Bord. Ich will keine Orgien auf meinem Schiff. Wenn du schon unbedingt irgendwelche Bedürfnisse stillen musst, dann gehst du dafür in gewisse Etablissements wenn wir im Hafen einlaufen. Ich arbeite nur mit anständigen Männern zusammen, die ihre Frauen nicht wie ein Stück Dreck behandeln."

Henry lief rot an, als ich über gewisse Einrichtungen sprach und beinah musste ich über diese Reaktion lachen. So prüde wie er sein mochte, das würde in der Gesellschaft meiner Crew nicht lange so bleiben. Seine roten Wangen waren fast schon süß. Aber eben nur fast.

„Und nun die letzte, heilige Regel. Die goldene Regel. Verrate niemals, niemals einen Kameraden. Wenn du jemanden von uns verpfeifst zögere ich nicht lange und jage dir einen Kugel in den Kopf. Das ist der Piratenkodex und wenn du gegen ihn verstößt, dann gnade dir Gott."

Fertig mit meiner Ansprache knallte ich ihm das Stück Papier und die Feder auf den Tisch. „Du musst diesen Vertrag unterschreiben. Die Regeln sind dort aufgelistet und du bestätigst damit, dass du dich an die Verordnung halten wirst und du dir über die Folgen eines Verstoßes klar bist. Wenn du das nicht unterschreibst, hast du auf meinem Schiff nichts zu suchen."

Der Frischling zögerte nicht lange und setzt seine Unterschrift auf das Dokument. 

Grinsend sah er zu mir hoch, wobei ihm seine dunkelbraunen Strähnen in die Stirn fielen.
„Und jetzt?", fragte er stolz als frischgebackener Pirat.

„Jetzt kannst du damit anfangen das Deck zu schrubben, Prinzessin."
Augenblicklich fiel ihm das Lächeln aus dem Gesicht.

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